Bibliothek

Der Traum vom Fliegen

von Karin Engel

Zu dem außergewöhnlichen Bestand, über den die Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek verfügt, gehört sicher auch die zweibändige ,,Geschichte der Aerostatik" von Christian Kramp, die 1784 in Straßburg veröffentlicht wurde. Diese wissenschaftliche Dokumentation über die zeitgenössische Ballonfahrt wurde mit Kupferstichen, Tabellen und Plänen reich verziert. Ebenso schönen Bildschmuck erhielt die 1865 erschienene Prachtausgabe ,,Das neue Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien", in dessen zweitem Band die Kräfte der Natur und ihre Benutzung geschildert werden, wozu die im Jahr 1865 noch recht junge und aufregende Geschichte der Luftfahrt gehört. Das Werk beschreibt die frühesten Flugversuche mittels sehr skurril anmutender Flugmaschinen der Neuzeit, den Aufstieg des ersten Flugballons des Portugiesen Don Guzman im Jahr 1706, der deswegen um ein Haar noch auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre, bis zum ersten bemannten Start eines Ballons im Jahr 1783 durch die französischen Brüder Joseph und Etienne Montgolfier. Sie hatten einen Ballon entwickelt, der einen Durchmesser von 39 Metern und ein Gewicht von 430 Pfund hatte, zudem mit Wasserdampf sehr hoch steigen und länger als alle anderen Ballons vor ihnen in der Luft bleiben konnte. Im gleichen Zeitraum unternahm der Franzose Blanchard ähnliche Versuche, und als es ihm 1785 gelang, mit dem Flugballon den Kanal von Calais nach Dover zu überqueren, war dies die Sensation der Zeit und in Europa brach das ,,Ballonfieber" aus. Ballonhüte und Ballonröcke kamen in Mode, kleine Modellballons konnten überall erworben werden, und als im gleichen Jahr der portugiesische Luftfahrer Pilätre de Rozier bei seinem Versuch, den Kanal zu überqueren, auf spektakuläre Weise sein Leben verlor, hatte die Flugballongeschichte ihren ersten Märtyrer und die Flugversuche zogen noch mehr Publikum an. Es entstanden Ballons in den Formen mythologischer Figuren, und um die Spannung noch zu steigern, nahmen einige Fahrer beim Aufstieg sogar ihr Pferd mit. Der erste Aufstieg mit einem Ballon muss sicher eine unglaubliche Erfahrung gewesen sein, was der englische Luftfahrer Corwell in seinen Erinnerungen entsprechend eindrucksvoll notierte: ,,Über die fernen Silberströme vor tiefblauen Buchtungen, über die strahlende Trümmerwüste, begrenzt von erstarrten Meereswogen, über die Hünengräber am Strande, die malerische Hügelwelt des unabsehbaren Nebellandes führte die entfesselte Phantasie unwillkürlich die Geister Ossians."

Das am Boden wartende Publikum war von den Ballonfahrten nicht minder fasziniert, was bekannten Fahrern wie Blanchard die Möglichkeit eröffnete, sehr viel Geld zu verdienen. Bei entsprechenden finanziellen Angeboten zog er mit seinem Ballon durch Europa, schilderte vor einem großen Publikum seine Abenteuer und stieg schließlich vor den begeisterten Zuschauern mit seinem Ballon auf. Auf diese Weise kam Blanchard auch nach Deutschland und führte seine Attraktion zum Beispiel in Frankfurt vor. Aus dem gleichen Grund bereiste er auch Koblenz, wo er den gespannten Zuschauern den Aufstieg mit seinem europaweit bekannten Ballon aber nicht präsentierte, da der Koblenzer Fürst Clemens Wenzeslaus nach dem Bau des prächtigen Schlosses die von Blanchard geforderte Bezahlung nicht mehr aufbringen konnte. Stattdessen ließ der Franzose an einem eigens für diese Zwecke gefertigten Fallschirm einen kleinen Hund mit dem passenden Namen ,,Le petit Dédale" von den Türmen von Liebfrauen zur Erde hinabgleiten, was die Koblenzer mindestens ebenso entzückte wie ein Aufstieg des berühmten Ballonfahrers selbst.

Auch die Mainzer Bevölkerung freute sich auf einen angekündigten Auftritt Blanchards, der diesen aber aus Terminnot kurzfristig absagte und auch nie wieder nachholte.

Aber so friedlich und unterhaltsam blieb die neue Luftfahrt nicht. Das Gemälde des Malers, Technikers und Erfinders Nicolas-Jacques Conté (1755-1805) ,,Erkundung durch Jean-Marie-Joseph Contelle 1796 vor Mainz" zeigt die Nutzung der Ballonfahrt zu militärischen Zwecken. Im Jahr 1794 wurde in Frankeich die erste ,,Luftschifferkompagnie" gegründet, d.h. eine Kompanie aus sog. Montgolfièren oder Charlièren (Heißluft oder Wasserdampfballons), in denen aus der Luft die feindliche Umgebung ausgekundschaftet und mittels Signalflaggen Nachrichten übermittelt werden konnten. Als Frankreich im Krieg gegen Österreich und Preußen in regelmäßigen Abständen linksrheinische Gebiete besetzte, wurden die aufsteigenden bemannten Ballons fast zum gewohnten Bild. Das Kommando über die zweite Luftschifferkompagnie, die 1795 gegründet wurde, hatte Contelle, Offizier und technischer Fachmann war Conté, und beide gehörten zu den Truppen, die 1795/95 Mainz besetzten. Als Quartier für die zweite Luftschifferkompagnie wurde Contelle Kreuznach zugewiesen, das mit dem Ausbruch der Koalitionskiege im Jahr 1792 regelmäßige Truppendurchmärsche und Einquartierungen erlebt hatte und in diesen Monaten von französischen Truppen besetzt und seit 1794 als Rückzugsort für die vor Mainz stationierten Soldaten galt. In Kreuznach mussten auch die Ballons gefüllt werden, was ausgesprochen mühselig war, denn der zu diesen Zwecken auch von Contelle und Conté entwickelte Spezialofen war nicht transportabel, so dass der Ballon gefüllt bleiben musste.

Im Jahr 1799 wurden die französischen Luftschifferkompagnien aufgelöst, und damit war das Ende der militärischen Luftfahrt gekommen. Heißluftballonfahrten wurden weitgehend wieder zum Vergnügen unternommen.

Das im Jahr 2000 von Steffen Kaul veröffentlichte Werk ,,Archivbilder Bad Kreuznach" zeigt ein Foto aus dem Jahr 1929, das den vom ,,Verein für Luftfahrt in Bad Kreuznach und Umgebung" initiierten Start eines Heißluftballons auf dem Schaadt'schen Platz zeigt, eine Aktion, die noch immer Hunderte von Schaulustigen auf die Straße zog.

Nicht ganz 100 Jahre nach dem ersten bemannten Flug eines Ballons im Jahr 1783 entwickelte der Mainzer Ingenieur Paul Haenlein (1835-1905) einen spindelförmigen Ballonkörper der mit motorischer Kraft startete, und in Mainz fand auch die erste Probefahrt statt. Haenlein fehlten allerdings die Mittel, seine Idee weiter zu entwickeln, und da er auch keine Geldgeber fand, geriet seine Entwicklung für einige Jahre in Vergessenheit, bis sie im Jahr 1900 von Graf Ferdinand von Zeppelin perfektioniert wurde und der erste ,,Zeppelin" in die Luft stieg. An 17. Juli l912 erschien das Luftschiff ,,Viktoria Luise" über Kreuznach, an Bord war Zeppelin selbst. In diesen Augenblick schrieb der Graf eine Postkarte an seinen damaligen Staatssekretär Krätke, auf der er die Vorteile des Luftverkehrs beschrieb. Die Postkarte beginnt mit den Worten: ,,Offizielle Postkarte der Deutschen Luftschiffahrt-AG. - An Bord des Z-Luftschiffes Viktoria Luise, den 17.7.1912. - Fahrt Frankfurt (Main) nach Idar - Luftschiff z. Zt. über Kreuznach." Auf diese Weise wurde von Zeppelin sozusagen an diesem Tag der Luftpostverkehr über Bad Kreuznach eröffnet. Für die Kreuznacher Bevölkerung war der erste Flug eines Zeppelins über ihre Stadt eine unglaubliche Attraktion und zu Tausenden standen sie an den Straßen und jubelten dem Luftschiff zu. Viele hatten sich sogar zu Fuß auf den Weg nach Bingen aufgemacht aus Angst, der Zeppelin könne auf seinem Weg doch nicht über die Kurstadt fahren.

Leider wurde auch der Zeppelin für militärische Zwecke entdeckt und machte eine ähnliche Karriere" wie der Heißluftballon. Beispielsweise wurde er im Ersten Weltkrieg als Kriegsmaschine genutzt und spielte bei der Bombardierung Londons eine wichtige Rolle.

Nachweise

Verfasser: Karin Engel

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Literatur:

  • Helmes, Werner: Ein aktuelles historisches Lesebuch. Koblenz : Görres, 1985. (S. 109 ff.: «Le petit Dédale » oder Der schwebende Hund von Liebfrauen.)
  • Kaul, Steffen: Bad Kreuznach. Erfurt: Sutton Verlag, 2000. (Archivbilder) S. 111-112
  • Das neue Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien: Rundschau auf allen Gebieten der gewerblichen Arbeit. Leipzig und Berlin : Otto Spamer, 1864-67. (hier Bd. 2)
  • Ries, Karl: "Määnzer Gefladdscher" : Eine kleine Geschichte der Fliegerei in und um Mainz. 1982. - (In: Mainz. Vierteljahresblätter ; 1982.3 ff.)
  • Wild, Adolf: Ein Maler dokumentiert Ballons über Mainz 1795 : Die ersten Militärluftfahrer der Geschichte spähen die Festung aus. 1997. - (In: Mainz. Vierteljahrshefte ; 1997.3)

Erstellt: 06.04.2010