Rheingauer Heimatforschung

Bruno Kriesel

Kiedrich - Ein Stein lag im Weg!

 

Im Ortsbereich Kiedrich - am „Bangertpad" - lag seit Menschengedenken ein mächtiger, langer, zugehauener Sandstein als Brückensteg über den Grünbach. Das geerntete Obst und Gemüse wurde von den Frauen im Korb auf dem Kopf über diesen schmalen Weg heimgetragen. Nun kam in den dreißiger Jahren ein besseres Transportmittel auf: das „Eebernkannche" (ein zweirädriger gummibereifter Handkarren). Der Brückensteg war zu schmal dafür, wurde entfernt, und ein großes Betonrohr machte den Übergang breiter. Der freigelegte Sandstein gab auf der Unterseite eine vergessene eingehauene Inschrift preis: ANNO - DOMINI »1541 - IST - DIS - WERK - GEMACHT - WORDEN

Was war das für ein historischer Stein?


Der mächtige Steinklotz wurde sichtbar im Rathaussockel eingemauert, aber das Rathaus war ja erst 1585 erbaut worden! Also nach ein paar Jahrzehnten wieder ausbauen und zunächst auf dem Bauhof lagern! Dann fand man 1979 überraschend bei einer Kellerausschachtung in der Oberstraße einen großen Sandsteinbogen mit den Relief-Wappen des Mainzer Kardinals Albrecht von Brandenburg und dem von Kiedrich. Das waren also die Relikte des ehemaligen Kiedricher Marktbrunnens von 1541. Dieser Brunnen stand, wie auf einer Lithographie von Domenico Quaglio von 1823 sichtbar, vordem Rathaus.


Dieses prachtvolle Renaissancewerk wollten wir unbedingt wiedererrichten. Um den Plan zu verwirklichen, brauchten wir Geldmittel und offizielle Hilfen. So wurde am 23.04.1990 der „Förderkreis Kiedricher Geschichts- und Kulturzeugen e.V." gegründet. Der Verein fand bei den Kiedricher Bürgern gleich einen guten Anklang (z. Zt. haben wir 160 Mitglieder).


Mit Vorträgen über „Die frühe Baugeschichte der Pfarrkirche" und über „Neue Erkenntnisse zur Geschichte der Michaelskapelle" von unserem Kiedricher Ehrenbürger Dr. h.c. Josef Staab, Schloss Johannisberg, einem profunden Kenner der Kiedricher und Rheingauer Geschichte, wurde das Interesse der Bürger an dem von unseren Vorfahren übernommenen Geschichts- und Kulturgut wieder geweckt.


1993 wurde zum 500jährigen Jubiläum der Vollendung der Pfarrkirche St. Valentin eine hervorragende, sehenswerte und gut besuchte Ausstellung in der Michaelskapelle durchgeführt mit wertvollen liturgischen Gegenständen, wie Urkunden, Handschriften, Messgewändern und vielem mehr aus dem Besitz der Pfarrei. 1994 haben wir die Festschrift Kiedrich im Rheingau 1244-1994 -Zeugen aus 750 Jahren Selbständigkeit herausgegeben. Die Feierlichkeiten zum 750jährigen Jubiläum der Selbständigkeit der Gemeinde wurden auf dem Marktplatz unter Beteiligung aller Kiedricher Vereine festlich begangen. Dabei ist auch am 3. Sept. 1994 der an der Kirchhofs-Außenmauer wiedererrichtete Marktbrunnen von 1541 im ersten Bauabschnitt (noch ohne Brunnentrog) feierlich eingeweiht worden. Es ist der älteste Marktbrunnen im Rheingau, geschaffen von Moritz Lechler.


1995 war erneut ein Jubiläum zu begehen: das 550jährige Bestehen unseres einmalig kostbaren gotischen Kleinods: der Michaelskapelle. In einer Ausstellung dort wurden die interessante Sandsteinwendeltreppe und die besondere Dachgebälkkonstruktion gezeigt. Regelmäßig haben wir zu kunstgeschichtlichen Vorträgen eingeladen: Dr. Staab sprach über den „Scharfenstein und die Scharfensteiner" und den „Kiedricher Kirchhof - Gestalt und Geschichte", während sich Rudolf Fenzl in seinen Vorträgen mit dem Kaufmann, Schriftsteller und Kiedricher Bürger „Gerson Stern" und dem „Graf Cratzischen Hof' beschäftigte.


Zwischenzeitlich ist in einem Kiedricher Bauernhaus auch der originale Renaissance-Wassertrog des oben erwähnten Marktbrunnens gefunden, restauriert und eingebaut worden. Nun konnte der komplette Brunnen mit Wasseranschluss in Betrieb genommen werden. Aus diesem feierlichen Anlass wurden am 26Juni 1998 vor Ort eigens Gold- und Silbermünzen geprägt und angeboten. Alle seit 1958 amtierenden Kiedricher Weinköniginnen -unsere charmanten lebenden Kulturzeugen - haben zur Erinnerung vom Förderkreis eine frisch geprägte wertvolle Silbermünze erhalten.


Im Sommer 1998 hat der Förderkreis ferner 32 Geschichtstafeln mit erläuternden Texten zu historischen Gebäuden anfertigen und an den Häusern gut sichtbar anbringen lassen. Diese Texte werden in einem Heft zusammen mit einem Ortsplan angeboten: eine gut angenommene, werbewirksame Form, Kiedrich zu erwandern und kennenzulernen. Die Idee ist so gut angekommen, dass auch andere Gemeinden solche Plexiglas-Tafeln in ähnlicher Form anfertigen ließen.


1999 gab es wieder eine Ausstellung in der Michaelskapelle über den vor hundert Jahren geborenen Kiedricher Bildhauer Anton Krams.


Zum 100. Todestag des Kiedricher Historien- und Kirchenmalers der Neugotik, August F. Martin, hielt Dr. Antoine Jacobs aus Hoensbroek/Niederlande im März 2001 einen Lichtbildervortrag über August Martin. Gleichzeitig wurden in einer großen Bilderausstellung die Werke seines Schaffens in der Michaelskapelle gezeigt.


Am 28. August 2003 fand die Buchpräsentation des neu gedruckten Lexikon-Bildbandes Kiedrich im Rheingau - Das Gotische Weindorf. Geschichte - Kunst - Kultur von A bis Z statt; ein reichhaltiges, gut bebildertes Nachschlagewerk über Kiedrich, erarbeitet von Josef Staab, Bruno Kriesel und Rudolf Fenzl.


Dann sind weitere historische Vorträge zu nennen: Dr. Eberhard Kümmerle: „Ursprung und Geschichte der Kiedricher Salzquelle" (2002); Helga Simon: „Die Aufhebung des reichen Klosters Eberbach durch die Säkularisation vor 200 Jahren und deren Auswirkung auf Kiedrich" (2004); Josef Staab: „1454-2004 - ein Jubiläum der Kiedricher Wallfahrt" wegen der Reliquienschenkung des Rudolf von Rüdesheim vor 550 Jahren; endlich ein Fachreferat von Stefan Bender über das „Weltkulturerbe LIMES" (2006).


Grenzsteinerfassungen durch Werner Kremer in der Kiedricher Gemarkung sowie Kapellen- und Feldkreuzrestaurierungen und die Registrierung von Steinmetzzeichen in der gotischen Kiedricher Kirche und Michaelskapelle gehörten mit zu unseren Aufgaben. Dabei haben wir den fast 500 Jahre unbekannten Baumeister der St. Valentinuskirche, Wolfgang Tenc, identifizieren können. Weiterhin konnten wir 2004 unsere Internet-Adresse (www.kiedrich-geschichte.de) starten, die weitreichende Informationen bietet. Dazu kommen die sonntäglichen Kirchenführungen nach dem Choral-Hochamt und in den Sommermonaten die bewachten täglichen Kirchenöffnungen zur Besichtigung. Von der Gemeinde haben wir 2004 einen ehemaligen Werkstattraum hinter dem Rathaus erhalten, um interessante alte Gegenstände aus Weinbau, Landwirtschaft, Haushalt, Kunst usw. für ein künftiges Heimatmuseum zu sammeln. Zurzeit sind wir bei den Druckvorbereitungen eines Buches, zu dem namhafte Historiker ca. 80 Biographien über Kiedricher Persönlichkeiten aus 6 Jahrhunderten -wie sie lebten, wie sie wirkten, verfassen.

 

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