Kulturtransfer – Learning about the enemy
Die Zeit der amerikanischen Besatzung von 1918 bis 1923 kann auch als Phase interkultureller Kommunikation zwischen Deutschen und Amerikanern betrachtet werden. Ganz anders als die Propaganda zunächst vermittelt hatte, erschienen den Amerikanern die Deutschen, etwa durch deren Liebe zu klassischer Musik, zunehmend kultiviert. Im Gegenzug konnte die einheimische Bevölkerung die kulturellen Gewohnheiten ihrer Besatzer kennenlernen, etwa bei den Horseshows oder bei regelmäßigen Platzkonzerten, welche amerikanische Militärbands mit für deutsche Ohren sicher ungewohnten Klängen auf den öffentlichen Plätzen im ganzen Besatzungsgebiet gaben.
Natürlich gab es auch kulturelle Gemeinsamkeiten, welche die Amerikaner zur Förderung einer positiven Wahrnehmung durch die Deutschen bewusst inszenierten. So wurde schon an Weihnachten 1918 unter den staunenden Augen der Zivilbevölkerung von den Doughboys ein großer Weihnachtsbaum vor dem US-Hauptquartier am Rhein aufgestellt und gezielt Geschenke an Kinder verteilt. Mit anderen, für den amerikanischen Kulturkreis typischen Festen wie Thanksgiving und dem irisch geprägten St. Patrick’s Day waren die Deutschen indes wenig vertraut. Unbekannt war ihnen ebenfalls der amerikanische Nationalfeiertag zur Unabhängigkeit am 4. Juli (Independence Day), den die amerikanischen Militärbehörden jedes Jahr mit einem großen Feuerwerk vor der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz eindrucksvoll inszenierten. Den Amerikanern waren dagegen manche katholisch geprägten Traditionen des Rheinlands fremd, etwa wenn an Karfreitag, Pfingsten und Fronleichnam Prozessionen stattfanden und die Geschäfte geschlossen blieben.
Beliebt bei den Amerikanern waren die vom Y.M.C.A. organisierten Freizeitausflüge zu den Sehenswürdigkeiten in der Region. Mit eigens herausgegebenen Reiseführern sollten die Soldaten gezielt mit der Geschichte und Kultur des besetzten Landes vertraut gemacht werden. Schließlich waren die Vorfahren nicht weniger Doughboys im 19. Jahrhundert aus Deutschland ausgewandert. Auch kulinarisch gab es Neuheiten zu entdecken. So lernten die Doughboys schon früh die deftige, kartoffellastige Küche wie auch die Weine des Rheinlands kennen. Gleichzeitig brachten die Amerikaner ihre eigene Küche mit. In vielen Cafés des Rheinlands gab es plötzlich amerikanische Pfannkuchen (Pancakes) zu kaufen. Die berühmten Donuts ließen die Amerikaner in einer eigenen Donut-Bäckerei der Knights of Columbus in Koblenz herstellen. Sogar das amerikanische Kultgetränk Coca-Cola konnte man in einer Vertriebsstelle am Koblenzer Goebenplatz kaufen – lange bevor das Getränk in Deutschland populär und schließlich ab 1929 in einem Werk in Essen produziert wurde.
Die sportlichen Aktivitäten der Truppe hatten beim amerikanischen Militär einen enormen Stellenwert. Mit Hilfe des Y.M.C.A. und der Knights of Columbus als wesentlichen Sponsoren und Organisatoren fanden vor allem in den städtischen Zentren der Besatzungszone regelmäßig große Sportveranstaltungen statt. Systematisch wurden hierzu mit hohem Aufwand eigene Sportstätten angelegt bzw. ausgebaut wie etwa auf der Halbinsel Oberwerth sowie vor dem Kurfürstlichen Schloss in Koblenz. Einen sportlichen Höhepunkt markierte hierbei der im April 1919 ausgetragene Third Army Carnival auf der Halbinsel Oberwerth. Für dieses Event wurden sogar die Koblenzer Schulen geschlossen. Unter den Augen von 100.000 Zuschauern, wie die Zeitung Stars and Stripes vermeldete, wurden drei Tage lang hochkarätige Wettkämpfe in den unterschiedlichsten sportlichen Disziplinen ausgetragen, begleitet von Pferde-, Motor- und Flugzeugshows, bei denen jedoch durch den Absturz eines Piloten auch Todesopfer zu beklagen waren. Fortan nannten die Amerikaner Oberwerth Carnival Island und errichteten dort die ersten dauerhaften Sportstätten im Rheinland.
Auch bei der Vermittlung des American Way of Life nahm der Sport, den die amerikanischen Militärbehörden gezielt in der Öffentlichkeit inszenierten, einen zentralen Platz ein. Mit den Amerikanern wurden somit auch völlig neue Sportarten wie Basketball, Football oder insbesondere Baseball im Rheinland bekannt und sorgten zunächst für befremdliche Blicke bei der deutschen Bevölkerung. Der vielleicht erste Baseballplatz in Deutschland wurde bereits im März 1919 in Mayen auf Kosten der Eifelstadt für die Doughboys errichtet. Da zahlreiche der professionellen und zum Teil berühmten amerikanischen Profispieler als Soldaten in der Besatzungszone stationiert waren, entstand im Rheinland ein ganz eigenes Baseball-Liga-System. Hier fanden hochkarätige Begegnungen statt, über die sogar in den Stars und Stripes in New York ausführlich berichtet wurde. Ein im Mai 1919 in Neuwied ausgetragenes Spiel mit zahlreichen deutschen Zivilisten unter den Zuschauern, avancierte in der amerikanischen Presse gar zur offiziellen Einführung des Baseballsports in Deutschland. Die enorme Bedeutung, die dieser amerikanische Nationalsport während dieser Jahre der amerikanischen Besatzung genoss, belegt die Einrichtung einer eigenen Baseball-Schiedsrichterschule auf Initiative der Kolumbusritter in Koblenz. Für den Direktorenposten konnte William Paul Coughlin (1878–1943), ein nationaler Baseballprofi, der als „the maestro of the hidden ball trick“ für seine innovative Technik bereits damals in den Staaten als Star der Szene galt, in die Rheinlande gelockt werden. Das zur Zeit des Ersten Weltkrieges in Deutschland noch kaum verbreitete Sportboxen sorgte ebenfalls für Aufmerksamkeit, wenn die Amerikaner unter dem Jubel Tausender deutscher wie amerikanischer Zuschauer regelmäßig Kämpfe in der Öffentlichkeit austrugen.