Rheingauer Heimatforschung

Die Geschichte der Hindenburgbrücke

Die Geschichte der Hindenburgbrücke Teil 1

Aus: Nachrichten der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e.V., 1982, Nr. 49

Veröffentlicht in den Rheingauischen Heimatblättern
1 / 1991

Ein aufmerksamer Beobachter, der mit der Eisenbahn von Bingen nach Mainz fährt, entdeckt etwa 3 km hinter dem Bahnhof Bingen zwischen der Bahnlinie und dem Rheinufer, hinter Buschwerk und Bäumen verborgen, übereinander geworfene Betontrümmer und einige steinerne Brückenbogen. Es handelt sich um die letzten Reste eines gewaltigen Brückenbauwerks, welches einst an dieser Stelle den Rheinstrom überspannte. Die Hindenburgbrücke, wie dieses Bauwerk genannt wurde, und die auf sie zulaufenden Eisenbahnstrecken aus Richtung Rüdesheim, Geisenheim, Gau-Algesheim und Langenlonsheim stellten den Schlußpunkt in der Entstehung des Eisenbahnnetzes im Raum Bingen/Rüdesheim dar.

Die erste Eisenbahnlinie in diesem Gebiet war die am 15. Juli 1858 von der Rhein-Nahe-Eisenbahn eröffnete Strecke Bingerbrück - Bad Kreuznach. Sie war Teilstück der Linie Bingerbrück - Neunkirchen, welche das Saarland und seine Kohlevorkommen mit dem Mittelrhein verbinden sollte. Die Anlage des Bahnhofs auf dem linken, zu Preußen gehörenden Naheufer begünstigte das Entstehen der Ortschaft und des Eisenbahnknotenpunktes Bingerbrück.

Die auf dem rechten Naheufer liegende und damals zu Hessen gehö­rende Stadt Bingen mußte aber nicht lange warten, um ebenfalls Anschluß an die Eisenbahn zu bekommen.

Im Januar 1856 erhielt die private Hes­sische Ludwigsbahn die Konzession zum Bau und Betrieb der Eisenbahnlinie Mainz - Bingen. Die Strecke wurde am 17. Oktober 1859 für den Güterverkehr, am 27. Dezember 1859 für den Personenverkehr eröffnet. Inzwischen war auch die linksrheinische Strecke Koblenz - Bingerbrück, die von der Rheinischen Eisenbahngesellschaft erbaut und betrieben wurde, sowie das Verbindungsstück Bingerbrück -Bingen für den Verkehr freigegeben worden (15.12.1859). Die Brücke über die Nahe wurde von beiden Bahngesellschaften gemeinsam gebaut und unterhalten. Noch heute kündet mitten auf der Nahebrücke die Kilometertafel 0.0 von der damaligen Direktionsgrenze, die aber nur bis zum Jahre 1897 von Bestand war.

Auf der rechtsrheinischen Seite war man mittlerweile auch nicht untätig geblieben. Am 11. August 1856 eröffnete die in Wiesbaden ansässige „Nassauische Rhein- und Lahn-Eisenbahngesellschaft" die Strecke Wiesbaden - Rüdesheim. Nachdem die Strecke 1861 vom nassauischen Staat gekauft wurde, konnte die Fortsetzung bis Oberlahnstein im Jahre 1862 gleich als Staatsbahn eröffnet werden. Als Folge des Krieges von 1866 kam die gesamte Strecke von Wiesbaden bis Oberlahnstein in den Besitz Preußens.

Anfang der achtziger Jahre wurden auch die Nahestrecke und die Strecken der Rheinischen Eisenbahnge­sellschaft von Preußen verstaatlicht.


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Mit der linksrheinischen Transitstrecke Bingen - Mainz - Worms war die Provinz Rheinhessen an ihrer Peripherie gut mit Eisenbahnen ausgestattet. Es fehlten noch Linien, die das Innere der Provinz erschlossen. So wurde am 29. Juni 1870 die eingleisige Hauptbahn Bingen - Armsheim eröffnet, die im November 1870 bis Alzey verlängert wurde. Dort bestand Anschluß an die etwas früher eröffnete Linie von Worms her. Die Alzeyer Strecke läuft ab Bf Bingen parallel zur Strecke Bingen - Mainz und biegt beim ehemaligen Bf Bingen-Kempten in einer weiten Kurve nach Süden in Richtung Gensingen ab.

Nach Verstaatlichung der Hessischen Ludwigsbahn und Bildung der preußisch-hessischen Betriebsgemeinschaft wurde am 1. Februar 1897 die Großherzoglich Hessische und Königlich Preußische Eisenbahndirektion Mainz gegründet, welche die in den hessischen Provinzen Rheinhessen und Starkenburg gelegenen Strecken verwaltete. Kurz danach kamen auch die linke Rheinstrecke bis Koblenz und die Nahebahn bis Kirn zur Direktion Mainz.

Dreißig Jahre nach Eröffnung der Strecke Bingen - Alzey sollte das Eisenbahnnetz in der Nordweststrecke Rheinhessens eine kurze, aber wichtige Erweiterung erfahren. Am 15. Mai 1902 wurde die zweigleisige Hauptstrecke Gau Algesheim - Bad Kreuznach eingeweiht Parallel hierzu erfolgte der viergleisige Ausbau Bad Kreuznach - Bad Münster am Stein. Ein geplanter viergleisiger Ausbau des Streckenabschnitts Gau Algesheim-Mainz wurde nicht mehr durchgeführt.

Die Gründe für diesen Bahnbau waren, wie bei vielen Strecken auf linksrheinischem Gebiet, die in dieser Zeit entstanden, in erster Linie militärischer Natur. Doch waren von der neuen Strecke auch betriebliche Vorteile zu erwarten. Zum einen wurde der Bahnhof Bingerbrück entlastet, zum anderen waren durch den Wegfall des Kopfmachens dort die Verbindungen von Mainz in Richtung Saarbrücken (Nahebahn) und in Richtung Kaiserslautern (Alsenzbahn) wesentlich günstiger zu gestalten.

Vom jetzt aufgelassenen Bahnhof Büdesheim-Dromersheim bis zum Bahnhof Gensingen-Horrweiler verlaufen die Strecken Gau Algesheim -Bad Kreuznach und Bingen - Alzey parallel und dreigleisig auf einem Bahndamm (mittlerweile auf zwei Gleise zurückgebaut). Durch eine Überführung der neuen Strecke über die Alzeyer Linie vor Büdesheim-Dromersheim konnte eine niveaugleiche Kreuzung beider Trassen vermieden werden.

Mit der im Jahre 1904 ebenfalls aus militärischen Gründen erbauten Glanbahn nach Homburg (Saar) wurde Bad Münster am Stein zum Ausgangspunkt dreier zweigleisiger Hauptbahnen in Richtung Süden und Südwesten (Nahebahn, Alsenzbahn, Glanbahn). Diese waren nun über die neue Gau-Algesheimer Strecke gut an das Rhein-Main-Gebiet angeschlossen. Über die im Jahre 1904 eingeweihte Kaiserbrücke Mainz - Wiesbaden gelangte man auch problemlos auf das rechte Rheinufer. Doch damit nicht genug:

Die strategischen Interessen verlang­ten eine direkte Anbindung der drei erwähnten Linien an das jenseitige Rheinufer bei Rüdesheim. Auch das Fehlen eines festen Rheinübergangs auf eine Länge von etwa 100 Kilome­tern zwischen Mainz und Koblenz gab Anlaß, sich mit einem Brückenprojekt bei Bingen/Rüdesheim zu befassen. Bereits im Jahre 1900 sprach sich der preußische Minister für öffentliche Arbeiten (entspricht etwa dem heuti­gen Verkehrsminister) im Abgeordne­tenhaus für eine Rheinbrücke bei Bin­gen aus. Die Gelder für das Brücken­projekt wurden jedoch erst im Jahre 1911 vom Parlament bewilligt. Zu­nächstkam zwischen den beiden Län­dern Preußen und Hessen keine Über­einstimmung bezüglich der Ausfüh­rung der Brücke zustande. Man stritt sich, ob es eine Eisenbahnbrücke, eine Straßenbrücke oder ein kombi­nierte Brücke für Straße und Eisen­bahn werden sollte. Die oben erwähn­ten strategischen Belange gaben letzt­lich den Ausschlag zum Bau einer Eisenbahnbrücke. Mangel an finan­ziellen Mitteln ließen den Bau einer zusätzlichen Fahrbahn für den Stra­ßenverkehr nicht zu. Im Juni 1913 wurde mit dem Bau der Brücke begon­nen, am 16. August 1915 wurde sie nach nur zweijähriger Bauzeit ohne Einweihungsfeierlichkeiten dem Ver­kehr übergeben.

Zur Erinnerung an den Sieger der Schlacht von Tannenberg und späte­ren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg erhielt sie später den Namen „Hindenburg-Brücke".


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