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0.Heimarbeit um 1900 in einer Bürstenfabrik in Hachenburg

Verfasserin: Röcher, Annette

Aktualisiert am: 10.10.23

Firma Bürsten- und Pinselfabrik Bocks & Co. in Nisterhammer. Im Hintergrund 28 Beamten und Arbeiter Wohnungen. Erschienen in der Westerwälder Zeitung 1928.
Firma Bürsten- und Pinselfabrik Bocks & Co. in Nisterhammer. Im Hintergrund 28 Beamten und Arbeiter Wohnungen. Erschienen in der Westerwälder Zeitung 1928.[Bild: Annette Röcher]

Als Verfasser des Artikels „Die Bürstenfabrikation im Westerwald“ wurde „Christian, Bürgermeister in Altstadt bei Hachenburg (Westerwald)“ angegeben.

Bei der Suche nach Herrn Christian, seinem Vornamen und weiteren Informationen, fanden sich in den katholischen Kirchenbüchern von Hachenburg diese Daten:

Geburt: 13. Aug./Taufe 13. August 1845 Peter Christian,
Eltern: Franz Christian, Schultheiß geboren und wohnhaft zu Altstadt und Anna Maria geb. Montag aus Marienhausen [Pfarrei Marienrachdorf]
Paten: Joh. Peter Christian, Maria Catharina Montag zu Marienhausen

Heirat: 23. Dez. 1872 Peter Christian, kath., ledig.
Eltern: Franz Christian, Bürgermeister und Anna Maria Montag und Maria Katharina Johannette Philippina Meyer, geboren 25. Jan. 1852 in Altstadt, evangelisch, ledig.
Eltern: Peter Meyer, Schreiner und dessen Ehefrau Sophia geb. Müller in Altstadt.
Pfarrer Kuch; Dispens wegen unterschiedlicher Religion.

Tod: 1./3. Okt. 1917 Peter Christian, geb. 13. August 1845 zu Altstadt, Franz Christian und Anna Maria Montag Eheleute zu Altstadt.

Bei der Geburt des ersten Kindes 1873 wurde Peter Christian als Landmann (Landwirt), 1874 als Färber und ab 1876 als Bürgermeister bezeichnet.

Bürgermeister Peter Christian mit Familie. Aus "Einblicke in die Altstädter Geschichte". Franz Paul Jäger, 1999.
Bürgermeister Peter Christian mit Familie. Aus "Einblicke in die Altstädter Geschichte". Franz Paul Jäger, 1999.[Bild: Annette Röcher]

Aus seiner Biografie:
Peter Christian, Altstadt
ab 1.1.1876 Bürgermeister von Altstadt bei Hachenburg;
ab 1888/89 Mitglied des Kreistages des Oberwesterwaldkreises;
1898–1914 Kreisausschussmitglied im Oberwesterwaldkreis;
1912–1917 (1912–1916 für Robert Keßler*) Mitglied des Nassauischen Kommunallandtags des preußischen Regierungsbezirk Wiesbaden bzw. des Provinziallandtages der preußischen Provinz Hessen-Nassau für den Oberwesterwaldkreis,
dort 1912–1917 Mitglied des Rechnungsprüfungsausschusses und 1915-1917 stellvertretendes Mitglied des Landesausschusses. Vgl. Christian, Peter. In: Hessische Biografie, URL: https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/bio/id/12084 (aufgerufen am: 01.02.2024).

* Robert Keßler, gestorben 31.12.1911; 1880-1911 Bürgermeister von Marienberg im Oberwesterwald (spätestens ab 1885 auch Standesbeamter).

2.1.Die Bürstenfabrikation im Westerwald

von Christian, Bürgermeister in Altstadt bei Hachenburg (Westerwald)

Die Bürstenfabrikation im Westerwald (a) ist ca. 20-25 Jahre im Betriebe und hat ihren Sitz zu Nisterhammer bei Hachenburg.
Der größte Teil der Waren wird im Fabrikbetriebe hergestellt, und nur gewöhnlichere Waren, wie Schrubber, Viehbürsten, Wichsbürsten und Frischbürsten werden in der Heimarbeit angefertigt.
Es sind jetzt nur noch wenige Personen, meist Frauen und Töchter von Fabrikarbeitern, Maurern, Taglöhnern und kleinen Landwirten tätig.
Die Fabrik liefert die gelochten und geformte Hölzer, die Bürsten und Pflanzenfasern und den Draht.

Die Heimarbeiter besorgen das Einziehen der Bürsten. Nachdem dieses geschehen, werden die Bürsten auf gleiche Länge geschnitten und der Fabrik zur Fertigstellung zurückgegeben. Die Entlohnung geschieht nach der Anzahl der eingezogenen Borstenbündel, und zwar wird der Lohn fast immer pro 1000 Loch berechnet. Die hierfür gezahlten Löhne bewegen sich zwischen 40 und 60 Pfg. pro 1000 Loch, während die Arbeit 3–5 Stunden Zeit in Anspruch nimmt, so daß ein Stundenlohn von ca. 15 Pfg. und ein Wochenlohn von ca. 6–7 Mark festgestellt wurde. Nacht- und Sonntagsarbeit kommt nicht vor.

Die Heimarbeit in dieser Branche scheint sich nirgend fest einzubürgern, wandert vielmehr in den verschiedenen Orten des Westerwaldes umher, meistens verdienstarme Gegenden und niedrige Löhne aufsuchend. Eine sichere Feststellung der Zahl der Heimarbeiter war nicht möglich, da die Fabrik, von der sie Arbeit erhalten, jede Auskunft verweigerte.
Es dürften etwa 20 bis 25 Personen sein.
Es ist wohl nicht anzunehmen, daß dieser Zweig der Hausindustrie eine nennenswerte Bedeutung im Westerwalde erlangen wird.

Die Wohnungsverhältnisse sind befriedigend; besondere Mißstände sind nicht festgestellt worden; auch läßt sich in gesundheitlicher Hinsicht nichts Nachteiliges sagen. In den meisten Fällen sind die Heimarbeiter nicht versichert.

(a) Diese Mittheilungen über die Bürstenfabrikation im Westerwald, die schon in den „Kurzen Beschreibungen“ veröffentlicht worden sind, beruhen auf persönlichen Erkundigungen des Verfassers. Die Bildung eines besonderen Fachausschusses war nicht möglich.
Der Herausgeber [Paul Arndt] [Anm. 1]

Mit diesem Bericht ist unverkennbar die Firma Bocks & Co in Nisterhammer beschrieben, dazu gab es einen späteren Bericht:

4.Die Bürsten- und Pinsel-Industrie des Westerwaldes

Logo der Firma Bocks & Co. in Nisterhammer
Logo der Firma Bocks & Co. in Nisterhammer[Bild: Annette Röcher]

Auf der rechten Seite der Nister, nördlich von Hachenburg, liegt ringsum von hohen Waldungen umgeben die Bürsten- und Pinselfabrik Bocks & Co. in Nister-Hammer. Die Bezeichnung Nister-Hammer (zur Gemeinde Nister gehörend) ist auf das in früheren Jahren auf dem Anwesen betriebene Hammerwerk zurückzuführen.

Die Gründung des Hammerwerkes erfolgte gemäß der noch vorliegenden Urkunde im Jahre 1725 und wurde dem damaligen Besitzer die erforderliche Konzession durch Louise verw. Burggräfin von Kirchberg, Gräfin zu Sayn und Wittgenstein, Frau zu Farnroda, geb. Wild,[!] Gräfin zu Dhaun und Kirburg, Rheingräfin zum Stein, Gräfin zu Salm, Frau zu Vinstingen und Dimmeringen sowie Johann August Burggraf zu Kirchberg, Graf zu Sayn und Wittgenstein, Herr zu Farnroda erteilt.

Nachdem das Hammerwerk lange Jahre still gelegen hatte und die Gebäude zum Teil bis zum Ruin verfallen waren, wurde das Anwesen im Jahre 1892 durch Herrn Fritz Bocks aus Barmen käuflich erworben, welcher die heute noch bestehende, einen Weltruf genießende Bürsten- und Pinselfabrik gründete.
Aus den Trümmern des Hammerwerkes erstanden alsbald zeitgemäße Fabrik-Anlagen und unter der umsichtigen und zielbewußten Führung des Gründers nahm das Werk in einigen Jahren einen ungeahnten Aufschwung.

Dies bedeutende für die Bewohner der Umgebung einen großen Vorteil, denn von nun an war ein großer Teil der Arbeiterschaft nicht mehr gezwungen, Verdienstmöglichkeiten bei weiter entfernt liegenden Betrieben des Siegerlandes usw. zu suchen. Heute steht das Unternehmen mit an führender Stelle der Branche und ist der Betrieb mit den allermodernsten Maschinen ausgestattet.

Einen besonderen Vorteil bietet die vorhandene Wasserkraft, mittels welcher eigene elektrische Energie erzeugt wird, die zum Antrieb sämtlicher Maschinen, wie auch zu Beleuchtungszwecken dient. Die Firma stellt Besen, Bürsten und Pinsel für Haushalt und Industrie her, welche sowohl im Inlande als auch im Auslande guten Absatz finden. [Anm. 2]

Eine weitere Beschreibung zur Firma Bocks und Co.:

Bocks & Co, Bürstenfabrik und Sägewerk, Nisterhammer, [das ehemalige Hammerwerk] wurde 1892 durch zwei Interessenten aus Düsseldorf (Georg Bocks)[Anm. 3]und seinem mutmaßlichen Bruder aus Barmen (Fritz Bocks)[Anm. 4] angekauft und zur Bürstenfabrikation hergerichtet.

Zum Jahresbeginn 1893 hatten bereits 150 Arbeiter Beschäftigung gefunden. Zwischen Georg und Fritz Bocks kam es wohl bereits im ersten Jahr der gemeinschaftlichen Geschäftsführung zu Unstimmigkeiten, die zum Ausscheiden des Ersteren aus dem Betrieb führten; Anfang Juni 1893 löste sich die Kommanditgesellschaft auf.
Bocks & Co ging in das alleinige Eigentum von Fritz Bocks über; Prokurist wurde der Kaufmann Carl Wilhelm Sauerzapf, Nisterhammer.

Georg Bocks suchte im Sommer sein neues Glück mit der Gründung der „Westerwälder Bürsten- und Pinselfabrik in Hachenburg“, der jedoch nur eine kurze Existenz bis 1901 beschieden war.

Ungeachtet eines entstandenen Feuerschadens im Oktober 1893 nahm die Fabrik Anfang November 1893 ihren Betrieb wieder auf. Wohl infolge des ungeklärten Brandes wurde Sauerzapf als Prokurist entlassen; ihm folgten im Dezember 1894 zunächst in Kollektivprokura die Kaufleute Otto Vetter und Eugen Crysandt zu Nisterhammer.

Im Juli 1894 lag die Beschäftigungszahl bei 325 Personen. Die ebenfalls beginnende Errichtung von Filialen nahm anscheinend 1894 in Alpenrod ihren Anfang. In der Zweigniederlassung fanden zum Zeitpunkt der Eröffnung 35 junge Leute im Alter von 14 bis 20 Jahren ihren Broterwerb. Ein Jahr nach dem vielversprechenden Start mußte wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten diese Filiale wieder geschlossen werden.

Abgesehen von Alpenrod entstanden überdies in anderen Orten des Westerwaldes Nebensitze. 1898 existierten mit Altenkirchen, Höchstenbach und Hamm/Sieg drei weitere Zweigniederlassungen. Nach einem undatierten Firmenkatalog aus der Zeit um die Jahrhundertwende haben anscheinend auch in Altstadt und Herschbach kurzfristig Außenstellen existiert. [Anm. 5]

Die Firma Bocks gab in ihren Werbeanzeigen an:
„Großes eigenes Sägewerk, Wasser-, Dampf-, elektr. Kräfte, Eigene Maschinenfabrik für Stanzmaschinen, Bebaute Flächen von 5000 qm Fabrikgebäuden, Sämtliche Hilfsmaschinen der neuesten Systeme.“

Beim Lesen des Textes von Herrn Christian zur Heimarbeit und den Löhnen, fiel mir auf, wie unterschiedlich man die Zeit erfasst.
Einerseits glaubt man 1909 wäre noch nicht so lange her, andererseits hält man die Angabe zur Höhe der gezahlten Beträge für wesentlich älter.

Anmerkungen:

  1. Die Heimarbeit im rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet. Monographien. Band 1. Hrsg. von Paul Arndt. Im Auftrage des wissenschaftlichen Ausschusses der Heimarbeitsausstellung Frankfurt a.M. Jena 1909.  Zurück
  2. Die Bürsten- und Pinselindustrie des Westerwaldes. In: 80 Jahre Westerwälder Zeitung 1848–1928. Jubiläumsausgabe 1928, Sonderbeilage Handel.  Zurück
  3. Georg Bocks Bürsten-, Korb- und Spielwarenhandlung. Klosterstraße 4 Nisterhammer (Inhaber Georg Bocks). Vgl. Adressbuch der Oberbürgermeisterei Düsseldorf 1890.  Zurück
  4. Bertha Maria Henriette Wever, geb. 30. Januar 1860 in Haus Blech bei Pfaffenrath [Pfaffrath, Bergisch Gladbach] heiratete am 4. März 1882 Fritz Bocks, geb. 4.2.1855 in Barmen.
    Er war Inhaber der Bürstenfabrik Bocks und Co. in Nisterhammer. Er starb am 1. May 1915 in Nisterhammer. Sie starb dort ebenfalls. Die Ehe blieb kinderlos.
    Vgl. Buch der Wever’schen Familiengeschichte – Wurzeln der Familie Wever. 3. Buch – Stamm Westhofen. Kapitel 4. Linie Westhofen-Syrburg gen. 9 ff. (S). S. 10. Online verfügbar unter: http://www.wever-online.de/geschichte.htm (aufgerufen am 01.02.2024).
    Kirchenbuch der Gemeinde Gladbach: Maria Henriette Wilhelmina Wever, geb. 30. Jan. in Haus Blech, Taufe 8. März 1860. Eltern: Carl Wilhelm Hermann Wever, Ökonom [Landwirt, Verwalter] und Wilhelmine geb. Steingaß. Paten u.a. Carl Gottlieb Mayer zu Haus Blech, Maria Anna de Caluve zu Haus Blech, Henriette Steingaß zu Düsseldorf.  Zurück
  5. Vgl. Industrien, Dienstleistungsbetriebe & Gewerkschaften im Oberwesterwald. In: Chronik Gewerkschaften im Oberwesterwald. URL: http://gewchronik.mmk-online.eu/chronik/kap020303.htm (aufgerufen am: 01.02.2024).  Zurück