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Die „Affaire auf dem Goldenfels“

Zwei Augenzeugen

von Jörg Julius Reisek

Die Ereignisse der Kampfhandlungen um Burg Gollenfels 1793 und der Tod des Leutnants v. Gauvain wurden in den Stromberger Chroniken durch August Gerlach, Robert Schmitt und Rainer Seil ausführlich behandelt. Zahlreiche Augenzeugenberichte wurden ausgewertet und zitiert. Die Stilisierung zur Heldengeschichte ist bekannt. Die nachfolgenden Berichte ergänzen nun die bekannten aus der Sicht „echter“ Augenzeugen.

Herr Rainer Seil stellte mir Dokumente zur Verfügung, die sich in einer Materialsammlung über v. Gauvain befinden. Darunter die Erinnerungen einer älteren Frau, die frühesten 1833 zu Papier gebracht wurden. Die Schilderung der Ereignisse, wohl vielmals im Kreise von Verwandten vorgetragen, hebt sich in lebendiger Weise von anderen Darstellungen ab. Sie ist gleichzeitig die Geschichte einer Traumatisierung und deren Verarbeitung im Kreise der Familie.

Getreue Erzählung eines Augenzeugen, der Affaire auf dem Goldenfels am 20ten Merz 1793 und der im Kampfe gefallene Herrn Lieutenant v. Gauvain

Es war im Merz –93 als ich Morgens von Schweppenhausen nach dem Goldenfels kam, um den da wohnenden Arbeits-Leute den Auftrag zugeben, dass sie Kohlsamen in Säke füllen sollten, um in die Ölmühle zu bringen. Als ich mich in das Wohnzimmer begeben wollte, begegnete mir Hr. Lieutenant im Hausflur, und da er sich mit einem Detaschement, ohngefehr 40 Mann, schon längere Zeit allda aufhielt, und mich öfters gesehen hatte, grüßte er mich freundlich, und fragte, Mademoiselle haben sie schon Caffee getrunken? – welches ich bejahte, allein er bat mich ganz höflich, noch eine Tasse mit ihm zu trinken. Ich dankte ihm und wollte fort meines Auftrags mich zu entledigen; aber auf sein nochmaliges Ersuchen, ihm doch die Ehre zuschenken, nahm ich diese Einladung an, und folgte ihm in sein Zimmer. Ehe ich mich setzte, ging ich an das Fenster, welches offen war, wo ich bemerkte, dass viel Militair auf der Bingerstraße nach Stromberg einrückte, worauf ich Hr. Lieutenant sogleich aufmerksam machte. Er begab sich an das Fenster und nahm ein Fernrohr, und sagte: „das sind Franzosen“, worüber ich sehr erschrak und wollte mich gleich entfernen; allein er suchte mich zu beruhigen mit den Worten: „Mademaiselle sind sie nur deshalb unbesorgt und trinken sie ihren Caffee, und er nöthigte mich wieder zu sezzen und er setzte sich auch ganz kaltblütig neben mich, und ich trank in einer bangen Ahndung mit ihm den Caffee.

Inzwischen bat ich ihn, er möge seiner eigenen Sicherheit wagen, sich von da hinweg begeben, und ich wollte ihm einen Weg zeigen, wo er auf sichern Orth kommen konnte und außer Gefahr sein; worauf er mir erwiederte „er würde sich nicht eher hinweg begeben bis ihm das Saktuch in der Tasche brannte“. Ich bat ihn, um alles in der Welt, dass er sich doch nicht der Gefahr aussezzen sollte, er achtete aber nicht darauf, und da mich eine Angst überfiel, indem das Getümmel schon hörbar wurde, so nahm ich ihn bei dem Arm um ihn mit fort zu reißen. Er windete sich aber los, und ich flüchtete mich auf eine Anhöhe im Gebüsche, weil mir alle kleine Ausgänge genau bekannt waren. – Von da wollte ich fort nach Schweppenhausen, wo mir auf dem Weg mein Vater begegnete, und im Begriffe war mich abzuholen. Ich erzählte ihm in kurzze Worte was vorgefallen, und man hörte schon das Gewehrfeuer. – Ich wollte in voller Angst nach Hause laufen; allein mein Vater hielt mich zurück, und sagte hier her kommen die Franzosen nicht. Er begab sich mit mir tiefer ins Gebüsche wo man gut auf den Goldenfels sehen konnte ohne bemerkt zu werden.

Ich beobachtete Hr. Lieutenant, wie er im Kampfe mit den Franzosen war, und sah wie ein Franzos nach ihm hieb, und sah wie er im Hinsinken eine Pistole abfeuerte, worauf ich ein Angstschrei aussties. Mein Vater erschrak und machte mir die Bemerkung, dass ich mich nur nicht mehr unterstehen sollte einen Laut von mir zu geben. Und diese Scene ist mir so tief in meine Seele gedrungen, dass ich sie nimmer mehr vergessen kann, zumal ich noch vor kurzer Zeit mit Hr. Lieutenant Caffee getrunken hatte. Wir getrauten weder Vorwärts noch Rückwärts zu gehen und hielten uns längere Zeit noch in dem Versteck auf, bis der Tumult vorüber war. Nach diesem sagte mein Vater „bleibe hier und habe keine Angst, ich will einmal sehen, ob es sicher auf der Burg ist, und werde bald wieder kommen.“ Ich wollte ihn nicht von mir lassen; allein er ging und lies mich in meiner verzweifelte Lage zurück. – Nach Verlauf einer halben Stunde, kam mein Vater wieder, und sagte die Franzosen sind mit den Gefangenen Preußen abgezogen, und es ist jetzt ganz sicher und folge mir auf die Burg. Als ich dort ankam, auf die Stelle wo der Kampf statt gefunden hatte, lag Hr. Lieutenant in seinem Blute und hatte eine große Hiebwunde in seinem Arm, welche ganz auseinander klaffte und ich dadurch ein Entsezzen bekam und ohnmächtig in das Zimmer gebracht wurde. Als ich wieder zu mir kam, sah ich immer noch die klaffende Wunde vor meinen Augen und ich deshalb auch sehr lange Zeit kein Fleisch mehr essen konnte. Meine Brüder machten in einer kleinen Entfernung ein Grab und legten den ganz zerhauenen Leichnam hinein. Des andern Abends als wir und noch von dem Todteskampfe des Hr. L. in dem selben Zimmer wo er vorher gewohnt hatte unterhielten, und die Einzelheiten unter uns erzählten, ging die Stubenthüre auf und ein Preußischer Soldat tratt herein, worüber ich mich entsezte und glaubte den Todten Offizier zu sehen. Nach dem meine Brüder mich beruhigten, und den Eintrettender ausgeforscht hatten, so ergab es sich, dass er ein Soldat von dem Comando war, und er sich in einem abgelegene Schornstein, oder Kamin, versteckt hielt, ohne Nahrung zu sich genommen zuhaben. Meine Angehörigen bewirtheten ihn; allein da die Franzosen noch in der Umgegend umher schwärmten, so wurden wir von Freundesseite gewarnet, dass man ihn fort bringen sollte, sonst wenn es die Franzosen erführen, wir in die größte Unannehmlichkeiten versetzt werden konnten. So bat ich meine Brüder sehr dringend, ihn auf sicherm Weg zubringen, welches auch meinem Wunsche gemäß geschah.

Einige Tage später wurden die Franzosen wieder durch die Preußen vertrieben, und als sie den heldenmüthigen Todt dieses Offiziers vernahmen, so verfügten sich sogleich mehrere Offizier auf die Burg, und ließen sich den Orth anzeigen wo er gefallen war, und es traff sich der Zufall dass ein naher Verwandter, oder sein leiblicher Bruder des gefallenen Offiziers unter den Besuchern war, welcher bitterlich weinte und ich weinte mit ihm, und erzählte ihnen in gebrochnen Sätzen dieser traurigen Begebenheit, und dass ich mit ihm Caffee getrunken hätte und auch retten wollte. Der Verwandte nahm sein Saktuch heraus und tauchte es in die noch vorhandenen Blutspuren und seine Kameraden folgten seinem Beispiele. - Nach längerer Zeit kam ein Monument an, welches auf die Stelle gesezt wurde, wo er geblieben ist; aber nach Verlauf einiger Jahren wurde es von den Franzosen wieder zerstört, wo noch hin und wieder die Trümmer davon liegen. – Als es nun mit dem Kriegsgetümmel ganz ruhig geworden ist, so ersuchte ich meine Brüder, dass sie auf die Stelle, wo die Gebeine ruhen ein Bäumchen sezzen sollten, damit man noch in spätern Jahren die Stelle finden konnte, welches sie auch thaten und ein Birnbäumchen dahin pflanzten, und als es schon in einigen Jahren Früchte brachte, so gab ich ihnen den Namen Lieutenants-Birne – welchen Namen sie noch bis auf den heutigen Tage erhalten haben.

Die Zeichnung stellt die Ansicht von Burg Gollenfels dar (Stromberger Seite) das oberste Fenster im Thurm, ist das selbe wo er wohnte und durch sah, hinter dem Berg etwa 100 Schritt von dem Monument, im Gebüsche rechts ist ein Punkt angemerkt wo er gefallen und noch Trümmer vom ersten Monument liegen, und unter dem historisch gewordenen Birnen Baum, am neuen Monument ruhen seine Gebeine, und:


„Längstens schlummert er in stillen Frieden,
In dem Mutterschoose auf fremden Feld,
Er empfindt nicht mehr den Schmerz hienieden,
Und er starb im Kampf als preußischer Held.
Thränen wurden auf sein Grab gegossen,
Einer Freundin, um sein so edles Herz,
Nemlich sie sind oft herab geflossen,
Auf sein Grab durch den bitteren Schmerz.
Nimmer konnt sie seinen Todt vergessen,
Traurig dachte sie an ihn stets zurück,
Voller Wehmut ist sie oft gewesen
O! es war ihr der schrecklichste Augenblick.
Nimmer wird die Stelle jetzt verschwinden,
Gauvains „Grabe an Goldenfels“ Berges saum,
Auch wird man sein Monument dort finden,
Unter dem Schatten eines Birne-Baum.
Von Gauvains Freunde sagten ja alle,
Auch die ihn dem Namen nach nur gekannt,
Ist er doch auf´m Feld der Ehr gefallen
Nach dem er focht, für Gott – Koenig und Vaterland.

Ein weiterer Bericht, diesmal aus der Sicht der Franzosen, findet sich in den Tagebuchaufzeichnungen des französischen Offiziers Gabriel Juillet, die im Jahre 2006 veröffentlicht wurden. Dieser zog mit der Rheinarmee in den Jahren 1792 und 1793 durch die Gegenden von Kreuznach und Stromberg. Der nachfolgende Auszug beschreibt die Ereignisse um den 20. März 1793. Weitere interessante Einträge über Aufenthalte in Kreuznach sind hier ausgelassen. Sie bestätigen Nachrichten, die Petrus Gebhard in seinem Hans- und Hausbuch (s. Bad kreuznacher Heimatblätter 1931.7 ff.) hinterlassen hat.

„Am 18. März erhielten wir [in Mainz] zur Mittagszeit den Befehl, sogleich nach Kreuznach aufzubrechen. Die ganze Garnison war in Bewegung. Die Preußen rückten mit Macht in diese Richtung vor... Um 5 Uhr abends setzten wir uns an der Spitze der Kolonne in Bewegung. 7.000 bis 8.000 Mann mindestens. Wir marschierten die ganze Nacht auf beschwerlichen Wegen im Regen. Niemals war ein Marsch so unangenehm, herrschte so viel Durcheinander. An den Wegrändern lagen Männer, die beim Marschieren vor Müdigkeit und Schlaf hingesunken waren. Deshalb kamen wir erst gegen 11 Uhr morgens in Kreuznach an, ohne dass wir uns erholen, noch dass wir Pferde füttern konnten. Hier blieb uns eine Stunde zum ausruhen. Zum Schlafen zogen wir zwei Meilen flussabwärts. Vom 18. auf den 19. März waren wir 24 Stunden marschiert.

Am nächsten Tag, den 20. März, waren wir um zwei Uhr morgens auf den Beinen. Unsere Marschrichtung sollte den Feind täuschen. Wir nahmen unseren Platz in der Schlachtordnung ein und rückten zusammen mit den wichtigsten Divisionen der Armee auf der Straße nach Koblenz vor. Das 1. Regiment der Brigade nahm die Angriffsplätze ein, während wir zurückblieben, um den rechten Flügel der Kolonne zu bilden. Wir sahen einen großen Teil der Armee an uns vorbeimarschieren. Die Freude war übergroß, niemals gab es mehr Kampfeseifer. Die Stellung, die wir bezogen, war sehr vorteilhaft. Bei einer Annäherung würden wir dem Feind übel mitspielen, ohne dass er großen Schaden zufügen könnte. Von einem Wald aus konnte man seine Bewegungen beobachten.

Um 11.30 Uhr morgens begann der Sturmangriff auf ein Fort, in dem sich die Preußen verschanzt hatten. Unsere furchtlosen Jäger gingen zum Angriff über. Das Fort wurde nicht ohne heftigen Widerstand des Feindes eingenommen. Der Kommandant ließ sich lieber töten, als sich zu ergeben. Wir machten etwa 50 Gefangene, und es gab ebenso viele Tote und Verwundete. ... Die Einnahme des Forts und das Gefecht dauerten nur eine Stunde. Die Anzahl der Gefangenen, die wir machten, habe ich bereits erwähnt, desgleichen die der Toten und der Verwundeten. Wir hatten auf unserer Seite vier oder fünf gefallene oder verwundete Offiziere und ein Dutzend Mannschaften. ...

Heute, am 21. März 1793, kehrten wir nach Kreuznach zurück und verbrachten dort die Nacht...

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Literatur:

  • Gerlach, August: Chronik von Schloss Gollenfels. 1897.
  • Gerlach, August: Chronik von Stromberg. E. Beitr. zur rheinischen Geschichte. 1897.
  • Gottlieb, Norbert; „Cést le Palatinat qui nous livrait passage.“ Stationen des französischen Offiziers Gabriel Juillet zwischen Rhein und Mosel während der Revolutionskriege (1792-1795). Nach seinen Tagebuchaufzeichnungen. 2006.
  • Der Heldentod des Lieutenants v. Gauvain vom Füsilier-Bataillon v. Wedel (Nr. 1) bei der Vertheidigung des Schlosses Goldenfels am 20. März 1793. (Sonderabdr. Aus dem „Soldaten-Freund, 1893. Märzheft)
  • Rheinischer Antiquarius. 2. Abt. Bd. 9
  • Schmitt, Robert: Stromberg. Die Stadt am Soonwald. 1971.
  • Seil, Rainer: Chronik der Stadt Stromberg. 2002.
  • Stumpf, Hermann: Leutnant J. G. Gauvain – der Held von Stromberg. (In Nahelandkalender, 1976)
  • Zimmermann, Karl: Der Hunsrück in den französischen Revolutionskriegen. (In Blätter für Mosel, Hochwald u. Hunsrück, 1938.11 ff.)

Reisek, Jörg Julius: Die „Affaire auf dem Goldenfels“. Zwei Augenzeugen. (In: Nahelandkalender, 2009)

Diese und weiterführende Literatur ist in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach vorhanden.

Erstellt: 26.03.2010