Das Privileg Heinrichs IV. für die Wormser Juden (1090): Juden zwischen Integration und Abgrenzung
1090 erhielten die Wormser Juden von Heinrich IV. eine Urkunde, die sie unter den besonderen Schutz des Königs stellte und Rechte im Umgang mit den christlichen Mitbewohnern regelte. Die Urkunde selbst ist nicht erhalten, nur Abschriften einer Urkunde Kaiser Friedrichs I., der 1157 die Urkunde von 1090 bestätigt hatte.
Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Friedrich, durch das Walten von Gottes Gnaden Römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches. Allen Bischöfen, Äbten, Herzögen, Grafen sowie allen, die den Gesetzen Unseres Reiches unterworfen sind, möge es bekannt sein, dass Wir den Juden von Worms und ihren übrigen Genossen die Erlasse Unseres Urgroßvaters, des Kaisers Heinrich [IV.], aus der Zeit Salmanns, des Bischofs dieser Juden, kraft Unseres Amtsgebots auch mit einer Urkunde von Uns bestätigen, durch ein Gesetz, das immer gelten soll.
(1) Weil Wir also wollen, dass sie wegen jeglicher Rechtssache nur Uns berücksichtigen müssen, bestimmen Wir [...dass niemand] , es sei denn sie selbst hätten ihn aus ihrer Mitte erwählt, sich herausnehmen soll, wegen irgendeiner Streitsache oder Abgabe infolge eines Rechtsfalles mit ihnen oder gegen sie zu verhandeln, es sei denn allein derjenige, den der Kaiser [...] über sie setzt – besonders da sie Unserer Kammer [= Finanzkasse des Kaisers] zugehören [...].
(2) Von den Sachen, die sie nach Erbrecht besitzen in Form von Grundstücken, Gärten, Weinbergen, Äckern, Knechten oder sonstigem beweglichem oder unbeweglichem Hab und Gut, soll sich keiner vermessen, irgendetwas wegzunehmen. In dem Freiraum, den sie an Baulichkeiten an der Stadtmauer innerhalb und außerhalb besitzen, soll sie keiner behindern. [...]
(3) Sie sollen auch die freie Befugnis haben, in der ganzen Stadt mit jedermann Silber zu wechseln, ausgenommen lediglich vor dem Münzhaus oder wo sich andere Münzleute zum Wechseln niedergelassen haben.
(4) Innerhalb des Gebietes Unseres Reiches dürfen sie frei und friedlich umherziehen, um ihre Geschäfte und ihren Handel auszuüben, um zu kaufen und zu verkaufen; und keiner soll von ihnen Zoll fordern noch irgendeine öffentliche und private Abgabe erheben.
(5) In ihren Häusern sollen ihnen ohne ihre Einwilligung keine fremden Gäste aufgeladen werden; keiner soll von ihnen ein Pferd für einen Zug des Königs oder Bischofs oder Frondienste für einen königlichen Heereszug fordern.
(6) Wenn aber Diebesgut bei ihnen gefunden wird, und wenn der Jude sagt, er habe es gekauft, soll er durch einen Schwur nach seinem Gesetz beweisen, wie teuer er es gekauft hat, und soviel soll er dafür erhalten und die Habe demjenigen, dem sie zu eigen war zurückerstatten.
(7) Niemand soll sich herausnehmen, deren Söhne oder Töchter gegen ihren Willen zu taufen, doch falls er gewaltsam Gefangengenommene, heimlich Geraubte oder gezwungene tauft, soll er zwölf Pfund Gold an das Schatzamt des Königs zahlen. Wenn aber einer von ihnen freiwillig getauft werden will, so soll dies drei Tage aufgeschoben werden [...]
(8) [Verbot der Zwangstaufe heidnischer Sklaven im Besitz der Juden]
(9) Es soll ihnen erlaubt sein, christliche Mägde und Ammen zu halten [Verbot der Arbeit an Sonn- und christlichen Feiertagen].
(10) [Nicht erlaubt ist der Besitz christlicher Sklaven]
(11) Wenn nun ein Jude mit einem Christen oder ein Christ mit einem Juden Streit hat, [soll das geltende Recht der Betroffenen gelten].
(12) Niemand soll einen Juden zum Gottesurteil mit glühendem Eisen oder heißem oder kaltem Wasser zwingen [...], vielmehr soll er seinem Gesetz gemäß nach 40 Tagen schwören. [...] In jeder Rechtssache dürfen sie das königliche Hofgericht anrufen [...]. Wer immer sie gegen Unsere Verfügung belästigt, soll dem Kaiser [...] drei Pfund Gold zahlen.
(13) [Wenn jemand zum Mord an einem Juden anstiftet], so sollen beide [...] 12 Pfund Gold an das Schatzamt des Königs zahlen. Wenn er ihn aber verwundet [...] soll er ein Pfund Gold Buße zahlen. [...] Wenn er nun aus Armut das Genannte nicht zahlen kann, [...] sollen ihm die Augen ausgestochen und die rechte Hand abgeschlagen werden.
(14) Wenn die Juden einen Streit oder eine Rechtssache untereinander zu entscheiden haben, sollen sie von ihresgleichen und nicht von anderen Leuten gerichtet werden. [...]
(15) Außerdem sollen sie die Erlaubnis haben, ihren Wein, Kräuter und Arzneien an Christen zu verkaufen [...].
Und damit dieses Verleihungsgebot allzeit unverletzt bleibe, haben Wir daraufhin diese Urkunde ausfertigen und mit dem Aufdruck unseres Siegels versehen lassen. Zeugen dieses Vorgangs sind: [...]
Gegeben zu Worms, am 6. April, unter der Herrschaft des Herrn Friedrich, unüberwindlichster Römischer Kaiser, in der 5. Indikation, im Jahre der Geburt des Herrn 1157 [...] Amen.
Zitiert nach: Zitiert nach: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250. Ausgewählt und übersetzt von Lorenz Weinrich. Darmstadt 1977. (=Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 32), S. 241247. (Gekürzt und geringfügig sprachlich bearbeitet).