Die Eisenbahn – Motor der Industrialisierung
von Stefan Grathoff
Am 7.12.1835 begann zwischen Nürnberg und Fürth das Zeitalter der deutschen Eisenbahnen. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten kam dem Eisenbahnbau eine entscheidende Bedeutung zu, denn Industrie und Wirtschaft siedelten sich bevorzugt im Bereich der neuen Schienenstränge an. In der Stahl- und Basaltindustrie mit ihrem hohen Kohlebedarf bzw. Frachtaufkommen löste die Eisenbahn einen regelrechten Boom aus.
In Rheinhessen wurde die Bedeutung des neuen Transportmittels sofort erkannt. Noch im gleichen Monat, als der erste Zug Nürnberg erreichte, beschlossen am 27.12.1835 Mainzer Kaufleute, eine Bahnverbindung nach Frankfurt zu schaffen. Bereits im Januar 1836 berief die Mainzer Handelskammer eine Versammlung ein, die den Plan mit großem Beifall aufnahm. Man gründete eine Gesellschaft, und diese Mainzer Eisenbahngesellschaft erhielt am 25.2.1837 die Konzession zum Bau der linksmainischen Bahn. Da aber inzwischen eine rechtsmainische Verbindung von Wiesbaden nach Frankfurt aufgegriffen worden war und es ohnehin an einer festen Eisenbahnbrücke über den Rhein mangelte, wurde der Mainzer Plan vorerst zurückgestellt. Um das Wiesbaden-Frankfurt-Projekt für Mainz-Kastel günstig zu gestalten, vereinigte sich die Gesellschaft im Oktober 1837 mit den Comités in Wiesbaden und Frankfurt. Die Proteste der Mainzer Einwohner und der Stadtverwaltung wegen der Aufgabe des linksmainischen Bahnprojektes verhallten. Am 13. April 1840 wurde die Strecke Wiesbaden über Kastel und Flörsheim nach Frankfurt, die sog. Taunusbahn, dem Verkehr übergeben.
Im Jahr 1844 gründeten Mainzer Bürger eine Aktiengesellschaft, um eine Bahnlinie von Mainz über Worms und weiter nach Ludwigshafen zu verwirklichen. Im folgenden Jahr konstituierte sich die hessische Ludwigs-Eisenbahngesellschaft. Ihr traten auch Mitglieder der Mainzer Handelskammer bei, der hessische Staat beteiligte sich als Aktionär. Nach langen Verhandlungen und der Bewältigung etlicher Finanzierungsschwierigkeiten gab man im Jahr 1853 die für die wirtschaftliche Bedeutung Rheinhessens so wichtige Verbindung zum Industriestandort Ludwigshafen für den Verkehr frei. Gleichzeitig arbeitete man an dem weiteren Ausbau des rheinhessischen Eisenbahnnetzes, so etwa an der Verbindung nach Bingen (1859) und zur "Landeshauptstadt" Darmstadt. Bereits am 11.8.1856 war auf der anderen Rheinseite die Rheingaubahn von Wiesbaden nach Rüdesheim eröffnet worden.
Das alte Projekt der linksmainischen Bahn von Mainz über Gustavsburg und Rüsselsheim nach Frankfurt wurde erst möglich, als 1859 der Bau einer eingleisigen Eisenbahnbrücke südlich von Mainz in Angriff genommen wurde. Ausführende Baufirma war die Firma Kramer & Klett in Nürnberg (später Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg A.G – kurz MAN genannt). Die MAN hatte 1860 in Gustavsburg einen Montageplatz für den Bau der Eisenkonstruktionen eingerichtet. Doch schnell wandelte sich das Provisorium zu einem regelrechten Zweigwerk der MAN. Im Dezember 1862 konnte die neue Brücke dem Verkehr übergeben werden. Ab diesem Zeitpunkt mussten von Osten kommende Güter und Fahrgäste nicht mehr mit der Rheinfähre auf die andere Rheinseite übergesetzt werden. Als in den Jahren 1887/89 die Brücke über den Main fertig gestellt wurde, konnte man auch dort den Fährbetrieb einstellen.
1863 gab es seitens der Ludwigsbahn Pläne, auch den Alzeyer Wirtschaftsraum an das rheinhessische Kernland anzuschließen. Die Linie von Mainz nach Alzey wurde 1871 fertig, auch die Verbindungen zwischen Bingen und Alzey bzw. Bodenheim nach Alzey (1896) wurden verwirklicht. Seit 1871 wurde das Projekt einer direkten Verbindung zwischen Mainz und Wiesbaden ins Auge gefasst. Beabsichtigt war, nicht nur die Nachbarstadt ins Schienennetz aufzunehmen, sondern auch einen rechtsrheinischen Anschluss an die Kohlengebiete Westfalens, die Bergwerke des Westerwalds und an der mittleren Lahn herzustellen. Voraussetzung für das Projekt war allerdings der Bau einer Rheinbrücke unterhalb von Mainz. Das Projekt, zu dem schon Vorarbeiten in der Uferregion geleistet worden waren, ließ allerdings noch etliche Jahre auf sich warten. Erst 1904 konnte die Kaiserbrücke und damit die Bahnverbindung nach Wiesbaden eingeweiht werden. In Wiesbaden begann das Zeitalter der Eisenbahn 1840 mit der Eröffnung der Taunusbahn nach Frankfurt. Der Taunus-Bahnhof in der Wiesbadener Rheinstraße war bereits ein Jahr zuvor in Dienst gestellt worden. Es folgte die Strecke Wiesbaden-Biebrich nach Rüdesheim, die 1856 von der Wiesbadener Eisenbahngesellschaft eröffnet und 1862 bis Oberlahnstein verlängert wurde. Der Taunusbahnhof lag in der Nähe des Rheinbahnhofes in Höhe der Rhein-Main-Halle. 1879 nahm die Hessische Ludwigsbahn die Strecke nach Niedernhausen in Betrieb. Der dafür vorgesehene Ludwigsbahnhof lag in unmittelbarer Nähe des Museums. Es folgte 1889 die Strecke Wiesbaden (Rheinbahnhof) nach Bad Schwalbach (und weiter nach Diez). 1904 wurde ein zentraler Güterbahnhof (Wiesbaden-West) in Betrieb genommen. Da die Wiesbadener Bahnhöfe den Ansprüchen nicht mehr genügten, wurde in den Jahren 1904 bis 1906 der heutige Hauptbahnhof errichtet. Die Verbindung zwischen Wiesbaden nach Bingen schließlich wurde 1913/1914 mit dem Bau der Hindenburgbrücke bei Bingen-Kempten verwirklicht, wenngleich diese fast ausschließlich militärischen Zielen diente. Diese Eisenbahnbrücke wurde in den letzten Kriegstagen 1945 von deutschen Soldaten gesprengt und nie wieder aufgebaut.
Die Eisenbahn bewirkte nicht nur, dass sich Industrieunternehmen in ihrem Einzugsbereich ansiedeln konnten, der Bau des Bahnnetzes sorgte mit seinem Bedarf an Bauarbeitern, an Schienen, Wagen und Maschinen selbst dafür, dass Arbeitsplätze geschaffen wurden. Das MAN-Werk in Gustavsburg, das zunächst nur den Bau der Weisenauer Eisenbahnbrücke ausführen sollte, ist dafür ein beredtes Beispiel. Denn nach Abschluss des Brückenbaus wurde eine Stahl-, Kessel- und Eisenbahnwagenproduktion aufgenommen. Auch die Zulieferindustrie konnte sich langfristige Aufträge sichern. Zahlreiche Unternehmen beschäftigten sich mit Bau von Waggons und Gleisbauteilen. Neben dem Gleis- wurde das Straßensystem in Rheinhessen ausgebaut. Die 1881 begonnene Theodor Heuss-Brücke verband ab 1883/84 Mainz mit seinen östlichen Vororten und dem Wirtschaftsgebiet Rhein-Main.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus Stefan Grathoffs Aufsatz "Geschichte der Industrialisierung in Rheinhessen und im Rheingau".
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Erstellt am: 05.04.2016
Red. Bearb.: Simeon Thomas Pfeiffer