Der Glykol-Skandal im Jahr 1985
von Verena von Wiczlinski
Im Frühjahr 1985 ging vom österreichischen Burgenland ein Weinskandal aus, als bekannt wurde, dass Weinen zur Vortäuschung einer besseren Qualität das leicht süßliche Frostschutzmittel Diethylenglykol beigemischt worden war. Im gleichen Jahr wurde die Chemikalie auch in rheinhessischen Weinen nachgewiesen; namhafte rheinland-pfälzische Weinkellereien und Abfüller hatten seit Jahren unzulässig rheinhessische Weine systematisch mit österreichischen Weinen, darunter auch glykolbelasteten, gestreckt und als Qualitäts- und Prädikatsweine in den Handel gebracht. Damit wurde aus einem österreichischen auch ein rheinhessischer Skandal. Das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität des deutschen Weins war erschüttert: Im August und September 1985 wurden 30% weniger deutsche Qualitätsweine verkauft als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres.
Auf einer Demonstration im August 1985 vor dem Mainzer Dom protestierten rund 5.000 Winzer gegen unzureichende Importkontrollen. Durch den drastischen Einbruch des Weinabsatzes sahen sie sich in ihrer Existenz bedroht. Für den Schaden machten sie wenige Großabfüller verantwortlich, die die gesamte Branche in Verruf gebracht hatten. Erste personelle Konsequenzen zog Ministerpräsident Bernhard Vogel im selben Monat mit der Entlassung des Staatssekretärs im Landwirtschafts- und Weinbauministerium Ferdinand Stark; weitere Entlassungen bzw. Versetzungen von leitenden Beamten folgten. Im Oktober 1985 beschloss die rheinland-pfälzische Landesregierung finanzielle Hilfen für die vom Glykolskandal betroffenen Winzer in Höhe von sieben Millionen Mark im folgenden Jahr und nochmals rund drei Millionen Mark im Haushaltsjahr 1987.
Die politisch überschattete juristische Aufarbeitung des Skandals, während der es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem rheinland-pfälzischen Justizminister Peter Caesar und der Staatsanwaltschaft sowie innerhalb der Justiz kam, zog sich ein knappes Jahrzehnt hin. Der im Mai 1993 begonnene Prozess vor dem Landgericht Bad Kreuznach, in dem die Staatsanwaltschaft einen illegalen Gewinn der Weinkellerei Pieroth von 137 Millionen Mark geltend machte, endete im Mai 1994 zunächst mit einem Freispruch. Dieser wurde zwar im Juli 1995 vom Bundesgerichtshof aufgehoben, die Neuverhandlung vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Koblenz erbrachte jedoch im April 1996 die Einstellung des Verfahrens gegen die Zahlung einer Geldbuße von einer Million Mark.
Nach dem Glykol-Skandal setzte ein Prozess des Umdenkens ein: Man erhöhte die Standards der Kontrollen in Rheinland-Pfalz, ferner kam es unter der Ägide von Umweltminister Klaus Töpfer zur Trennung der Zuständigkeit von Kontrolle und Weinbau. Überdies wurde in das Qualitätsmanagement und die Ausbildung der Winzer investiert; der Bodenqualität und der Ausdünnung der Reben wird seitdem mehr Bedeutung zugemessen. Dazu entwickelte sich eine Trendwende im Geschmack: Die Nachfrage nach trockenen Weinen stieg. In der sogenannten „Gykol-Entscheidung“ stärkte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2002 überdies die Rechte der Verbraucher auf sachgerechte Information über Verbraucherrisiken durch staatliche Stellen.
Nachweise
Verfasser: Verena von Wiczlinski
Redaktionelle Bearbeitung: Ute Engelen
Erstellt: 30.08.2016
Literatur
Walter Brüders: Der Weinskandal. Das Ende einer unseligen Wirtschaftsentwicklung, Linz an der Donau 1999.
Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 26. Juni 2002, BVerfGE 105, 252 = NJW 2002, S. 2621, auszugsweise abgedruckt in: Entscheidungen zum Medienrecht. Auswahl für Studium und Praxis, hrsg. v. Frank Fechner, Tübingen 2007, S. 448-452.
Heinrich Küppers: Rheinland-Pfalz, der Wein und Europa, in: Geschichte im Westen 27 (2012), S. 211-235.
Philipp Klarmann: Qualitätsweinprüfung und Verwaltungsverfahren. Überlegungen und Lösungsansätze zu rechtlichen Problemen der Qualitätsweinprüfung unter Berücksichtigung der rheinland-pfälzischen Verwaltungspraxis, Berlin [Diss.] 2002.
Alexander Maringer: Weinrecht und Verbraucherschutz. Vom Alten Reich bis zur Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung des Anbaugebiets Mosel (Rechtsordnung und Wirtschaftsgeschichte 9), Tübingen 2014.
Heiko Stoff: Gifte in der Nahrung. Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2015.
Verena von Wiczlinski: Spätlesen aus der „Chemieküche“. Der Glykol-Skandal im Jahr 1985 und seine Folgen, in: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015, hrsg. v. Andreas Wagner (Schriften zur Weingeschichte 190), Wiesbaden 2016, S. 83-112 (bei dem hier vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine stark gekürzte und leicht geänderte Fassung dieses Aufsatzes).