0.Die ersten Wahlen in Mainz nach dem Zweiten Weltkrieg
von Wolfgang Stumme
0.1.Mainz als Sitz der Landesregierung
Die französische Besatzungsmacht hatte bereits am 30. August 1946 die Schaffung des Landes Rheinland-Pfalz sowie die Konstituierung einer ‚Beratenden Versammlung‘ angeordnet und Mainz zur Hauptstadt des neuen Landes bestimmt. Als ersten provisorischen Ministerpräsidenten ernannten die Franzosen Dr. Wilhelm Boden.
Da aufgrund der verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und der Requirierungen durch die Besatzungsmacht die Voraussetzungen in Mainz nicht gegeben waren, wurde vorübergehend Koblenz Sitz der Landesregierung.
Obwohl die Koblenzer gerne auf Dauer Landeshauptstadt geblieben wären, zogen Landtag und Landesregierung 1951 nach Mainz. Sitz des Landtags wurde das wieder aufgebaute Deutschhaus, in dem 1793 das erste gewählte Parlament auf deutschem Boden, der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent, getagt hatte.
Der Ministerpräsident erhielt als Amtssitz das ehemalige Neue Kurfürstliche Zeughaus.
0.2.Kommunalwahl
[Anm. 1] Nach Ende des Zweiten Weltkrieges herrschte im besetzten Mainz Hunger; es gab nach den verheerenden Bombenangriffen viel zu wenige Wohnungen; Heizmaterial war knapp; der Schwarzmarkt blühte.
Dennoch: Der Lebenswille kam allmählich zurück. Straßenbahnen und Züge fuhren bald wieder. Mit Lebensmittelmarken konnte man Brot aus Maismehl kaufen. Die von den Franzosen eingesetzte Stadtverwaltung arbeitete in der ehemaligen Kunstgewerbeschule, die die Mainzer nach dem 1857 mit Munition gefüllten und explodierten Martinsturm ‚Pulverturm‘ [Anm. 2] nannten.
Unter strikter Kontrolle der französischen Militärverwaltung konnten sich 1945 die ersten Einzelgewerkschaften gründen. Es gab wieder eine Tageszeitung – wenn auch wegen der Papierknappheit nur alle drei Tage. Der in der französischen Zone gebildete Südwestfunk strahlte seit Ende März 1946 ein Hörfunkprogramm aus. Seit Anfang des Jahres 1946 konnten sich wieder politische Parteien bilden, deren Programme sich vom Nationalsozialismus absetzten. Trotz schwierigster Umstände konnten die Kinder wieder zur Schule gehen. Die von der Besatzungsmacht in einer leer stehenden Kaserne gegründete Universität hatte das erste Semester erfolgreich absolviert.
Am 15. September 1946 durften die Mainzer sich nach zwölf Jahren blutiger Diktatur wieder in Demokratie üben. Unter der Obhut der Besatzungsmacht wählten sie ihren ersten Stadtrat. Die Wahlbeteiligung lag bei 87 %. Das Ergebnis: Christliche Demokraten 42 %, Sozialdemokraten 30 %, Kommunisten 15 %, Freie Liste Demokratie 8 %, Freie Liste für Wahrheit, Freiheit und Recht 4 %.
Bereits am 22. September 1946 wählte der Stadtrat den Oberbürgermeister sowie drei Beigeordnete. Auf Vorschlag der Christdemokraten als stärkster Fraktion wurde der am 19. August 1945 von den Franzosen eingesetzte Dr. Emil Kraus mit 30 von 36 Stimmen gewählt. [Anm. 3]
0.3.Landtagswahl
[Anm. 4] Die westlichen Siegermächte waren sich angesichts der Erfahrungen aus der Nazi-Diktatur darin einig, keine erneute Machtkonzentration zuzulassen, weshalb sie sich für eine föderale Struktur des künftigen Deutschlands entschieden.
Die 127 Mitglieder der ‚Beratenden Versammlung‘ wurden nach der Kommunalwahl von den Mitgliedern der Kreistage und der Stadträte gewählt. Die ‚Beratende Versammlung‘ erarbeite gemeinsam mit der vorläufigen Landesregierung eine Verfassung für das Land Rheinland-Pfalz.
Bei der am 18. Mai 1947 in Rheinland-Pfalz durchgeführten Landtagswahl erhielten die CDU 48, die SPD 34, die FDP 11 und die Kommunisten 8 Sitze. Als Ministerpräsident wurde Peter Altmeier gewählt, der zunächst ein Allparteienkabinett bildete.
0.4.Volksabstimmung über Verfassung und Konfessionsschulen in Rheinland-Pfalz
[Anm. 5] Bei der Wahl am 18. Mai 1947 wurde auch über den Verfassungsentwurf und die Wiedereinführung der von den Nationalsozialisten abgeschafften bekenntnisgebundenen Volksschule abgestimmt. Landesweit stimmten 53 % für und 47 % gegen den Verfassungsentwurf. Während der überwiegend katholische Norden und Westen des Landes [Anm. 6] die Verfassung mehrheitlich annahm, wurde sie in Rheinhessen und der Pfalz [Anm. 7] abgelehnt. Die Befürwortung der Konfessionsschulen fiel im nördlichen Teil des Landes noch deutlicher aus, während der südliche Landesteil die Konfessionsschule vehement ablehnte.
Die Wiedereinführung der Konfessionsschule führte zu einem jahrelangen Schulstreit. Erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurden die Konfessionsschulen – und damit auch die dadurch entstandenen Zwergschulen – von der christlichen Gemeinschaftsschule abgelöst.
0.5.Zusammenwachsen heterogener Landesteile
1947 glaubten nicht Viele an ein erfolgreiches Zusammenwachsen des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz aus ehemals preußischen, hessischen und bayerischen Teilen.
Auf längere Sicht kam dann der ‚Scharnierfunktion‘, die Mainz zwischen dem ‚Norden‘ und dem ‚Süden‘ des Landes übernahm, eine große Bedeutung zu, so dass sich eine rheinland-pfälzische Identität herausbilden konnte.
Verfasser: Wolfgang Stumme
Redaktionelle Bearbeitung: Jasmin Gröninger
Verwendete Literatur:
- Kißener, Michael: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1945 – 2005. Karlsruhe 2006.
- Kläger, Michael: Zur Geschichte der Parteien in Mainz. In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999.
Aktualisiert am: 21.07.2016
Anmerkungen:
- Kläger, Michael: Zur Geschichte der Parteien in Mainz. In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 510 ff. Zurück
- Im Oktober 1933 wurde das Gebäude am Pulverturm 13 für die ‚Staatsschule für Kunst und Handwerk‘ errichtet. Nach dem Krieg diente dieses Gebäude als behelfsmäßiges Theater, Konzertsaal und bis zur Eröffnung des Rathauses 1973 als Sitz der Stadtverwaltung. Zurück
- Nachdem die SPD die CDU bei der Kommunalwahl 1948 überrundet hatte, wurde 1949 Franz Stein als Oberbürgermeister gewählt. In seiner 16jährigen Amtszeit setzte er Prioritäten bei der Schaffung neuer Wohnungen und Arbeitsplätze. Letzteres war deshalb so dringlich, weil das Gros der früheren Arbeitsplätze unerreichbar war, denn die rechtsrheinischen Vororte lagen nun in der Amerikanischen Zone. Zurück
- Kißener, Michael: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1945 – 2005. Karlsruhe 2006, S. 83 f. Zurück
- Kißener, Michael: Kleine Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1945 – 2005. Karlsruhe 2006, S. 67 ff. Zurück
- Vor dem Krieg gehörte dieser Landesteil zum protestantischen Preußen. Zurück
- Vor dem Krieg gehörte dieser überwiegend protestantische Landesteil zum katholischen Bayern. Zurück