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Mayence in napoleonischer Zeit

von Wolfgang Stumme

St. Far's Plan von Mainz. Verlegung der Mainmündung (1806/07)[Bild: Stadtarchiv Mainz]

Spätestens seit seinem Italienfeldzug 1796/97 war Napoleon Bonaparte eine der stärksten politischen Kräfte in Frankreich. Nach dem Staatsstreich von 1799 war er bis 1804 Erster Konsul der Französischen Republik, bevor er sich 1804 in der Kathedrale Notre Dame de Paris – unter Teilnahme von Mainzer Honoratioren – selbst zum Kaiser krönte.
Napoleon weilte in den Jahren 1804, 1806, 1807, 1808, 1812 und 1813 in Mayence [Anm. 1], das de facto seit dem Frieden von Campo Formio (1797) und völkerrechtlich durch den Vertrag von Lunéville (1801) Teil des französischen Staates war.
1804 war Napoleon für zwei Wochen in Mainz, so lange wie später nicht wieder. Er wurde u. a. von seinem Minister der auswärtigen Napoleon erließ in Mainz mehrere Dekrete, nahm an Konferenzen und Empfängen teil und war auch viel in der Stadt unterwegs. Er inspizierte Festungsanlagen und überprüfte die Kenntnisse Mainzer Schüler in Latein und Mathematik. Wie auch bei späteren Aufenthalten in Mainz, genoss Napoleon die Aufführungen der von Paris angereisten kaiserlichen Schauspielergesellschaft. Im ehemaligen Kurfürstlichen Marstall [Anm. 2] besuchten Napoleon und seine Frau Joséphine ‚Phädra‘ und ‚Andromache‘ – Stücke seines Lieblingsdichters Jean Baptiste Racine.
Aus Pariser Sicht war Mainz in dieser Zeit ein ‚Boulevard de l’Empire‘, ein Bollwerk an Frankreichs östlicher Grenze, das aber auch als Einfallstor nach Deutschland diente. In Mainz mit seinen 20 000 Einwohnern waren ständig 10 000 bis 12 000 Soldaten einquartiert, von denen die Hälfte in Privathaushalten untergebracht war. Hinzu kamen immer wieder Truppendurchzüge. Die Schäden durch den Beschuss der Stadt im Jahre 1793 waren noch überall zu sehen. Einige größere zerstörte Gebäude wurden abgetragen, so die Liebfrauenkirche (1803 – 1807), die Jesuitenkirche (1811), das gotische Kaufhaus (1812) und die Favorite (1813). Andere, ehemals prunkvolle Kirchen und Klöster sowie Adelspaläste wurden als Kasernen, Verwaltungsgebäude, Fabriken oder Lager- und Reithallen genutzt.

Wenn auch militärischen Belangen in napoleonischer Zeit eindeutig Vorrang eingeräumt wurde, gab es auch andere Bestrebungen, die nach dem Ende des Ancient Régime von einer neuen Elite von vermögenden und einflussreichen Bürgern, den Citoyens notables, unterstützt wurden. Großprojekte wurden geplant wie beispielsweise die Gestaltung eines Johannes Gutenberg gewidmeten Platzes und der Neubau eines Theaters.
Eustache de Saint Far, der neue „Ingenieur en chef au Corps Imperial“ des Département du Mont-Tonnere, plante auch eine kaiserliche Residenz. Die Überlegung war, das Deutschhaus, in dem heutzutage der Landtag des Landes Rheinland-Pfalz tagt, zu erweitern. Durch den erfolgten Abriss der Kanzlei (1807) und der Schlosskirche St. Gangolf (1814) war zwischen dem ehemaligen Kurfürstlichen Schloss und dem Deutschhaus bereits der notwendige Platz für den Ausbau der Residenz geschaffen worden.
Viel wichtiger war den Notabeln jedoch die Wiederbelebung der Wirtschaft, denn durch den Verlust des rechtsrheinischen Absatzgebietes war der Güterumschlag zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu 1792 um zwei Drittel gesunken. Die 1806 von Napoleon verfügte Kontinentalsperre verschärfte den wirtschaftlichen Niedergang noch.
Aus den Steinen der 1807 abgebrochenen Martinsburg wurde vor dem Schloss die Kaimauer des neuen Freihafens [Anm. 3] errichtet; so konnten erstmals Schiffe unmittelbar am Rheinufer be- und entladen werden. Das Schloss wurde zum Warenlager, und im Schlosshof wurde eine eingeschossige Zollhalle [Anm. 4] errichtet.
Der für diese Projekte zuständige St. Far hatte auf Weisung Napoleons auch eine Brücke von Mainz nach Kastel geplant. Sein ursprünglicher Entwurf aus dem Jahre 1806 sah eine Eisenkonstruktion vor. Napoleon hatte jedoch darauf bestanden, die Pfeiler aus Stein und die Bögen aus Holz auszuführen. 1812 hat Napoleon „acht Millionen Franken zur Ausführung der Brücke angewiesen, mit welcher sogleich angefangen werden soll.“ [Anm. 5] Um die ständige Versandung des Rheinufers vor den Toren der Stadt zu beenden, plante Saint Far auch, die Mainmündung nördlich um Kostheim und Kastel zu verlegen, so dass der Main flussabwärts von Mainz den Rhein auf der Höhe der Petersaue erreichen würde. [Anm. 6]
Diese Pläne sind – wie auch die zur Umgestaltung der Stadt – nicht mehr realisiert worden. Nach den katastrophalen Niederlagen im Russlandfeldzug 1812 und in der Völkerschlacht 1813 in Leipzig war Napoleon vom 2. – 7. November 1813 zum letzten Mal in Mainz. Er wohnte wieder im Deutschhaus, das er jedoch nicht verließ, aus Furcht vor dem Fleckfieber, an dem 17.000 – 18.000 Soldaten der Grande Armée und bis zu 2.500 Zivilisten starben.

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub

Verwendete Literatur:

  • Mittelrheinisches Landesmuseum (Hg.): Mainz in napoleonischer Zeit. Mainz 1982.

Aktualisiert am: 04.08.2016

Anmerkungen:

  1. Bei seinen Aufenthalten wohnte Napoleon im Deutschhaus, dem ‚Palais impérial‘. Zurück
  2. Nachdem das Adelige Gesellschaftshaus in der Großen Bleiche 26 bei der Bombardierung von Mainz im Jahre 1793 zerstört worden war, fanden Theateraufführungen in der umgebauten Reithalle des Kurfürstlichen Marstalls statt. Zurück
  3. Bis zur Einweihung des Zoll- und Binnenhafens im Jahre 1887 blieb dies der einzige Freihafen in Mainz. Zurück
  4. Neben dem Haus Nr. 1 am Gutenbergplatz ist die Zollhalle – wenn auch verändert – das einzige architektonische Zeugnis aus napoleonischer Zeit in Mainz. Zurück
  5. Mittelrheinisches Landesmuseum (Hg.): Mainz in napoleonischer Zeit. Mainz 1982, S. 120. Zurück
  6. Mittelrheinisches Landesmuseum (Hg.), a.a.O., S. 35 (Topographischer Plan). Zurück