„Nahefluß plötzlich angeschwollen“ Hochwasserschäden in Kirn, Martinstein und Kreuznach: 1843-46
von Jörg Julius Reisek
Fast jedes Jahr gab es an der Nahe Wasserschäden durch Überschwemmungen; so oft, dass meist nur die großen Katastrophen in der Erinnerung haften blieben. Über diese wurde schon oft geschrieben. In Berichten des von 1818 bis 1846 amtierenden Kreuznacher Landrates Ludwig Philipp Hout an das Regierungspräsidium Koblenz finden sich Meldungen über „fast vergessene“ Überschwemmungen der Jahre 1843-46. Die sogenannten „Zeitungsberichte“ informierten die Regierungsstellen nicht nur über besondere Vorkommnisse in den Bereichen „Landes Cultur“, „Gewerbsbetrieb“, „Wohlthätigkeit“ und „Oeffentliche Ordnung“, sondern auch über „Schädliche Natur-Ereigniße“, zu denen neben Unglücks- und Todesfällen auch die Hochwasser gezählt wurden. Leider sind im Landeshauptarchiv Koblenz nur einige wenige Berichtsjahre dieser verwaltungs-, wirtschafts- und sozialgeschichtlich höchst aufschlußreichen handschriftlichen Quelle erhalten geblieben.
Bericht des Kirner Bürgermeisters an den Landrat, 24.02.1843
...Durch den in der Nacht vom 28. auf den 29. vorigen Monats gefallenen heftigen Regen ist der Nahefluß plötzlich dergestalt angeschwollen, dass das Wasser, von der oberhalb Kirn stehenden Brücke zurückgedrängt, sich über die Districte „hinter Haubenfels und Wörth“ ergoß, die städtische Bleiche und die Deichgärten verwüstete und in die Stadt eindrang. Zum Glücke war mit der reißenden Fluth kein Eisgang verbunden und die Hahnenbach nicht so beträchtlich, dass sie aus den Ufern trat. Der Abfluß der Fluth war demnach an der Stelle, wo die neue Brückenlegung projectiert wird, nicht behindert, so dass schon um 1 Uhr des Nachts der größere Theil des Wassers sich verlaufen hatte, nachdem das Steigen circa 5 das Fallen aber 4 Stunden gedauert. Die Aufnahme dieses Elementar-Schadens durch den Steuer Controlleur zum Zwecke des Grundsteuer-Nachlasses ist bereits erfolgt.
Bericht des Monzinger Bürgermeisters an den Landrat, 25.02.1843
...Am 28. v. Monats gegen Abend – nachdem seit mehreren Tagen Thauwetter eingetretten und in den letzten 24 Stunden sehr viel Regen gefallen, dadurch aber die ungeheuren Schneemassen in der Gegend von Birkenfeld und im Soonwald flüssig geworden waren – schwoll der Nahestrom in wenigen Stunden hier zu einer Höhe an, die die ältesten Leute nie gesehen zu haben behaupten. Dieses plötzliche Anschwellen des Wassers vermittelte manche Vorkehrungsmaßregel gegen Beschädigung und Verluste und so geschahe es dann, dass namentlich der Oel und Sägemüller Johann Kaupert zu Martinstein einen Verlust an Lebensmitteln, Futtervorräthen, Geräthen aller Art, besonders an Werk und Nutzholz erlitt, der über 300 rtl. beträgt, nachdem durch den ungeheuren Andrang des Wassers auf sein äußerst solid in Mauerwerk aufgeführtes Oeconomie Gebäude, ein bedeutender Theil derselben eingestürzt war, dessen Herstellungskosten auf den Betrag von ebenfalls 300 rtl. Angeschlagen werden müssen, da die Gewalt des Wassers auch selbst die Mauersteine – die größten wie die kleinsten – und alles Vorland, was sich in bedeutender Länge und Breite vor dem gedachten Gebäude hin ausbreitete, mit den darauf seit Menschen-gedenken gestanden, jedem Eißgange bisher wiederstandenen Bäumen mit fortgerissen hat, so dass sich jetzt auf dieser Stelle eine beträchtliche Tiefe im Wasser befindet.
Die Hauptursache dieses Schadens, der wenn die Überschwemmung mit einem Eisgange verbunden gewesen wäre, selbst für den auf der Wasserseite belegten Theil des Dorfes Martinstein verderblich gewesen seyn würde, liegt offenbar in der verkehrten und dadurch, wenn nicht baldigst Vorkehrungs Maßregeln getroffen werden, für besagtes Dorf früher oder später unfehlbar verderblich werdenden Anlage der neuen Staatsstraße oberhalb des Ortes, wodurch die ganze Gewalt der Wassermasse, die durch einen früher an besagter Stelle befindlich gewesenen einspringenden Bogen auf das rechte Ufer hinüber geworfen wurde, jetzt gerade am Dorfe vorbei und auf das Eigenthum des p. Kaupert hingeleitet worden ist. Es ist daher zu wünschen, dass diese schon mehrfach zur Sprache gebrachte Sache, endlich gründlich und unparteiisch untersucht und baldigst die dringend nöthige Vorbeugungsmaßregeln gegen weitere Beschädigungen angeordnet werden, was weder schwierig noch sehr kostspielig seyn dürfte.
Landrat Ludwig Philipp Hout, 03.02. 1844
...Ueber die Wasserfluth welche am 26. vorigen Monats zu einer solchen unerwarteten und gefahrbringenden Höhe stieg, dass sie einen großen Theil der Städte Kirn und Kreuznach unter Wasser setzte, habe ich besonders zu berichten mich beehrt. Es haben dabei hier zwei Menschen der Küfer Johann Otterbach 34 Jahre alt, und der Sohn von Jacob Fischer 5 Jahre alt, ihr Leben eingebüßt.
Viele Häuser, welche theils alt theils schlecht gebaut waren, sind in ihren Fundamenten aufgeweicht und theils unmittelbar nachher, theils in den folgenden Tagen eingestürzt, oder doch so stark gewichen, dass sie den Einsturz drohen. Mehreren ärmern Familien ist das Handwerksgeräthe, Bettzeug, Kleider und Kindergeräthe weggeführt, von vielen Aeckern ist die Erde weggerissen und sie sind mit Kies und Steinen bedeckt. Die Garten Anlage der Bade Insel hier und alle längs dem Flusse gelegenen Gärten, so wie die Pfingstwiese hatten das nämliche Los, die Mühle des H. Stumpf wurde fast gänzlich zerstört. Es hat sich aus der Bürgerschaft sogleich ein Comite gebildet, welches eine Summe von Circa 1000 rtl. freiwilliger Beiträge gesammelt, und damit beschäftigt hat, die eingestürzten und gesunkenen Häuser, welche zum größten Theile armen Familien gehören, wieder aufzubauen und herzustellen.
Die Prinzessinnen von Preusen, und Prinz Carl K. K. H. H. haben höchst Ihre Theilnahme an dem erlittenen Unglücke ausgesprochen und eine Unterstützung von 90 Ducaten gesendet. Die Elberfelder Feuer Versicherungs Gesellschaft hat 114 rtl. die Bankbeamten der Gothaer Lebens Versicherungs Gesellschaft haben 25 rtl. übergeben. Es wird die Abschätzung des Schadens an Häusern und Grundstücken überall gemacht, und daran gearbeitet, die Spuren der Ueberschwemmung allmählig verschwinden zu lassen. Der Schaden, den aber Einzelne gelitten haben, ist bedeutender als er anfangs schien...
...Die ängstlichen Besorgnisse weiter sehender Personen sind auf die Zukunft gerichtet weil sich ergeben hat, dass das Flussbett um mehrere Fuß sich seit 1784 erhöht hat; daß daß alte viel breiter geworden ist und bereits eine Menge der besten Felder verschwunden sind. Eine Regulierung und Correction des Flusses, und der einmündenden größeren Bäche ist eine dringende Nothwendigkeit geworden.
(Dieses Ereignis erwähnt auch der Kreuznacher Seilermeister Daniel Keller in seinem handverfassten „Hausbuch“: „1844, hat es im Februar 3 Tage lang geregnet, so dass die Nahe den 25. groß wurde. An ein Wasser wie dieses dachte kein Mensch. Es kam so schnell, dass um halb 3 Uhr in der Kreuzstraße ein wenig in den Flößen zu sehen, eine halbe Stunde später lief es in alle Keller. Es ist gewachsen bis 7 Uhr (Nachm.), da hat es 2 Schuh über der eisernen Hand gestanden und bei uns in der Kreuzstraße lief es heraus wie ein reißender Strom, riß Häuser zusammen, wobei mehrere Menschen umkamen. Vor dem Peterspförtchen sind alle Gartenhäuser und Mauern einer wilden Einöde gleich. Am Kornmarkt sind Häuser gestützt und müssen abgerissen werden...“.
Im Schloßparkmuseum wird die Abbildung der durch Hochwasser beschädigten Perard´schen Mühle in Kreuznach aufbewahrt. Eine von Ludwig Deurer (Mannheimer Maler 1806-1847) am 20. April 1846 angefertigte Zeichnung zeigt links und im Vordergrund im Unrat liegende angeschwemmte Baumstämme. Das linksseitige Nebengebäude weist massive Beschädigungen auf, die vielleicht auf das Hochwasser von 1844 zurückgehen.
Landrat Ludwig Philipp Hout, 06.06.1846
...Anfangs April hatte die Nahe durch andauernden starken Regen angeschwellt, ihre Ufer überschritten. Bei diesem Hochwasser kam die Leiche des im Dezember in die Nahe gefallenen Wilhelm Schmitt wieder zum Vorschein. – Wahrscheinlich hatte das damalige Hochwasser den zu Boden gefallenen Körper mit Kies überschwemmt, welchen die Fluth wieder weg gespült hat...
...Am 8. April Nachmittags fiel der 1 ½ jährige Joseph Roos, Sohn des zu Muthshäuschen (Gemeinde Hahnenbach) wohnenden Philipp Roos in den nahe vorüberfließenden Mühlenteich und ertrank. Die Leiche wurde weiter abwärts in Hahnenbach gelandet.
Nachweise
Verfasser: Jörg Julius Reisek
Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper
Quellen und Literatur:
- LHAKo Best. 441. Nr. 1300, 1308, 1321 (Transkription Helmut Schwindt)
- Kreuznacher Zeitung. 22.1.1918: Die Große Wasserflut des Jahres 1844, am 26. Februar. Aus dem Tagebuche eines alten Kreuznachers entnommen mitgeteilt durch Emmerich Josef Mumbauer, Kreuznach.
- Peil, Martina: Die große Flut. Hochwasserkatastrophen in Bad Kreuznach und dem Landkreis im 20. Jahrhundert.
- Spengel, Gerd: Mühlen im Gebiet der mittleren und unteren Nahe. (Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach, Bd. 29.2) S. 87. (Deuron = Druckfehler!)
- Velten, Carl: Manuskript Hochwasser an der Nahe, S. 24 (in HWZB)
Dieser Beitrag erschien in den Bad Kreuznacher Heimatblättern, 2008.12
Umfassende Literatur zum Thema Nahehochwasser findet sich in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek in Bad Kreuznach.
Erstellt: 19.04.10