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Wilhelm Emmanuel von Ketteler

Mainzer Diözesanbischof mit einer Amtszeit 1850-1877, geb. 1811, gest. 1877.

Der westfälische Adlige, geboren am 25.12.1811 in Münster, hatte sich schon vor seiner Wahl zum Bischof von Mainz einen Namen als Repräsentant eines neuen politischen und sozialen Katholizismus gemacht: als Armenpriester in Westfalen, als Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848-1849, als Redner auf dem 1. Deutschen Katholikentag in Mainz (1848). Intensiv förderte er alle karitativen Maßnahmen zur Beseitigung der aktuellen Not. 1851 gründete er die "Genossenschaft der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung für Schule und Krankenpflege" ("Finther Schwestern").
Ketteler erkannte, dass mit karitativen Maßnahmen allein die Not der lohnabhängigen Bevölkerung nicht mehr zu bewältigen sei und forderte in seinen Reden und Schriften staatliche Interventionen und Gesetze, um die Auswüchse des Wirtschaftsliberalismus zu beschneiden und ungerechte Strukturen zu beseitigen. Ebenso förderte er die Bildung von katholischen Arbeitervereinigungen. Er starb am 13.7.1877 in Mainz und wurde im Dom beigesetzt.

Ausführliche Biographie

Joseph Görres

Wilhelm Emmanuel von Ketteler, 1811 in Münster geboren, entstammte einem alten westfälischen Adelsgeschlecht. Ab 1824 besuchte der etwas schwierige und cholerische Junge das von Jesuiten geleitete Internat in Brig/Wallis. Sein Abitur bestand er mit durchschnittlichem Ergebnis 1829 in Münster. An den Universitäten Göttingen, Berlin, Heidelberg und München studierte er Rechts- und Staatswissenschaften. Nach Ableistung des Militärdienstes und Ablegung des Referendarexamens trat er in den preußischen Staatsdienst ein.
Das "Kölner Ereignis" von 1837, das zur Verhaftung von Erzbischof Klemens August von Droste zu Vischering führte, veranlasste ihn, den Staatsdienst zu quittieren. Er wollte nicht einem Staat dienen, der die Gewissensfreiheit seiner Bürger missachtete und in das Selbstbestimmungsrecht der Kirche eingriff. Nach einer Bedenkzeit von drei Jahren entschloss er sich, Priester zu werden. Von 1841-1843 studierte er in München Theologie. Er gehörte dem Kreis um den Historiker und Publizisten Joseph Görres an, der engagiert den kulturellen, politischen und sozialen Katholizismus in seinen Schriften propagierte. Am 1.7.1844 wurde Ketteler in Münster zum Priester geweiht.

Frankfurter Paulskirche

Seine erste Stelle als Kaplan in Beckum (Westfalen) machte ihn mit der Armut und dem Leid vieler einfacher Leute bekannt. Er betrieb mit Erfolg die Einrichtung eines Krankenhauses für die unteren Schichten. Von 1846 bis 1848 arbeitete er als Pfarrer in der verarmten, 2000 Seelen umfassenden Pfarrei Hopsten. Hier war er mit allen Formen des sozialen Elends konfrontiert. Entschlossen setzte er sich für die Notleidenden ein. Diese Erfahrungen als Seelsorger und Sozialarbeiter haben ihn entscheidend geprägt.
Ketteler gehörte als Abgeordneter eines westfälischen Wahlkreises der deutschen Nationalversammlung an, die am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammengetreten war. Er setzte sich für die Freiheit der Person, der Versammlung und der Vereinigung - und damit für die Kirchenfreiheit - ein. Seine Gedenkrede am Grab der während der Frankfurter Unruhen am 18. September ermordeten Abgeordneten erregte großes Aufsehen. Ketteler sprach in ihr die ethischen Grundlagen einer gerechten Staats- und Gesellschaftsordnung an. Im Oktober 1848 hielt er auf dem ersten Katholikentag in Mainz eine Rede über die soziale Not und rief die Kirche auf, sich für ihre Beseitigung zu engagieren. Die sechs im Mainzer Dom gehaltenen Adventspredigten veröffentlichte er 1849 unter dem Titel "Die großen socialen Fragen der Gegenwart"

Im Frühjahr 1849 wurde er als Propst an die Kirche St. Hedwig in Berlin berufen und zum Bevollmächtigten des Breslauer Fürstbischofs für Brandenburg und Pommern - diese Gebiete gehörten damals zur Diözese Breslau - ernannt. Bereits ein halbes Jahr später ernannte ihn Pius IX. zum Bischof von Mainz. Obgleich er ein entschiedener Vertreter der Kirchenfreiheit war, pflegte er gute Beziehungen zur hessischen Staatsregierung und war auch zu vertretbaren pragmatischen Kompromissen bereit. Allerdings richtete er 1851, ohne vorher die Regierung zu informieren, im Mainzer Priesterseminar wieder eine theologische Lehranstalt ein und entzog damit der Katholischen Theologischen Fakultät an der Landesuniversität in Gießen die Existenzgrundlagen. Er sah in der Priesterausbildung eine ausschließlich kirchliche Aufgabe.
Er konnte mehrere Ordensgemeinschaften bewegen, sich im Bistum Mainz niederzulassen und gründete selbst 1851 die "Genossenschaft der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung für Schule und Krankenpflege" ("Finther Schwestern"). Er baute in Absprache mit der Darmstädter Regierung die katholische Bekenntnisschule aus. Kontakte zu der katholischen Bevölkerung fand er auf seinen zahlreichen Firmreisen. Er veranlasste eine umfangreiche Restaurierung des Mainzer Domes. Aktiv widmete er sich weiterhin den sozialen Herausforderungen seiner Zeit. Sein Buch »Die Arbeiterfrage und das Christentum« erschien 1864 und fand eine weite Verbreitung. Ketteler erkannte, beeinflusst von Ferdinand Lassalle, dass eine Lösung der "sozialen Frage" mit karitativen Aktionen allein nicht möglich sei, dass vielmehr sozial- und gesellschaftspolitsche Maßnahmen zu ergreifen seien, um die ungerechten Strukturen zu verändern. Der Arbeitsmarkt dürfe nicht länger ein Sklavenmarkt sein. Er forderte daher den Staat auf, durch Gesetze zur Verbesserung der Lage der Arbeiter beizutragen. Er schlug vor, die Arbeiter am Gewinn zu beteiligen und Produktiv-Assoziationen einzurichten.

Ketteler erkannte, dass die Schaffung einer gerechteren Gesellschaftsordnung eine Gesinnungsreform voraussetzte. Dies hieß aber in seinem Verständnis: Verwirklichung eines entschiedenen Christentums. In seinen Reden vor Handwerksgesellen in Mainz, vor dem deutschen Episkopat in Fulda und vor allem in seiner berühmten Predigt "Die Arbeiterbewegung und ihr Streben im Verhältnis von Religion und Sittlichkeit" vor 10.000 Arbeitern auf der Liebfrauenheide bei Offenbach am 25. Juli 1869 rief er zu einer Veränderung der sozialen Verhältnisse auf. Seine Forderungen an Staat und Wirtschaft konzentrierten sich auf Maßnahmen zum Arbeiterschutz, und zwar auf die Zahlung eines gerechten Lohnes, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Gewährung von Ruhetagen, das Verbot der Kinderarbeit, die Abschaffung der Fabrikarbeit von Müttern und jungen Mädchen. Der "Arbeiterbischof" war kein Revolutionär, er wollte konkrete Reformen und eine an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Sozialpolitik. Den Staat machte er mitverantwortlich für die soziale Verelendung, weil diese die liberalistische Wirtschaftsordnung ohne sozialen Ausgleich duldete. Deshalb sprach er sich für die staatliche Intervention und die Bildung von Gewerkschaften aus.
Sein Einsatz für das Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit der Kirche richtete sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. So wandte er sich gegen die Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes in Lehrentscheidungen. Vorzeitig verließ er im Juli 1870 mit 55 weiteren Gegnern der Dogmatisierung das Erste Vatikanische Konzil. Er unterwarf sich aber der Konzilsmehrheit und veröffentlichte die Konzilsdekrete in seiner Diözese.
1871 wurde er als Abgeordneter des badischen Wahlkreises Tauberbischofsheim in den ersten deutschen Reichstag gewählt und wirkte an der Entstehung des Zentrums, der Partei des politischen und sozialen Katholizismus, mit. Den bald ausbrechenden Kulturkampf konnten weder er noch die Zentrumsfraktion verhindern. Im Mai 1877 nahm er in Rom an den Feiern zum 50jährigen Bischofsjubiläum von Pius IX. teil. Auf der Heimreise erkrankte er an einer Lungenentzündung. Er starb am 13. Juli 1877 im oberbayerischen Kapuzinerkloster Burghausen.

Investieren Sie in Menschlichkeit!" so lautet der Aufruf der am 21. November 2001 gegründeten "Wilhelm Emmanuel von Ketteler-Stiftung", die als karitative Gemeinschaftsstiftung für das Bistum Mainz die karitative soziale Arbeit fördern will.