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Karl Bechert

Karl Bechert

Professor, Politiker, geb. 1901, gest. 1981.

In der Nacht zum 1. April 1981 verstarb in Weilmünster-Möttau (Kreis Limburg-Weilburg) der am 23. August 1901 in Nürnberg geborene Karl Bechert, Professor emeritus für Theoretische Physik der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Mitglied des Deutschen Bundestages von 1957-1972 für den nordhessischen Wahlkreis Waldeck, ehemals Beigeordneter und Ratsmitglied der Stadt Gau-Algesheim. Gemeinsam mit Gerd Bastian, Petra Kelly und Martin Niemöller hatte der Sozialdemokrat Karl Bechert im "Krefelder Appell" vom 16. November 1980 die SPD-geführte Bundesregierung aufgefordert, ihre Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern zurückzunehmen. Über 250.000 Bürger unterschrieben in der Folgezeit diesen Aufruf. Für die große Demonstration am 4. April 1981 in Bonn war Karl Bechert als Hauptredner vorgesehen.
Nach dem Besuch eines humanistischen Gymnasium in München studierte Karl Bechert an der Ludwig-Maximilians-Universität in der bayerischen Hauptstadt von 1920-1925 Physik, Mathematik und Chemie. Seinem Lehrer Arnold Sommerfeld (1868-1951) stand er seit 1922 zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft, ab 1923 als Hilfsassistent und Doktorand und 1926 als Assistent zur Seite. Mit der Arbeit "Über die Struktur des Nickelspektrums" promovierte er 1925 mit dem Prädikat "Summa cum laude". Nach der Habilitation 1930 blieb Bechert als Privatdozent für Physik bis Ende Oktober 1933 am Institut von Arnold Sommerfeld. Studienaufenthalte und Vortragsreisen hatten ihn in die USA, nach Madrid und nach Indien geführt.

Arnold Sommerfeld

1929 heiratete Karl Bechert die in Charlottenburg geborene Sibylle Lepsius. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor: Johannes Stefan Bechert, später Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft, und Dietrich Wolfgang Bechert, Wissenschaftler bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Berlin.
Im November 1933 folgte Bechert dem Ruf der Justus-Liebig-Universität Gießen auf den Lehrstuhl für Theoretische Physik. Dass Bechert am 28. März 1945 von den vorrückenden US-Truppen zum Bürgermeister des Dorfes Donsbach bei Dillenburg und am 28. Juni 1945 dem Rektor der Giessener Universität bestellt wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf sein Verhalten in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Bechert konnte zwar die Schließung der Universität verhindern, aber die Reduzierung des Lehrangebotes veranlasste ihn, 1946 an der neu gegründeten Mainzer Universität den Lehrstuhl und das Amt des Institutsdirektors für Theoretische Physik zu übernehmen. So kam die Familie Bechert nach Gau-Algesheim und bezog eine Wohnung im Hause Kloppgasse 6, das zu Beginn des 19. Jh. im Besitz des Wissenschaftlers, Generals und Bürgermeisters Rudolf Eickemeyer gewesen war.
Die Becherts waren eine musische Familie, noch heute wissen Nachbarn und Besucher, wie z.B. der Präsident der deutschen Bundesbank und ehemalige Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung Ernst Welteke, von Violin- oder Klavierkonzerten in der Kloppgasse und später in der Kirchstraße zu berichten. Karl Bechert selbst trat 1927 in Madrid anlässlich eines Gedenkkonzertes zu Beethovens Todestag als Pianist auftrat. Seine Frau war als Pianistin ausgebildet, sie leitete Chöre, wie den der evangelischen Kirchengemeinde Gau-Algesheim.
Karl Becherts Lebenswerk galt, auf einen Nenner gebracht, dem militärischen, sozialen und ökologischen Frieden. In seinem "Aufruf an alle Bürger Europas: Wehrt Euch!" wandte er sich im Oktober 1980, sechs Monate vor seinem Tod, an die Öffentlichkeit, um vor atomarer Nachrüstung zu warnen.
Der "Manchester Guardian" vom 4. April 1981 nennt Karl Bechert den Vater der westdeutschen Anti-Atom-Bewegung .Wie ernst es ihm damit war, zeigt ein Zitat, das nordhessische Bürger in seinem Nachruf abdruckten: "Man nennt uns Aufwiegler - wir aber wollen nicht in einer atomaren Katastrophe untergehen. Wir wollen nicht, dass unsere Nachkommen uns verfluchen, weil wir dem atomaren Wahnsinn nicht Widerstand geleistet haben."
Zum 70. Geburtstag von Karl Bechert im August 1971 schrieb Bundespräsident Gustav Heinemann: "Lieber Herr Professor Bechert! Der Umschwung der öffentlichen Meinung, die mehr und mehr die Gefährdung aller Lebewesen durch Umweltverschmutzung und Vergiftung zur Kenntnis nimmt, kann Sie, der Sie auf diesem Gebiet einer der ersten Rufer in der Wüste waren und vielfach noch der Schwarzseherei bezichtigt wurden, nur mit Genugtuung erfüllen. Dieses Beispiel steht in Ihrem Leben für viele: Sie haben sich nicht damit begnügt, wissenschaftliche Forschung, losgelöst vom Alltag, zu betreiben. Ihr jahrelanges politisches Wirken, erst im kommunalen Bereich und seit 1957 im Deutschen Bundestag, ist Ausdruck einer wachen Verantwortung für das allgemeine Wohlergehen der Gesellschaft."
Die Sozialdemokratische Bildungsinitiative (SBI) Gau-Algesheim hat ihr Domizil im Karl-Bechert-Haus, Im Winkel 4.

Nachweise

Verfasser: Norbert Diehl

Literatur:

  • Kohl, Ralf: Das politische Wirken Professor Karl Becherts von 1956-1972. Eine Studie über (un-)politisches Verhalten, Phil. Diss., Mainz, 1993.
  • Kurt Friedrich: Karl Bechert (1901-1981). Wissenschaftler und Politiker aus Verantwortung, in: Gau-Algesheim. Historisches Lesebuch, 1999, S. 128-133.