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Was Kriegerdenkäler können

Ein Beitrag zum Tag des offenen Denkmals 2023

Kriegerdenkmal zu Ehren der Gefallenen des deutsch-französischen Krieges 1870/71
Kriegerdenkmal zu Ehren der Gefallenen des deutsch-französischen Krieges 1870/71[Bild: Thomas Napp]

Es ist ein unscheinbarer kleiner Obelisk, der auf dem Plateau zwischen der Hauptstraße, Auf Staffels und der Bürresheimer Straße in Rheinbreitbach steht. Darauf abgebildet ist das Abbild von Kaiser Wilhelm I., umrandet von einem Lorbeerkranz und dem Eisernen Kreuz. Im unteren Teil sind die Namen von zwei Rheinbreitbachern eingetragen, die bei Gravelotte und St. Quentin in Frankreich den Tod gefunden haben. Die Inschrift lautet: „Zur Erinnerung an die im glorreichen Feldzug 1870/71 gefallenen Krieger Georg Küpper und Theodor Runkel.“ Es handelt sich um das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges 1870/71.

Wer vor dem Denkmal verweilt, kann zunächst oberflächlich gesehen nichts mit dem Obelisken anfangen. Wer jedoch genauer hinsieht, kann eine vielfältige und spannende Geschichte mit vielen wechselnden Deutungen dahinter erkennen. Ursprünglich wurde das Denkmal kurz nach der Gründung des Kaiserreichs 1870/71 als Verehrung und Erinnerung an die „gefallenen Helden“ von Rheinbreitbach errichtet, die für die Einigung Deutschlands ihr Leben gelassen hatten. Die Menschen sahen es damals als Heldentum an, wenn sich ein einzelner Mensch für eine größere Sache hingab. Dementsprechend wurde sein Vermächtnis glorifizierend auch weiter in der Gesellschaft durch Kriegerdenkmäler wachgehalten. Ob die Gefallenen dies ebenfalls so sahen, kann wohl angezweifelt werden, da oftmals nur die bürgerlichen Milieus diesem Heldenkult zugetan waren. Der einfache Bauer oder Arbeiter vom Land war froh, wenn er seine Felder bestellen und sein Leben einigermaßen bestreiten konnte. Doch durch den verpflichtenden Militärdienst, der durch Preußen im Rheinland eingeführt worden war, mussten eine bestimmte Anzahl Soldaten von jedem Ort in den Kampf, erst gegen Österreich (1866) und später gegen Frankreich, ziehen. Diese Kriege führten dazu, dass Deutschland als vereinte Nation in einem Kaiserreich unter dem preußischen König Wilhelm I. zusammengeführt wurde. Diesen Plan hatte sich Otto von Bismarck, der als der erste deutsche Realpolitiker gilt, ausgedacht und geschickt umgesetzt. Er hatte damit die vorwiegend im Bürgertum lauter werdende Forderung aufgenommen, endlich einen deutschen Nationalstaat mit eigener Verfassung zu gründen.

Otto von Bismarck 1886
Otto von Bismarck 1886[Bild: gemeinfrei]

Aus diesem Grund wuchsen neben zahlreichen Kriegerdenkmälern auch viele Bismarckdenkmäler empor, so wie es in Rengsdorf beispielsweise mit dem Bismarckturm der Fall ist.

Aus den Einigungskriegen gründeten sich auch zahlreiche Kriegervereine, die es sich zur Pflicht machten, die Denkmäler in Erinnerung an die Gefallenen Kameraden zu pflegen und Feste zu den nationalen Feiertagen (wie dem Sedanstag oder dem Kaisergeburtstag) auszurichten.

Es entstand ein Kult, der sich als Freiheits- bzw. Einigungskampf bezeichnen lässt und die Teilnehmer des Feldzuges mit Stolz erfüllen sowie der Gesellschaft die militärische Stärke des geeinten Deutschlands bewusstmachen sollte.

Otto von Bismarck wusste jedoch zu diesem Zeitpunkt, dass mit den Einigungskriegen die Sorge bei den anderen europäischen Nationen geschürt worden war, das neue deutsche Kaiserreich wolle militärisch weiter expandieren. Zudem fürchtete er die Rache Frankreichs, welches durch den Deutsch-Französischen Krieg nicht nur militärisch, sondern auch politisch in eine tiefe Krise gestürzt worden war. (Stichwort Pariser Kommune – eine spontane regionale Revolutionspartei in Paris, die zwischen März und Mai 1871 die Stadt gegen den Willen der konservativen Regierung sozialistisch verwaltete).

Aus diesem Grund betonte Bismarck immer wieder bis zu seiner Entlassung 1890, dass das Deutsche Reich keinerlei Interesse an einer weiteren Expansion habe. Gleichzeitig schuf er ein kompliziertes Bündnisnetz, welches Frankreich vom Rest Europas isolierte. Er setzte damit die preußische Denkungsweise fort, die einen militärischen Überfall auf preußisches bzw. deutsches Kernland verhindern sollte. Denn das Trauma der Preußen und der Grund für deren jahrhundertelange militärische Aufrüstung lag darin begründet, dass das preußische Kernland im dreißigjährigen Krieg arg verwüstet worden war. Das oberste Ziel des preußischen Militärs war daher die Abschreckung und die Abwehr jedes potentiellen Feindes. Dies konnte nur mit modernster Militärtechnik und einer perfekt gedrillten und disziplinierten Armee erreicht werden, die über Jahrhunderte ihres gleichen suchte und später zur Bürde Deutschlands werden sollte.

Mit dem Tod von Kaiser Wilhelm I. 1888 und der Abdankung Otto von Bismarcks 1890, übernahm Kaiser Wilhelm II. die Macht in Deutschland. Seine Politik war nationalistisch und imperialistisch ausgerichtet und setzte auf Expansion anstatt auf den Erhalt des Status Quo. Die Friedensbündnisse wurden daher nicht mehr mit den Nachbarstaaten erneuert – Frankreich dadurch aus der Isolation befreit. Ein übersteigerter Militarismus zog in Deutschland ein, der die Gesellschaft zur Geisel des Militärapparates machte. Ein Wettkampf um Ressourcen und Ländereien begann. Jede Nation rüstete militärisch immer weiter auf. Die Stimmung innerhalb der Kriegervereine schlug um und wurde immer nationalistischer. Die Kriegerdenkmäler der Einigungskriege wurden umgedeutet als heroische Vorbilder, deren man nacheifern sollte. Deutschland müsse sich seinen „Platz an der Sonne“ (frei nach Wilhelm II.) erkämpfen.

Angriff deutscher Soldaten bei der Schlacht von Verdun 1916
Angriff deutscher Soldaten bei der Schlacht von Verdun 1916[Bild: gemeinfrei]

Das spannungsgeladene Wettrüsten entlud sich dann letztlich im August 1914 im 1. Weltkrieg. Millionen Menschen starben auf den Schlachtfeldern an der Grenze zu Frankreich und Russland. Ganze Landstriche wurden auf Jahrzehnte verwüstet. Menschen wurden wie Material auf den Landkarten hin und her verschoben und an der Front verheizt. Diese Zeit verlangte den Menschen nicht nur an der Front, sondern auch zu Hause alles ab. Eine knappe Nahrungsmittelversorgung und Rationierungen gehörten zum Alltag der Zivilbevölkerung. Es gärte unter den Soldaten sowie der Zivilbevölkerung. Als im November 1918 dann die Revolution losbrach, der Kaiser abdankte und eine Republik ausgerufen wurde, entwickelte sich schnell aus nationalistischen und monarchischen Kreisen die „Dolchstoßlegende“ heraus, die behauptete, dass die „heldenhaften siegreichen deutschen Truppen“ von den Demokraten hintergangen worden seien, indem diese Verhandlungen mit den Alliierten aufnahmen, einen Waffenstillstand herbeiführten und den Versailler Vertrag unterschrieben.

Die Konsequenz hieraus war, dass Deutschland einen Teil seiner Gebiete im Osten verlor sowie Teile des Rheinlands von Franzosen, Amerikanern, Briten und Belgiern besetzt wurden. Dies galt als ein Verrat an den Helden von 1870/71 und den Toten des 1. Weltkrieges, die tapfer für die Einigung und später für die Verteidigung Deutschlands gestritten hatten.

Gleichzeitig entwickelte sich aber durch die Weimarer Republik eine Gegenbewegung, die die Soldaten der Kriege von 1870/71 sowie des 1. Weltkrieges als Opfer einer nationalistischen, imperialistischen und militaristischen Politik sahen. Deshalb wurde 1925 der Volkstrauertag eingeführt, um den „Toten zu Gedenken und die Lebenden zu mahnen“. Diese Entwicklung folgte aus dem Schrecken des 1. Weltkrieges, den jeder in Deutschland (und auch in anderen Ländern) in irgendeiner Weise durch den Verlust eines Bruders, eines Sohnes, eines Vaters oder eines Bekannten persönlich erfahren hatte.

Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges 1914-1918 aus Rheinbreitbach
Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges 1914-1918 aus Rheinbreitbach[Bild: Thomas Napp]

Das Kriegerdenkmal von 1870/71 wurde somit bis 1924 ein Anlaufpunkt für die Menschen in Rheinbreitbach, um auch den Gefallenen des 1. Weltkrieges nicht blind als Helden zu gedenken, sondern sie auch als Opfer zu sehen. Daraus resultierend wurde ein Denkmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs errichtet, welches auf einer Bronzetafel die Namen der Gefallenen von Rheinbreitbach sichtbar macht.

Doch der Ansatz die Gefallenen als Opfer von Militarismus und Nationalismus zu sehen, konnte sich nur bei den demokratischen Kräften durchsetzen. In rechtskonservativen und nationalistischen Kreisen wurde mit der Dolchstoßlegende weiterhin am Verrat der heldenhaften deutschen Frontkämpfer festgehalten. Die Gefallenen waren hierbei zwar auch in gewisser Weise Opfer, deren Ehre allerdings (z.B. durch einen neuen, siegreichen Krieg) wiederhergestellt werden musste, damit ihr Heldentod nicht sinnlos gewesen sei. Die Nationalsozialisten griffen diesen Kerngedanken sowie die Enttäuschung der Menschen über den verlorenen Weltkrieg auf, übernahmen die Macht in Deutschland und begannen im September 1939 den 2. Weltkrieg, u.a. in der Hoffnung nun die „Ehre“ der gefallenen deutschen Soldaten des 1. Weltkrieges wiederherzustellen.

Auch im 2. Weltkrieg ließen abermals viele Rheinbreitbacher ihr Leben. Der Krieg in Rheinbreitbach endete erst mit dem Durchmarsch der US-Armee im März 1945. Jedem Einwohner war (im Gegensatz zum 1. Weltkrieg) nun klar, dass Deutschland und seine Soldaten den 2. Weltkrieg verloren hatten. Der propagierte Heldenmythos war vollkommen in die Brüche gegangen.

Mit dem Untergang des Dritten Reichs im Mai 1945 sowie die Gründung der Bundesrepublik Deutschland begann eine neue Sicht auf die Gefallenen der vorangegangenen Kriege. Durch die schmerzlichen Erfahrungen des 2. Weltkrieges setzte sich langsam, aber sicher die Ansicht durch, dass die Gefallenen aller Nationen Opfer des Krieges seien, um die man gemeinsam trauern solle. Hieraus entstand unter anderem die bis heute andauernde deutsch-französische Freundschaft. 

Natürlich gab es auch hier rechtsgerichtete Initiativen, die wiederum versuchten, einen Heldenmythos zu etablieren, indem zum Beispiel Regimentskameradschaften betonten, dass sie im 2. Weltkrieg bis zum Schluss ihre Stellung gehalten hätten.

Der Tränenbaum in Rheinbreitbach dient als Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges
Der Tränenbaum in Rheinbreitbach dient als Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges[Bild: Thomas Napp]

Durch die Aufklärung der Bundesrepublik bezüglich der Gräueltaten der Nationalsozialisten in den 1960er Jahren, konnte sich dieser Mythos jedoch nicht nachhaltig etablieren. Die Erinnerung an die Gefallenen als Opfer steht hierbei mittlerweile im Mittelpunkt. Dies spiegelt sich auch in dem Denkmal für die Gefallenen des 2. Weltkrieges wider, der als Tränenbaum von der lokalen Künstlerin Helene Ramershoven geschaffen wurde. Es etablierte sich die gesellschaftliche Einstellung, dass nie wieder ein Krieg ausbrechen und solche Opfer verursachen darf. Nationalismus, Imperialismus und Militarismus dürften nie wieder einen Platz in der Gesellschaft haben.

Diese Überzeugung nahm sogar so radikale Züge an, dass Kriegerdenkmäler von 1870/71 sowie aus dem 1. Weltkrieg entfernt (beispielsweise in Erpel) oder in den 1980er Jahren mit Graffiti beschmiert wurden als beispielsweise der Golfkrieg ausbrach. In Rheinbreitbach sah man wohl den einstigen aus Metall gefertigten Preußenadler mit Krone, der auf dem Obelisken für die Gefallenen des Kriegerdenkmals von 1870/71 befestigt war, als Ausdruck einer nationalistischen Gesinnung an, weshalb man ihn bei Renovierungsarbeiten wohl verschrotten ließ. Überhaupt ist es ein Wunder, dass das Kriegerdenkmal von 1870/71 diese Zeit überstanden hat, da an seinen ursprünglichen Standort der heutige Tränenbaum gesetzt wurde. Aus historischer Perspektive kein passender Umgang, da man die Wort- und Interpretationshoheit über preußische Symbole und deren ursprünglicher Herkunft nun links- oder rechtsradikalen politischen Kräften überlässt, die diese entweder im Namen einer „damnatio memoriae“ verteufeln oder überspitzt verherrlichen. Eine sachliche Auseinandersetzung des normalen Bürgers mit der eigenen Geschichte wird durch die fehlende Symbolik somit verhindert. Es bleibt abzuwarten, ob nicht in Zukunft dieses wichtige Detail des Kriegerdenkmals wieder dort oben auf der Spitze seinen Platz findet. Schließlich ist der Bundesadler auch in der Tradition des Preußenadlers bis heute das Wappentier der Bundesrepublik Deutschland.

Es wird auch abzuwarten bleiben, wie der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland die Gedenkkultur in Deutschland verändern wird. Mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine 2022 begann nach über 75 Jahren Kriegsende wieder ein kriegerischer Konflikt in Europa. Die Gedankengänge vieler Länder und deren Einwohner gehen nun wieder in die Richtung, was getan werden sollte, wenn das eigene Land angegriffen wird. Die Frage lautet, ob ich mein eigenes Leben für die Demokratie, das eigene Land und menschliche Grundwerte geben würde. Häufig wird hierbei auf das preußische Urprinzip zurückgegriffen, welches Bismarck bereits im Kopf hatte: Eine schlagkräftige Armee bereitzuhalten, die jeden Gegner schon im Vorfeld abhält anzugreifen. Denn “Wer den Frieden will, der bereite den Krieg vor“. Das wussten schon bereits die alten Römer. Aber ob dies die passende Lösung ist, um Kriege und deren Opfer zu verhindern, dies sei dahingestellt. Walter Benjamin meinte 1926 bereits hierzu: „Wer Frieden will, der rede vom Krieg.“ Und diese Funktion erfüllen die Kriegerdenkmäler als Mahnmale bis heute.

Nachweise

Verfasser: Napp, Thomas

Redaktionelle Bearbeitung: Bugert, Jonathan

Verwendete Literatur:

  • Müller, Helmut: Schlaglichter der deutschen Geschichte. Bonn 2007.
  • Napp, Thomas: Ein Dorf im Großen Krieg. Rheinbreitbach 1914 bis 1918. Rheinbreitbach 2014.
  • Napp, Thomas: Für Gott, König und Vaterland! Zum 150. Jahrestag des deutschen Kaiserreiches in Rheinbreitbach und Umgebung. In: www.regionalgeschichte.net, URL: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/napp-zum-150-jahrestag-des-deutschen-kaiserreichs-in-rheinbreitbach-und-umgebung.html (aufgerufen am: 11.10.2023).
  • Nipperday, Thomas: Deutsche Geschichte 1866 bis 1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist. München 1990.
  • Nipperday, Thomas: Deutsche Geschichte 1866 bis 1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. München 1992.
  • Theweleit, Klaus: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Männerphantasien. Bd. 1. Frankfurt 1978.
  • Ziemann, Benjamin: Soldaten. In:Enzyklopädie des 1. Weltkrieges. Hrsg. von Gerhard Hirschfeld; Gerd Krumeich; Irina, Renz. Stuttgart 2008. S. 155-168.

Aktualisiert am: 11.10.2023