Sankt Goar am Mittelrhein

Die Stiftskirche zu St. Goar

Von Pfr. Wolfgang Krammes, in: Hansen-Blatt, Schriftenreihe des "Internationalen Hansenordens e.V. zu St. Goar am Rhein", 63. Jahrgang, Heft Nr. 51, Juli 1998, St. Goar/Rhein, S. 103 - 109.

Die Anfänge der Stiftskirche liegen im späten 11. oder frühen 12. Jh.: in dieser Zeit wurde die dreischiffige Krypta errichtet, sie wird oft als schönster Bau zwischen Köln und Speyer gehandelt. Im 13. Jh. schloss sich der Bau der Chores an, im 15. Jh. der des Langhauses.[Bild: Horst Goebel]

In den Jahren 1994 - 1997 wurden in der Stiftskirche zu St. Goar im Auftrag der Ev. Kirchengemeinde bedeutende Kunstwerke für insgesamt 178.000,- DM restauriert. Es handelt sich um die mittelalterlichen Fenster, das Grabmal Philipps II. von Hessen-Rheinfels und seiner Gattin und die wertvolle Stummorgel aus dem Jahre 1820. Dies ist Grund genug, der bedeutenden Kirche einige Aufmerksamkeit zu schenken[Anm. 1].
Dem Besucher der Stiftskirche zu St. Goar fällt nicht nur die herausragende Architektur des Gebäudes, sondern auch die reiche Ausstattung der Kirche auf. Neben den oben genannten Ausstattungsstücken enthält die Kirche eine reiche Ausmalung[Anm. 2], sowie wertvolle mittelalterliche Grabplatten. Die Steinkanzel wurde um 1460 geschaffen. 1506 wurden zwei neue Glocken für die Kirche gegossen.

1. Zur Geschichte der Zelle und des Stiftes St. Goar[Anm. 3]

Höhepunkt der Baugeschichte der Stiftskirche war der große Umbau, der 1444 von Graf Philipp von Katzenelnbogen (reg. 1444 - 1479) veranlasst wurde[Anm. 4]. In mühevoller Arbeit wurde das Langhaus aufgebaut und zeigte sich nach seiner Ausgestaltung in einer Pracht, von der die Kirche heute nur noch zaghaft Zeugnis geben kann. Aber wir müssen zuerst noch etwa 650 Jahre zurückgehen, in die Zeit, als König Pippin die Zelle des hl. Goar dem Prümer Abt Assuer zur persönlichen Nutzung überließ.

1.1 Die karolingische Zeit bis ins späte Mittelalter

Nach der Tätigkeit des heiligen Goar am Mittelrhein im 6. Jh. führten Kleriker[Anm. 5] seine Arbeit in der Marienkapelle und im Hospiz weiter[Anm. 6]. Vermutlich auf der Reichsversammlung zu Attigny (765) verlieh König Pippin die Zelle des Goar dem Prümer Abt Assuer zur persönlichen Nutzung auf Lebenszeit. König Karl der Große wandelte um 782 die persönliche Schenkung Pippins in eine Schenkung an die Abtei Prüm um[Anm. 7]. Diese Schenkungen deuten darauf hin, dass es sich um Königsgut handelte[Anm. 8]: Der König war Eigenkirchherr und konnte die Kirche mit ihrem Zubehör verkaufen, verpfänden und verschenken. Eigenkirchherr wurde nun der Prümer Abt. Mit der Schenkung waren Rechte aber auch Pflichten verbunden. Die Abtei erhielt die Einkünfte aus der Wirtschaftskraft der Goarszelle und musste im Gegenzug eine Schutz- und Unterhaltspflicht eingehen, sowie für den seelsorgerlichen und gottesdienstlichen Dienst Sorge tragen. Diesen Pflichten konnte der Eigenkirchherr nur nachkommen, wenn die Stiftung mit Grund und Einkünften ausgestattet war. Mit den Einkünften wurden die Kleriker, es waren beim Übergang der Goarszelle an Prüm sechs, versorgt. Wurden Überschüsse erwirtschaftet, konnten diese in den weiteren Aufbau des Stiftsgutes investiert werden. In den folgenden Jahrhunderten wurden der Zelle eine Reihe von Schenkungen zugedacht. St. Goar entwickelte sich zu einem der drei Hauptsitze des Prümer Abts. Im 11. Jahrhundert begegnet uns ein Kollegiatsstift mit 12 Kanonikaten und 9 Vikarien. An der Spitze des Kollegiums stand der Dekan[Anm. 9].

Im ausgehenden 11. Jahrhundert war der Vermögensstand der Zelle schlecht. "Der Prümer Abt Wolfram stellte 1089 fest, die Kanoniker des hl. Goar hätten unter der Verachtung und Bedrückung der Leute aus der Umgebung (a cunctis provincialibus) seit langem zu leiden und ihren Unterhalt nur unregelmäßig - so wie Gott es in einem Jahr habe wachsen lassen - nicht besser als Ochsentreiber erhalten"[Anm. 10]. Der Abt wollte Abhilfe schaffen und schenkte der Klerikergemeinschaft das Dorf Nochern. Zeuge dieser Schenkung war Dieter von Katzenelnbogen, der Vogt des Ortes.

Zur Wahrnehmung der weltlichen Amtsgeschäfte wurden vom Abt Vögte eingesetzt, die gerichtliche Anwälte des Klosters und Beschützer seiner weltlichen Belange waren. Als erste Vögte begegnen uns die Grafen von Arnstein[Anm. 11]. Die Grafen von Katzenelnbogen wurden kurz nach dem Tod des Grafen Ludwig III. von Arnstein (+ 1185) mit der Vogtei über St. Goar belehnt. Im späten Mittelalter gelang es den Katzenelnbogener Grafen, die Prümer Stellung immer stärker abzubauen. War bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts allein der Abt von Prüm berechtigt, Kanonikate und Vikarien zu besetzen, änderte sich dies nun durch besondere Verträge, die 1408 und 1449 zwischen dem Prümer Abt und den Grafen von Katzenelnbogen geschlossen wurden[Anm. 12]. 1408 überließ der Prümer Abt den Grafen von Katzenelnbogen das Besetzungsrecht der Hälfte der Kanonikate und Vikarien wohl in der Hoffnung, daß das Grafenhaus für die bessere Versorgung des Stiftes sorgen würde. 1449 schließlich verkaufte der Prümer Abt Johann dem Grafen Philipp von Katzenelnbogen die Rechte der Abtei an St. Goar[Anm. 13]. Das Stift gehörte somit zum Herrschaftsgebiet der Grafen von Katzenelnbogen und fiel 1479 durch Erbfolge an die Landgrafen von Hessen.

1.2 Das Zeitalter der Reformation

1517 veröffentlichte Dr. Martin Luther seine 95 Thesen. In ihnen setzte er sich kritisch mit dem Buß- und Ablasswesen der Kirche auseinander. Luther wollte keine neue Kirche gründen, sondern die bestehende von der Heiligen Schrift her reformieren. Seinen Reformversuchen wurde jedoch von der römischen Kirche eine klare Absage erteilt, indem er 1521 exkommuniziert wurde und damit auch der Reichsacht verfiel. In Kurfürst Friedrich von Sachsen hatte er jedoch einen starken Rückhalt, so dass die Sanktionen nicht zur Durchführung kamen.

Landgraf Philipp von Hessen hat sich 1524 als erster deutscher Fürst zur Reformation bekannt[Anm. 14]. Auf der Homberger Synode von 1526 wurden Schritte zur Durchführung der Reformation beschlossen (Hessische Reformationsordnung). 1527 beauftragte der Landgraf den Theologieprofessor Adam Krafft mit der Durchführung einer Visitation in der Niedergrafschaft Katzenelnbogen und zeigte diese am 18. Oktober dem Oberamtmann der Grafschaft an. Adam Krafft kam am 1. November 1527 nach St. Goar. Der mit nach St. Goar kommende Pfarrer Gerhard Eugenius Ungefug legte der Pfarrerschaft die Richtlinien der Kirchenreform vor, u.a. sollte der Gottesdienst nach Luthers 'Deutscher Messe' gefeiert und die Wallfahrten eingestellt werden. Am 1. Januar 1528 hielt Gerhard Eugenius Ungefug die erste evangelische Predigt in der Stiftskirche[Anm. 15].

Da das Stift als rechtliche Körperschaft nicht aufhörte, konnte der Landgraf nur über die Kanonikate oder Vikarien verfügen, deren Inhaber verzichteten oder verstarben. Es dauerte noch einige Jahrzehnte, bis das Stiftskapitel erlosch. Die freiwerdenden Mittel wurden nun zweckbestimmt zur Kirchen- und Schulunterhaltung und für Stipendien für Studierende[Anm. 16]. Als Landgraf Philipp 1567 starb, wurde die Landgrafschaft Hessen unter die vier Söhne aufgeteilt. Die Niedergrafschaft Katzenelnbogen erhielt sein Sohn Philipp, der als Philipp II. in St. Goar residierte (+1583).

2. Die Stiftskirche

Als Abt Assuer von Prüm im Jahre 765 die Zelle des Goar zur persönlichen Nutzung erhielt, veranlasste er mit großer Tatkraft die Errichtung einer neuen Kirche, die spätestens 781 geweiht wurde.

Ende des 11. Jahrhunderts oder Anfang des 12. Jahrhunderts wurde die dreischiffige Krypta, sie gilt als schönste am Rhein zwischen Köln und Speyer[Anm. 17], der Triumphbogen, die Wände des Chores und wohl auch die Grundmauern der Chorflankentürme errichtet. Die Chortürme und der heutige Chor wurden bis Mitte des 13. Jahrhunderts vollendet[Anm. 18].

Ab 1444 nun erfolgte der große Anbau des Langhauses an den Chor. Zur Gesamtanlage urteilt Dehio: "Als Hallenkirche mit Emporen steht St. Goar in einer mittelrheinischen Tradition (geographisch zwischen Ahrweiler und Heidelberg), in der sie einen besonderen Höhepunkt bildet."[Anm. 19]

An der nördlichen Außenwand der Kirche sehen wir eine Inschrift, die Graf Philipp von Katzenelnbogen als Initiator des Umbaus ausweist:

H[ein]e(n)t war ir v(or)sta[n]d
Heiner war ihr Vorstand

Disse kirch ist mit a[n]g[e]/fa(n) [ge(n)]/
Diese Kirche ist mit angefangen
 
Nach sa(n)ct mar[x] am neste(n) dage
Nach St. Markus am nächsten Tage
 
Da ma(n) gemeyn / [jare Zalt von c(ri)sti gebvrt
Da man gemein Jahre zählt von Christi Geburt
 
m ccccxliiii dis pylers] ort
1444 dies Pfeilers Ort
 
Der / erst stey(n) wart g[e]lacht
Der erste Stein ward gelegt
 
vo hn philips des edeln macht
von Pilipps des Edlen Macht
 
In dogende(n) wol erzog(en)
In Tugenden wohl erzogen
 
Graff vnd here zv katzenele(n)/boge(n)
Graf und Herr zu Katzenelnbogen
 
Dem got gebe das ewige gut
Dem Gott gebe das ewige Gut
 

vnd wer sey(n) / hulf zum buwe dut
und wer sein Hilf zum Baue tut
 
Hans wynt wer(k)meister
Hans Wynt werkmeister[Anm. 20]

Graf Philipp erwies sich als Wohltäter seiner Kirche. Er veranlaßte nicht allein den Umbau, sondern stiftete 1460 einen neuen Altar und stockte auch die Stiftung von zwei weiteren Altären auf. "Ambition ging hier Hand in Hand mit Devotion."[Anm. 21] Das Langhaus der Kirche zeigte sich nach dem Umbau schließlich in großer Pracht[Anm. 22]. G.A. Benrath schreibt: "Das Langhaus der Stiftskirche erscheint wie ein Bildersaal des 15. Jahrhunderts, der uns zur Betrachtung einlädt. Aber wir fassen die Malereien und Skulpturen, die Schlußsteine und die wenigen noch erhaltenen Glasfenster nicht richtig in den Blick, wenn wir sie nicht als das nehmen, was sie von ihrem Ursprung her waren: Zeugnisse der christlichen Frömmigkeit ihrer Zeit, Dokumente jener umfassenden, ununterschiedenen Devotion."[Anm. 23] Wir sehen eine fast unüberschaubare Fülle von Heiligen, die Fürsprache einlegen sollen für die Sünder. Auch die Beschriftungen weisen in diese Richtung: sie sind Bitten um Fürbitte.

Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Wie wird mir Vergebung der Sünden zuteil? Das folgende Jahrhundert der Reformation sollte diese Fragen in äußerster Schärfe aufgreifen. Die Antwort war jedoch eine andere: Nicht die Heiligen, nicht die Wallfahrten, nicht die Ablässe eröffnen den Weg zu Gott, sondern allein der Glaube an Christus. Gegen die 'ununterschiedene Devotion' stellte die Reformation ihre drei 'sola': Vergebung der Sünde ist allein aus Gnade (sola gratia) um Christi willen allein durch den Glauben (sola fide) zu erlangen, "wenn wir glauben, daß Christus für uns gelitten hat und daß uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird."[Anm. 24] Allein die Heilige Schrift (sola scriptura) ist oberste Richtschnur, weil im Hören auf das Wort das Verständnis des Evangeliums erwächst. Diese neuen Überzeugungen prägten in der Folge auch das Verständnis von Kirche. Kirche ist da, wo das Evangelium gepredigt und die Sakramente der Schrift gemäß gespendet werden[Anm. 25]. Diese Prinzipien hatten auch Konsequenzen für das Verständnis des Kirchenbaus. Da die Heiligenverehrung und die Wallfahrten konsequenterweise beendet wurden, verlor die Krypta mit dem Grab des heiligen Goar ihre Bedeutung. Auch die Altäre zu Ehren verschiedener Heiliger verloren ihre Funktion. Der Schwerpunkt wurde nun auf die Verkündigung des Evangeliums gelegt. Die reiche Ausstattung war Ausdruck der Frömmigkeit des 15. Jahrhunderts, nicht aber mehr der neuen Zeit. So wurden an der Stiftskirche neben den nötigen Sanierungsarbeiten[Anm. 26] auch Umbauten und Veränderungen vorgenommen. Die Frömmigkeit der folgenden Jahrhunderte war eben eine andere. Nach 1737 wurde der Zugang zu der Krypta[Anm. 27] vom Mittelschiff her zugeschüttet, möglicherweise während der Bauarbeiten im 19. Jahrhundert, als die große Treppe vom Mittelschiff zum Chor eingezogen wurde. Im Umbau von 1843 wurden viele der mittelalterlichen Ausstattungsgegenstände beseitigt, die Malereien wurden übertüncht. Zentrum für den Gottesdienst sollten der (eine) Altar und die Kanzel sein, Wort und Sakrament eine Einheit darstellen. Dem zugeordnet wurde die Orgel auf der Turmempore, die noch heute zur Ehre Gottes erklingt.

Ende des vorigen Jahrhunderts und in unserem Jahrhundert erwachte das historische und kunsthistorische Interesse. Um die Jahrhundertwende wurde das Grabmal Philipps II. restauriert; 1906/07 wurden die Wandmalereien freigelegt; in den 50er Jahren wurde die Krypta renoviert. 1962 konnten die Wandmalereien restauriert werden. Um 1980 fand die große Außenrenovierung der Kirche statt.

Und doch ist in der Stiftskirche wenigstens in Resten die Erstausstattung erhalten geblieben: Verschiedene Grabsteine; die Steinkanzel; die Ausmalung; die Glasmalereien im nördlichen und südlichen Seitenschiff. Erhalten sind auch die Glocken, die 1506 für die Kirche gegossen wurden.

Zwei Kunstwerke aus späterer Zeit sollen aber auch erwähnt sein:

Nach der Reformation wurde im nördlichen Seitenschiff das Grabdenkmal des Landgrafen Philipp II. von Hessen (+1583) und seiner Frau Anna Elisabeth von Pfalz-Simmern (+1609) aufgestellt. Die heutige Orgel wurde um 1820 von der Orgelbauerfamilie Stumm in die Kirche eingebaut.

3. Kunstwerke der Stiftskirche

3.1 Die Grabplatten der Adelheid von Katzenelnbogen-Waldeck (+1329) und ihres Sohnes Abt Diether (+1350)

Die Grabplatte der Gräfin, die von sehr hoher Qualität ist, befindet sich an der Westwand der Kirche. Sie steht kunstgeschichtlich in der Nähe zur Grabplatte des hl. Goar, die sich heute in der katholischen Pfarrkirche zu St. Goar befindet. Möglicherweise stammen beide Platten aus einer Werkstatt. Die Grabplatte ist wohl kurz nach dem Tode der Gräfin entstanden. An der Südwand der Kirche befindet sich die Grabplatte ihres Sohnes, des Abtes Diether von Katzenelnbogen, der 1350 verstarb. Auch diese Arbeit gehört in die Gruppe Goar und Adelheid. Adelheid war die Frau des zwei Jahre später verstorbenen Grafen Wilhelm I. Es wird vermutet, dass die Errichtung einer Grabplatte für seine Frau in St. Goar den Beginn einer gräflichen Grablege am Rhein hätte bedeuten können. Wilhelm I. wurde jedoch nicht in St. Goar, sondern im Kloster Eberbach bestattet. Möglicherweise wollten sich die Mönche des Klosters Eberbach, das seit 1311 als Hausgrabstätte der Katzenelnbogen galt, verbunden auch mit hohem finanziellem Aufwand die gräfliche Grablege in ihrem Kloster erhalten[Anm. 28].

3.2 Glasmalereien im südlichen und nördlichen Seitenschiff

In der Seitenkapelle VI des nördlichen Seitenschiffs befinden sich drei mit Heiligenfiguren bemalte Glasscheiben. Sie stammen aus der Zeit um 1450. Es handelt sich um Darstellungen der Heiligen Antonius, Katharina und Goar. Bei den Restaurierungen der Fenster 1994 wurden im Maßwerk und in den Kopffeldern der Kapelle V im südlichen Seitenschiff Glasscheiben entdeckt, die aus derselben Zeit stammen. Sie zeigen eine qualitätsvolle Verkündigung an Maria. Am Mittelrhein sind diese Scheiben die einzigen überhaupt erhaltenen Glasmalereien aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.

3.3 Die Steinkanzel

Die Steinkanzel, die Christus als Lehrer zusammen mit den vier Evangelisten und dem hl. Goar zeigt, ist um 1460 entstanden. Auf einem mit Blendmaßwerk geschmückten Pfeiler erhebt sich ein achtseitiger Korb. Die sechs Brüstungsflächen des Korbs zeigen unter Kreuzblumen und Kielbogen die Sitzfiguren des heiligen Goar, der vier Evangelisten und Christi. Höchstwahrscheinlich stammt die Kanzel aus derselben Werkstatt, aus der die Kanzel in Koblenz-Moselweiß stammt. Diese wird Hermann Sanders zugeschrieben[Anm. 29].

3.4 Die Glocken der Stiftskirche

Die beiden großen Glocken der Stiftskirche wurden 1506 von Wilhelm Rode gegossen. Sie erflehten die Fürbitte des Patrons für die Stadtgemeinde. Beide sind mit Inschriften versehen, die große Glocke in lateinischer, die kleinere in deutscher Sprache. Eine kleinere Glocke wurde 1502 gegossen.

Die Umschrift der großen Glocke lautet:
 
sancte goar domini confessor et alme sacerdos
Heiliger Goar, Bekenner des Herrn, ehrwürdiger Priester
 
propicius nobis tu peccatoribus assis
stehe du gnädig uns Sündern bei!
 
huius vasis tactus depellat demonis actus/
Dieser Glocke Ton vertreibe die Handlungen des Dämons.
 
conflata sum a wilhelmo de rode ad
Gegossen bin ich von Wilhelm von Rode zum
 
laudem dei et beati goaris confessoris
Lobe Gottes und des seligen Goar, des Bekenners,
 
huius ecclesie patroni incliti anno domini
dieser Kirche weithin berühmten Patrons im Jahre des Herrn
 
m ccccc vi
1506

Die kleinere Glocke trägt die Umschrift:
 
maria heisen ich
Maria heiße ich,
 
vor al sunder bieden ich
für alle Sünder bitte ich,
 
in goars namen luide ich
in Goars Namen läute ich,
 
al bois weder verdriben ich
alle bösen Wetter vertreibe ich,
 
wilhelm von rod gois mich
Wilhelm von Rode goß mich
 
im iare / m ccccc und vi
im Jahre 1506[Anm. 30]

3.5 Das Grabmal Philipps II. von Hessen-Rheinfels

In der Seitenkapelle V im nördlichen Seitenschiff sind zwei qualitätsvolle Grabmäler aus der frühen Barockzeit zu sehen. Sie zeigen Landgraf Philipp II. von Hessen Rheinfels (+1583) und seine Frau, Landgräfin Elisabeth von Hessen geb. Pfalzgräfin von Simmern (+1609). Als Meister beider Grabdenkmäler gilt Wilhelm Vernuiken aus Kalkar. Das Grabmal wurde vermutlich vor 1599 aufgestellt, da Elisabeth 1599 in zweiter Ehe mit Pfalzgraf Johann August von Veldenz verheiratet war[Anm. 31]. Das schmiedeeiserne Gitter wurde 1899/1900 von Gottfried Strobel im Auftrag von Prinz Alexander von Hessen geschaffen. Das wertvolle Stuckgewölbe wurde 1997 restauriert.

3.6 Die Stummorgel der Stiftskirche

Die heutige Orgel auf der Turmempore der Stiftskirche wurde von den Brüdern Franz und Heinrich Stumm gebaut. 1818 wurde die Orgel von der Gemeinde in Auftrag gegeben und 1820 konnte sie ihrem Dienst übergeben werden. Für 2350 Gulden entstand ein 2-manualiges Instrument mit 23 Registern. Zuerst wurde das Instrument im Chorraum aufgestellt. 20 Jahre später erhielt es seinen Platz auf der Turmempore. Im ersten Weltkrieg wurden die wertvollen Prospektpfeifen durch minderwertige ersetzt. Nach mehreren Restaurierungen und dem Ersatz der Prospektpfeifen 1974 durch 75%ige Zinnpfeifen begegnet uns heute ein Instrument von besonderer Güte. Das Instrument wurde 1995 generalüberholt.

Die Disposisiton

Hauptwerk: Principal 8' / Bordun 8' / Viola da Gamba 8' / Octave 4' / Flöte 4' / Quinte 2 2/3' / Octave 2' / Terz 1 3/5' / Mixtur 4f 1 1/3' / Basson 16' / Trompete 8' / Tremulant

Positiv: Gedackt 8' / Quintade 8' / Principal 4' / Rohrflöte 4' / Octave 2' / Quinte 1 1/3' / Sifflöte 1' / Zimbel 3f 1/2' / Krummhorn 8' / Tremulant // 3 Normalkoppeln

Pedal: Subbaß 16' / Octavbaß 8' / Gedacktbaß 8' / Choralbaß 4' / Rauschpfeife 4f 2' / Posaune 16'

Nachweise

Verfasser: Pfr. Wolfgang Krammes

Verwendete Literatur:

  • Benrath, Gustav Adolf: Stifter, Stift und Stiftskirche zu St. Goar vor der Reformation. In: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes, 43. Jahrgang 1994, S. 1-18
  • Back, Friedrich: Die evangelische Kirche im Lande zwischen Rhein, Mosel, Nahe und Glan bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges, I1. Theil. Die Reformation der Kirche, sowie der Kirche Schicksale und Gestaltung bis zum Jahre 1620. Abtheilung I., Bonn 1873, S. 39 - 49.
  • Böcher, Otto: Die ehemalige Stiftskirche zu St. Goar. In: Ärzteblatt Rheinland-Pfalz (1993) Nr. 6, S. 245-247.
  • Confessio Augustana. In.: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Göttingen 1930, 6. Aufl 1967, S. 56.
  • Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Rheinland-Pfalz/Saarland, bearbeitet von Hans Caspary, Wolfgang Götz und Ekkart Klinge. 2. Auflage Darmstadt 1985, S. 912 - 915.
  • Demandt, Karl E.: Die Grafen von Katzenelnbogen als Herren von St. Goar bis zum Jahre 1479, Vorträge zum 'Katzenelnbogener Jahr 1979' in St. Goar, Boppard 1979.
  • Grebel, Alexander: Geschichte der Stadt St. Goar, St. Goar 1848.
  • Hillerbrand, Hans J.: Philipp von Hessen. In: Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 6 (Reformationszeit II), hrsg. von Martin Greschat (Nachdruck 1993), S. 185-196.
  • Pauly, Ferdinand: Das Erzbistum Trier 2. Die Stifte St. Severus in Boppard, St. Goar in St. Goar, Liebfrauen in Oberwesel, St. Martin in Oberwesel . Berlin 1980 (Germania Sacra N.F. 14).
  • Pauly, Ferdinand: Zur Topographie der Kollegiat-Stifte in Boppard, St. Goar und Oberwesel. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 30. Jahrgang 1978, S. 59-84.
  • Wandalbert von Prüm: Vita sancti Goaris. Das Leben des hl. Goar, übers und mit Anm. versehen von Nikolaus Nüsges, Oberhausen. St. Goar 1992.

Eingestellt: 24.06.2009

Anmerkungen:

  1. Neueste Skizze: Otto Böcher, Die ehemalige Stiftskirche zu St. Goar. In: Ärzteblatt Rheinland-Pfalz (1993) Nr. 6, S. 245-247. Zurück
  2. "Sie gilt als die umfangreichste aus dem späten Mittelalter am Rhein." Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Rheinland-Pfalz/Saarland, bearbeitet von Hans Caspary, Wolfgang Götz und Ekkart Klinge. 2. Auflage Darmstadt 1985, S. 912 - 915 (hier: S. 914). Zurück
  3. Eine Gesamtübersicht über die Geschichte und die Verfassung des Stifts bei: Ferdinand Pauly, Das Erzbistum Trier 2. Das Stift St. Goar in St. Goar. Berlin 1980 (Germania Sacra N.F. 14), S. 147-265. Zurück
  4. Grundsteinlegung war am 26. April 1444. Zurück
  5. Kleriker sind die ordinierten Priester der Kirche, die Kraft der Ordination zur Leitung der Gläubigen und zur Verrichtung des Gottesdienstes beauftragt sind. Vgl. c.107 CIC. Zurück
  6. Zur Vita des Hl. Goar: Wandalbert von Prüm, Vita sancti Goaris. Das Leben des hl. Goar, übers und mit Anm. versehen von Nikolaus Nüsges, Oberhausen. St. Goar 1992. Ferdinand Pauly, (wie Anm. 3), S. 158-164. Zurück
  7. Vgl. Ferdinand Pauly, (wie Anm. 3), S. 164f. Zurück
  8. Hierüber gab es jedoch zwischen Abt Assuer und dem Trierer Bischof Weomad einen Streit, der allerdings von König Karl zugunsten Assuers entschieden wurde. Vgl. Ferdinand Pauly, (wie Anm 3), S. 165. Zurück
  9. Belegt ab 1171; das Amt eines Probstes als erste Dignität kann nicht sicher belegt werden. Vgl. F. Pauly, (wie Anm. 3), S. 170 +184 f. Zurück
  10. Ebd. S. 228. Zurück
  11. Ebd. S. 208. Zurück
  12. Ebd. S. 171. Zurück
  13. Während seiner 35-jährigen Regierungszeit gelang es Philipp, die Macht seines Hauses zu steigern. Er wurde zum wichtigen Gläubiger der benachbarten Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln. Sein Ansehen war groß. Vgl. Karl E. Demandt, Die Grafen von Katzenelnbogen als Herren von St. Goar bis zum Jahre 1479, Vorträge zum 'Katzenelnbogener Jahr 1979' in St. Goar, Boppard 1979. Zurück
  14. Vgl. Hans J. Hillerbrand, Philipp von Hessen. In: Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 6 (Reformationszeit II), hrsg. von Martin Greschat (Nachdruck 1993), S. 185-196. Zurück
  15. Vgl. Friedrich Back, Die evangelische Kirche im Lande zwischen Rhein, Mosel, Nahe und Glan bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges, I1. Theil. Die Reformation der Kirche, sowie der Kirche Schicksale und Gestaltung bis zum Jahre 1620. Abtheilung I., Bonn 1873, S. 39 - 49. Zurück
  16. Ebd. S. 47f. Zurück
  17. Georg Dehio, (wie Anm 2), S. 913. Zurück
  18. Vgl. F. Pauly, (wie Anm. 3), S. 149. Zurück
  19. Georg Dehio, (wie Anm. 2), S. 941. Zurück
  20. Lit. nach: Gustav Adolf Benrath, Stifter, Stift und Stiftskirche zu St. Goar vor der Reformation. In: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes, 43. Jahrgang 1994, S.1. Zurück
  21. Ebd. S. 4. Zurück
  22. Zur Inneneinrichtung: Ferdinand Pauly, (wie Anm. 3), S. 149-152 u. G.A. Benrath, (wie Anm.17), S. 14 ff. Zurück
  23. G.A. Benrath, (wie Anm. 20), S. 14. Zurück
  24. Confessio Augustana. In.: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Göttingen 1930, 6. Aufl 1967, S. 56. Zurück
  25. Ebd., S. 61. Zurück
  26. Die schwersten Beschädigungen der Kirche erfolgten im 30-jährigen Krieg durch die Spanier, durch einen Pulverschlag 1759 und durch ein Erdbeben 1846. Vgl. Alexander Grebel, Geschichte der Stadt St. Goar, St. Goar 1848, S. 38f. Zurück
  27. Der Zugang ist in einer Zeichnung von 1737 noch deutlich zu sehen. F. Pauly, Zur Topographie der Kollegiat-Stifte in Boppard, St. Goar und Oberwesel. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 30. Jahrgang 1978, S. 68. Zurück
  28. Vgl. Verena Kessel, Zwischen Heiligenverehrung und dynastischer Inszenierung: Grabmäler in St.Goar, Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 19 (1993), S.205-216 (hier: 215 f). Zurück
  29. Vgl. Dehio, (wie Anm. 2), S. 914. Zurück
  30. Die Texte nach neuester Autopsie bei: G.A. Benrath, (wie Anm. 20), S. 16. Zurück
  31. Vgl. Dehio, (wie Anm. 2), S. 914. Zurück