Die Genossenschaftsidee ist immaterielles Kulturerbe
Was im 19. Jahrhundert zu Lebzeiten Raiffeisens überhaupt nicht denkbar erschien, wurde im 21. Jahrhundert Wirklichkeit: Gemeinsam bereiteten die Gesellschaften der beiden wichtigsten deutschen Genossenschaftspioniere einen Antrag an die UNESCO vor. Damit findet der über ein Jahrhundert währende Widerstreit zwischen den verschiedenen Genossenschaftsorganisationen auch symbolisch seinen Abschluss. Bereits 1972 schlossen sich der Deutsche Genossenschaftsverband und der Deutsche Raiffeisenverband im DGRV (Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband) zusammen. Seit Jahrzehnten kooperieren die Spitzenorganisationen mit dem Ziel, genossenschaftliche Strukturen zu verbreiten.
Die UNO hatte das Jahr 2012 zum Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Im März 2015 überreichten die Deutsche Raiffeisengesellschaft und die Deutsche Hermann- Schulze-Delitzsch-Gesellschaft der UNESCO einen Antrag auf Aufnahme der genossenschaftlichen Idee in die Repräsentative Liste des immaterielles Kulturerbes. Entsprechend dem gemeinsamen Anliegen stellten im Bewerbungsvideo Figuren von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch die Geschichte und Entwicklung der Genossenschaftsidee vor. Wichtigste Merkmale der „Kulturform“ sind die Stichworte Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Einerseits symbolisieren Genossenschaften Stabilität, Sicherheit und Kontinuität, andererseits erweisen sie sich als sehr anpassungsfähig. Heute stehen die Genossenschaften von Schülern, im Bereich der Energiewirtschaft und in kulturellen bzw. sozialen Feldern für die Zukunftsfähigkeit des Prinzips. Weltweit hat sich der Gedanke je nach den örtlichen Bedürfnissen verbreitet und gewandelt.
Am 30. November 2016 wurde die Genossenschaftsidee durch die UNESCO in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen – als erster deutscher Beitrag überhaupt. Am 11. Mai 2017 überreichte Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer vom Auswärtigen Amt den antragstellenden Gesellschaften die Urkunde der UNESCO.
Die UNESCO-Entscheidung würdigt die demokratischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen der Genossenschaftsidee. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, sprach von einer großen Auszeichnung für den Vordenker der Genossenschaftsidee Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Im Vordergrund dieser erfolgreichen Idee stehe das Wohl aller, nicht der Profit weniger. Der Erfolg der Bewerbung unterstreicht ein Motto von Raiffeisen: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele!"
Doch beim Status quo soll die genossenschaftliche Praxis nicht stehen bleiben. Am 24. Januar 2017 unterzeichneten führende Genossenschaftsverbände in Weyerbusch die „Westerwälder Erklärung", in der sie sich für die Stärkung der mittelständischen Wirtschaft und Eigenverantwortung der Bürger durch die weitere Verbreitung des Genossenschaftsgedankens aussprechen. Hierzu wird nicht zuletzt der 200. Geburtstag von Raiffeisen im Jahr 2018 genutzt.