Die Dampf-Straßenbahn von Eltville nach Schlangenbad
(Heinz Söhnlein)
Veröffentlicht in den Rheingauischen Heimatblättern
04 / 1977
In den Jahren ab etwa 1900 bis zum Kriegsbeginn 1914 fanden in vielen Städten des damaligen Kaiserreiches die Umwandlung der mit Dampf betriebenen Straßenbahnen in solche mit elektrischem Antrieb statt. Auch seitens der Bahngesellschaft wurde erwogen, eine solche Änderung durchzuführen. Es fanden Vorverhandlungen mit namhaften Elektrofirmen wie Siemens und AEG, Berlin, statt. Versprach man sich doch von einer solchen Umstellung eine erhebliche Senkung der Betriebskosten und auch eine schnellere Verkehrsbedienung. Daß man seitens der Bahngesellschaft nicht unerhebliche Hoffnungen auf die Durchführung des geplanten Projektes hegte, geht daraus hervor, daß wegen der Verlegung von 1500 m neuem und stärkerem Rillengleis im Jahre 1907/08 die Schienenstöße vorsorglich schon mit Kupferkabel überbrückt wurden.
Aber auch diese Umstellungsabsichten konnten nicht verwirklicht werden. Die Kosten für die Beschaffung der elektrischen Straßenbahn-Motorwagen und die erforderliche Oberleitung waren zu hoch!
Ein Antrag an den Preußischen Staat, für diese Umstellung Mitte! aus dem Kleinbahn-Fond zu bewilligen, wurde von der Behörde abgelehnt.
So ging das Interesse der betriebsführenden Gesellschaft an der Bahn immer mehr zurück. Das rollende Material, die Gleisanlagen, Werkstätten und Gebäude wurden nicht mehr ordnungsgemäß unterhalten und gerieten mehr und mehr in einen mangelhaften Zustand. Für die Durchführung des Fahrbetriebes und die notwendigsten Reparaturarbeiten - besonders an den schadanfälligen Lokomotiven - waren in den letzten Jahren nur noch 6 bis 7 Mann im Einsatz!
Auch mehrere Unfälle ereigneten sich, darunter ein schwerer am 19. Mai 1907. Ein zu Tal fahrender Zug mit drei Wagen entgleiste auf der kurvenreichen und abschüssigen Strecke bei Neudorf - wohl infolge überhöhter Geschwindigkeit. Der Personenwagen Nr. 11 fiel um und es gab fast dreißig Verletzte, zum großen Teil durch Glassplitter!
Zu Beginn des ersten Weltkrieges im August 1914 erfolgten dann Betriebseinschränkungen, welche sich im weiteren Verlaufe des Krieges weiter verschärften und dann zu einer fast völligen Betriebsstillegung führten. Ab dem 1. Dezember 1922 ruhte dann der Bahnverkehr.
Wie lange diese Betriebsstillegung andauerte, ist aus den nur spärlich vorhandenen Unterlagen leider nicht mehr ersichtlich. Es ist aber kaum anzunehmen, daß die Bahn nach den veränderten Verhältnissen nach dem Kriege 1918/19 (fremde Besatzung, wirtschaftliche Abschnürung der besetzten Gebiete von Restdeutschland usw.) wieder in Gang gesetzt wurde. Hinzu kam die laufende Geldentwertung, die in die Billionen ging und erst im Sommer 1924 mit der Einführung der Rentenmark ihr unrühmliches Ende fand. Fest steht aber, daß die Gemeinde Eitville im Jahre 1927 an den zuständigen Regierungspräsidenten in Wiesbaden mit dem Antrag herantrat, ihr die bestehende Konzession zu übertragen und die Bahn in eigener Regie betreiben zu dürfen. Diesem Ansuchen wurde entsprochen und der Gemeinde Eltville als nunmehriger Eigentümerin und Betriebsunternehmerin am 15. März 1927 die entsprechende Konzession auf die Dauer von 50 Jahren erteilt! Was damals wohl die Gemeindevertreter von Eltville bewogen hatte, eine solche Maßnahme durchzuführen und sich finanziell so zu engagieren, bleibt ungeklärt und ist auch eigentlich unverständlich. Man hätte eher annehmen sollen, daß ein solches Ansuchen von Schlangenbad aus gestellt worden wäre!
Wie dem auch sei: Nach Durchführung der dringendsten Instandsetzungsarbeiten betrieb die Gemeinde Eltville ab dem 3. April 1927 die Bahn in eigener Regie und Verantwortung. Wie schon erwähnt, fand im Jahre 1923/24 die Entwertung der alten Papiermark und die Neuschaffung der Rentenmark, bzw. Reichsmark, statt. Bei der Übernahme der Bahn durch die Gemeinde Eltville wurde eine Umstellung des ehemaligen Anlagekapitals vom Jahre 1895 von 531.577,- Mark auf nur noch 128.950,- Reichsmark vollzogen. In welcher Weise und zu welchem Betrage die Bahngesellschaft ADKG befriedigt wurde, ist aktenkundig leider nicht mehr feststellbar!
Nach der ersten Freude der Eltviller, nun „Bahnbesitzer" geworden zu sein, stellte sich nach kurzer Zeit die Ernüchterung ein. Wohl erholte sich die allgemeine wirtschaftliche Lage in den Jahren 1927 bis 1930 recht gut und auch die Bahn hatte - wie berichtet wurde - ganz erfreuliche Transportzahlen zu verzeichnen, besonders auch im Ausflugsverkehr. Aber schon zeichnete sich am Horizont die herannahende Weltwirtschaftskrise ab. Und, das darf nicht übersehen werden, auch das Kraftfahrzeug entwickelte sich mehr und mehr zur Konkurrenz.
So sanken nach den Anfangserfolgen die Einnahmen wieder stetig ab. Gelder für eine gründliche Überholung und Modernisierung der Bahnanlagen standen nicht zur Verfügung. Auch wesentliche, laufende Betriebszuschüsse konnte und wollte die Gemeinde Eltville auf die Dauer nicht leisten. So wurde der Betrieb im Frühjahr 1933 eingestellt. Bezüglich des genauen Stillegungs-Datums gibt es zwei verschiedene Angaben. Einmal heißt es am 12. Juni 1933, zum anderen bereits am 18. März 1933. Jedenfalls liegt eine Original-Anzeige der Rheingauer Presse vor, in welcher es heißt:
Bekanntmachung
betr. Straßenbahn Eltville - Schlangenbad.
Aus technischen Gründen wird anstelle des Dampfbahnbetriebes ab Sonnabend, den 18. März 1933 bis auf Weiteres ein Kraftwagenverkehr eingerichtet. An den Fahrzeiten, Haltestellen und Fahrpreisen ändert sich nichts.
Eltville, den 15. März 1933. DER MAGISTRAT.
Wer den angekündigten Kraftwagenverkehr durchgeführt hat, ist nicht genau zu ermitteln. Vielleicht haben sich damit Anfangsschwierigkeiten ergeben und die Bahn hat in der Zeit zwischen dem 18. März und dem 12. Juni 1933 doch noch einige Züge gefahren!?
Daß das Datum vom 18. März doch wohl das offizielle Datum gewesen sein dürfte, geht wohl auch daraus hervor, daß ein Eltviller Bürger in der örtlichen Zeitung „Rund um Eltville" vom 16. März 1933, Nr. 64, einige besinnlich-lustige Verse veröffentlichte, welche am Schluß der Abhandlung zu finden sind! -
Die Ausstattung der Bahn an rollendem Material war eigentlich von Anfang an recht umfangreich. Daraus ist zu entnehmen, daß sich sowohl die Orte Eltville und Schlangenbad mit Anliegergemeinden, als auch der Bahnunternehmer, also die ADKG, doch einiges mehr versprochen hatten!
Rollendes Material
Lokomotiven
Hier entschied man sich für das damalige und verbreitete System der sogenannten „Kastenlokomotive", auch Straßenbahn-Lok genannt. Einfache, zweiachsige Maschinen, welche rundherum mit einer kastenförmigen Verkleidung aus starkem Blech versehen waren zum Schütze der Fußgänger, Fuhrwerke usw. Natürlich waren es in der damaligen Zeit Naßdampfmaschinen, mit zwei Antriebszylindern. Die fachtechnische Bezeichnung lautete - und lautet auch heute noch -: B n 2t. Wobei B die zwei Achsen bedeutet, n = Naßdampf heißt, die 2 = die beiden Dampfzylinder markiert und der Buchstabe t = Tender nachweist. Das letztere sagt also aus, daß die Lok keinen besonderen Tender für den Vorrat an Kohlen und Wasser mitführt, sondern die Vorräte selbst mit sich trägt!
In den Jahren 1895 bis 1899 wurden insgesamt fünf Kasten-Loks von der Firma Henschel, Kassel, beschafft. Die Loks Nr. 1, 2 und 3 mit den Fabrik-Nr. 4302, 4303 und 4304 wurden 1895 zur Betriebseröffnung geliefert. Die Loks 4 und 5 mit den Fabriknummern 5118 und 5119 folgten im Jahre 1899.
Glücklicherweise fand sich im Archiv der Stadt Rüdesheim am Rhein noch eine Schnittzeichnung der zuletzt gelieferten Kasten Lok Nr. 5, sowie auch einige Zeichnungen der Güterwagen. Fotokopien dieser Zeichnungen habe ich der Stadt Eltville für deren Archiv zur Verfügung gestellt!
Zu Beginn des ersten Weltkrieges im August 1914 wurde Lok 4 durch die Heeresverwaltung beschlagnahmt und nach Mainz transportiert. Dort wurde sie bei den Mainzer Vorortbahnen der Süddeutschen Eisenbahn-Gesellschaft (SEG), Sitz Darmstadt, bei den Arbeiten zur Erweiterung und Modernisierung der Außenforts um Mainz (damals Festung!) eingesetzt. Es handelte sich dabei um Transport von Baumaterialien. Nach einigen Monaten erfolgte dann wieder die Rückgabe nach Eltville. Von 1916 bis 1921 leistete Lok 4 Dienste bei der Biebertalbahn.
Von Lok 2 wird gesagt, daß sie 1918 vorübergehend zur Hohenlimburger Kleinbahn gekommen sei.
Lok 3 soll an die Central Limburg'sche Steamtram Matschappeij, Holland, verkauft worden sein? Das Jahr ist nicht bekannt.
Lok 5 soll nach Betriebsstillegung der Bahn 1933 an die Westdeutschen Sprengstoff werke gegangen sein.
Personenwagen
Von den Personenwagen sind leider keine zeichnerischen Unterlagen mehr vorhanden. Es waren deren neun gewesen, mit je einem Abteil 2. und 3. Klasse. Drei davon waren sogenannte offene Sommerwagen. Erbauer der Wagen war die Firma Herbrand u. Co., Köln-Ehrenfeld. Es handelte sich um Vierachser mit zwei Drehgestellen in der damals üblichen Bauweise, mit Laternendach zur Entlüftung und Plattformen an den beiden Wagenenden als Ein- und Ausstieg.
Die Fahrgestelle dürften die gleichen gewesen sein, wie die der Güterwagen, also, wie nachstehend vermerkt. Mit welchem Brennsystem die Fahrzeuge ausgerüstet waren, ist leider nicht mehr zu ermitteln gewesen.
Die Innenbeleuchtung der Personenwagen bestand aus Petroleum-Lampen und war natürlich mangelhaft. Die Bahnverwaltung rüstete im Jahre 1909 einen geschlossenen Personenwagen versuchsweise mit Acetylengas-Leuchten aus. Der Beleuchtungseffekt war natürlich erheblich besser. Die technische Aufsichts-behörde verlangte aber aus Sicherheitsgründen einen anderen Aufstellplatz für den Acetylengas-Entwickler. Nach vollzogener Änderung wurde die Einführung dieser neuen Beleuchtung genehmigt. Ob dann noch weitere Personenwagen mit dieser Beleuchtung ausgestattet wurden, ist nicht mehr feststellbar!
(Fortsetzung folgt)