Hinweis
Dieser Artikel wurde ursprünglich für das Glossar von regionalgeschichte.net verfasst. Im Zuge der Umgestaltung des Glossars zu einem primären definitorischen Glossar im Jahr 2018, wurde dieser Beitrag aus dem Glossar entfernt und wird stattdessen hier als kurzer Aufsatz zur Verfügung gestellt.
Feuerwaffen im Mittelalter
Grundsätzlich lassen sich die mittelalterlichen Feuerwaffen in zwei Gruppen einteilen: Geschütze und Handfeuerwaffen, die Steine und Eisenkugeln verschossen. Das in den Quellen genannte Griechische Feuer spielte in Deutschland aber keine Rolle. Die Rohre für die Feuerwaffen wurden auf drei verschiedene Arten hergestellt: entweder wurden um einen Dorn herum Eisenteile zu einem Rohr geschmiedet oder Stäbe und Ringe zu einem Rohr verbunden (Ring-Stabtechnik). Am Ende dieser Entwicklung stand der Guß des ganzen Rohres aus Bronze oder Eisen. Die Gusstechnik war durch die Glockenherstellung allgemein bekannt. Die Feuerwaffen des 14. Jahrhunderts wurden bei den städtischen Schmieden und Glockengießern gegen Stück- bzw. Taglohn in Auftrag gegeben. Daneben gab es wandernde Büchsenmeister, die bei wechselnden Herren arbeiteten. Der Beruf des Büchsenmeisters war ein qualifizierter Lehrberuf, der gute Verdienstmöglichkeiten bot. Der Meister bekam den vierfachen Sold eines gewöhnlichen Kriegers und hatte nach erfolgreicher Belagerung oft auch Anspruch auf einen Teil der Beute. Büchsenmeister wurden auch zur Bedienung der schweren Geschütze herangezogen, während die kleineren von ihren Gehilfen, den Schützen, bedient wurden. Im 15. Jahrhundert führte der enorme Bedarf an Feuerwaffen zur Gründung von regelrechten Gießereien und Schmelzhütten. Ende des 15. Jahrhunderts waren in Nürnberg, Augsburg, Ulm, Straßburg, Landshut, München und Salzburg berühmte Werkstätten angesiedelt. Die dort tätigen Geschütz- und Stückmeister bildeten rasch einen sehr angesehenen Stand.
Aufkommen der Feuerwaffen
Die Waffen, die mit Schießpulver geladen wurden, revolutionierten die mittelalterliche Kriegführung. Die Frage, wann die wohl aus China stammenden Feuerwaffen in Europa erstmals eingesetzt wurden, lässt sich bis heute nicht sicher beantworten. Zum einen ist die Überlieferung lückenhaft, zum anderen verhindern zweideutige Bezeichnungen in den Quellen eine genaue Zuordnung einzelner Waffenarten: Manches in den Quellen genannte "Feuerrohr" war nichts anderes als das aus Rohren versprühte "Griechische Feuer". Dieses wurde zwar unter großer Geräuschentwicklung eingesetzt, war aber kein Explosivgeschoss. Während erste Feuerwaffen in Mitteleuropa zu Beginn des 13. Jahrhunderts auftauchen, sind entsprechende Waffen auf deutschem Boden erst rund 100 Jahre später nachweisbar.
Nachrichten von Feuerwaffen in Europa
Jahr | Ereignis |
1232 | In diesem Jahr wurde angeblich Schießpulver regelmäßig im Krieg zwischen den Tataren und Chinesen verwendet. |
1241 | Nach Albertus Magnus, Bischof von Regensburg (gest. 1280), soll der Sieg der Tataren bei Liegnitz in Schlesien (Lausitz) 1241 vor allem durch die von ihnen verwendeten Kanonen herbeigeführt worden sein. |
1247 | Nach Albertus Magnus wurden bei der Belagerung von Sevilla Feuerwaffen von den Kastiliern verwendet. |
vor 1280 | Bischof Albertus Magnus gibt in seiner Schrift "De mirabilibus mundi" die Zusammensetzung des Pulvers an. |
1290 | Die Handschrift "Nedjm-Eddin-Hassan-Alrammaks Traktat vom Reiterkampf und von den Kriegsmaschinen" in der Pariser Nationalbibliothek berichtet von zahlreichen arabischen Kriegsfeuerwerkerei-Gestellen. |
vor 1294 | Der englische Mönch Roger Bacon, der zwischen 1214-1294 lebte, soll ein Pulverrezept erfunden haben. |
1301 | Die Stadt Amberg ließ einen großen Feuerschlund anfertigen und Brescia mit Arkebusenfeuer(?) überschütten. |
1313 | Die Stadt Gent soll über Stein-Böllergeschütze verfügt haben. |
1324/26 | Schmiedeeiserne Kugeln und Kanonen aus Metall sollen in der Republik Florenz verwendet worden sein. |
1325/27 | Als älteste Darstellung eines Feuergeschützes gilt eine Abbildung in der englischen Prachtschrift von Walter von Millemete. Sie zeigt eine große bauchige Flasche, die auf einem Holzgestell liegt. Im Hals der Flasche steckt ein Klotz an dem ein großer Pfeil befestigt ist. Ein Mann ist gerade dabei, eine Lunte an das Zündloch zu halten. Die "Kanone" ist auf ein geschlossenes Burgtor gerichtet. Die Darstellung, die sehr unrealistisch wirkt, legt nahe, daß der Künstler das Feuergeschütz nur vom Hörensagen kannte. |
1327 | Es scheint, als habe der englische König Edward III. (1327-1377) im Jahr 1327 Steinböller aus Flandern kommen lassen, um sie gegen die Schotten zu gebrauchen. |
1328 | Der deutsche Ritterorden verfügte in Norddeutschland über große Kanonen, von denen er während seiner Kriege in Preußen und Litauen Gebrauch machte. Um diese Zeit fingen auch die freien Städte in Deutschland an, sich mit Geschützen zu versehen. |
1331 | Deutsche Ritter beschossen die Burg von Cividale in Oberitalien mit Büchsen und Feuerwaffen (ponentes vasa und sclopi>). Sie sollen aber damit keine große Wirkung erzielt haben. |
1334 | Bei der Belagerung der Burg und Stadt Meersburg am Bodensee durch Ludwig den Bayern (1314-1347) sollen die Geschützmeister (etlicher maister) mit ausgesendeten schütz uss ainer büchs großen Personen- und Sachschaden angerichtet haben. |
1334 | Der Markgraf von Este benutzte eine größere Anzahl von balistarum (= Wurfgeschützen), sclopetorum (= Handfeuerwaffen) und spingardarum (= Wurfwaffen). |
1338/1346 | Erstmalige Anwendung des Schießpulvers in Frankreich: Die französische Flotte soll zwischen 1338 und 1346 im Besitz von Feuerwaffen gewesen sein. |
1339 | Im 100-jährigen Krieg spielten Kanonen bei der Belagerung der französischen Städte Puy-Guillem und Cambray durch den englischen König Edward III. (1327-1377) eine bedeutende Rolle. |
1340 | Bei der Belagerung von Terni durch das päpstliche Heer wurde eine eiserne Bombarde (edificium de ferro, quod vocatur bombardanum de ferro) verwendet, die Bolzen verschoss. |
1346 | Die Stadtrechnungen von Aachen weisen 1346 Ausgaben für Büchsen und Pulver auf. |
1346 | 1346 wird ein Feuerschütze (furschutte) auf der mainzischen Burg Ehrenfels genannt. Es ist nicht sicher, ob dieser Feuerschütze ein Experte für die traditionellen Wurfmaschinen war oder als erster Kurmainzer Geschützmeister anzusehen ist. |
1346 | In der berühmten Schlacht von Crécy zwischen dem englischen König Edward III. und dem Franzosen Philipp VI. (1328-1350) waren neben den kriegsentscheidenden Bogenschützen auch Feuergeschütze mit dabei. |
1348 | Bei der Eroberung der Rudelsburg bei Naumburg/Saale wird eine Steinbüchse erwähnt. |
1350 | Bei der Belagerung der Burg Salverolo sollen Bombarden Eisenkugeln von 300 g Gewicht verschossen haben. |
ca. 1350 | ca.1350 Der Überlieferung nach soll Berthold Schwarz, ein Mönch des Franziskanerklosters zu Freiburg im Breisgau, das nach ihm benannte Schießpulver erfunden haben. Das Schwarzpulver war ein Gemisch aus Kohle, Schwefel und Salpeter. Offensichtlich hat er aber lediglich eine bereits bekannte Schießpulvermischung verbessert. Über sein Leben und Schicksal liegen keine verläßlichen Berichte vor. Es heißt, er sei wegen seiner alchimistischen Experimente im Jahr 1388 hingerichtet worden. |
1360 | Der Dichter Francesco Petrarca (1304-1374) erwähnt in seiner Schrift "De remediis utriusque fortunae" Kanonen in Italien. |
1365 | Von der Belagerung der Burg Eimbeck durch den Markgrafen von Meißen berichtet die Düringische Chronik. Von einem Geschütz heißt es: die war dy erste buchse, dy in dessin landin vornommen ward. |
1371 | In Basel werden erstmals Kanonen genannt. |
1373 | Bei der Belagerung von Elkerhausen an der Lahn werden neben den traditionellen Bliden und Triböken auch Büchsen benutzt. |
1377 | Die Stadt Magdeburg stellte eine große Steinbüchse zur Belagerung der lauenburgischen Raubnester Pritze und Danneberg zur Verfügung. |
1380 | Landgraf Hermann von Hessen setzte der Burg Hatzfeld mit Büchsen hart zu. |
1383 | Markgraf Sigismund von Brandenburg verpflichtete sich gegenüber den mecklenburgischen Fürsten, zur gemeinschaftlichen Zerstörung der Raubburgen in ihren Landen auch die nötigen Büchsen zu liefern. |
1388 | Ulrich Grünwald zu Nürnberg fertigte eine Kriemhild genannte große Büchse, die 500 Gulden kostete und auf 1.000 Schritt eine 6 Fuß starke Mauer durchschlug. Der Transport erforderte 12 Pferde für das Rohr, 16 für die Blockwiegen (Lafette), 4 für den Haspel (Winderad), 6 für den Schirm und 20 für 15 Steinkugeln. Das große Geschütz konnte Steine von etwa 560 Pfund verschießen. |
1390 | Erstmalige Nennung eines Feuergeschützes in Österreich: Herzog Albert ließ eine große Steinkugel auf Burg Leonstein im Traunkreis feuern. |
1393 | Die Limburger Chronik berichtet 1393 von der Belagerung des Raubnestes Hattstein durch die Städte Mainz und Frankfurt: die stede hetten grosse bossen [Büchsen], der schoss eine siben oder acht centener swere. Und do gingen die grossen bossen an, der man numme sehen enhatte uf ertrich [die man niemals gesehen hatte auf dem Erdreich] von solcher grosse unde von swerde. Und die an der Belagerung beteiligten Frankfurter berichteten: Und visset auch, daz man mit den bussen, die man itzund had, dicke und faste durch dass huss schisset. Die Burginsassen wehrten sich ebenfalls mit Steinbüchsen. Wegen der Uneinigkeit der Belagerer konnte die Burg jedoch nicht erobert werden. |
1399 | Bei der Belagerung der Burg Tannenberg bei Darmstadt verwendeten die Angreifer fünf große Kanonen, darunter die "Dulle Griet" oder "Dolle Grete". Es wurden Stein-, Blei- und Eisenkugeln verschossen. |
1401 | Bei der Belagerung von Dresden wird in der Lausitz zum ersten Mal Krieg mit Büchsenpulver geführt. |
Die Feuerwaffen lösten die alten Wurfmaschinen keineswegs schlagartig ab, der Vorgang vollzog sich vielmehr ganz allmählich. Bis sich betriebssichere und wirkungsvolle Feuerwaffen in den mittelalterlichen Belagerungsheeren durchsetzten würden, sollte es noch viele Jahrzehnte dauern. Die alten Wurf- und Schleuderwaffen wurden noch bis in 15. Jahrhundert bei Burgbelagerungen mit benutzt.