Die Gründung der Johannes Gutenberg-Universität
von Hedwig Brüchert (aus Ausstellungsbegleitbuch: Es ist bald wieder gut…? Mainz 1945-1962, Stadthistorisches Museum Mainz)
Schon 1945 gab es auf französischer und auf deutscher Seite Überlegungen, in Mainz eine Hochschule zu gründen. Sie sollte die Tradition der 1477 gegründeten Universität, die um 1800 unter Napoleon geschlossen worden war, weiterführen. Zu den Initiatoren gehörten der Direktor der „Education Publique“, General Schmittlein, der französische Stadtkommandant Kleinmann, Bischof Stohr, Oberbürgermeister Kraus und Kulturdezernent Michel Oppenheim. Die französische Militärregierung hatte großes Interesse daran, auch im Nordteil ihrer Zone eine Bildungseinrichtung zu schaffen, in der westlich orientierte „rheinische Eliten“ ausgebildet werden konnten. [Anm. 1] Dazu stellte sie im Dezember 1945 die ehemalige Flakkaserne an der Saarstraße zur Verfügung. Allerdings war es sehr schwierig, Baumaterialien und Arbeitskräfte zur Beseitigung der Kriegsschäden an den Gebäuden zu beschaffen. Die Militärregierung stellte Wein und Cognac zum Tausch gegen Baumaterialien bereit. Ungefähr 850 deutsche Kriegsgefangene mussten beim Bau helfen, die nach Beendigung der Arbeiten in die Freiheit entlassen wurden. In der Bevölkerung gab es großen Unmut, dass man die wenigen verfügbaren Baustoffe für eine neue Hochschule und nicht für die dringend benötigten Wohnungen verwendete.
Mit der Verfügung Nr. 44 des französischen Oberkommandos vom 27. Februar 1946 erhielt die Universität Mainz die Erlaubnis zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit. Am 22. Mai 1946 fand die feierliche Eröffnung in Anwesenheit der Spitzen des französischen Militärs statt. Auf die Übergabe der neuen Universität durch Oberregierungspräsident Dr. Eichenlaub an den Rektor folgten zwölf Ansprachen, u.a. von Regierungspräsident Steffan, Bischof Albert Stohr, den Rektoren der Universitäten Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main und Straßburg, dem französischen Oberkommandierenden in Deutschland General Koenig, dem Generalbevollmächtigten für die französische Militärregierung General Laffon und dem Leiter der französischen Kulturbehörde General Schmittlein. Die Rednerliste zeigt, welch hohen Stellenwert die Franzosen dieser Universitätsgründung beimaßen. Zum Gründungsrektor hatte man Josef Schmid berufen. Als Namensgeber wählte man den Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, Johannes Gutenberg. Diesen Vorschlag hatte Aloys Ruppel, der Direktor des Gutenbergmuseums und der Stadtbibliothek, eingebracht. [Anm. 2]
Es war nicht leicht, innerhalb kurzer Zeit eine ausreichende Anzahl von Hochschullehrern aller Fachrichtungen zu finden und sie in die französische Zone zu holen. Man verzichtete bei den Berufungen aus praktischen Erwägungen – wegen der Zeitnot und der weiten Anreise vieler Betroffener aus verschiedenen Besatzungszonen – auf ein reguläres Verfahren durch die Entnazifizierungsausschüsse. Die von Rektor Schmid zusammengestellten Einstellungsvorschläge wurden lediglich dem Leiter der „Direction de l’Education Publique“, Raymond Schmittlein, vorgelegt, der alle Unterlagen persönlich prüfte.[Anm. 3] In der Bevölkerung und innerhalb der Landesregierung bekam die Mainzer Universität schon bald den Ruf einer Zufluchtsstätte für politisch belastete Professoren und Studierende. Generalverwalter Emile Laffon ordnete daher im Mai 1947 die Einrichtung einer speziellen Spruchkammer an, die das gesamte Verwaltungspersonal und die Dozenten dieser Hochschule überprüfen sollte. Von 713 Personen galten 412 als „nicht betroffen“, 239 fielen unter die inzwischen erlassenen Amnestien, 60 waren bereits in anderen Zonen entlastet worden. Nur zwei Mediziner wurden in die Kategorie „Mitläufer“ eingestuft. [Anm. 4] Eine jüngst vorgenommene Auswertung der Personalakten gibt genaueren Aufschluss über die Biographien der Lehrkräfte in den Anfangsjahren der Mainzer Universität. [Anm. 5]
Im ersten Semester waren 2.088 und 1948 schon 6.000 Studierende immatrikuliert. Für die Medizinerausbildung stellte die Stadt Mainz ihr Krankenhaus zur Verfügung, das 1952 in die Universitätsklinik umgewandelt wurde. Zunächst gab es keine Mensa, so dass sich die Studierenden selbst versorgen mussten. Wegen des Wohnungsmangels in der Stadt mussten täglich weite Anfahrten in überfüllten Zügen in Kauf genommen werden. Nur wenige Studierende hatten das Glück, im Studentenwohnheim im Dachgeschoss des Forums unterzukommen, wo sich je vier junge Leute ein Zimmer teilen mussten.
Ausschnitt aus Bruechert, Hedwig: „Réeducation“ durch Bildung und Kultur. In: Es ist bald wieder gut…?. Mainz 1945-1962. Begleitband zur Ausstellung im Stadthistorischen Museum Mainz vom 22. März 2015 bis 3. April 2016 (= Schriftenreihe des Stadthistorischen Museums Mainz, Bd. 8). S. 133-143
Erstellt am: 05.04.2016
Red. Bearb.: Simeon Thomas Pfeiffer
Anmerkungen:
- Zur Gründung der Johannes Gutenberg-Universität und ihrer Frühgeschichte liegen inzwischen zahlreiche Untersuchungen vor. Siehe u.a. Corine Defrance: La politique culturelle de la France sur la rive gauche du Rhin 1945-1955, Strasbourg 1994; Vaillant, Kulturpolitik; Manfred Heinemann (Hrsg.): Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945-1952. Teil 3: Die Französische Zone, Hildesheim 1991; Helmut Mathy: Die Universität Mainz 1477-1977, Mainz 1977, S. 291-336; Helmut Mathy: Ut omnes unum sint. Die Wiedereröffnung der Mainzer Universität vor vierzig Jahren, Mainz 1987. Zurück
- Zu Ruppel siehe auch den Beitrag „Der Hunger nach Kultur“ in dem Ausstellungsbegleitbuch, aus dem dieser Text übernommen wurde. Zurück
- Wolfgang Fassnacht: Universitäten am Wendepunkt? Die Hochschulpolitik in der französischen Besatzungszone (1945-1949), Freiburg/München 2000 (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte XLIII), S.131f.; Rainer Möhler: Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952, Mainz 1992 (Veröff. d. Komm. d. Landtages f. d. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 17), S. 169f. Zurück
- Möhler, Entnazifizierung, S. 347f.; Fassnacht, Universitäten, S. 132f. Zurück
- Siehe hierzu die mehrbändige Untersuchung von Michael Kißener: Ut omnes unum sint. Gründungspersönlichkeiten der Johannes Gutenberg-Universität, Stuttgart 2005-2006 (Beiträge zur Geschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, N.F., 2 und 3). Zurück