Rheingauer Heimatforschung

Mittelheim

             Mittelheim im Dreißigjährigen Krieg

          Eine Untersuchung anhand zeitgenössischer
                    Unterlagen aus dem Ortsarchiv

                          Von Rudolf Rosensprung                      
                                          Teil 4


                         Gemeindeämter während des Krieges

Nach der Trennung von Oestrich im Jahre 1386 blieben die Mittelheimer weiterhin durch das Gericht mit Oestrich verbunden. Sie besaßen das wiederholt bestrittene Recht, einen Gerichtsschöffen dorthin zu entsenden. Dieser wurde vom Gericht ,,erwählt" oder „ins Gericht gezogen“ und behielt, sein Amt auf Lebenszeit oder bis zum Verzicht. Während des ganzen Krieges hatte Mittelheim seinen "Prokurator".

Bis 1625 war es Jacob Kießel, 1626 Johann Kölsch, bis 1630 Johannes Will, sodann Johannes Girsenius und nach ihm bis 1641 Nikolaus Eisenbeiß und ab 1642 Johannes Spull.Die Geschicke der Gemeinde wurden vom Schultheiß und Rat geleitet. Der Schultheiß wurde (wie z. B. 1594 Hans Kölsch) „von der Oberkeit erkorn vnd vom Gewalt­boten verkündt". Schied jedoch ein Ratsherr aus, so erwählten die anderen einen Nachfolger, der vom Vicedorn bestätigt werden mußte.

Trotz der Kriegswirren ringsum hatte Mittelheim während des ganzen Krieges seine Gemeindeverwaltung, denn jeder Rechtsvorgang geschieht mit der stereotypen Formel ,,Schultheiß und Rat". Während des Krieges hatte Mittel­heim nur von zwei Schultheißen, und deren Namen liegen fest: Von etwa 1608 bis 1636 war es Nicolaus Rapp und nach ihm Johannes Schöffer von 1637 bis 1651, als er "vor Herbst von einem Dienstknecht mit einem Stein bei der Nacht am Rathaus zu Thodt geworffen" wurde.

Wieviel Ratsherren Mittelheim hatte, ist nirgends aus­drücklich angegeben. Doch aus den Vermerken über die jeweiligen Nachfolger geht eindeutig hervor, daß ihre Zahl außer dem Schultheißen 7 betrug. Auch sie erhielten ihr Amt auf Lebenszeit oder bis zum Amtsverzicht.

Fast lückenlos sind in der Chronik von 1568 bis 1760 die Ratsherren verzeichnet. Für die Zeit des Dreißigjähri­gen Krieges fehlt nur die Eintragung über die Wahl des Ratsherren Andreas Schädel (vermutlich in den zwanziger Jahren). Darnach steht also fest, daß die Ratssitze ohne Unterbrechung besetzt waren. Vier Ratsstellen wurden in der Zeit von 1618 bis 1648 nur einmal umbesetzt, zwei Stellen zweimal und eine Stelle viermal. Die längste Amtszeit als Ratsherr verzeichnet Hans Wolf, Mittelheim, der 37 Jahre lang (von 1606 bis 1643) dieses Amt bekleidete.

Die finanziellen Angelegenheiten der Gemeinde wurden vom Bürgermeister wahrgenommen. Sein Aufgabenbereich war die Aufstellung und Ergänzung des Bedebuches, die Einhebung der Bede (der Gemeindesteuer), des Viehtrifftzinses und anderer Abgaben wie die vom Backhaus, dem Brunnenseil u. ä. und die Verwaltung des Geldes. Er war also der Gemeinderechner. Gewählt wurde er jeweils für ein Jahr vom Rat und diesem hatte er am Ende seiner Amtszeit auch Rechnung zu legen. Soweit festzustellen, war er immer Ratsmitglied. Im darauf­folgenden Jahre hatte er regelmäßig die Gelder des Haingerichtes, des „Hengerats" zu verwalten.

Im Haingerichtsbuch von 1617 sind ab 1628 sämtliche Bürgermeister und ihre jährliche Abrechnungen verzeich­net. Daraus ersehen wir, daß nur in einem einzigen Jahre Wahlen und Abrechnung entfallen mußten, nämlich 1640, nachdem im November 1639 Bingen und Anfang Januar 1640 der Rheingau von Franzosen und in französischen Diensten stehenden Truppen besetzt worden war. Sonst jedoch kamen Schultheiß, Rat und Bürgermeister mit einer bewundernswerten Regelmäßigkeit Ende Januar, ausnahmsweise im Februar zusammen. Der Hengereder legte seine Haingerichtsrechnung vor, die ebenso regel­mäßig mit einem Defizit bis zu 30 fl. abschloß. Sodann rechnete der Bürgermeister ab, der hingegen (mit Aus­nahme der Jahre 1636 und 1644) genau so regelmäßig auf einen beachtenswerten Ueberschuß verweisen konnte (bis zu 86 fl. im Jahre 1631), woraus zu ersehen ist, daß der Bürgermeister während des ganzen Krieges sein Amt gut verwaltete, und daß die Mittelheimer auch am Ende desselben noch zahlungsfähig waren. Die Ueberschüsse der letzten Kriegsjahre betrugen 63, 17, 31 und 30 fl. In der Abrechnung wurden auch die Namen derjenigen festgehalten, die ihre Gemeindeschul den nicht bezahlen konnten oder nicht wollten. Zumeist sind es Ausrnärker wie Mainzer Bürger, oder Adelige, die ihre Zahlungspflicht überhaupt bestritten, das Kloster Gottes­thal oder ein/eine Minderbemittelte wie Theiß Klotters Witwe, der Hof mann Valentin oder der Schuster Melchior. War die Abrechnung vollzogen, so wählte man den neuen Bürgermeister, der nun den Faselochsen zugesprochen erhielt oder das Geld für den Ankauf eines solchen und gelegentlich auch einen Vorschuß für die Amtsführung. Bei dieser wie bei jeder anderen wichtigeren Zusammen­kunft des Rates wurde gegessen und getrunken, für die Kosten hatte der Bürgermeister mit seiner Kasse ein­zustehen. So erscheint mit gleicher Regelmäßigkeit auch während des Krieges bei der Abrechnung als Ausgabe das „Verzehrgeld“ oder der „Bürgermeister Imbiß", ein Be­trag von etwa 6 bis 11 fl. Sogar in den Jahren des Defizits verzichtete man nicht auf diesen Imbiß. Die Örtliche Gerichtsbarkeit für "Wald, Weide, Wasser, Weg und Steg" lag damals in den Händen des Haingerichtes oder des Hengeraths. Wie viele „Hendereder" Mittelheim hatte, ist nirgends angegeben; sie gehörten hier dem Rat an. Sie regelten die strittigen Fragen der Bürger untereinander, zumeist Grenzstreitigkeiten. In der Regel nahmen sie eine Ortsbesichtigung vor und trafen dann ihre Entscheidung. Ueber die Verhandlung wurde Protokoll geführt. Das Buch ,,Haingerathsgänge" ist im Archiv erhalten. Es enthält 141 Blatt, beginnt 1610 und wurde bis 1789 benutzt. Während nun das Haingericht von 1618 bis 1648 in 25 Fallen angerufen wurde, ge­schieht dies in den folgenden 30 Jahren nur 15 mal. Es trat demnach während des Krieges öfter zusammen als darnach. 

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                            Schröter, Öhmer und Schützen

Die Haupteinnahme- und Erwerbsquelle Mittelheims war bis vor etwa 100 Jahren fast ausschließlich der Weinbau. Den Weinabsatz in geordnete und erfolgreiche Bahnen zu lenken, mußte daher auch Sache der Gemeinde sein. Diesem Zweck diente die Abhaltung der Weinmärkte, Bestellung der Schröter und Schrotkarrenfahrer, sowie Oehmer oder Eicher.

Ob die Weinmärkte des Ortes regelmäßig stattfanden, ist nicht nachweisbar, doch nach der Art der Eintragungen in der Chronik wahrscheinlich. 1639 und 1640 wird eigens begründet, warum in diesen Jahren keine Weinmärkte abgehalten werden konnten.

Voraussetzung eines geordnete Weinverkaufs sind geeichte Weingefäße. Zu diesem Zwecke stellten Schultheiß und Rat alljährlich zwei ,,gemeine Oehmer" an, die jeweils zwei Jahre lang das Eichamt zu versehen hatten. Bis 1641 sind in der Chronik 19 Namen verzeichnet unter der Ueberschrift „haben geeycht“. Von diesem Jahre an sind dann die Oehmer angegeben und die Zeiten ihrer Amtstätigkeit. Auch daraus ist ersichtlich, daß Mittelheim immer seine Oehmer hatte. Daß nun die Gemeinde regel­mäßig ihre Fässer und Trinkgefäße eichen ließ, beweist doch, wie sehr den Winzern trotz der Wirren der Zeit geordnete Verhältnisse im Weinverkauf und im Wein­handel am Herzen lagen.

Bis zur Einführung der Weinpumpen wurde der Wein im - Faß aus dem Keller geschrotet und auch mit dem Faß verkauft. Nur eine ausreichende Anzahl kräftiger und verantwortungsvoller Männer konnte der Aufgabe gewachsen sein, volle Fässer über die Kellertreppe, auf den Schrotwagen und dann auf das Schiff zu transpor­tieren. Diese Aufgabe erfüllten die Schröter, die von Schultheiß und Rat ausgewählt wurden. Wohl sind die Namen der Schröter in Mittelheim bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht verzeichnet. Aus gelegentlichen Notizen aber geht ihre Existenz schon weit früher hervor. So bestraft das Haingerichl 1618 drei in eine Schlägerei verwickelte „Schrotgesellen“. Seit dem 16. Jahrhundert ist nachweisbar, daß die Gemeinde alljährlich auch den gut dotierten Posten eines ,,Kerchers" (Schrotwagen­fahrers) vergab. Der Schrotwagen gehörte der Gemeinde, das Pferd stellte der Kercher selbst. Nach 1631 fehlt jede Notiz über den Kercher, und wir wissen, daß bis 1644 auch das Schrotwesen sehr in Unordnung geraten war. Dafür gäbe es eine sehr einfache Erklärung: Der größte Teil des Weines mußte in diesen Jahren abgeliefert werden. Wer aber liefert seinen Wein ab und bezahlt dann auch noch die Schröter und die Schrotwagenfahrer dazu? Also schaffte man die Arbeit selbst oder mit Nach­barschaftshilfe, nahm sogar Frauen dazu, und sparte da­mit die Auslagen. Das ging eine Weile gut; bald gab es Klagen, besonders die Frauen wurden unzufrieden.

Das erfahren wir aus den einleitenden Worten der Schröterordnung, die Schultheiß und Rat am 16. Januar 1644 erließen und vom Ratsschreiber Martin Spuler nieder­geschrieben wurde. Hier wird die Herausgabe dieser „Ordenung vnd Satzung der Schröter zu Mittelheim“ damit begründet, daß  „. . . . täglich vielfältige Klag, Irrung vnd Zwitracht, ach der Frauwen Personenhalben Hoechsteß beschwerdt, so bishero alß gehülff zu Schroden verhelffen müssen, vorgefallen. . .“ und daß dies ,,wider ihre alte löbliche Herkommen, Ordtnung vnd gesellschaft“ sei. Nun werden wieder zwölf Schröter unter einem Schrötermeister und einem Untermeister bestellt, und ihre Rechte, Pflichten und Einnahmen werden genau festgelegt. Aus­drücklich wird auch verboten, „des Kerchers zu schonen" und den Wein selbst zum Rhein zu „leitern“, d. h. das Faß auf einer Schrotleiter zum Ufer zu rollen.

Dem Schutze des Waldes und der Erhaltung der Ordnung in der Gemarkung diente seit ältesten Zeiten das Amt des, „Feld- und Waldschützen“. Zur Annahme desselben war jeder, Einheimischer wie Ausmärker, Adeliger wie Handwerker, verpflichtet. Alljährlich übergaben Schult­heiß und Rat den Schützenspieß an zwei von Ihnen er­wählte Bürger. Wer dieses Amt nicht persönlich aus­üben konnte oder wollte, nahm sich gegen Zahlung eines gewissen Betrages, dessen Höhe wechselte, einen „Knecht". Dies war die beste Gelegenheit zu einem Nebenerwerb für unbemittelte Bewohner des Ortes. Gerade neu Zugezogene machten während des Krieges davon Gebrauch.

Die Namen der Schützen wurden in der Chronik ver­zeichnet. So sind auch von 1618 bis 1648 alle Feld- und Waldschützen eingetragen und daraus ist zu ersehen, daß Mittelheim Jahr für Jahr seine Schützen hatte. Nur ein einziges Jahr waren keine gewählt worden, nämlich für 1640. Der Chronist gibt den Grund an: Es wurden keine Schützen erkoren „wegen der Verstörung, so die Schwediese Bingen eingenommen haben.“ Zusammenfassend kann gesagt werden:

Verglichen mit vielen anderen Gegenden Deutschlands (man lese nur die Berichte aus der Pfalz oder die Schil­derungen des Pfarrers von Miehlen, kam Mittelheim sehr glimpflich durch den Krieg.

1. Nur elf Häuser, also höchstens 16%, waren bis Kriegs­ende verschwunden. Die Wahrscheinlichkeit spricht da­für, daß keines davon durch direkte Kriegsereignisse zer­stört wurde.

2. Nirgends wird von Zerstörungen und nur einmal von einer Plünderung berichtet. In der Kirche dürften Sol­daten die gottesdienstlichen Gewänder und Gefäße ent­wendet und den Hochaltar zerschlagen haben. Einquar­tierungen brachten Lasten, Krankheiten und Seuchen mit sich.

3. Die finanziellen Belastungen waren ungeheuer groß, doch der Ort war immer in der Lage, seinen Verpflich­tungen nachzukommen.

4. Die Bevölkerung konnte zum großen Teil ihrer geregelten Arbeit nachgehen und die Winzer konnten ihre Weinberge bebauen.

5. Der Bevölkerungsverlust ist kaum mehr feststellbar. Er dürfte sich mit 20% in normalen Grenzen (30 Jahre Krieg!!) gehalten haben und wurde wohl in erster Linie verursacht durch dauernde Werbungen, Aushebungen und Seuchen, die jedoch schnell wieder ausgeglichen wurden durch Zuwanderungen. Eine starke Abnahme der Altein­gesessenen muß daher festgestellt werden.

6. Während des ganzen Krieges war die Gemeindeverwal­tung intakt und arbeitete nach altem Herkommen weiter. Gerichtsschöffen, Schultheiß, Rat, Bürgermeister und Haingericht erfüllten ihre Pflichten, der Rat wählte jedes Jahr die Schützen und Oehmer. Nur 1640 mußte dies wegen der „Verstörung der Ordnung" entfallen. Nach 1631 war das Schrotwesen in Unordnung gekommen, doch 1644 werden mit der Erneuerung der Schröterordnung wieder klare Verhältnisse geschaffen.

Eine Tatsache ist in diesem Zusammenhang noch beach­tenswert: Während die Kinder Mittelheims bis dahin die Schulen in Oestrich und Winkel besuchten (Schulpflicht gab es damals ja noch nicht), errichtet die Gemeinde sechs Jahre nach Kriegsende, im Jahre 1654, zu ,,mehrer fortpflantzung der Christlichen Jugendt“ nördlich vom Pfarrhaus eine Schule. Der erste Lehrer war ein Freund des Junkers von Schönborn, der „ludimoderator" (Schul­meister) Johannes Eiffinger. Wenn diese 250 Menschen in Mittelheim so kurz nach dem Kriege ein solches Opfer für die Ausbildung ihrer Kinder auf sich nahmen, dann können die Verwüstungen im Orte nicht so groß gewesen sein, wie man bislang annahm. Vor allem aber kann das Volk nicht verlottert, moralisch her abgekommen und un­gebildet gewesen sein.

Rückschlüsse auf den gesamten Rheingau können natürlich so ohne weiteres nicht gezogen werden. Was aber die Verlustziffern betrifft, so sind sie für den ganzen Rhein­gau beinahe die gleichen, was aus folgender Aufstellung über  die  der   Hausverluste   hervorgeht : 

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Hausbestand
des Rheingaus:
1603: 2713 Häuser (nach Richter) 100%
1623: 2575 Häuser (Mittelh. Chronik fol. 61) 95%
1633: 2575 Hauser (Mittelh. Chronik fol. 108) 95%
1639: 2253 Häuser (Mittelh. Chronik fol. 112) 83%
1642: 2251 Häuser (Mittelh. Chronik fol. 111) 83%
1659: 2575 Häuser (Mittelh. Chronik fol. 131) 95%

Gleichgültig, auf welcher Basis die Zahlungen durchge­führt wurden. Wenn die Basis die gleiche blieb, so sind die Zahlen beachtenswert. Der Tiefstand war 1642 mit einem Hausverlust von 17% erreicht. Dabei fällt noch stark in die Waagschale der Brand in Oestrich. Hier gab es (wohl 1635) einen Abgang von 154 Häusern, das allein sind also schon 5,6% des gesamten Rheingauer Haus­bestandes von 1603.

Wie aber sollte es zu erklären sein, daß Mittelheim (und wie es scheint, auch der grüßte Teil des Rheingaues besser weggekommen ist als andere Landschaften Deutschlands ?

Folgende drei Gründe dürften maßgeblich dafür gewesen sein.

1. Der Rheingau hatte sich von Anfang an klar und eindeutig auf die Seite des Landesherren, des Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz gestellt, der bis 1631 immer schützend seine Hand über das Land halten konnte. Der eigentliche Krieg dauerte also für den Rheingau nicht 30, sondern nur 17 Jahre.

2. Der Wein, der den natürlichen Reichtum des Landes bildete, und jedes Jahr nachwuchs, war sein bestes Zahlungsmittel.

3. Entscheidend aber dürfte gewesen sein, daß hier das Gemeinwesen schon seit alters hochentwickelt war. Ein gesunder Bürgersinn ließ die Menschen in der Not zusammenstehen und auch so furchtbare Jahre wie die Zeit des Dreißigjährigen Krieges durchstehen. 

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