Das Eiserne Buch der Stadt Bad Kreuznach
Das Eiserne Buch – eine Annäherung an Begriff und Funktion
Während des Ersten Weltkrieges entstanden Eiserne Bücher, auch Ehrenbuch, Ehrenchronik, Kriegschronik, Kriegsgedenkbuch, Heldenbuch, Heldengedenkbuch genannt, als Krieger- und/oder Kriegsgedenkbücher.
Einige dieser Gedenkbücher verfügten über eiserne Einbände, die mit eisernen Nägeln beschlagen sein konnten, viele eher schlicht gehalten, andere aufwendig gestaltet, je nachdem, ob sie im Zusammenhang von Kriegsnagelungen, als Kriegschronik oder als Kriegergedenkbuch, letzteres im Sinn eines Toten- oder Heldengedenkbuches, Verwendung fanden. Andere Gedenkbücher, die unter dem Begriff „Eisernes Buch“ vermarktet und von vielen Städten und Gemeinden angeschafft wurden, orientierten sich an gedruckten Vorlagen von Verlagen, die, in unterschiedlich aufwendigen Ausführungen des Einbandes, nur noch ausgefüllt werden mussten, wie z.B. das „Eiserne Buch“ der Gemeinde Wachtendonk, 1915 herausgeben vom Verlag für vaterländische Kunst in Stuttgart. Dabei handelte es sich um sogenannte Auflagenbücher, die als Blanko-Gedenkbücher vorlagen.
In der Regel waren die eisernen Bücher entweder auf dem Buchumschlag oder auf den Buchinnenseiten mit dem Symbol des Eisernen Kreuzes versehen. Dieses stellte sowohl inhaltlich als auch historisch einen Bezug zu den Befreiungskriegen von 1813 her, in denen das Eiserne Kreuz als Auszeichnung entstand, so wie auch die Parolen „Gold gab ich für Eisen“ oder „Gold zur Wehr, Eisen zur Ehr“. Das Eiserne Kreuz verwies auf eine glorreiche, weil siegreiche Zeit und war als Symbol positiv besetzt.
Eiserne Bücher waren Kriegsehrenzeichen wie etwa das Kriegsdenkmal des von Hugo Cauer entworfenen Eisernen Michel Mort von 1915. Nagelaktionen, die an ihm vorgenommenen wurden, dienten zur Unterstützung von Kriegsopfern, Hinterbliebenen und Verwundeten. Der Begriff „eiserne Zeit“, ein Synonym für die Kriegszeit, bildete vereinfacht eine verbindende, vereinende Grundlage, eine Art Klammer zwischen dem Kriegsgeschehen fern der Heimat und der Heimat selbst.
1915 wurde vom Generalkommando des 18. Armeekorps angeregt, Kriegstagebücher in den Kommunen verfassen zu lassen. 1916 beschloss die Stadt Kreuznach, diese Idee mit Hilfe der Öffentlichkeit umzusetzen, und zwar als Kombination von Kriegergedenkbuch und Kriegschronik, wofür sie in der Presse warb. Mit der Verlegung des GHQ nach Kreuznach lag es nahe, daneben ein weiteres Erinnerungszeichen, wie Dr. Koernicke es nennt, anfertigen zu lassen, ein Gedenkbuch, dass angelehnt an die eiserne Zeit nicht goldenes, sondern eisernes Buch genannt wurde. Während nach dem Krieg das Eiserne Buch als Kriegergedenkbuch und Kriegschronik nicht umgesetzt wurde, lag vor dem Gästebuch, dem uns bekannten Eisernen Buch, eine 100-jährige Nutzungsgeschichte.
Das eiserne Buch – einst politische Ikone, heute ein Symbol der städtischen Identität
Vor fast 100 Jahren, das exakte Datum wäre der 10. Dezember 1917, schickte Prof. Ernst Riegel die von ihm entworfenen und nach Änderungswüschen des Kreuznacher Stadtrates leicht abgewandelten Schmuckdeckel des sogenannten „Eisernen Buches“ mit der Post von Köln nach Kreuznach. Nach dem Erhalt des Bucheinbandes bedankte sich Bürgermeister Dr. Hans Koernicke bei dem Absender für das „besonders wertvolle Erinnerungszeichen an die jetzige, namentlich für Kreuznach bedeutsame Zeit“.
Dr. Koernicke war sich wie viele der Honoratioren der Stadt der Bedeutung bewusst, welche die Anwesenheit des GHQ für die Stadt hatte. Nach der Beschäftigung mit den Unterlagen zum Eisernen Buch muss davon ausgegangen werden, dass Dr. Koernicke bewusst Objekte anfertigen ließ und symbolisch aufgeladene Artefakte für die Stadt sicherte, indem er sie ankaufte und damit systematisch eine kleine Sammlung zu diesem Zeitabschnitt zusammentrug. Dazu gehörten neben dem Erwerb des Buchdeckels von Prof. Ernst Riegel insbesondere der Lizenzankauf des Films zu Hindenburgs 70. Geburtstag aus dem Jahr 1917 und der Ankauf von Werken des Kriegsmalers Ernst Hartwig durch die Stadt, die u.a. zur Illustration des Buches „Hundert Jahre Bad Kreuznach 1817-1917“ dienten. Die Anwesenheit des GHQ schlug sich zum Beispiel in der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Ludendorff und Hindenburg und entsprechenden Straßenbenennungen nieder, in der Gestaltung des 50-PfennigNotgeldscheins oder in dem Auftrag, ein neues Stadtwappen zu entwerfen, das eindeutige Hinweise auf die Anwesenheit des GHQ gezeigt hätte. Weitere ausgeführte oder geplante Ehren- oder Kriegswahrzeichen dieser Zeit waren die von Hugo und Ludwig Cauer 1917 geschaffenen Büsten von Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die in einer von dem Architekten Willibald Hamburger im April 1918 geplanten Ehrenhalle aufgestellt werden sollten.
Das Eiserne Buch hatte schon unmittelbar nach seiner Auslieferung an die Stadt die Aufgabe, Zeugnis von der Rolle und Bedeutung der Stadt in schicksalhafter Zeit, abzulegen. Kreuznach sollte im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert werden als die Stadt, die als Sitz des GHQ für einen weltgeschichtlichen Augenblick „Herz und Hirn des Großen Krieges“ (zitiert nach Karl Geib) gewesen war, wobei man auch die Mythenbildung, nicht scheute. Die öffentliche Zurschaustellung einzelner Bögen mit den Autografen von Mitgliedern des GHQ, ergänzt durch die Unterschriften von Verbündeten und Gästen, sollte das noch während des Krieges schwarz auf weiß belegen, und damit auch den Durchhaltewillen der Heimatfront festigen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass Prof. Ernst Riegel, der den Einband entwarf, insbesondere durch seine Goldschmiedearbeiten für Sakralbauten bekannt geworden war. Auf dem Deckel des Buches findet sich nicht das Symbol des Eisernen Kreuzes, sehr wohl aber gibt es andere Bezüge zur, im Verständnis der Zeit, schicksalhaften Stunde der deutschen Nation: der über die Schlange siegreiche Adler, die Wappen der Verbündeten… Eine politische Ikone war geboren, deren Bedeutung über die lokalhistorische Bedeutung hinausreichte. Ein bedeutendes Symbol der Stadtgeschichte also. Die Autografensammlung der im GHQ Anwesenden war Teil einer perspektivischen zeitgebundenen Erinnerungskultur, ein handgreifliches Zeugnis, um Kreuznach als Stadt des GHQ im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.
Der verlorene Krieg und die Besatzungszeit verhinderten zunächst, dass der Anspruch auf historische Unsterblichkeit umgesetzt werden konnte. Im Gegenteil, es zeigte sich, wie schwierig der Umgang mit der Erinnerung und dem Gedenken der Gefallenen des Ersten Weltkriegs wurde. 1927 wurde auf dem Bad Kreuznacher Friedhof das Denkmal für die Kriegstoten auf dem Gräberfeld des Ehrenfriedhofes aufgestellt, damals „Altar des Vaterlandes“ genannt, geschaffen von Ludwig und Hanna Cauer. Vor 1927 sind in Ermangelung einer bildhaftmonumentalen Anerkennung des Kriegseinsatzes und seiner Opfer diverse Ehrentafeln in Auftrag gegeben worden, um diese Erinnerungslücke zu schließen, etwa für die Gefallenen der Feuerwehr, der städtischen Realschule, die Gefallenen des MTV, die gefallenen des VFL, die Gefallenen der jüdischen Gemeinde etc. Das Toten- und Heldengedenken wurde somit zunächst fragmentiert, nämlich auf Vereinsebene und auch in den privaten Raum verlegt. Ein Name ist damit im Besonderen verbunden, der des Holzbildhauers Franz Vacek der die genannten Ehrentafeln herstellte.
Nach dem Ende der Besatzungszeit 1930, dafür steht der Besuch Hindenburgs in der Stadt, ändert sich die Stimmung. Es ist frappierend, wie sich die Inszenierungen ähneln, die dazu dienen sollen, eine Kontinuität zwischen dem Gestern und dem Heute herzustellen und an die Gemütslage nicht etwa am Ende des Krieges anzuknüpfen, sondern an die nationale Einigkeit und Aufbruchsstimmung vom August 1914 als der Krieg begann. Der Eintrag Hindenburgs ins Eiserne Buch läutet eine neue Zeit ein. Das Museum Großes Hauptquartier wird 1933 eröffnet, die Büsten von Hindenburg und Ludendorff werden im Kurpark aufgestellt, das Denkmal für das Reserve-Infanterie-Regiment 17 wird 1934 eingeweiht, das Denkmal für die Infanterie-Regimenter 170 und 461 folgte 1936 im Oranienpark. Als 1939 der Sitz des Armeeoberkommandos der 1. Armee nach Kreuznach kam, knüpfte man bewusst an die Tradition des GHQ an, denn die Autografen von Hitlers Feldherren finden sich im Eisernen Buch wieder, wie zuvor schon die Einträge ranghoher Politiker des Dritten Reiches, zum Beispiel von Innenminister Frick. Zudem beabsichtigte die Stadt neben dem bereits bestehenden Museum GHQ ein weiteres Museum - der 1. Armee – einzurichten.
Das Eiserne Buch verliert nach dem Zweiten Weltkrieg, seit der Wiederaufnahme der Nutzung als Gästebuch mit der KurhausNeueröffnung 1956, mehr und mehr seine einstige Bedeutung als Teil einer Überlieferungsbildung und Erinnerungskultur, die ihre Wurzeln im Ersten Weltkrieg hatte.
Heute wird das Unikatbuch als wichtige zeitgeschichtliche Quelle von herausragender kunstgeschichtlicher und kulturgeschichtlicher Bedeutung angesehen, an der sich die Demokratisierung unserer Gesellschaft ablesen lässt.
Das Eiserne Buch und die Kunst im Zeichen der Propaganda zwischen 1917 und 1945
Eine wesentliche Faszination des Eisernen Buches macht seine künstlerische Gestaltung aus. Lässt man die Illustratoren der Jahre 1917 und 1945 Revue passieren, trifft man zum einen auf stadtbekannte Künstler wie Best und Paul Nobis, zum anderen auf wenig bekannte bzw. unbekannte Zeichner wie Friedrich (Fritz) Steiger, Besitzer eines Malergeschäftes, oder Karl Scherer, Beamter im Stadtbauamt.
Bei der Hintergrundrecherche[Anm. 1] zeigte sich eine Gemeinsamkeit der Illustratoren, die der Forschung bisher verborgen geblieben ist, ein auffällig starker Kontakt zum Deutschen Werkbund, ferner eine Ausbildung im Handwerk und eine Schulung an den damals bedeutendsten Handwerks- und Kunstgewebeschulen Deutschlands. Nahezu alle Genannten hatten Kontakt zum Deutschen Werkbund, der, 1907 gegründet, „die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk, durch Erziehung und Propaganda anstrebte“. Die Illustratoren des Eisernen Buches zwischen 1933 und 1945 waren die städtischen Beamten Nobis und Scherer. Sie begründeten damit eine Tradition, denn auch ihre Nachfolger waren seit 1956 städtische Bedienstete und bis auf eine Ausnahme beim Stadtbauamt angestellt. Nobis und Scherer, beide Mitglieder der NSDAP, wurden von Seiten der nationalsozialistischen Partei und der Stadtführung zu propagandistischen Zwecken eingesetzt. Eine Tätigkeit, die sich nicht nur auf das Eiserne Buch beschränkte, sondern auch bei diversen Aktionen und Festen zum Einsatz kam. Überhaupt ist der Einsatz der Kunst als propagandistisches Mittel der Nationalsozialisten in Bad Kreuznach allgegenwärtig, wie bei den braunen Jahrmärkten ab Mitte der 1930er Jahre, oder beim Internationalen Weinbaukongress 1939.
Über die perspektivische zeitgebundene Erinnerungskultur rund um das GHQ hinaus war die Kunst seit 1917 ein Trägermittel der politisch motivierten Gedenk- und Erinnerungskultur. Das Eiserne Buch als Unikatbuch ist als kunst- und kulturgeschichtlich herausragende Quelle der Zeitgeschichte zu bewerten.
Für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema stellen sich folgende Fragen: Haben die anderen Städte und Gemeinden, in denen sich das GHQ zwischen 1914 und 1918 befand, ähnliche Tendenzen wie Kreuznach entwickelt, um sich diese Tatsache erinnerungspolitisch nutzbar zu machen? Wie war der Einfluss des Deutschen Werkbundes auf die Kunstlandschaft und die Kunst- bzw. Kulturförderung in Bad Kreuznach zwischen 1910 und 1950? und schließlich Welche Rolle spielte die Kunst als Mittel der nationalsozialistischen Propaganda in Bad Kreuznach für das Stadtmarketing?
Anmerkungen:
- Ich möchte Dank sagen, zunächst dem Autorenteam, das ich bis zur Fertigstellung des nun zweibändigen Werkes begleiten durfte. Schicksalsvoll war in dieser Zeit der Tod von OB a.D. Rolf Ebbeke und Richard Walter - es wäre schön, wenn sie heute Abend unter uns sein könnten. Dank Ihnen, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, für die Bereitschaft, sich in ihrer Freizeit unentgeltlich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, für die Offenheit und den von mir sehr geschätzten respektvollen Umgang unter- und miteinander, für gegenseitige Ermunterung, diverse Hilfeleistungen und Beharrungsvermögen. Schön, dass es Menschen wie Sie gibt, die Freude an der Erkenntnis haben und diese mit anderen teilen. Ich möchte auch den Kolleginnen und Kollegen Dank aussprechen, die diese Leidenschaft mit uns teilen und uns daher, fernab der formalen Beschränkungen von Leihverkehr und Gebührenordnungen, mit wertvollen Informationen versorgt oder auf unerschlossene Quellen hingewiesen haben. Stellvertretend für alle möchte ich Frau Anke Lytwin vom Siegfriedmuseum in Xanthen erwähnen, die das Projekt mit Hinweisen, Hilfeleistungen, Kopien und Fotomaterial bereitwilligst und zudem kostenlos unterstützt hat. So wie es unter Wissenschaftlern und Kollegen sein sollte! Zurück