Creutzenach: „nicht von dieser Welt"
von Jörg Julius Reisek
Bad Kreuznach steckt voller Merkwürdigkeiten – dies ist hinlänglich bekannt. In der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek können sich Interessierte darüber informieren.
Immer wieder finden Kuriositäten den Weg in die Bibliothek, wie die Neuedition von Johann Andreas Schnebelins „Schlarraffenland“ aus dem Jahre 1694. Zu der „Erklärung der Wunder-seltzamen Land-Charten UTOPIAE, so da ist / das neu-entdeckte Schlarraffenland...“ gehört auch ein Faksimile von: „Utopiae Tabula, Das ist Der Neu entdeckten Schalck Welt, oder des so offtbenannten und doch nie erkanten Schlarraffenlandes Neu erfundene lacherliche Land tabell“. Darauf auch „Creutzenach“.
Kreuznach und Schlarraffenland - das klingt vielversprechend, handelt es sich bei dieser Ausgabe doch um ein fast in Vergessenheit geratenes Kleinod der barocken Literatur. Die Fabel vom Schlarraffenland ist allbekannt, jene Mär von der verkehrten Welt, in der Milch und Honig fließen und Würste an dem Zaune wachsen. Schnebelins Schlaraffenland führt uns aber in andere Gestade: in die Königreiche der Tugenden und der Laster. Letztere sind im Übermaß vorhanden. Angeregt durch ältere Texte verballhornte der Verfasser etwa 2.000 geographische Begriffe, die in barocker Manier breitgetreten und ausgewalzt wurden, wie das nachfolgende Beispiel zeigt:
„Magni Stomachi Imperium, Oder das Fressland, des Groß-Magens Kayserthum genannt.
Dieses gewaltige Reich / so gegen Aufgang das toll und volle Meer / gegen Untergang das Schlaraffenburgische Gebiet / und Furlandiam, gegen Mittag die Landschafften der faulen Pigriten / gegen Mitternacht das versoffene Biboniam zu Nachbarn hat / ligt unter dem hitzigen Gestirn des Krebses; dahero es auch also diesem Gestirn in der Hitze gleich artet / daß die Mägen der Einwohner schier niemaln zu ersättigen. Denenselben ist zwar die Lufft dieses Landes über die massen annehmlich und gesund; dem Vieh aber / Vögeln und Fischen sehr schädlich / wie denn in denen Provintzen Schnabelweidia, Schweinlandia, Carnisolla und Fischmarchia kein Thier sein Leben weit bringen kan / sondern alle gar bald für grosser Hitze in denen Kuchen bey dem Feuer entweders an denen Spiessen gebraten / oder in den Häfen [Töpfen] sieden und verschmachten müssen...Die Völcker der Fresser sind fett und starck / von einem aufgeblasnen Angesicht / haben grosse Mäuler; dahero die hier Durchreisende keine grössere Mäuler in gantz Schlarraffenland befunden...“
Ausführliche Beschreibungen von Trinkland, Schlemmerland, Verschwenderland, „Irrigen Chymisten- oder Laboristen- und Goldmacher-Land“, Luderreich etc. erwarten den Leser, wie auch „Angstundbang“ und „Teuffelsküche“ im Höllischen Reich.
Das Schlarraffenland wird durch ,,nachdenckliche Gränz-Länder" eingeschlossen. Im Norden liegt ,,Terra Sancta Incognita", das ,,unbekannte Land der Frommen". Es ist ein ,,glückseeliges Mittag-Land" und vor den ,,blinden und wollüstigen Schlarraffen also verborgen, daß sie mit denen Frommen die geringste Freund- und Handelschaft nicht haben". Kein Wunder, dass sich dorten ,,Creutzenach" (in einer anderen Fassung ,,Crutzenah") in der Nachbarschaft von ,,Leiden" am ,,Weisheits-Flusse" befindet. In den Ort zu gelangen ist nicht leicht, gilt es doch ,,Vaulencia Regnum" zu durchqueren, ,,Blauer-Montag", ,,Fauler-Dienstag" und den ,,Bier-Fluß" zu meistern, um endlich auf dem ,,Gedults-Wege" das ,,Tugend-Gebirg" zu übersteigen. Ein lohnendes Ziel, denn in ,,Creutzenach" beginnt ,,der Weg zum ewigen Leben".
Zum Glück haben wir es hier mit dichterischer Freiheit zu tun, wie Schnebelin im Vorwort versöhnlich mitteilt:
,,Wir gebrauchen uns auch in solcher erdichteten Vorstellung dieser Schlarraffenländer / einiger / auf gewisse Weise / andern in der Welt hier und dort befindlichen Länder und Städte / den Klang und pronunciation nach zimlich gleichlautender Namen / welche aber nicht allerdings wie selbige geschrieben werden / dafür wir uns möglichst gehütet haben / unsern erdichteten Land-Charten ein desto besseres Ansehen zu machen; sollte aber / wider unser Vermuthen / in Erdichtung so vieler hundert Namen einem odern andern Ort / Provinz / Stadt / Marckflecken / Schloß oder Dorff gantz ein gleichlautendes Wort gefunden werden / so bitte hiemit /selbiges in argem nicht aufzunehmen / weiln solches ohn alle böse reflexion auf eine oder andere Stadt / Regierung / Herrschafft oder Familia im geringsten nicht geschehen..."
Die Karte des Schlarraffenlandes wurde in verschiedenen Versionen gedruckt. Sie gilt als die größte (49x157 cm) und bekannteste Phantasiekarte des deutschsprachigen Raumes. Franz Reitinger, Schlarraffenspezialist und Herausgeber der Edition, bemerkte dazu: ,,Die sich in ihr manifestierende Lust am Spiel mit Worten und Bedeutungen nimmt eine schier universale Dimension an, die nur mehr lexikalisch fassbar ist und in ihrer ausufernden Künstlichkeit jedes herkömmliche Maß sprengt." Einige der Kartendrucke wurden Atlanten des Augsburger Verlegers Johann Baptist Homann beigebunden und sind dadurch erhalten geblieben. Auch die Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek besitzt einen Homann-Atlas, leider ohne Extrablatt.
Wie auch immer: manchmal scheint auch Bad Kreuznach nicht von dieser Welt zu sein.
Nachweise
Verfasser: Jörg Julius Reisek
Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper
Edition:
- Johann Andreas Schnebelins Erklärung der Wunder-seltzamen Land-Charten UTOPIAE aus dem Jahr 1694 : Wortgetreue Transkription des Originaltextes. Bearb. von Franz Reitinger. Bad Langensalza : Rockstuhl, 2004. - 336 S. ISBN 3-936030-38-3
(Die Ausschnitte der Abbildungen wurden dem Faksimile entnommen)
Erstellt: 11.02.2010