Jacob Hirschmann
Geb. 1803, gest. 1865.
Verheiratet war Jacob Hirschmann mit der 18 Jahre jüngeren Katharina Herzog. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, drei Mädchen und ein Junge. Zwei Kinder, der Sohn und ein Mädchen verstarben noch vor der Mutter (+1851). Hirschmann heiratete ein Jahr später Elisabeth Simon, die ihm einen Sohn und ein Mädchen gebar.
Als der spätere Dichter und Bürgermeister am 1. Februar des Jahres 1803 geboren wurde, gehörte Sprendlingen wie das gesamte linke Rheinufer zu Frankreich. Im Frieden von Campo Formio 1797 hatte Kaiser Franz II. gegenüber Frankreich auf die linksrheinischen Reichsgebiete verzichtet.
In den Jahren des Umbruchs der territorialen und politischen Verhältnisse beschrieb sich Jacob Hirschmann selbst wie folgt: Ich wurde dadurch, dass ich so frühzeitig zur Arbeit angehalten wurde, sehr gelenkig und gewandt; meine Kräfte bildeten sich aus, und es gab nicht leicht einen Knaben von meinem Alter, der stärker, gewandter und kräftiger gewesen wäre, als ich. Im Sommer 1813, also 10 Jahre alt, pflügte ich mit zwei Ochsen schon im schwersten, ungeschlachtetsten Boden. Ich weiß noch recht gut, daß ich nicht größer war, als dass ich im Aufrechtstehen mit der Schulter unter den Handgriffen am Pflugsrehe gehen konnte, und so den schweren Pflug aus der Furche hob und herum wendete.
Den Ort Sprendlingen haben wir uns noch begrenzt von einem Dorfgraben vorzustellen, mit Pforten am Ortseingang (Schmittstraße und Gertrudenstraße) und zum Teil noch ohne die uns in der Gegenwart vertraute Bausubstanz.
Noch gab es keine Industrie- und Neubaugebiete, keine Trennung von Wohnen und Wirtschaften oder Geschäftstraßen im heutigen Sinne. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten die für Sprendlingen bis heute wirkenden Veränderungsprozesse ein.
Jakob Hirschmann lebte von 1803 bis 1865 in Sprendlingen. Sein Geburtshaus steht noch in der Getrudenstraße (heute Schlecker-Markt/ zuvor Scholl). Auch der nächste Wohnsitz, den er nach dem Tod des Vaters 1841 erwarb - das Anwesen in der Backhausstraße 3 - ist noch erhalten. Unterdessen ist ein zentraler Platz an der Wiesbachbrücke nach dem Bürgermeister und Dichter benannt und eine Gedenktafel dort angebracht. Der alte Grabstein auf dem Friedhof ist durch eine andere Grabplatte ersetzt. Auf der Rückseite des Grabsteins befand sich eine von Hirschmann selbst verfasste Inschrift:
Die Wahrheit sucht' ich früh, / die Tugend liebt ich stets, / Rechtschaffenheit war stets mir heilige Gesetz; /
Und bin zuweilen ich der Torheit Bahn gewandelt, / Mit Willen hab ich nie treulos und falsch gehandelt. /
Gott war mir heilig, war stets mein Gebet und Lied, / Und seine Gegenwart erfüllte mein Gemüt. /
Durch Christus Gott zu nah'n / War täglich mein Bestreben,
/ Dies war mein höchstes Ziel, / der Zweck von meinem Leben.
In der statistisch-topographischen Beschreibung des Großherzogtums Hessen von Georg Wilhelm Justin Wagner von 1830 findet sich folgende Darstellung über den Ort Sprendlingen:
Sprendlingen (Canton Wöllstein) evangel. und katholisches Pfarrdorf; liegt an dem Wisbach 1 St. von Wöllstein, und ist ein schönes Dorf mit einer großen breiten Straße. Mit St. Johann bildet Sprendlingen eine Gemeinde, die aus 384 Häusern besteht und 2021 Einwohner hat, unter welchen 1532 Evangel., 357 Kath. und 132 Juden sind. Man findet zwei Kirchen, 1 Kapelle vor dem Ort und zu dem vormaligen Bothenheimer Hof gehörig, 2 Schulhäuser, 1 Synagoge, 2 Rathäuser und 2 Mahlmühlen mit einer Ölmühle. Die Gemarkung treibt einen starken Weinbau, und gewinnt am Wisberg ziemlich guten Wein. In der Nähe von Sprendlingen befindet sich das Schlachtfeld (Michel Mortfeld) mit einem Denkmal des Michel Mort aus Kreuznach, der 1279 hier im Kampf für eine gerechte Sache seines Fürsten, des Grafen Johann von Sponheim fiel, indem er ihn mit seinem Leben von schmälicher Gefangenschaft rettete. - Der Ort gehörte zur vorderen Grafschaft Sponheim, die Baden und Churpfalz gemeinschaftlich war. Bei der Aufhebung dieser Gemeinschaft 1707, kam Sprendlingen an Churpfalz allein.
Jacob Hirschmann beschrieb ebenfalls seinen Heimatort:
Sprendlingen, ein ziemlich regelmäßig angelegtes wohlhabendes Dorf in Rheinhessen, zählt ca. 1800 Einwohner, und einige mehr als 300 Häuser. Ungefähr drei Viertheile der Einwohner bekennen sich zur evangelischen, und ein Viertheil zur katholischen Konfession. Jedoch befinden sich hier auch mehrere Judenfamilien. [...] Von 1809 bis 1830 war Sprendlingen ohne ordentliche Kirche, und die kirchliche Andacht wurde entweder im Dorfe auf dem Rathause oder in einer vor dem Dorf liegenden kleinen Kapelle verrichtet. 1820 und 1821 wurde im Dorfe eine neue Simultankirche erbaut, diese aber wegen schlechter Arbeit in einen Prozeß gerieth, der erst 1829 beendigt, und die Kirche folglich im November 1830 eingeweiht wurde. [...] Die Bewohner Sprendlinges bilden im Allgemeinen eine Klasse fleißiger, ökonomisch-thätiger und stets vorwärts strebender Menschen. Lebhaften, stets regen Geistes, fließt rasch und leicht das Blut in ihren Adern, welchen Charakter überhaupt in Rheinhessen hervorsticht, und genau mit dem Clima, der Cultur und den Erzeugnisse des Bodens verbunden ist. Neben den Erzeugnissen des Ackerlandes liefern die Rebenhügel in Sonnenjahren viel Wein, und der Genuß desselben erzeugt Geistesheiterkeit, muntre Laune und leichtbeschwingte Phantasie. Witz und Satire ist der Hauptcharakterzug der Rheinhessen; und deshalb findet man darum auch viele Naturdichter, die zwar nicht ausgebildet, ihre angeborene Gabe vielfach beurkunden.
Jacob Hirschmann begegnet uns in der Überlieferung zunächst als Chronist, Publizist und Dichter und dann seit 1849 als Bürgermeister in seinen Huldigungsgedichten als treuer Untertan seines Großherzogs, und daran wird es wohl auch keinen Zweifel gegeben haben.
Ein kleiner Hinweis auf die Zeitumstände sei im folgenden wiedergeben. Im Jahre 1849 schrieb der neugewählte Bürgermeister an die Großherzoglich Hessische Regierungscommission in Mainz: Da im Jahr 1848 die Umlagen auf die Gemeinde Sprendlingen und St. Johann eine bedeutend hohe Summe betrugen und die Bürger Erleichterung wünschten, so hat sich der Gemeinderath bewogen gefunden, mehrerer projektierte Bauten als Schulhausbau und Straßenbau zu unterlassen, und wurde daher im Jahre 1848 nur wenig Communalsteuer erhoben. Das Jahr 1849 ist in Beziehung auf Geld- und Erwerbsverhältnisse für den Bürgerstand noch nicht besser geworden, deshalb der Gemeinderath noch manche, nicht dringenden Sachen verschieben und eine Niederschlagung eines Theils der Umlagen von 1848 - nämlich die Hälfte der 2ter Klasse, beantragen möchte.
Zu den ersten Amtsgeschäften Hirschmanns gehörte wohl die Trennung der Ortsteile von St. Johann und Sprendlingen , die sich über mehr als 10 Jahre hinweg zog. Die endgültige Trennung der Gemeinden kam am 28. Januar 1860. Im Großherzoglichen Regierungsblatt Nr. 26, vom 24. August 1861 wurde die Entscheidung öffentlich bekanntgemacht. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der zweite St. Johanner Markttermin – Ende August- als Marktermin für Sprendlingen festgelegt.
Einige kleinere Hinweise auf die Fortentwicklung Sprendlingens finden sich in den von Jacob Hirschmann sauber geführten Gemeindeprotokollen, die regestenartig mit Nummer und Datum die Amtsgeschäfte des Bürgermeisters dokumentieren. Leider ist auch diese Quelle zur Ortsgeschichte nur noch in Auszügen oder in Kopie vorhanden.
Auf Drängen der Gemeindebewohner setzte sich Jacob Hirschmann am 4. März 1850 für die geplante Einrichtung einer Apotheke in Sprendlingen ein, und bat die Regierung, die ins Stocken geratenen Verhandlungen wieder anzustoßen: Laut Zuschrift vom 20. August d. J. [...] erhielt die Gemeinde Sprendlingen die Nachricht, daß höchsten Orts die Errichtung einer Filialapotheke in loco Sprendlingen bewilligt worden. Sei und Hr Apotheker Reuling in Wöllstein den Auftrag hat das Erforderliche zur baldigsten ordnungsgemäßen Errichtung derselben vorzukehren und darum vollständige Herstellung möglichst zu beschleunigen. Die Gemeinde Sprendlingen und die nahen Nachbargemeinden freuen sich, nun bald den Zweck erreicht zu haben und eine Apotheke in ihre Nähe zu bekommen. Allein heute, nach Verlauf von einem Jahr, steht die Sache noch, wie sie vor langer Zeit stand.
1855 setzte mit der Gründung der Ziegelei Schnell die Entwicklung der Sprendlinger Ziegelindustrie ein. Die handwerkliche Töpferei oder Hafnerei hatte aufgrund der geologischen Voraussetzungen schon ein längerer Tradition im Dorf.
Zu den Fabriken kamen nun die Dampfmaschinen. Am 10. März 1860 notierte Jacob Hirschmann: „Der hiesige Schuleistenfabrikant Johann Schnell VIII., welcher sein Geschäft mit einer Maschine betreibt, deren Erfinder er auch ist, beabsichtigt nun zum einfacheren und zweckmäßigeren Betrieb seines Gewerbes eine Dampfmaschine anzulegen und bittet um die Genehmigung seines Vorhabens. Er hat seine Kundgebung bei uns zu Protokoll erklärt, das wir beifügen. Wenn sein Werk zweckmäßig und alle Feuergefahr beseitigend haben wird, so dürfte sein Gesuch gefördert werden.
Mit dem Einzug von Dampfmaschinen, dem Bau von Fabrikschornsteinen und dem Bahnanschluss hob sich Sprendlingen nun deutlich von vielen seiner nur agrarisch strukturierten Nachbarort ab. Als Amtssitz und als Marktflecken entwickelte sich der Ort fortan zu einem kleinen Wirtschaftszentrum mit einer sehr differenzierten Bevölkerungsschichtung: Winzer- und Bauern, Geschäfts- und Handelsleute, Arbeiter, Tagelöhner, Unternehmer und Beamte, hinzu kamen die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Der 1840 unter Mitwirkung Hirschmanns gegründete Männergesangverein, ein Gewerbe- und Kulturverein stellen quasi unmittelbare Verbindungen in die Lebenszeit Hirschmanns her. Nur noch in wenigen Überresten hingegen sind die Reste der einstigen industriellen Ziegeleiproduktion erkennbar, die 1855 in Sprendlingen begann. Diese Industrialisierung des Ortes erhielt einen wichtigen Impuls durch den Beginn des Bahnbaues im Jahre 1863. Der Zuckerrübenanbau brachte Geld in die rheinhessischen Dörfer, die sich in einer oft herrschaftlichen und repräsentativen Baukultur ausdrückt. Zahlreiche Bauten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geben auch in Sprendlingen beredtes Zeugnis dieser Entwicklungen.
Blicken wir noch kurz auf ein ganz Deutschland berührendes Ereignis zurück – die Schillerfeier von 1859 zu Ehren des 100. Geburtstages des Dichters. Es würde zu weit führen, hier die Hintergründe dieser Feiern im allgemeinen darzustellen. Zu bemerken ist lediglich, dass es sich hier um durchaus politisch inspirierte Veranstaltungen handelte. In Preußen beispielsweise war die Lektüre des Klassikers in den Schulen im Jahre 1852 verboten worden. Für das Sprendlingen von Bedeutung war die Anlage einer Baumallee um die Kirche, deren Überreste bis ins ausgehende 20. Jahrhundert erhalten geblieben waren. In der Einladung zur Feier am 10. November 1859 hieß es: Heute wird wie in vielen deutschen Städten und Orten auch hier Schillers 100jähriger Geburtstag gefeiert. Die Feier beginnt heute Nachmittag um 4 Uhr mit einem Festumzug auf dem Rathausplatz, wo eine Reihe von Lindenbäumen angepflanzt wird, die den Namen Schillerallee erhält. Dabei eine Festrede, Gesang, Musik und eine Salve Freudenschüsse. Hierauf ein Fackelzug durch die Hauptstraßen, Festreden, Tänze. usw.
Jacob Hirschmann war es aber nicht vergönnt, den Aufbruch in ein neues industrialisiertes Zeitalter zu erleben, doch hat die Gemeinde diesem rührigen Bürgermeister sicher zahlreiche Impulse zu verdanken – nicht zuletzt die Tatsache, dass er Sprendlingen über seiner engeren Grenzen hinweg bekannt gemacht hat. Jakob Hirschmann starb an den Folgen einer schweren Erkältung, die er bei den Löscharbeiten während eines Brandes zugezogen hatte.