0.Trier im Ersten Weltkrieg
0.1.Der Kriegsbeginn
„Wohl niemals haben die Straßen Triers eine so gewaltige vaterländische Begeisterung gesehen wie an jenem Hochsommernachmittag. Dröhnende Hurrarufe pflanzten sich durch die Stadt fort, die Volksmengen sangen „Heil Dir im Siegerkranz“, „Deutschland, Deutschland über alles“ und vor allem „Die Wacht am Rhein“. Wie ein Taumel vaterländischer Begeisterung war es über diese Menschenmassen gekommen, ähnlich wie ein jauchzender Jubel. Wildfremde Menschen schüttelten sich die Hände, alte Gegner versöhnten sich auf offener Straße, die ganze Stadt fühlte sich als eine einzige große Familie, als stolzes Glied des deutschen Reiches.“ [Anm. 1]
Mit Bildern der Feierlichkeit und des Aufbruchs beschreibt ein Beobachter den 1. August des Jahres 1914: den Kriegsbeginn in Trier. Wie auch im übrigen Reich versammeln sich die Einwohner der Stadt an jenem Hochsommertag auf den Straßen und Plätzen, um auf das kaiserliche Signal zur patriotischen Entrüstung, zur Lösung aller aufgestauter Kriegsanspannung und –hoffnung: auf das später in der bürgerlichen Literatur so häufig verklärte „Augusterlebnis“ zu warten. Die historische Forschung ist schon seit langem dazu übergegangen, den euphorischen Stimmen, die sich zu Kriegsbeginn auftaten, kritisch zu begegnen, nicht mehr blind der Vorstellung einer umfassend kriegsbegeisterten Gesamtgesellschaft zu folgen. Insbesondere in der städtischen Arbeiterschaft und in der Landbevölkerung ist im Gegenteil von einer verhaltenen bis ängstlichen Reaktion auf die sich anbahnende Zeitenwende auszugehen. Die bestehenden (und wie sich zeigen sollte: berechtigten) Ängste vor Teuerung und Lebensmittelknappheit lassen sich in einem Bericht der Trierischen Landeszeitung vom 29. Juli greifen: „Die Kriegsnachrichten haben schon recht unangenehme Erscheinungen im Geschäftsleben unserer Stadt hervorgerufen. Abgesehen von dem Andrang zu den Sparkassen, um Guthaben abzuheben, sind schon viele Konsumenten recht unbesonnen und haben die ruhige Überlegung oder, wie man zu sagen pflegt, den Kopf verloren. Mit großen Waschkörben gehen die Konsumenten in die Konsumhäuser und zu den Kaufleuten und kaufen in Unmengen ein: Salz, Zucker, Kaffee, Zwiebeln, Kartoffeln usw. .“ [Anm. 2]
Noch am selben Tag, an dem man in den Fenstern der Zeitungsverlage das entscheidende Telegramm des Kaisers ausgehangen hatte („Der Kaiser hat die Mobilmachung der Armee und Marine befohlen. Der erste Mobilmachungstag ist Sonntag, 2. August.“), sollte mit der feierlichen Prozession des 7. Rheinischen Infanterieregimentes Nr. 69 zum Westbahnhof, von begeisterten Volksmengen begleitet, die gemächliche zivile Existenz der preußischen Provinzstadt Trier zu Grabe getragen werden: In den folgenden Kriegsjahren und noch weit darüber hinaus wird die Allgegenwart des Soldatischen das Stadtbild prägen. Schon am Tage, an dem man den Zustand allgemeiner Mobilisierung verkündigt hatte, reihen sich vor den beiden preußischen Kasernen der Stadt Freiwillige in langen Schlangen auf. Soldaten besetzen auch die Moselübergänge, womit die Stadt praktisch entlang des Flusses in zwei Teile gespalten wird, da die Flussschifffahrt eingestellt worden war, sowie die Wege, die in die Stadt hinein und aus ihr herausführen. Von den wenigen Eisenbahnverbindungen, die nicht dem Zweck des Truppentransportes zweckentfremdet wurden abgesehen, war die Stadt von einem Tage auf den nächsten von der Außenwelt abgeschnitten, zur Frontstadt im deutschen Hinterland geworden. Dies auch insbesondere darum, weil sich Trier aufgrund seiner strategischen Lage schnell zum Drehkreuz der deutschen Frontlogistik entwickelte: Schon die widerrechtliche Besetzung der Großherzogtums Luxemburg, die mangels Kriegserklärung formell noch in die Vorkriegszeit fällt, war von Trier ausgegangen. Triers Status als Ausgangspunkt deutscher Truppenbewegungen sollte sich im Folgenden bewähren: Neue Soldaten aus dem Reich kamen über den Westbahnhof an die Front, Verwundete nahmen den umgekehrten Weg und wurden in den Lazaretten der Stadt versorgt. Gerade diese allumfassende militärische Präsenz dürfte ein Grund dafür sein, dass sich in Trier, verglichen etwa mit der Situation, die sich uns in Mainz bietet, kein politischer Widerstand gegen den aufziehenden Krieg formieren konnte. Alle sechzig als politisch unsicher geltenden Personen hatte man bereits am 3. August verhaften lassen.
0.2.Die Erfahrung des Mangels
Inmitten der patriotischen Begeisterung und der dahinter sich sammelnden ängstlichen Spannung zeichnen sich in den ersten Kriegsmaßnahmen der Stadtverwaltung die kommenden Ereignisse ab: Bereits am 2. August beschließt die Stadtverordnetenversammlung die Einrichtung einer Verpflegungs- sowie einer Einquartierungs- und Gesundheitskommission. Dass die städtische Verwaltung derart weitsichtige Maßnahmen getroffen und die Kernprobleme der kommenden vier Jahre (Einquartierung, Ernährung, Gesundheit) bereits am ersten Kriegstag erahnt hat, kann in einer Zeit, die an einen kurzen, ruhmreichen Feldzug glauben wollte als sich die bittere Realität des totalen Krieges bereits am Horizont abzuzeichnen begann, durchaus als bemerkenswert bezeichnet werden. Die Einquartierung von Truppen entwickelte sich zu Beginn des Krieges zu einem akuten, nach dem Abebben der ersten Welle von Frontkämpfern jedoch zu einem kalkulierbaren Problem: Es war im Herbst des Jahres 1914 in der Tat, das hatten die Stadtväter erkannt, nicht möglich gewesen, alle auf ihren Fronteinsatz wartenden nach Westen ziehenden Truppen in den beiden Kasernen der Stadt einzuquartieren. Schon früh war man darum dazu übergegangen, die städtischen Schulen zur Einquartierung der Soldaten zu benutzen. Auch begann man noch im August 1914 mit der Einquartierung von Soldaten bei Privatpersonen, was vereinzelt auf den Unmut der Haus- und Wohnungseigentümer stieß, im Ganzen aber als temporäre Belästigung gedulden wurde. Schwierigeren Aufgaben musste sich die Verpflegungskommission stellen. Die allgemeine Erwartung an einen kurzen, ritterlichen Konflikt schwand in dem Maße, in dem sich der Frontverlauf verfestigte, der mobile Truppeneinsatz dem Kampf in den Schützengräben wich. Ist oben der politischen Führung der Stadt Trier eine gewisse Weitsicht im Hinblick auf diese Entwicklung bescheinigt worden, kann eine solche dem Reich als Ganzem nicht bescheinigt werden: Tatsächlich war das Land wirtschaftlich, was sein Reservoir an Arbeitskräften und die Perspektiven mehr oder weniger autarker Lebensmittelversorgung betrifft, für einen lang andauernden Krieg keinesfalls gerüstet. Auf die Versorgungslage der Bevölkerung hatte dies katastrophale Auswirkungen. Noch im Jahre 1914 scheinen die Vorräte in den Lebensmittelgeschäfte unerschöpflich. Die Stadt hat zu diesem Zeitpunkt bereits Geschäfte mit den Großmühlen abgeschlossen, die Milch- und Fleischversorgung übersteht das erste Jahr noch weitgehend auf Vorkriegsniveau und von einigen Ausnahmen abgesehen blieben die Preise in der Regel stabil. Doch die Arbeitskräfte auf dem Land werden knapp und spätestens im Frühjahr des Jahres 1915 erscheinen die ersten Anzeichen von Mangel. Die ersten Stimmen erheben sich, die zur (zunächst noch freiwilligen) Rationierung von Lebensmitteln drängen: „Wer sich pumpsatt ißt, wer sich den Wanst vollschlägt, der verrät sein Vaterland.“ [Anm. 3] Die verfehlte Versorgungspolitik auf Reichsebene, die sich nicht im entferntesten hätte vorstellen können, dass die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Kartoffeln einmal zum Problem werden könnte, zwang auch die Stadt Trier dazu, im zweiten Kriegsjahr Lebensmittel im Wert von einer Million Mark im Umland aufzukaufen. Die Ernährungskommission beschloss gleichzeitig die Einrichtung von Lebensmittelausgabestellen für bedürftige Familien. Mit der reichsweiten Brotgetreideordnung des 25.1.1915 wurden diese Maßnahmen jedoch wieder hinfällig und man begann mit der allgemeinen Rationierung von Brot: Jedem Einwohner von Trier stand nun eine Brotkarte im Gegenwert von wöchentlich 1750 Gramm zu. Als es gegen Ende des Jahres 1916 zu ersten Stockungen im System der Brotversorgung kam, zeigte sich, dass die amtlich berechneten, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch in den Vorkriegstagen bereits sehr niedrigen, Brotmengen noch zu großzügig bemessen waren. Und das obwohl die Stadt unlängst zur Streckung des Mehls mit Runkelrüben übergegangen war. Bis zum Kriegsende sollte sich die Menge und die Qualität des zugesicherten Brotes weiter verringern. Im Bereich der Kartoffelversorgung treten die ersten Unterversorgungen bereits zum Ende des Jahres 1914 auf. Im Frühjahr 1916 wird die Tageskopfmenge auf 1 Pfund festgesetzt, doch kommt es auch hier ab dem Juni des Jahres 1916 zu Versorgungsschwierigkeiten, da die Ernte des Jahres nicht den Erwartungen entsprochen habe. Die Ration wird nun auf 1 Pfund pro Woche gekürzt. Im Jahre 1917 werden Kartoffeln dann nur noch in geringem Maße und teilweise unregelmäßig ausgegeben. Es folgt der große „Steckrübenwinter“ von 1916/1917: Manchmal muss auch in Trier, wie im Februar 1917 geschehen, die Stadtverwaltung ersatzweise auf die Verteilung von Maisgrieß, Grauben, Kohlrabis und Steckrüben zurückgreifen. Erst mit der wieder reichhaltigeren Kartoffelernte des Herbstes kann für das Folgejahr eine wieder halbwegs ausreichende Versorgung der Stadtbevölkerung mit Kartoffeln sichergestellt werden. In Trier kam es tatsächlich nicht zu den andernorts durchaus virulenten Kriegshungersnöten: Die Krise von 1916/1917 blieb die größte ihrer Art. Die eigentlichen Versorgungsprobleme treten erst in der beginnenden Nachkriegszeit auf, so dass sich der Trierer Arbeiter- und Soldatenrat gezwungen rasch gezwungen sieht, jedem Bauern, der etwas einbehalte ein „furchtbares Schicksal“ [Anm. 4] anzudrohen. Es blieb dennoch nicht aus, dass sich das, bereits vor dem Krieg existierende, Trierer Volksspeisehaus zunehmend neuen Herausforderungen gegenübergestellt sah: Zunächst durch die mit Mobilisierungsbeginn rasant steigende Arbeitslosigkeit und, als diese verschwand und im Gegenteil einem schweren Arbeitskräftemangel wich, durch die Geschädigten der zunehmenden Inflation. Die Kartoffelnot des Jahres 1916 führte dann zu einer allgemeinen Ausweitung des städtischen Armenspeisungssystems (das längst nicht mehr nur die klassischen Armen betraf) und zum Entschluss, in Trier „Kriegsküchen“ einzurichten, die in Hochzeiten bis zu 15.000 Mahlzeiten am Tag gegen Bezahlung ausgaben; wobei das Essen (um den bürgerlichen Schein wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu wahren) nicht in Speisesälen zu sich genommen, sondern nach Hause "mitgeholt" wurde.
0.3.Bombenkrieg
Der Stand der technischen Entwicklung brachte es mit sich, dass der weitaus größte Teil der deutschen Stadtbevölkerung während des Ersten Weltkrieges von der Erfahrung des Bombenkrieges noch ausgespart blieb. Aufgrund seiner Frontnähe wurde die Stadt Trier jedoch bereits ab dem Jahr 1915 zum Ziel von damals noch mehr oder weniger experimentell durchgeführten Fliegerangriffen. Ein erster französischer Versuch war bereits in der zweiten Kriegswoche gescheitert. Insgesamt sollte in den vier Kriegsjahren 142 mal Fliegeralarm ausgegeben werden: Zunächst durch das Läuten der Zündeln auf der Gangolfskirche, später- ab 1915- mittels der bald an den Polizeirevieren angebrachten Sirenen. Insgesamt wurde bei 22 gelungenen Bombardements 19 Trierer Bürger getötet und 36 verletzt, wobei in 10 Fällen Großbrände entstanden. Wie groß die Verunsicherung angesichts der neuen, unberechenbaren Gefahr aus der Luft tatsächlich gewesen ist, zeigen symptomatisch die Geschehnisse des Fronleichnamstages im Jahre 1916 auf, der in jenem Jahr auf den Folgetag des ersten Nachtangriffes auf die Stadt fiel und währenddessen die Prozession auf das bloße Gerücht eines bevorstehenden Fliegerangriffes hin in heilloser Flucht auseinander stob: Auch wenn der Bombenkrieg die militärische Bedeutung, um derentwillen man ihn begonnen hatte, in diesem Kriege noch nicht entfalten konnte, war seine psychologische Wirkung immens.
Auch wenn gerade das Bombardement von Trierer Altertümern, wie der Kaiserthermen, des Domes oder der Liebfrauenkirche und die mit ihm einhergehenden Schäden an der besonders symbolträchtigen Bausubstanz in der Öffentlichkeit einiges an Aufsehen erregte, geschah die Auswahl der zu treffenden Ziele durch die Franzosen doch in allem nach Kriterien des militärischen Nutzens: So sind als hauptsächliche Zielpunkte letztlich die Bahn- und Kasernenanlagen der Stadt festgelegt worden. Zur Rechtfertigung hatte man Flugblätter abwerfen lassen, die die Angriffe auf die Moselstadt als Vergeltungsaktionen für deutsche Bombardements auf Bar-le-Duc, Chalons und andere französische Orte ausmachten. Da aber Schäden an Kunstdenkmälern und Kirchengebäuden in der Tat nicht ausblieben, ist uns der, auch gerade angesichts der im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts über Europa gekommenen weiträumigen Zerstörung alter Bausubstanz durch den Bombenkrieg, bemerkenswerte Versuch des Bischofs Michael Felix Korum überliefert, den Erzbischof Léon-Adolphe Amette von einer Vereinbarung zu überzeugen, die das Bombardement von Kirchengebäuden aus der Luft ausgeschlossen hätte, letztlich jedoch nicht in den Kreis der großen Politik vordringen konnte. Die Stadt ergreift im folgenden jedoch rasch Maßnahmen zum Schutz wichtiger Denkmäler: So wird eine Kopie des Marktkreuzes angefertigt, die Figuren am Portal der Liebfrauenkirche abmontiert und der einzige Zugang der Schatzkammer der Stadtbibliothek ins freie zugemauert. Trier übersteht den Ersten Weltkrieg in der Tat ohne einen bedeutenden Verlust an unwiederbringlichen Kunstschätzen betrauern zu müssen. Aufgrund der sich im Laufe des Krieges verstärkt häufenden Fliegeralarme (auf 12 im Jahre 1917 waren deren 122 im Jahre 1918 gefolgt) mussten Verdunklungsmaßnahmen ergriffen werden, deren Notwendigkeit von der Trierer Bevölkerung jedoch erst nach und nach erkannt und die niemals in ganzer Vollständigkeit eingehalten wurden: Spätestens ab dem Februar des Jahres 1916 wäre es die Pflicht jedes Einwohners gewesen, alle Fenster, Dachluken, Türen und Lichtschächte zu verdunkeln.
0.4.Die Stimmung der Bevölkerung
In Folge des im Hinblick auf die Frontlinien verglichen mit allen vorigen und nachfolgenden europäischen Konflikten der Moderne relativ stabil wirkenden, im Auge der Zeitgenossen jedoch durchaus wechselhaften Kriegsverlaufes und insbesondere auch mit den erschütternden Erfahrungen von Mangel und Bombenkrieg, unterlag auch die allgemeine Stimmung der Trierer Bevölkerung bedeutenden Schwankungen. Dies umso mehr, da die Einwohner der Moselstadt häufiger als andere mit Fronttruppen in Berührung kamen. Die anfangs häufig genug ehrliche Euphorie des beginnenden Krieges in weiten Teilen des städtischen Bürgertums war rasch der Unzufriedenheit mit den militärischen Abschirmmaßnahmen und der Angst vor einer französischen Invasion gewichen. Schon zu Beginn der Feindseligkeiten hatten sich immer wieder Gerüchte Bahn gebrochen: Bereits in den ersten Kriegstagen erzählte man sich, deutsche Truppen sei bei Bitburg auf den Feind gestoßen und immer wieder waren einzelne Bürger der Spionage bezichtigt worden. Trotz aller Anspannung lässt sich der zensierten Presse die Beibehaltung einer mehr und mehr offiziell wirkenden Euphorie anmerken, der schon das mitleidige Zustecken von Zigaretten an die durch die Stadt transportierten französischen Kriegsgefangenen tadelnd beäugte. Das Jahr 1915 brachte wiederum das allgemeine Wiederaufleben einer gewissen Kriegszuversicht: Einige größere Siege deutscher Truppen in Russland ließen auf ein Ende des Zweifrontenkriegs hoffen; außerdem befriedigten die nicht geringen Feierlichkeiten anläßlich der hundertjährigen Zugehörigkeit Triers zu Preußen das Bedürfnis nationaler Bestätigung. Vor dem Weißhausbrunnen war im Folgejahr ein künstliches Schützengrabensystem aufgebaut worden, das als bizarres Freilichtmuseum gegen Zahlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der oberflächliche Glanz des Kriegspatriotismus nicht mehr gegen kritische Untertöne gefeit: Zu sehr hatte die Versorgungslage der Stadt und die Gefallenenzahlen der Front die triste Realität der Kriegsgesellschaft aufgezeigt. Ab dem Jahr 1917 zeigen sich die in ganz Deutschland aufkommenden Konflikte in der bislang ruhigen, von Zentrumspartei und Nationalliberalen dominierten, Trierer Parteienlandschaft, als es der Vaterlandspartei gelang, durch ihr Bestehen auf einen Siegfrieden und der damit einhergehenden Ablehnung der unter anderem auch von der Zentrumspartei getragenen Reichstagsresolution zum Verständigungsfrieden in Trier Anhänger zu gewinnen: Der Burgfrieden war auch an der Mosel in die kurze Epoche seiner Agonie übergegangen. Der preußische Regierungspräsident sah sich im Jahre 1917 gezwungen den Kaiser darauf hinzuweisen, dass es in Trier stärker als in anderen deutschen Städten „vibriere“ [Anm. 5] und dass die Stimmungslage sich grundlegend geändert, sich gegen den Krieg gewandt habe.
Mit dem Beginn des vierten Kriegsjahres bricht endgültig eine niederschmetternde Mutlosigkeit über die zunehmend unzufriedenen Menschen herein, die nur noch von einzelnen Pressestimmen als „hasenherzig“ <anm<Ebd.und schwarzmalerisch diskreditiert wird. Das Aufkommen der, durch die auf deutscher Seite seit dem Spätherbst 1918 weitgehend akzeptierten, 14 Punkte Woodrow Wilsons, die auch die Abtretung Elsaß-Lothringens einschlossen, brachten in Trier noch einmal einen kurzen Aufschwung trotzig-patriotischen Widerwillens mit sich, der allerdings rasch durch die Tatsache des bevorstehenden Kriegsendes historisch unsinnig gemacht wurde.
0.5.Rien ne va plus
„Die soziale Revolution hat in der Nacht zum Samstag (8./9. November) auch in Trier eingesetzt und gestern mit dem Übergang der Gewalt in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrats ihren Abschluß gefunden. Über den Gang der Ereignisse kurz folgendes: Im Laufe der Nacht zum Samstag wurden die Bahnhöfe besetzt und die durchfahrenden Soldaten entwaffnet. Im Laufe des Vormittages griff die Bewegung auf die Stadt über. Soldatentrupps, die bereits Waffen und Achselklappen abgelegt hatten, zogen durch die Straßen der Stadt [ ].“ [Anm. 6]
Soweit der Trierische Volksfreund. Der revolutionäre Prozess in Trier im Spätherbst des Jahres 1918 verläuft unblutig und überhaupt ohne gewaltsame Ausschreitungen. Die diensthabenden Wachleute und Offiziere leisten keinerlei nennenswerten Widerstand: "Ohne Widerstand auch, wenn nicht auch in vielen Fällen nicht ohne tiefe innere Bewegung, ließen sich die Offiziere ihre Degen nehmen und die Achselstücke von den Schultern reißen." [Anm. 7]
Am Abend des 9. November lässt der Arbeiter- und Soldatenrat via Plakatierung feststellen, dass er nun die Verwaltung der Stadt übernommen habe und, dass er die "Erhaltung der Ordnung" als vorrangiges Ziel seines Wirkens begreife. Noch am selben Abend fand in der Brauerei Schieffer eine Volksversammlung statt, die von hunderten Bürgern und Soldatern besucht wurde. Schnell wurde offenbar, dass die neuen Machthaber nicht zur konsequenten Beseitigung des bestehenden Systems übergehen, sondern sich im Folgenden, wie die Kommentatoren späterer Jahrzehnte häufig lobend feststellten, sowohl mit der bürgerlichen Stadtverwaltung als auch mit dem kommandierenden Militärs arrangieren würden. In einem gemeinsamen Appell ruft die nun informell dreifaltige Trierer Stadtobrigkeit am 11. November dazu auf, Ruhe zu bewahren, weiterhin der Arbeit nachzugehen und den Gerüchten nicht zu glauben, die besagen, dass die Alliierten mit einem bolschewistischen Deutschland nicht verhandeln würden. Mit dem Bolschewismus habe die Räteregierung nämlich nichts zu tun. Am selben Tage noch wird angeordnet, dass die Achselstücke wieder anzulegen und den Offizieren Folge zu leisten sei; eine Woche später weht die Schwarz-Rot-Goldene Flagge am Hauptmarkt: Die Weimarer Zeit zeichnet sich am Horizont ab. Der Durchmarsch des deutschen Westheeres durch die Stadt, der am 13. November mit dem Eintreffen der ersten in das Reich zurückströhmenden Truppenteile beginnt und ungefähr am 24. November endet, kann für Trier als das vorletzte eigentliche Kriegsereignis gelten. Die 1. Division der 3. amerikanischen Armee besetzt Trier formell am 1. Dezember. Am selben Tag verlassen die letzten deutschen Truppen die Stadt.
Literatur:
- Zenz, Emil: Die Stadt Trier im 20. Jahrhundert. 1. Hälfte: 1900-1950, Trier 1981.
- Ders.: Geschichte der Stadt Trier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2. Band. 1914-1927, Trier 1971. (Ortschroniken des Trierer Landes, 12).
Verfasser: Kevin Hecken
Erstellt am: 09.04.2013
Anmerkungen:
- Zeitgenössischer Bericht, zitiert nach: Zenz, Emil: Die Stadt Trier im 20. Jahrhundert. 1. Hälfte. 1900-1950, Trier 1981, S. 109. Zurück
- Zitiert nach: Zenz, Emil: Geschichte der Stadt Trier. Band 2. 1914-1927, Trier 1971, S. 2. Zurück
- Zitiert nach Zenz 1971, S. 9. Zurück
- Ebd., S. 22. Zurück
- Zenz 1981, S. 123. Zurück
- Trierischer Volksfreund vom 11.11.1918, zitiert nach Zenz 1971, S. 80. Zurück
- Trierische Landeszeitung vom 11.11.1918, zitiert nach Zenz 1981, S. 126. Zurück