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Gestern pfälzisch – heute spanisch

Oppenheim vor 400 Jahren

von Frieder Zimmermann

Nicht zeitgenössische Darstellung des zweiten Prager Fenstersturzes aus dem Theatrum Europaeum von Johann Philipp Abelinus.
Repräsentationsgemälde Friedrichs V. von Gerrit van Honthorst. Postum 1634 vollendet.

Vor genau 400 Jahren, im August 1620, erkannten die Bürger der Stadt Oppenheim mit Schrecken, dass der seit zwei Jahren tobende Krieg um die Machtverhältnisse im Reich und in Europa direkt und unaufhaltsam auf sie zukam. In Böhmen war ein Aufstand der Stände gegen den Kaiser eskaliert. In Prag wurden am 23. Mai 1618 drei kaiserliche Beamte von böhmischen Adligen aus einem Fenster der Burg geworfen, was eine Strafaktion des Reichs und in der Folge den böhmisch-pfälzischen Krieg auslöste. Der hätte sich zu Oppenheims Glück auf Böhmen beschränken können, wenn Friedrich V., Kurfürst der Pfalz und damit Oppenheimer Landesherr, der Vernunft und klugen Ratgebern gefolgt und in seinem schönen Schloss in Heidelberg geblieben wäre. Stattdessen aber ließ er sich von der wahnwitzigen Idee seiner ehrgeizigen Frau und dem Lockruf des böhmischen Adels verführen und strebte nach der Königskrone im fernen Böhmen. Gerade erst hatte Friedrich Elisabeth Stuart, die Tochter Jacobs I. von England, geheiratet, und die Königstochter wollte lieber die Gemahlin eines Königs als eines Provinzfürsten sein. Am 24. August 1619 war Elisabeth am Ziel, als Friedrich in Prag zum König von Böhmen gewählt wurde, nachdem die Versammlung der böhmischen Stände den rechtmäßigen König, den Habsburger Ferdinand, fünf Tage vorher kurzerhand für abgesetzt erklärt hatten. Vier Tage danach, am 28. August, wurde Ferdinand in Frankfurt von den deutschen Kurfürsten zum Kaiser gewählt. Damit stand auch Oppenheim auf der Seite der Feinde des Reichs. Der Landesherr hatte sich nicht nur gegen den Kaiser aufgelehnt, sondern stand auch an der Spitze der protestantischen Union und stand damit gegen das Reich, den Kaiser und die Fürsten der katholischen Liga. Friedrichs Stammland, die Kurpfalz, rückte in das Blickfeld politischer und militärischer Strategen. Der Landesherr war weg und sah in Böhmen dem baldigen Ende seiner Karriere entgegen. In der Region war eine vergleichsweise kleine Schutztruppe mit rund 24.000 Mann unter dem Kommando des Markgrafen Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach zurück geblieben. Die schlug ihr Feldlager oberhalb von Oppenheim auf, weil hier ein mögliches Einfalltor feindlicher Truppen gesehen wurde. Die Stadt war von strategischer Bedeutung, verfügte über einen Rheinübergang und war gut befestigt. Den Oppenheimer Bürgern vermittelte die Stationierung des Unionsheeres bis zum Sommer 1620 ein trügerisches Gefühl der Sicherheit.

Ambrogio Spinola um 1630. Gemälde von Peter Paul Rubens.

Zu dieser Zeit hatte bereits Spanien die Kurpfalz ins Visier genommen. Im selben Jahr war Spanien in den Krieg eingetreten mit der Absicht, die Kurpfalz zu erobern. Die Region war Station auf dem Weg von Italien in die spanischen Niederlande („Die Spanische Straße“). Auch Spanien war katholisch und unterstützte den Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gegen die protestantischen Rebellen. Im August 1620 zog Don Ambrosio Spinola (Ambrogio Spinola Doria, 1st Marquess of Los Balbases) als Befehlshaber der kaiserlichen Armee in Flandern, von den Spanischen Niederlanden an der Spitze von 23.000 Soldaten nach Süden, wandte sich in Höhe Mainz nach Osten und marschierte auf Frankfurt zu. 1569 in Genua geboren, war Spinola 1599 in die Dienste König Philipps III. von Spanien eingetreten und rasch zu einem führenden Feldherrn aufgestiegen, der auch diesmal sein militärisches Genie unter Beweis stellte. Er ließ Frankfurt sprichwörtlich links liegen und ließ nach Süden marschieren. Die Unionstruppen in Oppenheim fürchteten um die Sicherheit ihrer Stützpunkte in Worms und Frankenthal und entsandten Truppenkontingente nach Süden. Als sich Spinolas Manöver als Ablenkung erwies, wurden sie wieder zurück beordert. Die pfälzische Schutztruppe glich eher einem Hühnerhaufen als einer taktisch geschulten und professionell befehligten Einheit. Schließlich schlug Spinola sein Lager oberhalb von Nierstein auf, während Joachim Ernst sich mit den Seinen in Oppenheim verschanzte. Im August unternahmen die Spanier zahlreiche Kommandounternehmen im heutigen Rheinhessen, nahmen Städte und Dörfer ein und zogen sich wieder zurück. Die Unionstruppen blieben untätig und zogen schließlich aus Oppenheim ab, als sie fürchten mussten, von Worms und Frankenthal abgeschnitten zu werden und die pfälzischen Kernlande dann den Spaniern völlig ausgeliefert gewesen wären.

Spinola marschierte daraufhin umgehend nach Oppenheim. Die spanische Eroberung Oppenheims fand dann am 14. September 1620 statt, was den protestantischen Streitkräften in den für sie ohnehin schwierigen Anfangsjahren des Dreißigjährigen Krieges einen weiteren schweren Schlag versetzte. Die geschrumpfte protestantische Garnison mit gerade noch 800 pfälzischen Musketieren, die sich einer beeindruckenden Streitmacht gegenüber sah, gab ihre Verteidigung ohne zu zögern auf und kapitulierte. Oppenheim wurde eingenommen, die pfälzischen Soldaten wurden entwaffnet, aber freigelassen. Neben mehreren Flaggen beschlagnahmten die Spanier lediglich das Gepäck und die Waffen.

Das Hauptziel von Spinolas Truppen war es gewesen, eine Stadt einzunehmen, die es ihnen ermöglichte, Quartier, Vorräte und Munition zu sichern und sich so auf den Winter 1620/21 vorzubereiten. Die Aufmerksamkeit des Marquess hatte sich auf Oppenheim konzentriert, weil ihre Brücke den Eingang zum Herzen der Kurpfalz bewachte. Die Stadt war durch starke Befestigungen geschützt, die wegen der kampflosen Übergabe keinen Schaden genommen hatten.

Die zerstörte Rheinbrücke ließ Spinola wieder aufbauen um für militärische Bewegungen flexibel zu sein und Nachschub anlanden zu lassen. Die Region zwischen Rhein und Pfalz ließ er mit zahlreichen kleineren Garnisonen besetzen und nahm selbst Residenz in Oppenheim. Am 25. September gab es eine Konferenz der Führungsoffiziere der spanischen Armee, und an diesem Tag erfuhr man, dass die protestantische Kavallerie einen Angriff vorbereitete. Spinola beorderte Graf Hendrik van den Bergh, der 2.200 Kavalleristen und 3 Kanonen befehligte, den Angriff der Union abzuwehren, der dann aber nicht stattfand.

Zu Beginn des Winters zogen sich die gegnerischen Armeen in ihre Garnisonen zurück. Die Protestanten erhielten Verstärkung aus England, angeführt von Sir Horace Vere. In den folgenden sechs Monaten eroberten die Spanier trotzdem mehr als 30 Städte und Burgen in der Kurpfalz. In Oppenheim setzten sie sich fest bis 1631 und führten elf lange Jahre unter Spinolas Nachfolgern ein strenges und für die Bürger leidvolles Regiment. Spinola setzte seine militärische Karriere schon 1621 in den Niederlanden, später in Italien fort. Er starb im Piemont 1630. In Oppenheim folgten auf die Schweden, die unter König Gustav Adolf die Spanier vertrieben hatten, bereits 1637 erneut eine spanische Besatzung für weitere sieben Jahre. Es folgten bayerische, thüringische und noch einmal spanische Besatzungen. In den letzten Kriegsjahren vor dem Westfälischen Frieden von 1648 gaben Franzosen die Kommandos. Der Landesherr Oppenheims, der fast dreißig Jahre vorher maßgeblich mitverantwortlich war, dass die Stadt Oppenheim Kriegsschauplatz wurde, der pfälzische Kurfürst und sogenannte Winterkönig Friedrich V., war schon am 29. November 1632, zwei Wochen nach Gustav Adolf, gestorben. Seine Hoffnung, mit Hilfe des Schwedenkönigs seine Herrschaft in der Kurpfalz und damit auch über Oppenheim wieder zu erhalten, erfüllte sich nicht. Oppenheim wurde die zweifelhafte Ehre zuteil Grabstätte für die inneren Organe des toten Fürsten zu werden. Sie wurden im Westchor der Katharinenkirche beigesetzt, während der Sarg mit dem Leichnam wochenlang durch die Pfalz und das angrenzende Frankreich irrte, bis er schließlich irgendwo zwischen Metz und Sedan ankam, wo sich seine Spur verliert.

Nachweise

Verfasser: Frieder Zimmermann

Literatur:

Diese Arbeit beansprucht nicht, neue geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern. Es handelt sich dabei allein um den Hinweis auf einen bekannten Vorgang der Oppenheimer Stadtgeschichte, der sich zum 400. Mal jährt. Es wurde deshalb ausschließlich auf Informationen verfügbarer Sekundärliteratur zurück gegriffen. Quellenstudium wurde nicht betrieben.

  • Dieterich, J.R.: Reformationsgeschichte von Oppenheim. Sonderdruck aus dem Archiv für Hessische Geschichte und Alterskunde. Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte. Darmstadt 1904 (Kopie im Besitz des Verfassers).
  • Hubatsch, Walter: Deutschland zwischen Dreißigjährigem Krieg und der Französischen Revolution. Frankfurt et al. 1978.
  • Mahlerwein, Gunther: Kriegszeiten. In. Mahlerwein, Gunther: Rheinhessen 1816-2016. Mainz 2016, S. 38 ff.
  • Mann, Golo: Das Zeitalter des Dreissigjährigen Krieges. In:  Propyläen Weltgeschichte Bd. 7.1, Frankfurt a.M. Et al. 1976.
  • Ritter, Moritz: Friedrich V. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 7, Duncker & Humblot, Leipzig 1877, S. 621–627. (Kopie im Besitz des Verfassers).
  • Wernher, C.: Oppenheim. In: Rheinhessen in seiner Vergangenheit. Bd. 6, Mainz 1925.
  • Zeeden, Ernst Walter: Das Zeitalter der Glaubenskämpfe. In: Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 9. Stuttgart 5/1982

Erstellt am: 05.08.2020