Ein Ingelheimer inszeniert barocke Opernwelten - Opernregisseur Hanns Niedecken-Gebhard begründet Händel-Renaissance
von Pia Steinbauer
Was verbindet den gebürtigen Ingelheimer Dr. Hanns Ludwig Niedecken-Gebhard mit dem großen Barockkomponisten Georg Friedrich Händel?
Es ist die Liebe zur Barockmusik - und Niedecken-Gebhard machte sich nicht nur als Opernregisseur einen großen Namen, sondern gilt auch als einer der Väter der Händel-Renaissance in den 1920er Jahren. Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Oskar Hagen brachte Niedecken-Gebhard erstmals seit dem Tode Georg Friedrich Händels im Jahre 1759 wieder dessen Opern auf die Bühne und begründete damit die Händel-Festspiele in Göttingen.
Händels musikalisches Vermächtnis
Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde Georg Friedrich Händel (1685-1755) meist einseitig interpretiert, oft nur auf seine Kirchenmusik reduziert. Dabei hinterließ Georg Friedrich Händel neben 600 Kompositionen und 30 Oratorien auch 42 Opern und gilt als der größte europäische Barockkomponist.
Händel schrieb seine Musik mit großer Leidenschaft, aus eine Fülle von Vorstellungen heraus. Insbesondere Opern und szenischen Oratorien leben von der Musik und ihrer visuellen Darstellung. In seiner Musik hat Händel sich nie auf eine bestimmte Form beschränkt. Musikalisch vereinte er italienische, englische, französische und deutsche Stile, sogar das Volkslied war für ihn eine Quelle der Inspiration.
Händels Wiederentdecker
Der tiefgreifenden Musik und den gewaltigen Opern Händels hat sich auch Niedecken-Gebhard verschrieben. Am 4. September 1889 wurde er in Ober-Ingelheim geboren. Hier besuchte er die Höhere Bürgerschule, später das Herbstgymnasium in Mainz. Die Musik war es, die den gebürtigen Rheinhessen in seinen ersten Studienjahren ins Ausland zog. Im schweizerischen Lausanne nahm er im Wintersemester 1907/08 ein Musikstudium (Violine/Theorie) auf. Später wechselte er an das Königliche Konservatorium der Musik in Leipzig und an die Universität Halle. Neben der Musik studierte der junge Ingelheimer in Halle noch Kunstgeschichte, Germanistik, Rechtswissenschaft und Philosophie. In Halle lernte Niedecken-Gebhard Oskar Hagen kennen und dessen Begeisterung für die Opern Händels.
Sein Studium schloss Niedecken-Gebhard an der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg mit einer musikwissenschaftlichen Dissertation über den Tänzer Jean Georges Noverre ab. Noverre war der bedeutendste Tänzer und Choreograph des frühen 19. Jahrhunderts, der sich gegen das starre höfische Ballett wandte und für eine Reform des Bühnentanzes eintrat. Reformen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer künstlerischen Weiterentwicklung des Tanzes fortsetzten. Eine Entwicklung, die der junge Niedecken-Gebhard mit Interesse aufnahm und in seine Regiearbeiten einfließen ließ.
Der moderne Tanz, der Ausdruckstanz, galt als die Emanzipation des klassischen Balletts. Er zeigte sich expressiv und natürlich, aber auch virtuos und technisch vollkommen. Im Zuge dieser Entwicklung begann die theoretische Auseinandersetzung mit dem Tanz und der Tanzkultur, mit der sich Niedecken-Gebhard nun intensiv auseinandersetzte.
Händel, Niedecken-Gebhard und die Festspiele in Göttingen
Das Jahr 1920 steht im Musiktheater für die Wiederentdeckung der Händelopern. Seit dem Tode des großen Komponisten hatte es keine Aufführungen seiner Opern mehr gegeben, aber nach fast 190 Jahren Bühnenabstinenz erlebte Händels Oper „Rodelinde“ unter dem Humperdinck-Schüler Oskar Hagen in Göttingen eine bahnbrechende Wiederaufführung. Als Dirigent und Organisator stellte Oskar Hagen die Oper „Rodelinde“ auf eine expressionistisch gestaltete Opernbühne und gab ihr mit rhythmisch inszenierten Chören ein neu-barockes Gesicht.
Mit der „Rodelinde“-Aufführung im Jahre 1920 löste Hagen eine Bewegung aus, die das ganze Land ergriff und als „Göttinger Händel-Renaissance“ in die Geschichte einging.
1922 holte Hagen seinen Studienkollegen Niedecken-Gebhard nach Göttingen. Niedecken-Gebhard, der als Regieassistent bei Ernst Lert an der Oper Frankfurt arbeitete, nahm diese Herausforderung an. Von 1922 an und - mit einigen Unterbrechungen - bis zu seinem Tode am 7. März 1954 sollte Niedecken-Gebhard als Oberspielleiter der Göttinger Händelfestspiel wirken und diese entscheidend prägen. Als Bühnenbildner standen Niedecken-Gebhard der expressionistisch beeinflusste Paul Thiersch und später der vom Kubismus geprägte Heinrich Heckenroth zur Seite, die musikalische Leitung hatte viele Jahre Fritz Lehmann inne.
Niedecken-Gebhard galt in Göttingen als der Wegbereiter einer szenischen Wiederbelebung der Händelopern. In abstrakten, expressionistisch geprägten Bühnenräumen entfaltete er ein Beziehungsgeflecht von Musik, Bewegung und Raum. Prägendes Element der von Niedecken-Gebhard inszenierten Händelopern war die starke Betonung choreographischer Elemente. Der „tänzerische Stil“, die Bewegung als eine Form der Inszenierung im musiktheatralen Raum, prägte Gebhard-Niedeckens Vorstellungen von einer neuen Opernkunst. Auf der Bühne schaffte er monumentale Bilderwelten, in dessen Mittelpunkt er dreigeteilte Chöre stellte, denen betrachtende, dramatische und tänzerische Aufgaben zufielen. Niedecken-Gebhard machte den Tanz als Element der Musik zum zentralen Punkt eines neuen Theaters. Auf tänzerischem Gebiet ist Niedecken-Gebhards Wirken eng mit der Arbeit bedeutender Repräsentanten des Ausdrucktanzes wie Mary Wigman, Gret Palucca und Kurt Jooss verbunden. Die Inszenierung von Händelopern sollten bis zu seinem Tode im Jahre 1954 im Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens stehen.
Neben der Oberspielleitung der Göttinger Festspiel hatte Gebhard-Niedecken von 1922 bis 1924 auch die Oberspielleitung an den Städtischen Bühnen Hannover inne, war von 1924 bis 1927 Intendant des Stadttheaters Münster und führte Regie in Berlin und Genf. Von 1931 bis 1933 wirkte er als Oberspielleiter an der New York Metropolitan Opera. Zwischen 1936 und 1939 inszenierte er zahlreiche große Festspiele, wie beispielsweise das Festspiel im Berliner Olympiastadion zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936. Von 1941 bis 1944 leitete er die Deutsche Tanzbühne in Berlin, zudem wirkte er an der Städtischen Bühne in Leipzig. Er lehrte ab 1936 an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin und ab 1941 an der Staatlichen Hochschule für Musik in Leipzig. Ab 1947 war er Dozent für Theaterwissenschaften in Göttingen.
Nachweise
Verfasser: Pia Steinbauer
Quellen:
- Rolland, Romain: Händel (Biographie). Zürich 1960.
- Diehl, Wolfgang: Ingelheimer Chronik 1900-1950, Verlag Paul Gise KG, 1974
- Schwaen, Kurt: Erinnerungen an die Tänzerin Mary Wigman, Sonderheft, Kurt-Schwaen-Archiv, 2006
- www.sk-kultur.de/tanz, Stand: 06.07.2007
- www.haendel-festspiele.com (Händelfestspiele Göttingen), Stand: 28.03.2007