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„Er setzt uns in einiges Staunen...“

Stanislaus Schmitt und „Hildegarde“ – ein lyrisches Opfer von 1810

Von Jörg Julius Reisek

Wer sich mit der Kreuznacher Geschichte in napoleonischer Zeit befasst, stößt immer wieder auf den Namen Stanislaus Schmitt. Der 1766 geborene Sohn eines Kirner Beamten war als Verwaltungsbeamter in der Stadt tätig, bekleidete verschiedene Ämter, war Advokat und Friedensrichter. 1814 berief man ihn zum Oberbürgermeister. Als Verfechter republikanischer Ideen agierte er auf der städtischen Bühne, wobei er seine literarisch-musikalische Begabung wirkungsvoll in Reden und Schriften einsetzte. Seine Gesinnung wandelte sich im Laufe der Zeit. Aus einem begeisterten Republikaner wurde ein deutscher Patriot. Dieser politische Wandel kann bei vielen seiner Zeitgenossen beobachtet werden.

Der Heidelberger Professor Karl Philipp Kayser lernte ihn auf einer 1798 unternommenen Reise schätzen:

„Wichtiger für mich waren die Bekanntschaften, die ich in Creutznach machte. Ich nenne zuerst den Bürger Schmitt. Er war Präsident des tribunal criminel zu Koblenz; aber Koblenz gefiel ihm nicht, lieber will er in Creutznach seyn. Er ist ein Mann von vielem Kopfe, ein erklärter Republikaner. Dabey einfach in seiner Lebensart und ohne Complimente. Ganz in der Literatur zu leben, gab er für seinen Wunsch aus. Er schätzt und liest mit Lust die Alten. Sie in Schulen itzt zu nützen, um den republikanischen Geist zu wecken und zu nähren, dieser Vorschlag gefiel ihm sehr wohl.“

Der Bereich des Schulwesens lag Schmitt besonders am Herzen. 1810 stiftete er mit Kaufmann Gräff verschiedene Musikinstrumente für die schulmusikalische Bildung. Diese Förderung sollte in den „Erholungsstunden“ der Schüler durchgeführt werden.

Stanislaus Schmitt erfreute sich in Kreuznach großer Beliebtheit. Als er durch die Landes-Administrations-Kommission zum Staatsprokurator des Kreisgerichts Kusel „weg“-ernannt wurde (u.a. durch Einflußnahme Andreas van Recums), gab es leidenschaftlich geführte Proteste im Stadtrat. Die Ernennung sollte rückgängig gemacht werden. Es ist überliefert, dass Schmitt seine Amtsstube dem Nachfolger nicht räumen wollte.

Über den weiteren Lebensweg ist wenig bekannt. 1816 bezeichnet er sich auf dem Titelblatt des Stückes „Der neue Ortsherr“ (Kreuznach/ E. J. Henß), als „zweiten Staatsanwalte am Apellhofe zu Trier“.

Nun zum Literaten Schmitt. Seine politisch orientierten Arbeiten, wie Aufrufe, Festlieder, Stücke und Zeitungsartikel sollen hier nicht erörtert werden, sondern das lyrische Werk. Eine noch nicht vollständige Liste der Publikationen kann online im Lexikon Kreuznacher Persönlichkeiten (LKP - Stadtarchiv Kreuznach) eingesehen werden.

1804 veröffentlichte er „Gedichte“ und 1808 „Feldblumen . Eine Sammlung von Poesien für Freunde der ländlichen Natur. Mit Kupfer und Musik.“. Einige dieser Gedichte wurden vom Verfasser in einfacher Melodie vertont und als Notenbeilage beigebunden. Er komponierte ein Singspiel nach einem Text von Isaak Maus. „Die Hochzeitsfeier“ wurde 1805 von Christian Ludwig Kehr in „Vaterländisches Taschenbuch“ veröffentlicht.

Im Jahre 1810 heiratete Kaiser Napoleon ein zweites Mal. Marie-Louise von Habsburg, die älteste Tochter des österreichischen Kaisers Franz I., sollte ihm endlich einen Thronfolger bescheren. Die Hochzeit war der willkommene Anlass für unseren Dichter, ein dreibändiges Epos im Selbstverlag herauszugeben und der neuen Kaiserin zu widmen:

„Ihro Majestät Marie Louise Kaiserin von Frankreich, Königin von Italien, Beschützerin des rheinischen Bundes etc. etc..... Madame!...Könnte ich freilich Kränze flechten, wie Göthe, Wieland und Voss; ...so würde ich minder schüchtern dem Altare nahen, vor dem nur das vollendete erscheinen soll. Und so würdigen Sie Erhabene Monarchin ! den Ausdruck meiner Verehrung in diesem poetischen Opfer anzunehmen, welchem die Erinnerung an den heimischen Himmel und an die frühe Laute der Jugend einigermassen ersetzen möge, was ihm an italischem Wohllaut, und an französischer Feinheit abgehet. Ich bin in tiefster Ehrfurcht Euer kaiserlich-königlichen Majestät Unterthänigst gehorsamster“ (stark gekürzt)

„Hildegarde, die Gemahlin Karls des Grossen. Ein episches Gedicht in sechzehn Gesängen.“ wurde von Emerich Joseph Henß in Kreuznach gedruckt und enthält etwa 1780 Strophen (ich habe nicht nachgezählt). Diese Schöpfung muss Schmitt jahrelang beschäftigt haben. Ein Teil davon wird unter Zeitdruck vollendet worden sein, ein Umstand, der die unterschiedliche Qualität der Strophen erklären würde. Eine Rezension der Dichtung erschien in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung. Dadurch haben wir eine bequeme Möglichkeit das Werk kennen zu lernen, ohne es zu lesen. Einige Exemplare der „Hildegarde“ werden heute in Universitätsbibliotheken aufbewahrt, so auch in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar.

Jenaische Allg. Literatur-Zeitung, 1810

Schöne Künste…

Kreuznach, gedr. B. Hensz: Hildegarde, die Gemahlin Karls des Großen. Ein episches Gedicht in sechzehn Gesängen. 1810. I Band 180 S. II Band 196 S. III Band 234 S. kl. 4. Eigenthum des Verfassers (3 Rthlr.)

Es setzt uns in einiges Staunen, zu einer Zeit, da die Aufmerksamkeit des deutschen Publicums auf Poesie eher ab – als zunimmt, und besonders ein Epos wenig Zuneigung findet, auf einmal Jemanden mit einem epischen Gedichte hervortreten zu sehen, das drey starke Bände füllt, und zusammen nicht weniger als 1780 gereimte Stanzen ausmacht. Dieses Werk der eigenen, stillen gehegten Liebe und Lust – wie viel Mühe und Fleiß, wie viel Sinnen und Nachdenken, wie viel Zeit muß es nicht gekostet haben! Und wenn man noch dazu nimmt, wie aus dem Gedichte hin und wieder erhellet, dass ein wirklich poetischer Geist den Vf. belebt, und dass ein einfach edler Sinn sich zu offenbaren gestrebt hat: so kann man nicht genug bedauern, die volle Kraft, das Talent und den Geschmack zu vermissen, die zum Gelingen eines solchen Werkes erfodert werden. Wir sehen den Vf. noch überall im Kampf mit Reim, Vers und Sprache, und dem Geschmack bey der Wahl der Wörter und bey der Ausbildung des Ganzen zum Einzelnen zu unwürdigen Ausdrücken sich verirren, die zwar einfach, aber nicht zugleich edel und schön sind. Wo es ihm gelingt, das helle Licht seiner Seele in der vollen Klarheit durchdringen zu lassen, da werden wir eine großartige Gesinnung, eine gewisse Feinheit des Geistes und einen zarten Edelmuth des Herzens gewahr, der uns überrascht und erfreut. Leider muß man durch viele rohe Schichten von unverarbeiteten Stoff, der noch in der Prosa liegen blieb, sich mühsam zu solchen Stellen hindurcharbeiten. Auch der Plan des Ganzen, dessen Hauptabtheilungen eben nicht zu verwerfen sind, ermüdet durch zu viele Episoden und Ausspinnung von entlegenen Einzelheiten.

Der Inhalt trifft ziemlich mit der Geschichte der Genofeva zusammen. Hildegarde, die Gemahlin Karls des Großen, von seinem Bruder Taland, der sie vergebens zu verführen suchte, der Untreue beschuldigt, sieht sich genöthigt, in die Einöde zu entfliehen. Nachdem die Verfolger sie in einer Höhle entdeckt und aus Mitleid statt ihrer eine Hündin getödtet haben, deren Augen sie dem rachsüchtigen Taland überbringen, wandert sie, als ein Pilger gekleidet, nach Rom, wo sie die Hülfe des Papstes Hadrian anfleht, und die Liebe und das Vertrauen Karls wieder findet. Hier erst erzählt sie – uns dünkt, für den Leser etwas zu spät – die Nachstellungen, die ihr Taland gelegt hat. Die Schlußscene ist in der Kirche. Den Plan im Einzelnen durchzugehen, würde hier zu weitläufig werden. Vorzüglich scheint uns die treue Anhänglichkeit der Kammerfrau geschildert, die ihrer Fürstin nachwandert. Zu den gelungenen Versen rechnen wir diesen:

Nicht lang darauf ward Rose vorgeführet,
Im schwarzen Saale tönet nicht ein Laut:
Nur dann, wenn sich der Fuß in Ketten rühret,
Wenn eine Thrän´, die ihr vom Auge thaut,
Den Boden sucht, wenn sich ein Ach verlieret
Aus ihrer Brust, die hier erbangt und graut;
Da war das grause Schweigen unterbrochen,
Bis endlich langsam ernst Taland gesprochen.

Auch die Schilderung von Talands Festen und Nachstellungen enthält manche malerische Schönheit, z. B.

Bald stehen sechzig Kähne bunt gekleidet,
Lebend´ge Bäume drüber ausgespannt;
Ein Wald, wie nun die Wellen treiben, schreitet
Daher: voll Freude jauchzt das Uferland;
Indes die Luft mit tausend Stimmen streitet,
Entflattert dichtem Buschwerk linker Hand
Gevögel aller Art, sich scheu erhebend,
Hier einwärts, drunten ob den Häuptern schwebend.

In manchen Versen ist auch keine übel nachahmende Bezeichnung, wie: Er klopft; sie schweigt; er klopft und klopfet wieder; aber den meisten merkt man einen Zwang an, und der Reim schleppt manche steife Wendung mit sich, wie z. B. Hier will sich eine Thrän´ im Auge runden. Überdieß reimt der Vf. mit am, für, dass, die, der, bis, und, ob paart Gärten und Beschwerden, steigen und reichen, ihn und hin, reden und Nöthen, die Blum´ und stumm, scandirt Musik, Vorhänge, braucht Wörter, wie etwelche, der Prast, die gebrasten Schwestern, und begeht mancherley Verstöße gegen das Rechte, und Übliche in der deutschen Sprache, indem er z. B. die Wiederkehre, komme, warden, Forcht, gewunken, das Ort, halber und dergl. setzt. Von Mangel an Würde im Ausdruck mag Folgendes, worin von einem Reuigen im Schmerz der Krankheit die Rede ist, zum Beyspiele dienen:

Der Kranke lag halbschlummernd und halbwache,
Schwerathmend: übrigens bewegt und regt
Sich nichts: dann fährt er schröcklich auf: „O Rache!“
Aufschreiend: sinkt zurück: die Reue schlägt
Sein Herz: und dann in grinsendes Gelache
Erströmt sein Mund: Er wirft, und hebt, und trägt
Das Bett, sich selbst, und bäumt, und bäumt sich wieder,
Und fällt sich, wie ein Klotz, ganz leblos nieder.
T.Z.

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Anmerkungen:

  • Das hier besprochene Werk ist in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach vorhanden. Auf Literaturhinweise wurde verzichtet. Weitere Informationen über Stanislaus Schmitt erhalten Interessierte in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach. Die vorhandenen Quellen erlauben das Zustandekommen einer umfassenden Würdigung von Stanislaus Schmitt.
  • Rezension: In Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, 1810 (Digitalisat: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek)
  • Bearbeitete Fassung eines Artikels aus dem Nahelandkalender 2010.

Erstellt: 08.03.2010