Wohnturm in Nieder-Flörsheim
Anfang des 11. Jahrhunderts (1026) waren sowohl das Wormser Domstift als auch das Cyriakusstift Neuhausen in der Nieder-Flörsheimer Gemarkung begütert. Aus diesem Grundbesitz entwickelte sich eine Ortsherrschaft, die zwischen den beiden Stiften geteilt war. Die Vogtei in Nieder-Flörsheim beanspruchte 1174 der für das ganze Wormser Stift zuständige Pfalzgraf Konrad (Herzog Kuno). Als er 1195 kinderlos starb, fielen die Vogteirechte über Graf Heinrich II. von Zweibrücken an Philipp von Bolanden-Falkenstein. 1270 beschwerte sich das Wormser Domstift, Philipp von Falkenstein habe in Nieder-Flörsheim rechtswidrig die Vogtei an sich gerissen, einen Untervogt eingesetzt und die Kirche im Ort befestigt. Seine Rechte – so behauptete der Falkensteiner – beruhten auf einer Belehnung durch die Grafen von Zweibrücken. Als Philipp wegen seiner Übergriffe exkommuniziert wurde, überredete er den Grafen von Zweibrücken, auf seine vogteilichen Hoheitsansprüche in Nieder-Flörsheim zu verzichten. Wegen der beständigen Querelen mit dem Ortsadel und auf Druck der Wormser Kirche überließ das Cyriakusstift 1287 seine Rechte in Nieder-Flörsheim dem Wormser Domstift, das damit alleiniger Orts- und Gerichtsherr sowie auch der größte Grundbesitzer in der Gemarkung wurde. Doch der Ortsadel setzte auch dem Domstift zu. 1349 sah sich das Domstift gezwungen, sein Dorf Nieder-Flörsheim unter die Schutzherrschaft der mächtigen Grafen von Leiningen zu stellen. Die Grafen nutzten ihre Stellung als Schutzherren über Dorf und Gericht aus und verpfändeten das Gemeinwesen dem Ritter Heinrich Hornbach von Erlecken. 1374 gelang es dem Domstift, nach wie vor Inhaber der Grund-, Zehnt- und Patronatsherrschaft, das Dorf aus der Verpfändung zu lösen. In einem 1374 aufgesetzten Notariatsinstrument wurde die uneingeschränkte Orts- und Gerichtsherrschaft des Wormser Domstiftes in Nieder-Flörsheim bestätigt. Der Dorfadel wurde mit der Bestätigung seiner Privilegien besänftigt.
Am 28.6.1400 übergab das Domstift die Hälfte seines Dorfes an seinen Schutzherrn (seit 1349) Pfalzgraf Ruprecht III. (1398-1410), der wenige Monate später als Ruprecht I. den deutschen Königsthron besteigen sollte. Nieder-Flörsheim wurde nun teilweise der Aufsicht des pfalzgräflichen Burggrafen in Alzey unterstellt. In einem fließenden Vorgang, der bis 1705 währte, übernahm Kurpfalz die uneingeschränkte Herrschaft im Ort. Die Familie der Herren von Flörsheim kommt in Urkunden seit der Mitte des 13. Jahrhunderts vor. Sie scheinen aus der Ministerialität des Wormser Bischofs hervorgegangen zu sein. Mitglieder der Familie lassen sich in Nieder- Flörsheim und der Stadt Worms nachweisen. Die in Ober-Flörsheim bekannte Familie von Flörsheim war dagegen mit der Nieder-Flörsheimer Familie nicht verwandt.
Die Herren von Nieder-Flörsheim verfügten in Nieder-Flörsheim über beachtlichen Grundbesitz. Zentraler Besitz der Familie war ein Gutshof. Bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts scheint ihr Grundbesitz - zumindest teilweise - dem Domstift hubzinspflichtig gewesen zu sein. Erst dann gelang es der Familie, die Abhängigkeit vom Domstift abzuschütteln und den Großteil ihrer Güter in freies Eigen umzuwandeln. Im Jahr 1548 trugen die Herren von Flörsheim ihren Eigenbesitz dem Grafen Johann von Dhaun-Falkenstein zu Lehen auf. Hintergrund war wohl der Versuch der Falkensteiner, erneut Fuß im Ort und der Flörsheimer Burg zu fassen.
Die Herren von Flörsheim hatten sich zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im 15. oder frühen 16. Jahrhundert einen Wohnturm im Ort errichtet. Urkundliche Belege fehlen zwar völlig, doch die Herren von Flörsheim waren die einzigen, die aufgrund ihres sozialen Prestiges im Ort einen solch repräsentativen Wohnsitz verwirklichen konnten. Die anderen adligen Grundbesitzer im Ort, wie die Herren von Wunnenberg, von Montfort, von Wachenheim, von Dalsheim, Kämmerer von Worms und Winter von Alzey, um nur die wichtigsten zu nennen, kommen als Bauherren wohl kaum in Betracht. Auch in anderen Orten der näheren und weiteren Umgegend waren die einzelnen Familienzweige der Flörsheimer reich begütert. Mitglieder der Familie wohnten auf der Ganerbenburg Wilenstein bei Trippstadt, die im Volksmund auch Burg Flörsheim genannt wurde. Mitglieder der Familie bekleideten hohe Kirchenämter in Worms und standen u.a. als Amtleute in Kaiserslautern in Diensten der Pfalzgrafen.
Nach dem Tod des letzten Flörsheimers im Jahr 1655 fiel das Nieder-Flörsheimer Lehen an die Herren von Dhaun-Falkenstein zurück. Diese gaben es an ihren Oberamtmann Johann Christoph von Schellart aus einer rheinischen Adelsfamilie, die 1665 in die Oberrheinische Reichsritterschaft aufgenommen wurde. Als die Linie Oberstein 1682 ausstarb, kam es zu langwierigen Erbstreitigkeiten, die damit endeten, dass Herzog Franz Stephan von Lothringen (seit 1745 Kaiser Franz I.) die Grafschaft Falkenstein übernahm. Die falkensteinischen Ansprüche auf das Nieder-Flörsheimer Gut gerieten in Vergessenheit. So konnte Frau von Petri geb. von Schellart im Jahr 1736 den Hof dem Freiherrn Marsilius Franz von Sturmfeder in Oppenweiler und den Freiherren H.J. de Latre von Feignies übertragen. Sturmfeder erhielt u.a. den Nieder-Flörsheimer Hof, der nach damaliger Aussage immer noch falkensteinisches Lehen gewesen war. Im Januar und August 1806 versteigerte Baron von Sturmfeder seinen Flörsheimer Grundbesitz an eine Reihe von Einwohnern. Auch danach wechselte der alte Gutshof der Adligen von Flörsheim, von Schellart und von Sturmfeder noch mehrfach den Besitzer. Er stand in der Pfarrgasse 7 an der Ecke des Weedenplatzes.
Baubeschreibung:
Der Wohnturm war ein repräsentativer Wohnsitz, militärischer Wert kam ihm in nur geringem Umfang zu. Obwohl die Mauern einen Meter dick sind, lassen sich weder Schießscharten noch eine den Turm schützende Umfassungsmauer oder ein Graben feststellen. Der Turm hat drei Geschosse, er dürfte aber früher vier Stockwerke gehabt haben und fünf Meter höher gewesen sein. Die Balkenlager zwischen den ersten drei Stockwerken sind noch ursprünglich, ebenso ein Spitzbogenfenster im zweiten Obergeschoss. Das ursprüngliche Walmdach hat der Besitzer der Hofraite durch ein Satteldach ersetzt, das in den letzten Jahren von der Ortsgemeinde instandgesetzt wurde. Das Innere hat man in jüngster Zeit wieder wohnlich hergerichtet. Ganz oben im äußeren Fenstergesims wurde die Jahreszahl 1596 eingemeißelt. Sie gilt als Beleg der Erbauungszeit des Turms. Die zweigeschossigen Anbauten lassen aufgrund der Fensterrahmen aus rotem Sandstein erkennen, dass es sich hier um eine Hofanlage gehandelt hat. Die Kalksteinbruchsteine von Turm und Anbau scheinen miteinander verzahnt zu sein. Ob die gegenüberliegende alte Bruchsteinmauer ehemals in die Anlage miteinbezogen war, wie Wittek annimmt, lässt sich ohne gründliche Untersuchungen so nicht bestätigen.
NACHWEISE
Verfasser: Stefan Grathoff
Literatur:
- Brilmayer, Karl Johann: Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart, Mainz 1905
- Grathoff, Stefan: Nieder-Flörsheim. In: Keddigkeit, Jürgen (Hrsg.): Pfälzisches Burgenlexikon, Bd. 3, Kaiserslautern 2005.
- Eckhardt, Albrecht: Flörsheim – Nieder-Flörsheim 769 - 1816. Aus dem ersten Jahrtausend seiner Geschichte. In: Nieder-Flörsheim. Aus der Geschichte eines rheinhessischen Weindorfes. Festschrift zur 1200-Jahr-Feier. Nieder-Flörsheim 1968, S. 41.
- Widder, Johann Goswin: Versuch einer vollständigen geographisch-historischen Beschreibung der kurfürstlichen Pfalz am Rheine. Frankfurt und Leipzig 1786-1788, S. 177ff.
- Wittek, Karl: Gotische Wohntürme bei Worms und Alzey. In: Heimatjahrbuch 1986 Landkreis Alzey Worms 21 (1986), S.87-88.
- Wörner, Ernst: Orts- und Landbefestigungen des Mittelalters in Hessen. Mainz 1884, S. 105-107.
Erstellt: 22.04.2009