Als der Schmuggel bei uns zu Hause war
Über die neutrale Zone zwischen Köln und Koblenz in Rheinbreitbach und Umgebung
Als der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger am 11. November 1918 in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiegne den Waffenstillstandsvertrag mit den Alliierten unterzeichnete, dürfte er dies mit gemischten Gefühlen getan haben. Denn in den letzten Tagen hatten sich zahlreiche innenpolitische Ereignisse im ehemaligen deutschen Kaiserreich überschlagen. In Kiel war im Oktober 1918 ein Matrosenaufstand wegen der aussichtslosen Kriegslage ausgebrochen und hatte von dort aus auf zahlreiche deutsche Städte übergegriffen. Arbeiter- und Soldatenräte hatten sich daraufhin im gesamten deutschen Reich gegründet, die die politische Macht an sich rissen und ein Ende des Krieges forderten. Der Kaiser und die Landesfürsten hatten abgedankt und der SPD-Mann Friedrich Ebert war zum Reichskanzler ernannt worden. Auf Grund der militärisch aussichtslosen Situation und der Ressourcenknappheit wurde sofort mit den Alliierten Waffenstillstandverhandlungen begonnen. Das Ergebnis der Verhandlungen war, dass Deutschland sein Westheer innerhalb von 15 Tagen aus den besetzten Gebieten abziehen müsse. Darüber hinaus müsse das deutsche Reich akzeptieren, dass das linke Rheinufer von den Alliierten besetzt und auf der rechten Rheinseite eine 50 Kilometer breite entmilitarisierte Zone mit drei Brückenköpfen in Köln, Koblenz und Mainz mit einem Radius von 30 Kilometern eingerichtet wird. All diese Bedingungen, die später auch noch einmal im Vertrag von Versailles bestätigt wurden, akzeptierte Matthias Erzberger mit seiner Unterschrift unter den Waffenstillstandsvertrag. [Anm. 1]
Keiner der beiden Vertragsparteien fiel dabei jedoch auf, dass bei der Planung zwei Fehler passierten. Durch die Einrichtung der Brückenköpfe bei Mainz, Koblenz und Köln auf der rechten Rheinseite bildeten sich zwischen den Brückenköpfen Landstriche, die teilweise vom Rest der entmilitarisierten Zone abgeschnitten wurden. Sehr extrem fand dies bei Kaub am Rhein statt, wo noch nicht einmal eine Straße zur nächstgrößeren Stadt Limburg führte. Nicht ganz so extrem, aber dennoch von den Bedingungen des Waffenstillstandvertrages betroffen, war auch die Gegend zwischen Königswinter und Bad Hönningen sowie Unkel und Asbach, die zwischen den Brückenköpfen Köln und Koblenz lag. [Anm. 2]
Die Novemberrevolution der Kieler Matrosen, die Ausrufung der Republik und die Einrichtung der Arbeiter- und Soldatenräte waren in dieser Gegend nicht mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Nach dem Abzug des Westheeres (unter anderem über die fertiggestellte Ludendorffbrücke) und einer zeitweiligen Einquartierung versuchten ein paar „Radaubrüder“ aus Rheinbreitbach, Erpel und Köln einen Arbeiter- und Soldatenrat in Unkel zu gründen. Schnell hatte sich dort jedoch herausgestellt, dass diese keinerlei Legimitation hatten, sodass, wie häufig auf dem Land und in manchen Städten, die SPD-Abgeordneten oder bereits amtierende Gemeinderäte die Gründung der Arbeiter- und Soldatenräte übernahmen. Hierbei setzten die politischen Vertreter auf die Zusammenarbeit mit den bisherigen Machthabern. Bürgermeister und Ortsvorsteher blieben im Amt und wurden bei der Organisation der Gemeindeangelegenheiten unterstützt. [Anm. 3]
Dass die Gründung der Arbeiter- und Soldatenräte in der Bürgermeisterei Unkel nicht mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, zeigt sich auch an den Dokumenten des Arbeiter- und Soldatenrates in Rheinbreitbach. Der deutschnational gesinnte Schriftsteller Rudolf Herzog gründete dort erst am 19. November 1918, also mehr als drei Wochen nach der Kieler Revolution, mit einigen anderen Vertretern einen Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat in Rheinbreitbach. Kurios erscheint dabei der Fakt, dass Rudolf Herzog ein bekennender Anhänger des Kaiserreichs war, der vermutlich aus einem deutschnationalen Pflichtgefühl heraus dieses ansonsten „rote“ Gremium in Rheinbreitbach gründete. Sein Engagement ging sogar soweit, dass er seinen Wohnsitz (die Obere Burg) als Wachlokal für die neu aufgestellte Bürgerwehr zur Verfügung stellte. [Anm. 4]
Obwohl es im Ort und Umgebung durchaus Sozialdemokraten gab, die die Arbeiter- und Soldatenräte hätten errichten können und einem Umsturz und der Abdankung des Kaisers bestimmt nicht entgegenstanden, dominierte in der Region politisch die christliche Zentrumspartei. Diese hatte dem Kaiser zum Schluss durchaus nicht ablehnend gegenübergestanden, aber standen der Republik auch nicht feindlich gegenüber. Letztlich hatte das protestantisch geprägte preußische Königshaus im katholisch dominierten Rheinland seit 1822 noch keine große Traditionslinie gehabt und war somit in der rheinischen Bevölkerung nicht so tief verhaftet wie der Katholizismus. Aus diesem Grund gab es bei der Novemberrevolution 1918 in Rheinbreitbach und Umgebung auch keinerlei größere Widerstände, sie löste aber auch keinerlei republikanischen Enthusiasmus bei der Bevölkerung aus. [Anm. 5]
Die wichtigste Aufgabe zu diesem Zeitpunkt war für die Stadtverwaltungen und die "normale" Bevölkerung ohnehin die mangelnde Versorgung mit Nahrungsmitteln. Daher verwundert es nicht, dass der Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat in Rheinbreitbach als eine der ersten Maßnahmen die Ausfuhr und den Verkauf von Vieh außerhalb der Gemeinde verbot. Die Gemeinde Rheinbreitbach und die Bürgermeisterei Unkel hatten im gesamten Kreisgebiet von Neuwied immer die geringste Anzahl an Viehbeständen gehabt, was sich zum Beispiel auch negativ auf die Butterproduktion auswirkte. Der besondere Stellenwert des Viehs in Rheinbreitbach zeigt sich auch in der Gründung zweier (Rind-)Viehversicherungs-vereine bereits vor dem 1. Weltkrieg, die bei Verlust dem Versicherungsmitglied finanzielle Unterstützungen leisteten. Auch der Mangel an Kohlen beschäftigte den neu gegründeten Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrat, der die vorhandenen Kohlenbestände an die Bevölkerung verteilen und die beiden im Ort ansässigen Bäckereien wegen Kohlenmangel zusammenlegen ließ. Darüber hinaus sollten die bei der Gemeinde vorhandenen Lebensmittelbestände nur im äußersten Notfall ausgegeben werden. Verschlimmert wurden die Nahrungsmittelknappheit und der (Material-)Mangel im Gebiet des ehemaligen deutschen Kaiserreichs durch die weiter anhaltende englische Seeblockade, die erst in den kommenden Monaten aufgehoben werden sollte. [Anm. 6]
Während auf Reichsebene der SPD-Kanzler Friedrich Ebert mit Hilfe des konservativen Generals Groener eine stabile Regierung bildete, der Einfluss der SPD im Rat der Volksbeauftragen sich stabilisierte und eine Reichskonferenz mit dem Beschluss zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung tagte, legten die bereits heimgekehrten Soldaten in der neutralen Zone ihre Waffen und Uniformen nieder. Wiedersehensfreude machte sich bei den Familien breit, die ihren Vater, Sohn oder Bruder wieder zu Hause begrüßen durften. Trauer und Unbehagen war hingegen bei denen zu Hause, wo das Schicksal des Angehörigen noch nicht klar war. Es würde noch zwei bis drei Jahre dauern, bis die letzten deutschen Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft oder dem Lazarett nach Hause heimkehren würden. [Anm. 7]
Doch wer das Grauen und Morden in den Schützengräben überlebt hatte und eine Wiedervereinigung mit der Familie erlebte, versuchte nun trotz Rheinlandbesetzung, der politischen Unruhe und dem chronischen Mangel des Nötigsten den Blick nach vorne zu richten. Am besten vollzog sich dies in dem Versuch und der Sehnsucht wieder einen normalen Alltag wie vor dem Krieg zu führen. In Rheinbreitbach und auch anderen Ortschaften wurden daher die Vereine neu belebt. Der Junggesellenverein Rheinbreitbach veranstaltete bereits im Februar 1919 ein lustiges Schauspiel in einem der größten Gasthäuser des Ortes, dem Breitbacher Hof. Auch die Schützenvereine schossen wieder regelmäßig bei ihren Schützenfesten im Spätsommer den Vogel ab, bei denen es zwar kein freies Wurstessen wie vor dem Krieg mehr gab, aber Geflügel und Fleisch zu gewinnen, was in vielen Haushalten willkommen war. [Anm. 8]
Denn zu dieser Zeit war Fleisch eine begehrte Ware, die sich auch die Bauern gut bezahlen ließen was zu erhöhten Preisen führte. Aus diesem Grund setzte der Kreis Neuwied Höchstpreise fest, damit die Preise nicht ins Endlose stiegen. Der Bürgermeister von Unkel mahnte daher z.B. in einem Aufruf am 6. September 1920 die Metzger keine Wucherpreise zu nehmen, damit auch ärmere Menschen sich zumindest einmal wöchentlich ein Stück Fleisch leisten könnten. Bauern, die dennoch zu Wucherpreisen ihr Vieh an die Metzger verkaufen und somit die Verkaufspreise trotz festgelegter Höchstpreise in die Höhe treiben würden, sollten bei der Gemeinde zur Anzeige gebracht werden. [Anm. 9]
Im Sommer 1921 ging durch eine schlimme Dürre die Kartoffelernte nicht auf und nicht nur in der Bürgermeisterei Unkel brach eine Kartoffelnot aus, die nur durch Importe von außerhalb aufgefangen werden konnte. Konkret bedeutete dies, dass Nahrungsmittel über die Straße nach Asbach in Erpel oder per Zug aus Koblenz oder Köln hergebracht werden mussten. Da die Züge in Richtung Köln und Koblenz von den Alliierten an einer Zollgrenze kontrolliert wurden, war die neutrale Zone (zumindest was die Rheinschiene betraf) vom Willen der Besatzungsmächte in Köln (Belgier und Engländer) und Koblenz (Franzosen) abhängig. [Anm. 10]
Doch neben der Nahrungsmittelknappheit sollte den Menschen nicht nur in der neutralen Zone, sondern auch im Reste des deutschen Reiches, ein Problem erwachsen. Durch die hohen Kriegsanleihen, die Entmilitarisierung der Armee und die Heerschaaren an Arbeitslosen und kriegsversehrten Soldaten, die im deutschen Reich versorgt werden mussten, druckte die Regierung von 1919-1923 immer mehr Geld. Es begann eine Geldentwertung, die dazu führte, dass die ohnehin begrenzten Nahrungsmittelressourcen für manche Menschen (vorwiegend diejenigen ohne Besitz oder hohes Einkommen) unerschwinglich wurden. Kostete ein Brot im Jahre 1914 noch 0,13 Mark bei einem Durchschnittslohn von 101,58 Mark, kostete es bereits 1919 0,26 Mark, im Oktober 1922 200 Mark und schlussendlich im November 1923 4,2 Billionen Mark. Gerade in den Schlussmonaten wurde die Inflation noch einmal enorm durch den Streik gegen die französische Ruhrbesetzung angeheizt, die zu einer unkontrollierbaren Inflation führte und erst durch die Einführung der Rentenmark 1923 beendet werden konnte. [Anm. 11]
Trotz der Menge an gedrucktem Geld reichte dies zur Versorgung der Armen, Arbeitslosen und kriegsversehrten Soldaten auch in der neutralen Zone nicht aus. Wie an dem Verwaltungsbericht der Bürgermeisterei Unkel gesehen werden kann, steigerten sich die Ausgaben für die Armen- und Wohlfahrtspflege von 33.000 Mark im Jahre 1921 auf 40.000 Mark im Jahre 1922. Ein Tropfen auf den heißen Stein, wer im Kopf behält, dass ein Brot zu dieser Zeit bereits einen dreistelligen Reichsmarkbetrag kostete. Auch die Arbeitslosenzahlen sprechen eine deutliche Sprache: Waren es im Jahre 1920 noch 8 Arbeitslose gewesen, so steigerte sich die Zahl auf 36, die von der Gemeinde eine Erwerbslosenunterstützung bekamen. Gerade die Landgemeinden wie Rheinbreitbach oder Bruchhausen ohne einen speziellen Industriezweig dürften von der Arbeitslosigkeit getroffen worden sein. Gleichzeitig dürfte aber auch die Lage überbrückbar gewesen sein, da viele Einwohner Gemüsegärten zur Eigenversorgung besaßen. Dennoch dürfte die Sorge, wie die eigene Familie ernährt werden soll, zu dieser Zeit bei vielen Einwohnern der neutralen Zone akut gewesen sein. Auch war der Wohnraum knapp, sodass der Bürgermeister von Unkel (vergleichbar mit dem heutigen Verbandsbürgermeister in Unkel) ermächtigt wurde den Wohnraum zu rationieren und einzuteilen. [Anm. 12]
Aus diesem Grund versuchten auch die Vereine und Privatpersonen die Armen, Bedürftigen und Kriegsversehrten zu unterstützen. Bereits am 13. September 1919 veranstaltete die Ortsgruppe des Verbandes der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten in Rheinbreitbach einen Ball zur Unterstützung der Kriegsversehrten. Auch der deutschnationale Schriftsteller Rudolf Herzog nutze seinen zünftig von den Vereinen gefeierten 50. Geburtstag, um 1919 eine Spende von 3.000 Mark für die Armen und Kriegsgeschädigten von Rheinbreitbach zu überreichen. Die Männergesangsvereine organisierten Wohltätigkeitskonzerte und bei jeder passenden Gelegenheit wurden die Armen und vor allem die Kriegsversehrten einer jeden Ortsgemeinde bedacht. [Anm. 13]
Um die Armut zu bekämpfen, versuchten die Gemeindeverwaltung und viele Aktive die Menschen wieder in Lohn und Brot zu bringen. Da viele Menschen z.B. in Rheinbreitbach oder Bruchhausen Kleinbauern waren, versuchten die Verantwortlichen durch freiwillige Fortbildungsmaßnahmen die Bevölkerung zu schulen. Erwachsene besserten dort ihre Kenntnisse im Lesen und Schreiben auf oder erfuhren etwas über ein bestimmtes Handwerk, um in den Städten Arbeit zu finden. In den meisten Fällen unterrichtete der ortsansässige Volksschullehrer die Erwachsenen nach Unterrichtsschluss der Kinder. [Anm. 14]
Eine weitere Maßnahme war die Fortführung und Beendigung angefangener Ausbildungen, die durch den Krieg unterbrochen wurden. Auch wurde versucht die Ortschaften besser an die Städte anzubinden, z.B. durch regelmäßige Postbusverbindungen oder Überlegungen zum Neubau einer Bahnhaltestelle wie in Rheinbreitbach am Mühlenweg. [Anm. 15]
Doch trotz dieser Maßnahmen blieb die Not in der neutralen Zone groß. Der chronische Mangel an den grundlegendsten Mitteln führte letztlich dazu, dass zwischen der besetzten Zone (linkes Rheinufer und den Brückenköpfen Köln und Koblenz) sowie der neutralen Zone ein lebhafter Schmuggelhandel aufkam. Zigaretten, Schokolade, Nahrungsmittel uvm. wurde versucht unentdeckt über die Grenze der neutralen Zone bei Bad Hönningen sowie Königswinter hinüberzubringen. Am Bahnhof in Unkel fanden daher intensive Kontrollen der Reisenden nach Schmuggelgut statt. Regelmäßig ließ zudem die Polizei in der neutralen Zone Schmuggelbanden hochgehen, wovon in verschiedenen Zeitungen groß berichtet wurde. Ein äußerst amüsanter Fall ereignete sich in Rhöndorf im September 1921, wo von einem Flugzeugmotor berichtet wird, der „am Ende des Krieges aus einem Flugzeug gefallen sei“ und den Weg in die neutrale Zone gefunden habe. Dass solche Meldungen bei den alliierten Besatzungsmächten in Köln und Koblenz nicht auf Gegenliebe stießen, erklärt sich wohl von selbst. Denn manche Schmuggelwaren stammten auch von Besatzungssoldaten, die mit örtlichen Schmugglern zusammenarbeiteten, um das eigene Gehalt aufzubessern. Bei einem Vorfall im Wiedbachtal kam es sogar zu einem Doppelmord, in dem amerikanische Besatzungssoldaten verdächtigt und letztlich ein unschuldiger Deutscher verurteilt wurde. Die Verwaltungen in der neutralen Zone standen daher unter Druck (zumindest dem Anschein nach) etwas gegen den Schmuggelhandel zu tun, der auf der einen Seite benötigte Waren wie Lebensmittel in die Region brachten, aber auf der anderen Seite auch eine Provokation gegenüber den Besatzungsmächten in Köln und Koblenz darstellte. [Anm. 16]
Verschlechtert wurden diese Beziehungen durch die schleppenden Reparationszahlungen an Frankreich und Belgien. Das deutsche Reich hatte mit dem Vertrag von Versailles Reparationszahlungen an die Siegermächte in Höhe von 132 Milliarden Goldmark zugestimmt. Ein Teil sollte dabei in Sachwerten wie Kohle oder Lokomotiven abgeliefert werden. Als die deutsche Reichsregierung unter dem Reichskanzler Cuno zunehmend in Zahlungsschwierigkeiten auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Situation kam und immer wieder um Aufschub der Reparationszahlungen bei den Alliierten bat, rückten am 11. Januar 1923 die Franzosen und Belgier ins Ruhrgebiet ein, um sich mit Gewalt die ausstehenden Kohlelieferungen zu holen. [Anm. 17]
Ein nationaler und parteiübergreifender Aufschrei brach los, der auch in der neutralen Zone mitgetragen wurde. Die Reichsregierung protestierte und rief zum Arbeiterstreik in den Bergwerken auf. Bergarbeiter und Bahnangestellte legten ihre Arbeit nieder, um den Abbau und den Abtransport der Kohle zu verhindern. Nationale Spendensammlungen und frisch gedrucktes Geld der Regierung unterstützten die Arbeiter in ihrem Streik. Auch in der neutralen Zone gab es zahlreiche Spendensammlungen. In Rheinbreitbach spendete unter anderem der Turn- und Sportverein eine gewaltig anmutende Summe von 190.000 Mark, die jedoch durch die Inflation nichts mehr wert war. [Anm. 18]
Doch mit der Besetzung des Ruhrgebietes gaben sich die Franzosen nicht zufrieden. Um dem Schmuggel und dem Treiben nicht nur in der neutralen Zone rund um Unkel ein Ende zu setzen, marschierten die Franzosen am 28. Februar 1923 in die dort ausgerufene „Flaschenhalsrepublik“ bei Kaub sowie in die neutrale Zone zwischen Bad Hönningen und Königswinter bzw. Unkel und Asbach ein. Die illegale Besetzung rief, wie bei der Ruhrbesetzung auch, den Protest der Reichsregierung hervor, die jedoch keine Handlungsmöglichkeiten hatte. In der neutralen Zone war die Situation ähnlich. Außer flammenden nationalgesinnten Reden von Bürgermeistern und Verwaltungsbeamten, die zum stillen Protest gegen die Besatzer aufriefen, bis diese „den heiligen deutschen Boden“ wieder verlassen haben, konnte nichts weiter groß getan werden. Das Resultat dieser Reden war jedoch, dass Bürgermeister und Verwaltungsbeamte verhaftet und aus der neutralen Zone ausgewiesen wurden. Bürgermeister Decku aus Unkel wurde zum Beispiel in Haft genommen und durfte nach seiner Freilassung bis ins Jahr 1924 nicht in die neutrale Zone zurückkehren. [Anm. 19]
Die Aufgaben der Verwaltung wurden dabei zeitweise anderen Verwaltungsbeamten übergeben. Der öffentliche Verkehr zwischen den besetzten Gebieten und dem Reste Deutschlands wurde gesperrt. Ebenso wurden Zeitungen verboten oder zensiert. Durch das Erlahmen des öffentlichen Verkehrs konnten zahlreiche Menschen nicht mehr zu ihren Arbeitsstätten gelangen und mussten ebenfalls von der Ruhrhilfe finanzielle Unterstützung bekommen. Als die Inflation, angekurbelt durch den Gelddruck der Reichsregierung zur Unterstützung des Ruhrstreiks, außer Kontrolle geriet, wurde der Streik am 26. September 1923 abgebrochen. Die Franzosen und Belgier hatten gesiegt. Nicht nur durch die Besetzung des Ruhrgebietes, sondern auch durch die Besetzung der Flaschenhalsrepublik bei Kaub am Rhein und der neutralen Zone bei Unkel hatten sie die volle Kontrolle über diese Gebiete letztlich erlangt. [Anm. 20]
Nachweise
Verfasser: Thomas Napp
Erstellt am: 5. Juni 2019
Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub, Jessica Boller
Verwendete Literatur:
Benjamin, Klaus (2005): Die Geschichte der Gemeinde Unkel in den Jahren der Weimarer Republik.
Dietz, Wolfgang (1992): Der Landkreis Neuwied – Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit, Neuwied.
Löhr, Hermann-Joseph (2011): Tatort rheinischer Westerwald. Asbach.
Müller, Helmut M. (2007): Schlaglichter der deutschen Geschichte. Bonn.
Napp, Thomas (2014): Ein Dorf im Großen Krieg. Quellen zur Geschichte Rheinbreitbachs 1914 – 1918. Rheinbreitbach.
Sellen, Albrecht (2003): Geschichte 2. Kurz und Klar. Donauwörth.
Vollmer, Rudolf (1995): Unkel am Rhein – Chronik einer Stadt. Unkel.
Verwendete Quellen:
Bestand 475, Landeshauptarchiv Koblenz, Akte 1356, Rindviehversicherungsvereine Rheinbreitbach.
1C9, Heimatverein Rheinbreitbach, Entlassungszeugnis Lehrling Schultheis.
1C9, Heimatverein Rheinbreitbach, Verwaltungsbericht Bürgermeisterei Unkel 1921.
Honnefer Volkszeitung (07.02.1919), General Anzeiger Archiv, Lustspiel Junggesellenverein Rheinbreitbach.
Honnefer Volkszeitung (20.08.1919), General Anzeiger Archiv, Preisschießen Schützenverein.
Honnefer Volkszeitung (13.10.1919), General Anzeiger Archiv, Fonds für Kriegsheimkehrer.
Honnefer Volkszeitung (06.12.1919), General Anzeiger Archiv, 50. Geburtstagsfeier Rudolf Herzog.
Honnefer Volkszeitung (06.06.1920), General Anzeiger Archiv, Wahlergebnisse Reichstagswahlen.
Honnefer Volkszeitung (06.09.1920), General Anzeiger Archiv, Aufruf an die Metzgereien nicht zu wuchern.
Honnefer Volkszeitung (25.09.1920), General Anzeiger Archiv, Preisschießen Schützenverein.
Honnefer Volkszeitung (31.01.1921), General Anzeiger Archiv, Wohltätigkeitskonzert Männergesangsverein.
Honnefer Volkszeitung (09.05.1921), General Anzeiger Archiv, Personenhaltestelle Rheinbreitbach.
Honnefer Volkszeitung (10.01.1922), General Anzeiger Archiv, Eine umfangreiche verbotswidrige Zigarrettenverschiebung.
Honnefer Volkszeitung (27.01.1922), General Anzeiger Archiv, Beschlagnahmung eines Flugzeugmotors.
Vogels, Werner/Hohe interalliierte Rheinlandkommission (1925): Die Verträge über Besetzung und Räumung des Rheinlandes und die Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandoberkommission in Coblenz. Berlin.
Anmerkungen:
- Vgl. Müller (2007, S. 224 - 227); Benjamin (2005, S. 5). Zurück
- Vgl. Benjamin (2005, S. 9- 10). Zurück
- Vgl. Benjamin (2005, S. 7 - 9). Zurück
- Vgl. Napp (2014, S. 124, 125). Zurück
- Vgl. Benjamin (2005, S. 9, 15); HVZ (06.06.1920). Zurück
- Vgl. Müller (2007, S. 228 ff.); Napp (2014, S. 124, 125); Benjamin (2005, S. 19); LHA Koblenz (Bestand 475. Zurück
- Vgl. Sellen (2003, S. 88); Napp (2014, S.124, 125). Zurück
- Vgl. HVZ (20.08.1919); HVZ (07.02.1919), HVZ (25.09.1920). Zurück
- Vgl. HVZ (06.09.1920). Zurück
- Vgl. Benjamin (2005, S. 20, 21). Zurück
- Vgl. Müller (2007, S. 243, 244). Zurück
- Vgl. Heimatverein Rheinbreitbach (1C9 Verwaltungsbericht). Zurück
- Vgl. HVZ (06.12.1919); HVZ (13.10.1919). Zurück
- Vgl. Heimatverein (1C9 Verwaltungsbericht). Zurück
- Vgl. Heimatverein Rheinbreitbach (1C9, Entlassungszeugnis); HVZ (09.05.1921); HVZ (31.01.1921). Zurück
- Vgl. HVZ (27.01.1923); HVZ (10.01.1923); Löhr (2011, S. 69 ff.). Zurück
- Vgl. Müller (2007, S. 241, 242, 243). Zurück
- Vgl. Müller (2007, S. 241, 242, 243). Zurück
- Benjamin (2005, S 42,43, 44). Zurück
- Vgl. Müller (2007, S. 243 ); Benjamin (2005, S. 45); Sellen (2003, S. 97). Zurück