„Mainzer Frage“ 1814-1816
von Constanze Martin
1.Die Zeit von 1797 bis zum Wiener Kongress
Die Stadt Mainz erlebte zur Jahreswende 1797/98 einen prägnanten Umschwung in ihrer Geschichte. Die vierte französische Besetzung seit 1644 sollte das Ende der nahezu tausend Jahre währenden Herrschaft der Kurfürsten und Erzbischöfe bedeuten, kurz: Aus Mainz wurde Mayence, zunächst provisorisch, später ganz regulär, für die folgenden sechzehn Jahre. Einer der ausschlaggebenden Faktoren, die in der Folge "in durchaus tragischer Weise" [Anm. 1] das Ende dieser Zugehörigkeit der Stadt einläuteten, war das Militär. Die Niederlage der napoleonischen Truppen in der Völkerschlacht bei Leipzig im Herbst des Jahres 1813 zwang diese zum Rückzug, und der führte über Mainz, dessen Festung eine der wichtigsten an der östlichen Grenze des französischen Empire darstellte [Anm. 2]. Die Soldaten schleppten eine Fleckfieberepidemie ein, welche militärische wie Zivilbevölkerung geradezu dahinraffte und mit katastrophalen Schwierigkeiten in der Nahrungsversorgung und Hygiene einherging.
In der Zwischenzeit rückten die gegen Napoleon Verbündeten immer näher, und trotzdem der kommandierende General Morand nach dem Sturz des französischen Kaisers die Militärs noch am 22. April 1814 auf den neuen bourbonischen König Ludwig XVIII. vereidigte, waren ihre Tage in Mainz gezählt. Der erste Pariser Frieden zwang die französische Armee schließlich, am 4. Mai 1814 aus der Stadt abzuziehen; einer der "drei großen Schlüssel zu seinem Reich" [Anm. 3] war Napoleon abgerungen.
Wegweisend für die weitere Entwicklung der Mainzer Geschichte wurde in der Folgezeit der Wiener Kongress der Jahre 1814/1815. Wie und wann ihre verbindliche rechtliche und politische Zuordnung vor dem und während des Kongresses und schließlich innerhalb des neu geschaffenen Deutschen Bundes erfolgte, wird diese Arbeit unter Zuhilfenahme der den Begebenheiten zeitgenössischen Dokumente darzustellen anstreben.
2.Das Ende der französischen Herrschaft und der Wiener Kongress 1814/15
Kaum waren die französischen Truppen am 4. Mai 1814 um zehn Uhr vormittags durch das Neutor aus Mainz ausgezogen, marschierte schon das 5. Deutsche Armeekorps in die Stadt ein. Der bayerische General Delamotte, zum Kommandanten der Festung Mainz und der auf der gegenüberliegenden Rheinseite befindlichen Festung Kastel ernannt, folgte kurz darauf [Anm. 4]. Somit war die Zeit einer weiteren provisorischen Verwaltung eingeläutet.
Auch der Pariser Friedensvertrag der Verbündeten Österreich, Russland, England und Preußen mit Frankreich vom 30. Mai 1814 brachte keine Klarheit in der Frage nach der zukünftigen politischen Führung der Stadt am Rhein. Das linke Flussufer, die ehemaligen französischen Departements, wurden in drei Gebiete unterteilt und im Rahmen dessen Mainz österreichisch-preußischer Verwaltung unterstellt, die Mitte Juni des Jahres ihre Arbeit aufnahm. Diese Administration gestattete der Stadt auch, die erbetene Deputation zum Wiener Kongress zu entsenden, die endlich am 31. August 1814 ihre Reise antrat und bis zum 10. April des darauf folgenden Jahres blieb, um die besonderen Interessen der Festungsstadt zu vertreten. Entscheiden sollten das Mainzer Schicksal jedoch weitaus mächtigere Staaten.
2.1.Pläne im Vorfeld des Wiener Kongresses
Auf den 29. April 1814 ist der ausführliche Plan des späteren preußischen Gesandten Hardenberg "für die künftige Gestaltung Europas" datiert, der die Herrschaft üer das beidseitige Rheingebiet einschließlich der Stadt Mainz bis Wesel als "wesentlich für die Sicherheit Preußens" bezeichnet.[Anm. 5]. Dieser Anspruch wurde auch von Metternich als Vertreter einer weiteren der fünf Großmächte, Österreichs, nicht in Abrede gestellt, jedoch als konkurrierend zum Anspruch Bayerns auf "den Besitz von Mainz" [Anm. 6] gesehen; letzterem galt es aus seiner Sicht, "durch einen Mittelweg auszuweichen", ohne die viel beschworenen "guten Beziehungen zu Preußen" zu beeinträchtigen [Anm. 7]. Der neu eingesetzte Regent Frankreichs, der Bourbone Ludwig XVIII., gab in seinem Schreiben vom 10. September 1814 ausführliche Instruktionen für seine Vertreter auf dem Kongress [Anm. 8], wenn auch deren Zulassung zu den Verhandlungen durchaus noch umstritten war [Anm. 9].
Wohl in Kenntnis der Hardenbergschen Argumentation für Mainz als Sicherheitsfaktor kam der König zu dem Schluss, man müsse in Bezug auf Gebiet und zukünftige Rechtsform der Festungsstadt "dem Ehrgeize Preußens Zügel anlegen" [Anm. 10], um eine Unterjochung ganz Deutschlands zu verhindern. Ludwig XVIII. wollte seine Weisungen aber nicht als unabänderlich verstanden wissen, soweit sie nach Ermessen seiner Gesandten einem höheren Ziele hätten im Wege stehen können. Dass Mainz nicht an Preußen fallen sollte, zählte allerdings in seinen Augen zu den vier wichtigsten französischen Verhandlungszielen auf dem Wiener Kongress [Anm. 11].
Die Großmächte Russland und England, die beiden weiteren Teile der Pentarchie, hatten vor und zu Beginn der Konferenzen keine konkreten Pläne bezüglich der Stadt Mainz. Für sie, die kein unmittelbares Interesse an diesem Gebiet etwa als eigenem Besitz hatten, stellte sich die "Mainzer Frage" erst einige Zeit später im Rahmen der Ausgleichsbestrebungen restaurativer Kräfte für ein neu geordnetes Europa. Umso deutlicher waren allerdings die Absichten der kleineren Macht Bayern in diesem Punkt, was sich aus der Instruktion Max' I. Joseph vom 24. September 1814 [Anm. 12] ableiten lässt. Im dritten Abschnitt des Schriftstückes bezieht sich der Monarch auf die Zusage "beste[r] Dienste" des österreichischen Kabinetts, "Bayern die Stadt Mainz sowie ein Gebiet von größtmöglicher Ausdehnung auf dem linken Rheinufer zufallen zu lassen". [Anm. 13]. Inwieweit dies vereinbar sein würde mit dem bereits skizzierten Vorhaben Metternichs, erwies sich erst später [Anm. 14].
2.2.Die "Mainzer Frage" auf dem Wiener Kongress
Die zeitliche Eingrenzung des Wiener Kongresses bereitet Schwierigkeiten. Weder im Pariser Frieden vom 30. April 1814 noch bei den Londoner Unterhandlungen im Sommer jenes Jahres hatten sich die Alliierten Russland, Österreich, Preußen und England auch nur über die notwendigen Formalia einigen können. Ebenso wenig erfüllte sich die Hoffnung Metternichs, der Kongress möge "weniger zum Negociiren als zum Unterfertigen bestimmt sein" [Anm. 15], denn ihm vorauseilende Übereinkünfte in wichtigen inhaltlichen Fragen blieben unerreicht.
Rein formell bestand der Kongress lediglich aus dem Akt der Vertragsunterzeichnungen, der Ratifizierung, doch ging ihr die maßgebliche Arbeit in vertraulichen Besprechungen und allerlei Ausschusssitzungen" [Anm. 16] voraus. Der "einzige und wirkliche Kongreß" [Anm. 17] dabei bestand in der Viererkonferenz der Alliierten, die besonders durch den polnisch-sächsischen Konflikt wieder belebt und verschärft und später durch Aufnahme Frankreichs zur Fünferkonferenz erweitert wurde. Jene Kontroverse bestand hauptsächlich darin, dass der russische Zar Alexander I. im Rahmen der Restaurations- und Gebietsausgleichsverhandlungen ganz Polen als Besitz einforderte, als Gegenanspruch Preußens stand der Erwerb des Königreiches Sachsen im Raum, dessen König allzu lange Napoleon die Treue gehalten hatte [Anm. 18].
Das oft beschworene Gleichgewicht der Kräfte schien aus Sicht einiger Beteiligter bedroht. So galt es, teils den verschiedenen Erweiterungsbestrebungen entgegenzutreten, teils Ausgleichsforderungen zu stellen; dieses Unterfangen erwies sich als Gratwanderung, die an den Rand eines neuen Krieges führte. Mit derart prekären Verhandlungen seit dem Herbst des Jahres 1814 wurde auch das Schicksal der Stadt Mainz verknüpft.
2.2.1.Mainz als Verhandlungsmasse zwischen Österreich, Bayern und Preußen
Am 18. August 1814, nach nur kurzer Zeit provisorischer Verwaltung, übernahm "eine kaiserlich-österreichische und königlich-preußische gemeinschaftliche Administrationskommission" [Anm. 19] die Leitung der Stadt Mainz und deren Festung mitsamt den rechtsrheinischen Teilen Kastel und Kostheim. Schon in jenen Tagen fand die Konzeption Ausdruck, das zukünftige Deutschland unter Vorherrschaft Preußens im Norden und Österreichs im Süden zu einen.
Preußens Absichten über deren weiteren Verbleib ließen keinen Zweifel aufkommen: Wie Hardenberg schon im April 1814 in seinem "Plan für die künftige Neugestaltung Europas" [Anm. 20] dargelegt hatte, erachtete man Mainz als für Preußens Sicherheit unabdingbar. Diese Auffassung bekräftigte er nochmals in einem Handschreiben an den österreichischen Vertreter Metternich vom 9. Oktober, welchem er versicherte, "in das vollkommenste Einverständniß" [Anm. 21] mit dem österreichischen Standpunkt bezüglich Polens zu treten, wenn der Plan fallengelassen würde, Mainz an Bayern zu übergeben und man in die Vereinigung Sachsens mit dem preußischen Staat einwillige. Das "Hauptbollwerk Norddeutschlands" könne Preußen nicht aufgeben, obgleich man ja auch sämtliche Festungen am Rhein zu Bundesfestungen machen könne [Anm. 22]. Als wie vorausschauend sich letzterer Vorschlag erweisen würde, sollte erst das Ende der Verhandlungen offenbaren.
Die Antwort Metternichs [Anm. 23] jedoch war unmissverständlich: Wenn schon innerhalb des neu zu gestaltenden Bundes in Deutschland eine nördliche von einer südlichen Einflusssphäre unterschieden werden müsse, so dürfe man nicht den Fehler begehen, "die Vertheidigungssysteme Oesterreichs und Preußens [zu] vermengen" [Anm. 24]. Der Kaiser erachte die Mainlinie, Mainz eingeschlossen, als für die Verteidigung Süddeutschlands, ja "für die Sicherheit seiner Monarchie" [Anm. 25], notwendig. Außerdem hatte er ja bereits im Juni 1814 dem Regenten Bayerns den Erwerb der Stadt zugesichert" [Anm. 26].
Die Beharrlichkeit Österreichs und die enge Verknüpfung der Mainzer Frage mit den Differenzen im polnisch-sächsischen Konflikt zwangen Hardenberg schließlich geradezu, in seiner "Septemberdenkschrift" eine Änderung seines eigenen Planes vorzuschlagen. [Anm. 27]. Bereits vier Tage später lenkte Hardenberg schließlich ein und verkündete, Preußen werde Österreich "den Einfluß [...] auf dem linken Mainufer und dem rechten Moselufer" gerne überlassen, "ohne in eine Diskussion darüber einzutreten, ob die Festung Mainz mehr der Verteidigungslinie Nord- oder Süddeutschlands angehört" [Anm. 28].
Schlussendlich beteuerte Preußens Vertretung, wie wichtig es sei, Mainz als Bollwerk "für das gemeinsame Vaterland" [Anm. 29] zu erhalten. Die Zugehörigkeit der Festungsstadt Mainz war damit jedoch noch immer nicht abschließend geklärt.
2.2.2.Die Mainzer Deputation auf dem Wiener Kongress
Der 5. Artikel des Pariser Friedensvertrages vom 30. Mai 1814 musste den Mainzer Bürgern Unmut bereiten. Darin war die Absicht niedergelegt worden, den ganzen entsprechend nutzbaren Bereich des Rheins für die freie Flussschiffahrt zu öffnen; das althergebrachte Stapelrecht der Stadt und damit ihr wirtschaftliches Wohlergehen waren in Gefahr. Darüber hinaus galt es, späte Entschädigung für die wertlosen "Weinobligationen" zu erwirken, die der französische General Morand als vermeintliche Bezahlung für 600.000 Liter noch 1814 requirierten Weins gegeben hatte [Anm. 30]. Und auch die wichtigste Frage, die nach der künftigen Herrschaft über die Stadt, machte eigene Interventionen notwendig. So schien es geboten, eine drei Personen umfassende Delegation zum Wiener Kongress zu entsenden.
Doch erst "nach langem Kampfe" [Anm. 31] und nach der Intervention der Mainzer Handelskammer, deren Vizepräsident einer der Delegierten werden sollte, genehmigte die provisorische preußisch-österreichische Verwaltung die Reise, ohne aber die Kosten zu übernehmen" [Anm. 32]. Am 31. August endlich brach die Deputation gen Wien auf" [Anm. 33]. Sie blieb dort sieben Monate lang und sandte währenddessen 24 Schreiben offizieller Natur nach Mainz, was der Anweisung der städtischen Administration beinahe entsprach, die einen Bericht pro Woche gefordert hatte. Indes konnten die Abgeordneten nur wenig aus- und berichten, wie den Schreiben zu entnehmen ist" [Anm. 34]. Am 11. November 1814 schrieben sie von ihrer Hoffnung, "daß die Hauptentscheidung rücksichtlich der Bestimmung der Stadt bald erfolgen möge" [Anm. 35], ergänzten aber umgehend, dass die Angelegenheit sich wohl noch verzögern werde, weil "die Kayser noch eine Reise nach Gräz und dann nach Triest und wieder zurück" [Anm. 36] zu machen gedächten.
Der Zustand der Ungewissheit über den Verbleib von Mainz währte noch lange [Anm. 37]. In einem Berichtsnachtrag vom Januar 1815 konnte einer der Vertreter immerhin verlauten lassen, Mainz solle wohl "Bundesfestung, doch einem Staate angereiht werden, in dem man immer noch Bayern vermuthet" [Anm. 38]. Einen Monat später hieß es, "die Sage, daß Preußen auf dem linken Rheinufer bis an die Nah[e] vorrüke", habe sich bestätigt, und dass "einige" das linke Rheinufer an Bayern fallen sähen, "andere den Bezirk Mainz Darmstadt und das übrige Baden" [Anm. 39]. Zur Mitte des Monats März gab es diesbezüglich immer noch keinerlei Neuigkeiten zu vermelden [Anm. 40]. Das Mainzer Unterfangen endete schließlich bar eines fassbaren Erfolges. Ohne Nachricht über "die Bestimmung der künftigen Verfassung" der Stadt und in der Überzeugung, "nichts mehr [in Wien] nüzzen" zu können" [Anm. 41], reiste die Deputation am 10. oder 11. April aus Wien ab [Anm. 42].
2.3.Das Ende des Kongresses
Die Ergebnisse des Wiener Kongresses fanden zu dessen Beendigung Eingang in die so genannte Schlussakte des Wiener Kongresses. Eine für die Neuordnung Deutschlands wichtige Beschlusssammlung war die Deutsche Bundesakte" [Anm. 43], eine Art "Rahmenvertrag zwischen den deutschen Staaten über die Gründung eines Staatenbundes" [Anm. 44], der am 8. Juni 1815 vom überwiegenden Teil der betroffenen Regierungen angenommen wurde. Die dadurch erfolgte Gründung des Deutschen Bundes fand ihre völkerrechtliche Zustimmung, indem sie am darauf folgenden Tag in die Schlussakte des Kongresses aufgenommen und dementsprechend von England, Österreich, Preußen, Russland, Frankreich, Schweden, Spanien und Portugal ratifiziert wurde" [Anm. 45]. Das Schicksal der Festungsstadt Mainz wurde darin aber noch immer nicht bestimmt; sie stand auch weiterhin unter preußisch-österreichischer Verwaltung. Am 10. Juni 1815 vereinbarten Österreich, Preußen und Hessen darauf einen Handel: Das bislang hessische Herzogtum Westfalen sollte an Preußen übergehen und gegen "un territoire sur la rive gauche du Rhin" getauscht werden, jenes Gebiet, welches Worms, Oppenheim und Frankenthal umschloss [Anm. 46]. In welchem Maße diese Abmachungen die künftige Zugehörigkeit von Mainz vorausdeuteten, sollte sich ein Jahr später weisen.
3.Die endgültige Beantwortung der "Mainzer Frage"
Die Verhandlungsbevollmächtigten des Wiener Kongresses hatten das Schicksal der Stadt und der Festung Mainz nicht zu bestimmen vermocht. Auch der zwischen Österreich, England, Preußen und Russland geschlossene Vertrag von Paris vom 3. November 1815 stellte lediglich einen Zwischenschritt dar" [Anm. 47]. Während Mainz seit der Rückeroberung durch deutsche Truppen Anfang 1814 unter gemeinsamer Verwaltung von Österreich und Preußen gestanden hatte, war es von einer österreichisch-bayerischen "Landesadministrationskommission" für das Gebiet zwischen Rhein und Mosel umgeben, die ihren Sitz in Worms hatte" [Anm. 48].
Der "Kompromiß" [Anm. 49] zur Lösung der Mainzer Frage kam allerdings erst später zustande. Den Vorstellungen des ins Spiel gebrachten hessischen Großherzogs Ludwig I. entsprach jener hingegen ganz und gar nicht" [Anm. 50]. Er, dessen Interesse mehr auf die Erhaltung des rheinbündischen "status quo" und den Erhalt "des von Preußen beanspruchten Herzogtums Westfalen" [Anm. 51] für sein Haus gerichtet gewesen war, befand sich nun in der seinerseits von Misstrauen geprägten Lage, ein Gebiet zu regieren, dessen Bevölkerung nicht unwesentlich durch die Veränderungen der Französischen Revolution beeinflusst war [Anm. 52] und schon allein dadurch zu Unruhen hätte neigen können. Doch auch diesmal erwies sich der Einfluss der mächtigen deutschen Staaten als ausschlaggebend. Obwohl der hessische Großherzog sich durch seinen Vertreter Türkheim auf dem Wiener Kongress fortwährend vehement gegen die Ansprüche Preußens auf das in hessischen Besitz befindliche Westfalen zur Wehr gesetzt hatte, musste er jenen letztendlich Rechnung tragen. Nachdem gar der preußische Staatskanzler Hardenberg alle diesbezüglichen Verhandlungen mit Türkheim abgebrochen hatte [Anm. 53], lag es erneut in der Hand der Großmächte und besonders Österreichs, die Entschädigungen für Hessen-Darmstadt zu bestimmen.
Im zweiten Pariser Frieden vom 20. November 1815 musste Hessen-Darmstadt Westfalen in der Tat an Preußen abtreten und erhielt zum Ausgleich die Stadt Mainz mit Kastel und Kostheim sowie den Bezirk Alzey [Anm. 54], die militärischen Anlagen wurden zur "Festung des Deutschen Bundes" erklärt [Anm. 55]. Endgültigen und rechtlich verbindlichen Ausdruck fanden die Ergebnisse schließlich in jenem, nicht nur für die Mainzer Bevölkerung, denkwürdigen Staatsvertrag, welcher am 30. Juni 1816 in Frankfurt am Main zwischen Preußen, Österreich und Hessen geschlossen wurde [Anm. 56]. Tatsächlich zustande gekommen war er erst am 07. Juli des Jahres, wurde aus staats- und steuerrechtlichen Gründen jedoch zurückdatiert" [Anm. 57]. Für Mainz wurde damit ein weiteres Mal der militärische Aspekt seiner Lage und seiner Bauten bedeutsam: Die Festung unterstellte man direkt dem Deutschen Bund und belegte sie "mit einer preußischen und österreichischen Garnison [Anm. 58], Hessen-Darmstadt wurde die Stadt samt ihrer auf der anderen Rheinseite gelegenen Gebietsteile Kastel und Kostheim zugeteilt [Anm. 59] - Mainz wurde rheinhessisch.
4.Schlussbemerkung
Die Geschichte der Stadt Mainz war seit jeher wechselvoll. Zum einen dankt sie dies ihrer günstigen Lage am Rhein als traditionelles Schifffahrtsgewässer, zum anderen ihrer einmal mehr, einmal weniger günstigen militärischen Lage, die stets Veranlassung bot, Befestigungsanlagen zu errichten und zu halten. Von welch großer Bedeutung diese Bedingungen der Stadt sowohl für ihre Einwohner und jeweiligen Herrscher als auch für potentielle Eroberer gewesen sein muss, lässt sich in besonderem Maße daran ablesen, wie oft sie in die Lage gebracht wurde, wechselnde Regierungen und provisorische Verwaltungen in Kauf nehmen zu müssen. Die Zeit zwischen 1814 und 1816 ist keine Ausnahme. Mainz wurde unter französischer Besatzung zu Mayence, im Mai 1814 von österreichisch-preußischen Truppen übernommen und stand seitdem unter ebensolcher provisorischen Verwaltung. Daran änderten weder die diversen Friedensverträge der Großmächte untereinander etwas, noch vermochten die Beteiligten auf dem Wiener Kongress 1814/15 über das Schicksal der Festungsstadt zu entscheiden.
Es bedurfte allerlei Verhandlungen und komplizierter Vereinbarungen, bis der entscheidende Kompromiss im Schacher um Seelen, um Bevölkerungszahlen, gefunden war, Mainz gegen Westfalen zu tauschen und an Hessen-Darmstadt als Entschädigung zu übereignen und die Militäranlagen zur Festung des Deutschen Bundes zu erklären. Dass der neue Herrscher dies nur gezwungenermaßen annahm, störte nicht, auch nicht, wie die Mainzer Bevölkerung diesen Handel aufnehmen würde. Dennoch erschien jede neue Regelung wohl besser als die Fortdauer der vorangegangenen Verwaltungsprovisorien, unter denen die Stadt nicht unerheblich gelitten hatte. Und die Beibehaltung zumindest eines regionalen Grundsatzes verhinderte dies gewiss nicht: Mainz blieb Mainz.
5.Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
- Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15. Hrsg. v. Klaus Müller. Darmstadt 1986 (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Bd. 23)
- Quellen zur Ära Metternich. Hrsg. v. Elisabeth Dross. Darmstadt 1999 (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Bd. 23 a)
- Quellen zur kleinstaatlichen Verfassungspolitik auf dem Wiener Kongreß. Die mindermächtigen deutschen Staaten und die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815. Hrsg. v. Michael Hundt. Hamburg 1996 (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte. Bd. 15)
Literatur
- Dieterich, Julius Reinhard: Hessen-Darmstadt auf dem Wiener Kongreß und die Erwerbung Rheinhessens. In: Festschrift der Provinz Rheinhessen zur Hundertjahrfeier 1816-1916. Hrsg. v. d. Historischen Kommission für das Großherzogtum Hessen. Mainz 1916.
- Dumont, Franz [u.a.] (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 2 1999.
- Germann, Uta: Die Entschädigungsverhandlungen Hessen-Darmstadts in den Jahren 1798-1815. Diplomatie im Zeichen des revolutionären Umbruchs. Darmstadt 1998.
- Graßnick, Martin (Hrsg.): Die Festung Mainz. Das Bollwerk Deutschlands. "Le Boulevard de la France". Eltville 1991.
- Hardtwig, Wolfgang, und Helmut Hinze (Hrsg.): Vom Deutschen Bund zum Kaiserreich 1815. Stuttgart 1997. (Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung.7).
- Hundt, Michael: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß. Mainz 1996 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte. Bd. 164).
- Jamme, Christoph, und Otto Pöggeler (Hrsg.): "O Fürstin der Heimath! Glükliches Stutgart". Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800. Stuttgart 1988. (Deutscher Idealismus 15).
- Köhler, Manfred: Ein Bollwerk gegen die Republik. Die Festung Mainz und die demokratische Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1815-1857). In: Die Wacht am Rhein. Die Mainzer und das Militär. Hrsg. v. Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. Mainz 1992, S. 38-76 (Mainzer Geschichtsblätter. Heft 7).
- Petri, Franz, und Georg Droege (Hrsg.). Rheinische Geschichte. Düsseldorf 1976ff.
- Schütz, Friedrich: Die Mainzer Deputation auf dem Wiener Kongreß. In: Mainzer Zeitschrift 69 (1974), S. 146-163.
- Schütz, Friedrich (Hrsg.): Von Blau-Weiß-Rot zu Schwarz-Rot-Gold. Mainz vom Beginn der Napoleonischen Herrschaft 1798 bis zur Revolution von 1848. Mainz 1998 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz. Bd. 32)
Anmerkungen:
- Franz Dumont, [u.a.] (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz. 2 Aufl. 1999, hier S. 372. Zurück
- Für Photographien und weitere Abbildungen der Festung Mainz vgl. Martin Graßnick, (Hrsg.): Die Festung Mainz. Das Bollwerk Deutschlands. "Le Boulevard de la France". Eltville 1991. Zurück
- Zitiert nach Dumont (wie Anm.1), S. 375. Neben Mainz waren Antwerpen und Alexandria als weitere Schlüssel bezeichnet worden, wobei Mainz "wirklich der Schlüssel zu Teutschland" gewesen sei, vgl. Friedrich Schütz (Hrsg.): Von Blau-Weiß-Rot zu Schwarz-Rot-Gold. Mainz vom Beginn der Napoleonischen Herrschaft 1798 bis zur Revolution von 1848. Mainz 1998 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz. Bd. 32), hier S. 129-130. "Mainz ist des Reiches uralter Schlüßel" schrieb auch Gagern am 19. April 1813 an Metternich, zitiert nach Michael Hundt: Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß. Mainz 1996 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte. Bd. 164), hier S. 214. Zurück
- Vgl. Dumont (wie Anm.1), S. 375. Zurück
- Siehe Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15. Hrsg. v. Klaus Müller. Darmstadt 1986 (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Bd. 23), hier S. 40-41. Zurück
- Müller (wie Anm.5), S. 68. Zurück
- Weisung Metternichs an Zichy vom 1. August 1814, zitiert nach Müller (wie Anm.5), S. 68. Zurück
- Vgl. Müller (wie Anm.5), S. 121-144. Zurück
- Erste Bemühungen des englischen Gesandten Castlereagh um die Zulassung Frankreichs zu den Besprechungen der bis dahin vier Mächte gab es erst am 29. und 30. Dezember, die Weigerungen Preußens und Rußlands verhinderten dies bis Anfang Januar 1815. Vgl. Müller (wie Anm.5), S. 13-14 und S. 289-290; Uta Germann: Die Entschädigungsverhandlungen Hessen-Darmstadts in den Jahren 1798-1815. Diplomatie im Zeichen des revolutionären Umbruchs. Darmstadt 1998, hier, S. 342-343. Zurück
- Zitat nach Müller (wie Anm.5), S. 138. Zurück
- Vgl. Müller (wie Anm.5), S. 143. Zurück
- Müller (wie Anm.5), S. 158-171. Zurück
- Beide Zitate bei Müller (wie Anm.5), S. 163. Der Bayerische König bekräftigt diese Forderung nochmals als Punkt 2 der Interessensgrundsätze Bayerns in Abschnitt III. seiner Instruktionen, in: Müller (wie Anm.5), S. 165. Zurück
- . Zu den Vereinbarungen in Geheimartikel VI des von Max I. Joseph genannten Vertrages von Ried vom 8. Oktober 1813 vgl. Müller (wie Anm.5), S. 165, Fortsetzung der Anm. 5. Zurück
- Siehe Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15. Hrsg. v. Klaus Müller. Darmstadt 1986 (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Bd. 23), hier S. 40-41. Zurück
- Vgl. Müller (wie Anm.5), S. 9. Zurück
- Friedrich von Gentz, zitiert nach Müller (wie Anm.5), S. 9. Zurück
- Vgl. Müller (wie Anm.5), S. 11 und Instruktion Friedrich Augusts von Sachsen für Schulenburg vom 9. August 1814, in: Müller (wie Anm.5), S. 91-101. Zurück
- Hoffmann, S. 19. Zurück
- Vgl. Anm. 4. Zurück
- Siehe Müller (wie Anm.5), S. 208. Zurück
- Müller (wie Anm.5), S. 208. Zurück
- Note Metternichs an Hardenberg vom 22. Oktober 1814, in: Müller (wie Anm.5), S. 214-219. Zurück
- Müller (wie Anm.5), S. 217. Zurück
- Müller (wie Anm.5), S. 217. Zurück
- Vgl. Müller (wie Anm.5), S. 23. Zurück
- Note Hardenbergs an Castlereagh, 28. September 1814, in: Müller (wie Anm.5), S. 434-440, hier insbesondere S. 437. Zitat aus Note Metternichs an Hardenberg, Wien, 10. Dezember 1814, in: Müller (wie Anm.5), S. 257. Zurück
- Zitat aus Note Hardenbergs an Metternich, Wien, 16. Dezember 1814, in: Müller (wie Anm.5), S. 263. Zurück
- Müller (wie Anm.5), S. 263. Zurück
- Siehe Schütz, Blau-Weiß-Rot (wie Anm.3), S. 241. Zurück
- Karl Georg Bockenheimer, Erinnerungen an die Geschichte der Stadt Mainz in den Jahren 1813 und 1814, zitiert nach Friedrich Schütz: Die Mainzer Deputation auf dem Wiener Kongreß. In: Mainzer Zeitschrift 69 (1974), S. 146-163, hier S. 148. Zurück
- Vgl. Schütz (wie Anm.32) S. 148 und Anm. 36, S. 149. Zurück
- Die Deputation erreichte Wien am 8. September 1814, vgl. Schütz (wie Anm.32), S. 148. Zurück
- Edition bei Schütz (wie Anm.32), S. 152-163. Zurück
- Bericht der sog. Wiener Deputation (i.e. Mainzer Deputation) an Oberbürgermeister von Jungenfeld, Wien, 11. November 1814, in: Schütz (wie Anm.32), S. 154. Zurück
- Schütz (wie Anm.32), S. 154. Zurück
- Vgl. Schreiben Nr. 5, 7, 8, 15 in der Edition bei Schütz (wie Anm.32), S. 154, S. 155-161. Zurück
- Nachtrag des Deputierten Philipp Heinrich Hadamar zu Bericht Nr. 14 an OB von Jungenfeld, 18. Januar 1815, in: Schütz (wie Anm.32), S. 154., S. 160-161. Zurück
- Alle Zitate entstammen dem Nachtrag des Deputierten Heinrich von Mappes zu Bericht Nr. 18 an OB von Jungenfeld, 18. Februar 1815, in: Schütz (wie Anm.32), S. 161. Zurück
- Vgl. Bericht der Deputation an OB von Jungenfeld, Wien, 18. März 1815, in: Schütz (wie Anm.32), S. 163. Zurück
- Bericht Nr. 24 der Deputation an OB von Jungenfeld, Wien, 5. April 1815, in: Schütz (wie Anm.32), S. 163. Zurück
- Vgl. Dumont (wie Anm.1), S. 376; Schütz (wie Anm.32), S. 152; Schütz (wie Anm.3), hier S. 242. Zurück
- Edition: Quellen zur Ära Metternich. Hrsg. v. Elisabeth Dross. Darmstadt 1999 (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnis-Ausgabe. Bd. 23 a), hier S. 37-44. Zurück
- Vgl. Wolfgang Hardtwig und Helmut Hinze (Hrsg.). Vom Deutschen Bund zum Kaiserreich 1815. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung.7). Stuttgart 1997, hier S.35. Zurück
- Hardtwig/Hinze (wie Anm.45), S. 35. Zurück
- Vgl. Schütz (wie Anm.43), S. 233. Zurück
- Schütz (wie Anm.43), S. 130. Zurück
- Vgl. Christoph Jamme und Otto Pöggeler (Hrsg.): "O Fürstin der Heimath! Glükliches Stutgart". Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800. Stuttgart 1988. (Deutscher Idealismus 15), hier S. 61-62. Zurück
- Ebd., S. 62; von einer "für alle annehmbare[n] Alternative" spricht auch Germann (wie Anm.9), S. 347, unter Berufung auf die Ergebnisse von Dieterich, S. 241ff. und Griewank, S. 214. Zurück
- Vgl. hierzu Zitat aus der Randnotiz Ludwigs I. zu der den Austausch Westfalens betreffenden Ministerialvorlage sowie Erläuterungen bei Germann (wie Anm.9), S. 348-355. Zurück
- Siehe Franz Petri und Georg Droege (Hrsg.). Rheinische Geschichte. Düsseldorf 1976ff., hier S.372; Germann (wie Anm.9), S. 348. Zurück
- Petri/Droege (wie Anm.52), S. 372; Schütz, (wie Anm.43) S. 129. (54) Vgl. Schlussbericht Türkheims für Hessen Darmstadt, Juli 1815, Hundt (wie Anm.3), S. 626-634. Zurück
- Vgl. Germann (wie Anm.9), S. 363 mit Fußnote 83. Zurück
- Siehe Germann (wie Anm.9), S. 365; Zurück
- Vgl. Manfred Köhler,: Ein gegen die Republik. Die Festung Mainz und die demokratische Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1815-1857). In: Die Wacht am Rhein. Die Mainzer und das Militär. Hrsg. v. Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. Mainz 1992, S. 38-76 (Mainzer Geschichtsblätter. Heft 7), hier S. 41; das entsprach auch dem Vorschlag einiger Vertreter der sog. mindermächtigen Staaten, vgl. Hundt (wie Anm.3), S. 159 und S. 163-164. Zurück
- Zu dieser Ansicht gelangt auch Germann (wie Anm.9), S. 365-366. Zurück
- Vgl. Hoffmann, S. 21. Zurück
- Siehe Jamme/Pöggeler (wie Anm.49), S. 62. Zurück
- Vgl. Hoffmann, S. 21. Zurück