1794-1813: Die Säkularisation auf dem linken Rheinufer
von Mike Kunze
Mit der französischen Besetzung des linken Rheinufers im Laufe des Jahres 1794 hielt auch die Säkularisation ihren Einzug.
Nach der Einsetzung einer französischen Militärverwaltung zog diese sofort sämtliche landesherrlichen Rechte der bisher bestehenden geistlichen Staaten an sich, so etwa Gerichtsbarkeit und Feudalabgaben, wie den Kirchenzehnten. Damit endete praktisch - lange vor dem Frieden von Lunéville - die Staatlichkeit dieser ehemals souveränen Territorien. Dieser Vorgang wird als Herrschaftsäkularisation bezeichnet.
Ein ebensolches Schicksal ereilte neben den drei Kur-Erzbistümern Köln, Mainz und Trier auch die linksrheinischen Reichsstädte, wie Köln, oder weltliche reichsunmittelbare Herrschaften, wie Dyck, sowie preußische Gebiete, wie Kleve, bayerische, wie die Pfalz, oder auch die österreichischen Niederlande. Das die weltlichen Staaten betreffende Gegenstück zur Herrschaftssäkularisation wird Mediatisierung genannt. Darüber hinaus beteiligte die Militärverwaltung zunächst die geistlichen Einrichtungen in erheblichem Masse an den Kontributionen und requirierte auch Holz, Vieh und Lebensmittel. Zahlreiche Kirchen und Klöster dienten zeitweise als Unterkunft für Soldaten oder als Pferdeställe und Magazine.
Im Rahmen der sogenannten Vermögenssäkularisation wurde 1796 der geistliche Besitz der Verfügungsgewalt des Klerus entzogen und 1798 schließlich konfisziert. Bereits Anfang 1798 wurden die Feudalrechte vollständig abgeschafft, sofern sie an Personen hafteten. Die Feudallasten, die von Grund und Boden ausgingen, wurden als ablösbar erklärt und später ebenfalls entschädigungslos abgeschafft. Ausgenommen waren die Abgaben und Dienste, die durch Nachweis der ursprünglichen Dokumente als nicht-feudaler Herkunft kenntlich gemacht werden konnten, was aber nur in seltenen Fällen gelang. Da die zuvor eingezogenen Abgaben, etwa der Zehnte, zu jener Zeit dem französischen Fiskus zugute kamen, trafen diese Maßnahmen weniger die ursprünglichen Besitzer, als viel mehr den französischen Staat. Die säkulare französische Gesetzgebung konnte jedoch erst nach der staatsrechtlichen Anerkennung der Annexion im Frieden von Lunéville vom 9. Februar 1801 mit der endgültigen Enteignung geistlicher Güter und deren Veräußerung vollständig umgesetzt werden.
Die geistlichen Institute wurden per Konsularbeschluss vom 9. Juni 1802 aufgehoben. Dieser Schritt war durch das Konkordat mit Papst Pius VII. vom 15. Juli 1801 bereits kirchenrechtlich abgesegnet worden. Die Mitglieder der geistlichen Institute - Konvente, Klöster und Stifte - mussten diese verlassen. Sie wurden mit Reisegeld versehen und hatten das französische Territorium zu verlassen, wenn sie vom rechten Rheinufer stammten oder erhielten eine Pension, wenn sie aus dem Linksrheinischen kamen. Die Pensionen waren jedoch nicht besonders hoch und flossen zunächst nur mit Verzögerungen. Die meisten männlichen Geistlichen konnten Stellen als Pfarrer oder Hilfspfarrer finden. Der weibliche Klerus sah sich hingegen gezwungen, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Die meisten geistlichen Damen kamen bei Familienangehörigen unter. Parallel wurden auch die Güter feindlicher weltlicher Landesherren oder von Emigranten enteignet, wobei auch dieser Vorgang zur Mediatisierung gerechnet wird.
Insgesamt gelangten auf dem linken Rheinufer zwischen 1803 und 1813 über 16.500 säkularisierte oder mediatisierte Besitztümer unterschiedlichster Größe und Beschaffenheit zur Versteigerung. Hinzugerechnet werden müssen noch zahlreiche Objekte, die zu staatlichen Forsten, Dotationen oder zur außerordentlichen Krondomäne zusammengefasst worden waren. Ein Grossteil von ihnen ist erst in preußischer Zeit - mit Ausnahme der großen Waldungen - veräußert worden.
Die Auswirkungen der Säkularisation sind vielfältig gewesen. Die Enteignung des Klerus und seine staatliche Besoldung als Quasi-Beamte sind bis heute erhalten geblieben. Mit den (wohlhabenden) Klöstern verschwanden zudem Kreditgeber, die zu moderaten Zinssätzen zum Teil große Summen verliehen, was entsprechende Auswirkungen auf die Wirtschaft hatte. Hinzu kommt eine gewaltige Besitzumschichtung. Viele ehemalige Halbwinner konnten ihr Pachtgut als freies Eigentum erwerben. Es bildeten sich aber auch Gruppen von Großkäufern, Spekulanten und Immobilienhändlern. Hemmungen ehemals geistliches Gut zu erwerben, zeigten die Rheinländer vor rund 200 Jahren übrigens nicht. Die Bauern waren zwar von Feudalabgaben befreit worden, hatten aber auch Nachteile zu erwarten, sofern sie Pächter geblieben waren. Die Pachtsummen wurden in schlechten Jahren von den nun weltlichen Besitzern nicht mehr gemindert, wie es zuvor die geistlichen Inhaber oft taten. Mit dem Erlös der Konfiskationen und später auch der Versteigerungen konnte Frankreich vor allem seine Schulden tilgen und Napoleon seine Kriege finanzieren.
Die französische Säkularisationspraxis wirkte sich auch auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation aus. Rechts des Rheines wurde der Klerus nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ebenfalls säkularisiert und viele reichsunmittelbaren Kleinstaaten mediatisiert. Insgesamt wurden 112 Reichsstände aufgehoben. Aus dieser Masse erhielten die größeren deutschen Staaten Entschädigungen für ihre Verluste im Linksrheinischen.
Text von Mike Kunze, aus nrw2000.de