Bibliothek

Christian Erbach

Leon Brandmüller, Kohlezeichnung

Geb. um 1570, gest. im Juni 1635.

Christian Erbach wurde um 1570 als Sohn von Berthold Erbach (Erbacher) in Gau-Algesheim am Rhein geboren. Über seinen Werdegang ist wenig bekannt, insbesondere fehlen dokumentarische Belege für einen vermuteten Studienaufenthalt in Venedig. Er selbst sagt, er habe sich "von jugent auf der lieben kunst der music beflissen." Zu seinen ersten Lehrern zählte vermutlich Johannes Wigand, Ludirector in Erbachs Heimatort, doch sind hierzu noch keine Quellen überliefert. So ist die Veröffentlichung einer fünfstimmigen Litanei Erbachs im zweiten Buch von Georg Victorinus' "Thesaurus litaniarum" die älteste bislang dokumentierte Erwähnung des Komponisten. Er war zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bereits Organist an der Augsburger Hofkapelle von Marx Fugger d. J. (1565-1614); 1600 widmete er seinem Mäzen das erste Buch der "Modi sacri", das auch ein achtstimmiges "Votum nuptiale" enthält, komponiert zur Hochzeit Fuggers mit Maria Salome von Königsegg am 16. November 1598. Rückschlüsse über die Verbindung Erbachs mit Fugger und dessen Mäzenatentum lassen sich aus der Widmungsvorrede des genannten Drucks entnehmen. Erbach stellte seine Tätigkeit an der Hofkapelle erst 1614 nach Fuggers Tod ein. 1602, anlässlich seiner Heirat mit Leonore Brechler, wurde er aus der kurmainzischen Leibeigenschaft entlassen und erwarb die Augsburger Bürgerschaft.

Nach Hans Leo Hasslers Weggang aus Augsburg übernahm Erbach 1602 mehrere von dessen einstigen Positionen. Am 27. März wurde er Stiftsorganist am Kollegiatsstift von St. Moritz, am 2. Juni zum Organisten der Reichsstadt Augsburg und zugleich zum Haupt der dortigen Stadtpfeifer berufen, ein Dienst, den er sich mit Hasslers ehemaligem Assistenten Jakob Baumann teilte. Seine Beziehungen zu Augsburg baute er mit mehreren Widmungsvergaben der folgenden Jahre aus. Im Jahr 1603, in dem sein Sohn Christian geboren wurde, brachte ihn eine schwere Krankheit an den Rand des Grabes; im Vorwort zu seinem zweiten Motettenbuch merkte er an: "Surrexi ergo non tam de lectulo quam tumulo (ich bin nicht so sehr vom Bett erstanden als vom Grab)." Es folgte eine Periode große kompositorischer Aktivität. Zwischen 1604 und 1606 entstanden seine Modorum sacrorum tripertiorum. Das dreibändige Werk, gedruckt bei Adam Meltzer in Dillingen, enthält allein 51 Sätze des Messpropriums für das Kirchenjahr. Mit insgesamt 150 Motetten umfasst es ungefähr die Hälfte von Erbachs Choralkompositionen.

Thomas Maurer, Diözesansynode im Augsburger Dom 1610, DMA 2154 (Detail), Diözesanmuseum St. Afra/Augsburg

Seine Tätigkeit in Augsburg wurde in den Jahren 1609, 1614 und 1620 verlängert. Im Herbst 1610 wirkte er als Dommusiker bei der Augsburger Diözesansynode mit. Ein zeitgenössisches Ölgemälde von Thomas Maurer, heute im Diözesanmuseum Augsburg , zeigt nach Adam Gottron (siehe Literatur) auf der rückwärtigen Sängerempore die Domkapelle um Bernhard Klingenstein geschart. Die Sänger tragen Chorröcke, die Instrumentalisten gewöhnliche Kleidung. Unter letzteren ist Christian Erbach und spielt ein sog. Regal, eine Portativorgel.
Sein Amt als Stiftsorganist an St. Moritz gab er auf, nachdem er am 26. Februar 1625 als Nachfolger von Erasmus Mayr zum Augsburger Domorganisten bestimmt wurde, dessen Vertreter er bereits seit 1614 gewesen war.
Erbach erwarb sich großes Ansehen als Orgelsachverständiger und Pädagoge. Der Ausbildung von Schülern widmete er ab 1612 immer mehr Zeit, womit William K. Haldeman (siehe Literatur) den Rückgang seines kompositorischen Schaffens erklärt. Zu seinen Schülern zählten Johann Aichmiller, Daniel Bollius, Jakob Denzler, Melchior Garenhirsch, Johann Gesell, Georg Hecht, Johannes Klemm, Georg Philipp Merz, Johannes Mozart, Heinrich Pfendner, Renatus Sprengnotter, Christoph Stoz und Felix Zimmermann. Wie der Stadtpfeifer Philipp Zindelin berichtet, verlangte er, dass jeder seiner Schüler ein "clavicordi oder instrument habe, darauff er teglich sein exercitum habe, ...auch ein cartell oder eselshaut, ...darauf der lernen dann contrapunct und componiern".
Nach der Besetzung Augsburgs durch schwedische Truppen im 30-jährigen Krieg im April 1632 (im Zuge der Neubesetzung des Großen Rates der Stadt mit Protestanten musste Erbach seinen Sitz darin räumen, den er im Jahre zuvor erst eingenommen hatte) verschlechterte sich zusehends die finanzielle Lage des Domorganisten. Er wurde aus Geldmangel am 9. Juni 1635, kurz vor seinem Tod, entlassen und starb noch im gleichen Monat. Am 7. September erhielt seine Witwe die letzte Quartalszahlung.
Erbachs Einfluss auf die Musik seiner Zeit erwuchs maßgeblich aus seiner Tätigkeit als Lehrer. In dieser Hinsicht kommt ihm im oberdeutschen Raum eine Rolle zu, die mit der von Jan Pieterszon Sweelinck im Norden durchaus vergleichbar ist. Auch als Sachverständiger für Fragen des Orgelbaus prägte Erbach die süddeutsche Musiklandschaft. Kompositorisch beschäftigte er sich sowohl mit Instrumental- als auch mit Vokalmusik. Unter seinen etwa 150 Stücken für Tasteninstrumente nehmen die Toccaten, die Canzonen und Ricercare - in dieser Reihenfolge - den meisten Raum ein. Die Toccaten bestehen größtenteils aus typischem Passagenwerk, gelegentlich mit kontrapunktischem Mittelteil. Vereinzelte toccatenhafte Elemente finden sich auch in Erbachs Canzonen, die sonst an Canzonen für Ensembles angelehnt sind. Den Toccaten ähnlich sind seine Introitus-Kompositionen, die im autograph überlieferten Tabulaturmanuskript aus Wolfenbüttel von kurzen, polyphon einsetzenden Versus gefolgt werden. In seinen Ricercars setzt Erbach zwar häufig mehrere Soggetti ein (meist zwei, teils auch bis zu vier; Stücke mit nur einem Soggetto sind in der Minderzahl), doch werden sie meist schon am Beginn in kontrapunktischer Koppelung oder als Aneinanderreihung zweier später getrennter Soggetti kombiniert vorgestellt, um im Lauf des Stücks in verschiedenen Zusammenstellungen aufgegriffen zu werden. Übliche Derivate des Soggettos (durch Umkehrung, Augmentation oder Diminution) werden von Erbach nur spärlich verwendet, oft enden die Stücke mir toccatenhaften Schlussformeln.

Herzog Friedrich I. von Pommern

Ebenso wie diese Kompositionen für Tasteninstrument sich in die Grundlinien der Rezeption venezianischer Musik in Augsburg einfügen - wie auch bei Hassler oder Aichinger - zielen die mehrchörigen Vokalwerke Erbachs (paradigmatisch die zwei Bände der "Modi sacri" von 1600 und 1603) vor allem auf die doppelchörigen Kompositionen von Andrea Gabrieli und beeinflussten die Etablierung der Mehrchörigkeit in Süddeutschland. Die zeitgenössische Verbreitung von Erbachs Chorsätzen erweist sich nicht zuletzt an der Häufigkeit, mit der sie zu seinen Lebzeiten in Sammeldrucken des 16. und 17. Jahrhunderts auftauchen und auch in Musikalieninventaren dieser Zeit genannt werden. Ob Kompositionen von Erbach in dem mechanischen Orgelwerk des zwischen 1610 und 1617 in Augsburg im Auftrage Herzogs Philipp I. von Pommern hergestellten sog. Pommerschen Kunstschrankes verwendet wurden, ist umstritten. Mit seinem Werk, das die Grenzen eines satztechnisch bescheidenen geistlichen Standardrepertoires der Zeit des öfteren durchbricht und erweitert - nicht zuletzt resultierend aus den Anforderungen, die aus Erbachs hervorgehobenen Wirkungsstätten erwuchsen -, fasste der Komponist zeitgenössische Rezeptionstraditionen italienischer Musik zusammen, ohne auf eine modernisierende Weiterentwicklung des Tradierten größeren Wert zu legen.
In den Wirren des 30-jährigen Kriegs ging mit Erbachs Tod Augsburgs "Goldenes Zeitalter" zu Ende. Die Bevölkerungsstatistik zeigt das Chaos anschaulich in dürren Zahlen: In den letzten beiden Lebensjahren Erbachs kamen nach Haldeman in der Stadt durch Hunger, Krieg und Pest 11.903 Personen um, während nur 1.566 geboren werden.

Nachweise

Verfasser: Bernhard Freund

Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Bärenreiter-Verlags bearbeitet nach dem Personenartikel „Erbach von Christoph Hust und Ernst Fritz Schmid“ in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 6, Kassel etc. 2001, Sp. 402-406; hier auch weitere Literatur.