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Armand Stiegelmann

Chemiker und Direktor der Textilfärberei der BASF. Führte 1918-1924 Tagebuch. Geb. 1874 in Straßburg, gest. 1925 in Argentières (Frankreich).

Porträt Armand Stiegelmanns[Bild: BASF Corporate History, Ludwigshafen a.Rh.]

Am 6. Oktober 1918, dem Tag der Bekanntmachung des Angebots der Deutschen Regierung an Präsident Wilson über die Aufnahme von Friedensverhandlungen, begann Dr. Armand Julius Stiegelmann in Ludwigshafen unter dem Eindruck der Ereignisse ein Tagebuch, das er mit dem Titel Kleine Erinnerungen für die Kinder (gemeint sind seine Kinder René und Lydia) überschrieb. Die Aufzeichnungen enden ein Jahr vor Stiegelmanns plötzlichem Tod am 26. August 1925 mit dem Abzug der „Separatisten“ und dem Ende eines neunwöchigen Arbeiterstreiks in der BASF.

Armand Stiegelmann war zu Beginn seiner Aufzeichnungen 44 Jahre alt und lebte und arbeitete als leitender Angestellter bei der BASF in Ludwigshafen. Er wurde am 7. Mai 1874, drei Jahre, nachdem Frankreich im Vorfrieden von Versailles auf Elsaß-Lothringen verzichtete, in Straßburg als Sohn des Schafzüchters Friedrich Adolf Stiegelmann und der Sofie Stiegelmann, geborene Otto, geboren.

Ausbildung und Berufstätigkeit Stiegelmanns führten ihn von seiner Geburtsstadt Straßburg über Zürich in die Badische Anilin und Sodafabrik (BASF) nach Ludwigshafen. Nach seinem Besuch der Realschule in Straßburg absolvierte er 1890 bis 1891 das Polytechnische Privatinstitut in Straßburg zur Vorbereitung auf das Polytechnikum (später ETH Zürich). 1895 erhielt er dort das Diplom als technischer Chemiker und promovierte schließlich ebenfalls an der ETH Zürich im Jahr 1897. Am 1. Oktober 1897 trat er, wie aus den Verzeichnissen der Chemiker der BASF hervorgeht, in die BASF ein und kam dann 1898 in den dortigen Indigobetrieb. Stiegelmann, dessen Verbundenheit zu seiner Heimat Straßburg im Tagebuch immer wieder zum Ausdruck kommt, erhielt dort schließlich die Beförderung zum Direktor, obwohl er zuvor die von ihm seitens des Vorstandes der BASF geforderte Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ablehnte.

Im Rahmen seiner Arbeit in der Textilfärberei der BASF führten ihn zahlreiche, teils wochenlange Dienstreisen nach Europa, Nordamerika (hier führte er das künstliche Indigo ein), Asien und Afrika. Einen Hinweis darauf, wie ungewöhnlich weit gereist Stiegelmann für seine Zeit war – und eine Erklärung seines sich im Tagebuch offenbarenden weltoffenen Blicks auf das Zeitgeschehen – geben die Chemikerverzeichnisse des Unternehmensarchivs der BASF, die die im Werk in Ludwigshafen übliche Praxis belegen, die besten Mitarbeiter für längere Zeit ins Ausland zu schicken, um diese mit dem globalen Verkaufsnetz aus erster Hand bekannt zu machen. Diese sogenannten „auswärtigen Chemiker“ waren in den Städten Bombay, Brüssel, Leipzig, Mailand, Manchester, Moskau, New York, Paris, Warschau, Wien und Zwittau, und in den Ländern Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, China, Japan, Mexiko, Rumänien, Spanien, Syrien und der Türkei auf Geschäftsreisen unterwegs.

Französisches Militär besichtigt die BASF in Ludwigshafen, November 1919[Bild: BASF Corporate History, Ludwigshafen am Rhein]

Wie aus dem Tagebuch weiter hervorgeht, konnte in der Färberei-Abteilung in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, bedingt durch die Besetzung durch das französische Militär, durch Streiks und durch den passiven Widerstand nur unter großen Schwierigkeiten, wochenlang sogar überhaupt nicht, gearbeitet werden – sicherlich eine große Belastung auch für Stiegelmann. Wie unmittelbar bedroht in dieser Situation die Direktoren persönlich waren, zeigt die Reaktion der Arbeiter auf das – angesichts steigender Unternehmensgewinne überaus ungeschickte – geringe Entgegenkommen seitens der Direktion in den Tarifverhandlungen 1920: Sie stürmten im Mai 1920 das Verwaltungsgebäude ohne Rückendeckung der Gewerkschaften und des Betriebsrats und erzwangen nach einem blutigen Handgemenge mit vier Direktoren die Zusage weiterer Verhandlungen. Wie bedrohlich die Lage für die Direktoren war, kommt im Tagebuch Stiegelmanns immer wieder zum Ausdruck und wird noch durch einen Blick in die Chemikerverzeichnisse des Unternehmensarchivs der BASF, in denen sich Hinweise auf die vergleichsweise geringe Anzahl der Direktoren im Verhältnis zu der großen Zahl der übrigen Beschäftigten finden, verdeutlicht. So waren im Jahr 1915 im Werk in Ludwigshafen 215 Chemiker und sechs Direktoren, 8.000 Angestellte und 20.500 Arbeiter beschäftigt.

Armand Stiegelmanns differenzierter Blick auf die französischen Besatzer und die politischen Ereignisse, der sich in seinem Tagebuch offenbart, ist frei von nationalistischer Propaganda und sicherlich mit seinen zahlreichen Reisen, aber auch mit seiner Verbundenheit zu seiner Geburtsstadt Straßburg erklärbar, die sich sowohl in seinem Beharren auf seine französische Staatsbürgerschaft als auch in der Wahl seiner letzten Ruhestätte – Straßburg – zeigt.                                               

Verfasserin: Nina Reinhard-Seelinger
Erstellt am: 02.11.2022