Frei-Laubersheim in Rheinhessen

Vom Kirchhof zum Friedhof - über die Verlegung der Begräbnisplätze in den Außenbereich der Ortschaften dargestellt an der rheinhessischen Ortsgemeinde Frei-Laubersheim

Östlicher Teil des ehemaligen Kirchhofs in Frei-Laubersheim (heutiger Zustand 2016)[Bild: Wolfgang Zeiler]

Vorbemerkungen

Nur noch in wenigen Gemeinden in unserer Region liegen die Begräbnisstätten unmittelbar an der Kirche. Solche Kirchhöfe finden sich z.B. noch in Weinsheim oder Bingen-Büdesheim. In den meisten Ortschaften liegen die Begräbnisplätze jedoch außerhalb der örtlichen Bebauungsgrenzen. Die Art der Bauweise sowie das verwendete Material zeigen, dass diese Friedhöfe alle relativ zeitgleich errichtet wurden. Die Gründe und der Ablauf der Verlegung werden in den einzelnen Ortschaften im Detail zwar nicht identisch, aber doch denen in Frei-Laubersheim ähnlich gewesen sein.

Politisch gehörte Frei-Laubersheim, wie alle linksrheinischen Gebiete, seit dem Vertrag von Lunéville (1801) zum französischen Staatsgebiet. Mit der Gründung der Provinz Rheinhessen am 8. Juli 1816 kam es zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Die großherzogliche Provinzialregierung Rheinhessens hatte ihren Sitz in Mainz und das für die Gemeinde zuständige Kreisamt war zunächst Bingen . Ab1852 gehörte Frei-Laubersheim dann zum Kreis Alzey, nachdem der ehemalige Kanton Wöllstein Alzey zugeteilt worden war.

1. Der Kirchhof der Gemeinde Frei-Laubersheim

Bis zum Bau der evangelischen Kirche 1969/70 war die dem „hl. Mauritius und Gefährten“ geweihte Kirche an der Kirchenpforte Pfarrkirche für beide Konfessionen (Simultaneum). Mit der Aufhebung des Simultanverhältnisses im Jahre 1966 wurde die katholische Kirche wieder alleinige Eigentümerin des Gotteshauses. Freistehend, direkt neben der Kirche, befindet sich der Wehr- und Glockenturm, ein weithin sichtbareres und unverwechselbares Bauwerk aus dem 13. Jahrhundert.

Wie in den meisten Dörfern befand sich auch in Frei-Laubersheim die Begräbnisstätte in früheren Jahrhunderten an bzw. um die Kirche herum – „im Hof der Kirche“. Dadurch, dass man die Toten unmittelbar an der Kirche beerdigte, blieben die Verstorbenen im Ort und waren damit weiterhin eingebunden in die Ortsgemeinschaft. Zum sonn- und feiertäglichen Kirchgang gehörte auch der Gang zum Grab der Verstorbenen, wie dies auch heute noch in Gemeinden zu beobachten ist, deren Begräbnisstätte an der Kirche liegt. Eine umfassende und nachhaltige Änderung des gesamten Bestattungswesens in unserer Region erfolgte erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - vor allem auf der Grundlage des napoleonischen Dekrets von 1804.

2. Das napoleonische Dekret vom 23 prairial an XII (12. Juni 1804)

In Frankreich bewirkte die Aufklärung schon ab Mitte des 18. Jh´s eine zunehmende Sensibilisierung für hygienische Probleme. Man sah in den Kirchhöfen eine Gesundheitsgefahr für die Ortsbewohner durch ausfließende „Leichengifte“ oder schädliche „Ausdünstungen“. Durch das starke Bevölkerungswachstum im 18.Jh. seien die Kirchhöfe oft überbelegt, und die dadurch verursachten Mehrfachbelegungen, Massengräber und verkürzte Liegefristen hätten die hygienisch bedenklichen Zustände besonders begünstigt. In den französischen Gemeinden selbst sah man dies jedoch offenbar ganz anders. Eine offizielle Befragung französischer Bürgermeister zu gesundheitlichen Problemen auf ihren Friedhöfen führte zu zum Teil heftigen Reaktionen der Gemeinden. Nach deren Darstellung waren die Friedhöfe, ganz gleich ob sie um die Kirche herum oder mitten unter den Einwohnern lagen, niemals Ursache für Krankheiten oder Epidemien gewesen[Anm. 1]. Die französische Regierung blieb jedoch bei ihrer Auffassung.

Das napoleonische Reformdekret vom 12. Juni 1804 über das Bestattungswesen ( „Décret du 23 prairial XII sur les sepultures“) sollte vor allem diese gesundheitlichen Probleme der Kirchhöfe beseitigen. Das Dekret richtete sich an alle französischen Bürgermeistereien, auch an die „mairie“ in Frei-Laubersheim.

Gemäß diesem Dekret sollten keine Beerdigungen mehr innerhalb der Ortschaften erfolgen[Anm. 2]. Die erforderlichen neuen Friedhöfe sollten in einer Entfernung von mindestens 35 bis 40 Metern jenseits der Ortsgrenze errichtet werden. Bevorzugt waren dazu solche Plätze als Begräbnisplätze zu wählen, die am höchsten nach Norden ausgerichtet lagen. Die Bepflanzungen sollten so vorgenommen werden, dass sie die Luftzirkulation nicht behinderten („ne pas gêner la cirulation de l´air“). Die minimale Liegezeit wurde auf 5 Jahre festgelegt, und jede Beerdigung musste in einem Einzelgrab, also nicht übereinander erfolgen („Chaque inhumation aura lieu dans une fosse separée“). Auch die Mindestmaße für die Grabbreite und Tiefe sowie die Grababstände gab das Dekret explizit vor. Das Dekret forderte die Gemeinden außerdem auf, bei der Neuanlage zunächst die notwendige Mindestgröße des neuen Friedhofes zu berechnen. Dies war anhand der detaillierten Vorgaben des Dekretes unter Einbeziehung der zu erwartenden jährlichen Bestattungen in der Gemeinde relativ einfach zu ermitteln. Mit diesem Reformdekret wurde außerdem - entsprechend dem revolutionären Recht - das gesamte Friedhofswesen der Zivilgemeinde übertragen. Eine Verlegung der Frei-Laubersheimer Begräbnisstätte bewirkte dieses Dekret jedoch zunächst nicht.

 

3. Das Schreiben des Regierungspräsidenten Freiherrn von Lichtenberg

Am 14. August 1820 - Frei- Laubersheim gehörte mittlerweile als rheinhessische Ortschaft seit 1816 zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt – erhielten alle Bürgermeistereien Rheinhessens ein Schreiben des Regierungspräsidenten der Provinzialregierung in Mainz. Darin wurde festgestellt, dass der Vollzug des napoleonischen Dekrets „wegen Verlegung der Kirchhöfe außerhalb der Orte“ bisher in vielen Gemeinden der Provinz nicht erfolgte. Den Grund dafür sah die Provinzialregierung darin, dass die vorhandenen Kirchhöfe „damals noch hinreichend Raum enthielten“. „Da aber“, hieß es in diesem Schreiben weiter, „in den meisten Gemeinden diese Kirchhöfe nunmehr zu beengt sind, so sieht man sich veranlasst, die Herrn Bürgermeister der Gemeinden, worin dieser Fall bereits eingetreten ist, oder nahe bevorsteht, aufzufordern, schickliche Grundstücke[ … ] auszuwählen“. Dazu sollten gemäß dem napoleonischen Dekret „ die erhöhtesten und am meisten nach Norden liegenden Felder“ erworben und von einer mindestens 2 Meter hohen Mauer umschlossen werden. Weiterhin sollten „Anpflanzungen darinnen stattfinden, jedoch mit der Vorsicht, daß die Cirkulation der Luft nicht gehemmt werde“. Beklagt wurde in dem Schreiben, „daß in mehreren Gemeinden die Kirchhöfe nur mangelhaft, ja oft gar nicht mit einer Mauer umgeben sind, und sogar dem Vieh zur Beweidung offen stehen, wodurch die den irdischen Überresten der Verstorbenen schuldige Achtung auf eine unanständige Weise verletzt wird“[Anm. 3] . In Frei-Laubersheim war dies jedoch nicht der Fall, denn der Kirchhof war mit einer Mauer und einem verschließbaren Tor umgeben.

4. Die Reaktion der Gemeinde auf Lichtenbergs Schreiben

Der Kirchhof in Frei-Laubersheim war zur Zeit des Schreibens tatsächlich „für die dasigen Einwohner zu klein geworden“ und dadurch hatte beim „ Begraben der Toten […] große Unordnung geherrscht“[Anm. 4]. Die Gemeinde reagierte jedoch auf Lichtenbergs Schreiben anders als erwartet. Bürgermeister Bausmann plante nicht eine Verlegung, sondern beantragte die Vergrößerung des bisherigen Kirchhofes! Die Begründung ist nicht überliefert, aber es müssen stichhaltige Gründe gewesen sein, denn das „Geheime Staatsministerium“ erteilte am 31. August 1821 die „nötige Ermächtigung zur Erwerbung des zur Vergrößerung des Kirchhofs dienenden Ackers“[Anm. 5]. Wahrscheinlich war für die Genehmigung mitentscheidend, dass der Kirchhof von Frei-Laubersheim, nicht mitten Ort, sondern am Ortsrand lag. Den Acker erwarb die Gemeinde nachdem sichergestellt war, dass auf dem Grundstück keinerlei „Inscriptionen“ (Belastungen) hafteten. Die Genehmigung der Regierung in Mainz zur erforderlichen Vergrößerung der Umfassungsmauer des Kirchhofes erfolgte am 29. Januar 1822.

Die Toten waren auf dem Kirchhof bisher nach Confessionen getrennt beerdigt worden, was der Bürgermeister als „zweckwidrig“ bezeichnete. Er bat daher die Regierung seinem Gesuch zu entsprechen und die „reihenweise Beerdigung ohne Rücksicht auf die Confession“ auf dem erweiterten Kirchhof zu verordnen. Auf diese Weise könnten auf dem Kirchhof mindestens 30 Jahre lang Beerdigungen erfolgen[Anm. 6]. Dem Gesuch des Bürgermeisters wurde am 10. Januar 1823 stattgegeben.

Flurkarte von 1848 mit dem neuen Friedhof[Bild: Wolfgang Zeiler]

5. Die erneute Aufforderung zur Friedhofsverlegung

Am 10. Oktober 1831, also nur etwa 11 Jahre nach Lichterbergs erster Aufforderung zur Verlegung der Bestattungsplätze, sandte er ein weiteres Schreiben an „sämmtliche Großherzoglichen Bürgermeistereien“. Es war im Ton deutlich schärfer gehalten: „Das Dekret vom 23. Praireal Jahr XII schreibt vor, daß Begräbnisplätze 30 bis 40 Meter vor dem Orte, und an erhöhten, dem Nordwinde ausgesetzten Plätzen, gelegen sein sollen. Dies ist aber, ungeachtet unseres Rundschreibens vom 14. August 1820 […]nicht geschehen. Wenn daher der Begräbnisplatz in Ihrer Gemeinde die gesetzliche Lage nicht haben sollte, so muß die Verlegung unverweilt bewirkt werden“[Anm. 7]. In Frei-Laubersheim reagierte man auf dieses Schreiben zunächst nicht. Hatte man doch bei der Erweiterung des Kirchhofes eine Nutzungsdauer von mindestens 30 Jahren eingeplant! Doch Ende der Dreißiger Jahre gibt es dann doch erste Hinweise auf eine beabsichtigte Verlegung des Bestattungsplatzes und nach Anhörung des kath. und protestantischen Pfarramtes „verfügte der Großh. Kreistath zu Bingen die Anlegung eines neuen Friedhofes für die Civilgemeinde“[Anm. 8].

6. Die Verlegung des Begräbnisplatzes

6.1. Der Erwerb der notwendigen Felder

Bei der Suche nach einer den Vorschriften gemäßen Begräbnisstätte entschied sich der Gemeinderat für die Gewann „Im Volxheimer Weg“, die im Dreieck zwischen den Landstraßen nach Hackenheim und Wöllstein liegt. Die Gewann ist zwar nicht nördlich, sondern östlich vom Ort gelegen, aber die geforderte „Luftcirkulation“ konnte ungehindert erfolgen und die Entfernung zur nächsten Ortsbebauung beträgt auch heute noch mehr als die damals verlangten 30 bis 40 m.

In der Stellungnahme des katholischen Pfarrers vom 6. Juni 1843 zu dem geplanten neuen Begräbnisplatz zeigte dieser sich sehr zufrieden „sowohl mit der Lage – an einer bequem gangbaren Landstraße – als auch mit der Entfernung“[Anm. 9]. Die Gemeinde erwarb nun die erforderlichen Felder im Tausch gegen Gemeindeäcker und durch Ankauf. Die vier im zentralen Planungsbereich liegenden jeweils 243 Quadratklafter (QKl) großen katholischen und evangelischen Pfarr- und Schuläcker wurden im Tausch gegen Parzellen „in den 7 Morgen“ und „am neuen ev. Pfarrhaus“ erworben. Für die Bereitschaft zur Aufgabe der Äcker und als Entschädigung für bereits durchgeführte Düngung der Felder erhielten die bisherigen Besitzer, nämlich der ev. Pfarrer Matty, der kath. Pfarrer Rückert, der kath. Lehrer Braun und der Pächter des ev. Schulackers, Nicolaus Espenschied, zusätzlich jeweils 16 fl. aus der Gemeindekasse. Private Kaufverträge zum Erwerb der Äcker im Randbereich des geplanten Friedhofes wurden mit Michael Mathes über 152 QKl und mit Joh. Eppelmanns Witwe über 12,62 QKl geschlossen. Der Preis pro QKl betrug dabei in beiden Fällen jeweils 1 fl 18 Kr[Anm. 10]. Insgesamt hatte die Gemeinde jedoch zu viel Grund erworben und verkaufte 402 Quadratklafter im Jahre 1844 an den Justus Bausmann aus Frei-Laubersheim.

Blick auf den Teil des Friedhofs, der 1844 errichtet wurde, mit dem Kreuz, das heute in der Friedhofsmitte steht.[Bild: Wolfgang Zeiler]

6.2. Die Errichtung des neuen Friedhofes

Nach Abschluss des Erwerbs der notwendigen Äcker zeichnete der „Geometer III. Klasse“ Mathes Pläne des neuen Friedhofes. Die neuen Friedhöfe wurden in der Regel rechtwinklig angelegt und die Gräber in gerader Reihe parallel zur Friedhofsmauer. Dadurch konnte der vorhandene Raum optimal genutzt werden. In Frei-Laubersheim wurde die nördliche Begrenzung jedoch nicht rechtwinklig, sondern entlang des dort befindlichen Volxheimer Weges errichtet. Die Einfriedung erfolgte durch eine ca. 1,60 m hohe Mauer mit Deckplatten. Der einzige Eingang zum neuen Friedhof lag am Volxheimer Weg. Den Zuschlag für die Arbeiten erhielten sowohl Ortsbürger als auch auswärtige Handwerker. Der Maurermeister M. Ritter aus Wonsheim, der Steinhauermeister Adam Schreiber aus Fürfeld und der ortsansässige Fuhrunternehmer Ph. Bauhsmann der IV erhielten für ihre Arbeiten zusammen ca. 1.400 fl, was mehr als 2/3 der gesamten Herstellungskosten von 1.791 fl 11 Kr ausmachte. Der Schlosser Wilhelm Richter aus Bingen fertigte das schmiedeeiserne Tor, der Frei-Laubersheimer Johann Maul erbrachte Fuhrleistungen und Handarbeiten bei Einebnung und Planierung des neuen Friedhofs. Weitere Leistungen z.B. das „Einsäen des neuen Friedhofes mit Klee“ oder das „Anpflanzen von Holzpflanzlingen“ bildeten den Abschluss der Herstellungsarbeiten.

6.3 Das steinerne Kreuz

Der kath. Pfarrer Rückert hatte darum gebeten, dass „als trostreiches Zeichen der Erlösung in erhabener Größe ein steinernes Kreuz … mit Oelsilberfarbanstrich in der Mitte des Friedhofes aufgerichtet … werden möge – ein Symbol, welches nicht nur der Einen sondern auch der anderen Confession eigen ist und auf den meisten Communalfriedhöfen gefunden wird“. Die beiden Kirchengemeinden einigten sich auf ein „einfaches steinernes Kreuz ohne Christusbild“. Im Mai 1844 war der neue Friedhof hergestellt; es fehlte jedoch noch das Kreuz! Die Protestanten waren bereit den Friedhof auch ohne Kreuz feierlich zu begehen, der kath. Pfarrer Rückert jedoch hielt eine vorschriftsmäßige Einweihung des Friedhofes ohne Kreuz für nicht möglich. Damit beide Konfessionen den Friedhof gleichzeitig in Gebrauch nehmen konnten, bat der kath. Pfarrer das bischöfliche Ordinariat in Mainz um eine Ausnahmegenehmigung. Die Antwort war ablehnend. Rückert erhielt zwar die Ermächtigung „den neuen Friedhof allda nach Vorschrift des Rituals einzuweihen, jedoch für die vorgängige Aufstellung eines Kreuzes gehörig zu sorgen, und bis dahin die einzelnen Gräber bei eintretenden Beerdigungsfällen einzusegnen“[Anm. 11]. Der neue Friedhof wurde daher von den beiden Kirchengemeinden zu unterschiedlichen Terminen in Gebrauch genommen. Am Sonntag dem 28. Juli 1844 nahmen die Protestanten mit einer feierlichen Begehung den neuen Friedhof in Gebrauch; die Katholiken weihten den neuen Begräbnisplatz erst ein Viertel Jahr später am Sonntag, dem 27. Oktober 1844, nachdem das Kreuz errichtet worden war.

Dieses vom Steinhauer Konrad Fendner aus Steinbockenheim erstellte Steinkreuz wurde jedoch nicht, wie dies der kath. Pfarrer sich wünschte und auch mit der ev. Kirchengemeinde vereinbart gewesen war, in der Mitte des Friedhofes, sondern nahe der südlichen Begrenzungsmauer errichtet. Die kath. Gemeinde war darüber sehr verärgert. Bürgermeister Wehr wurde vom Kreisrat in Bingen aufgefordert über diese Auseinandersetzung zu berichten. Wehr schrieb am 23. Nov. 1844 an den Kreisrat, „daß der katholischen. Confessionsgemeinde das weitere Recht eingeräumt worden [sei], sich nach Belieben kleine hölzerne Kreuz auf ihren Gräbern zu pflanzen und nunmehr die ganze Sache friedlich abgethan [sei]“[Anm. 12]

Flurkarte mit der Friedhofserweiterung von 1907[Bild: Wolfgang Zeiler]
Grabstein des kath. Pfarrers Dominic Kamp, gest. am 24. Dezember 1876. Der Stein befindet sich heute auf dem ehem. Kirchhof[Bild: Wolfgang Zeiler]

6.4. Die Erweiterung des neuen Friedhofes

Wer heute den Friedhof betritt wird feststellen, dass sich das Kreuz in etwa in der Friedhofsmitte befindet. Diese von den Katholiken im Jahr1844 gewünschte Stelle wurde nicht durch ein Umsetzen des Kreuzes, sondern durch die im Jahre 1907 vorgenommene Verlängerung des Friedhofes nach Süden erreicht. Dazu erwarb die Gemeinde im Jahre 1904 vom dem Wöllsteiner J. Schmitt das angrenzende Feld für 1800 Mark, und zahlte diesen Betrag in 3 Jahresraten ab. Die Gemeinde hatte gehofft, die Kosten der Erweiterung des Friedhofes durch den Waldertrag von 1903 und 1904 finanzieren zu können. Dieser fiel jedoch unerwartet gering aus, so dass der Rat beschloss, den Ertrag, den man aus dem Verkauf des Geländes zum Bau der Nebenbahn Wöllstein-Fürfeld in Höhe von 2.465 M erzielte, für den Ankauf des Friedhofsgeländes zu verwenden. Die ungünstige Haushaltslage führte auch dazu, dass die Gemeinde nur eine relativ kleine Leichenhalle an der westlichen Begrenzungsmauer errichtete. Man war ohnehin der Meinung, dass eine kleine Leichenhalle genügen würde, denn auf dem Friedhof „bedarf [es keines Raumes] zur Unterbringung des Leichenwagens, indem derselbe in einem geräumigen Platze unter dem Rathause untergebracht ist“[Anm. 13] .

6.5. Die weitere Entwicklung des alten Kirchhof

6.5.1 Die Einebnung

Mit der 1844 vorgenommenen Ingebrauchnahme des neuen Friedhofes war der alte Begräbnisplatz um die Kirche herum „cassiert“, so dass dort Beerdigungen künftig nicht mehr zulässig waren.[Anm. 14] Für viele Dorfbewohner sicherlich eine emotional schwierige Situation. Nun konnten die Kinder nicht mehr bei den vor 1844 verstorbenen Eltern oder die Ehefrau nicht mehr bei ihrem bereits verstorbenen Ehemann begraben werden. Man hatte nun zwei getrennte Trauerorte: den einen, den die Gläubigen zwangsläufig beim Gang zur Kirche betraten und einen zweiten, den man durch bewusste Entscheidung aufsuchte. Ob die Gemeinde trotz der Schließung des Kirchhofes in Einzelfällen noch Beerdigungen zuließ, ist schriftlich nicht überliefert.

Tatsache ist jedoch, dass 1864, also 20 Jahre nach der offiziellen Schließung des Kirchhofs als Begräbnisstätte, die Gemeinde „die Einebnung des alten Friedhofes“ sowie die „Anlegung von Wegen und Pfäden“ durch Martin Eppelmann und Cons. durchführen ließ[Anm. 15]. Eppelmann benötigte dazu 53 ½ Tage, was auf relativ umfangreiche Arbeiten schließen lässt. Die Wege wurden mit Kies belegt und die baufällige Umfassungsmauer vom Maurer Heinrich Sturm wieder hergestellt. Durch all diese Arbeiten war der alte Kirchhof zu einem kleinen Park geworden. Diese in den 1860iger Jahren durchgeführte Verschönerungsmaßnahme am Kirchhof war keine Einzelmaßnahme im Ort, denn die Gemeinde verschönerte z.B. auch den Röhrenbrunnen durch einen im Jahr 1869 im neugotischen Stil gestalteten Brunnenstock.

6.5.2 Der Kirchhof als Turnplatz – unwürdig oder würdig?

Im Frühjahr des Jahres 1900 wurde in Frei-Laubersheim der TUS (Turn-und Sportverein e.V.) gegründet. Man turnte zunächst die ersten Wochen mit Zustimmung der Lehrerin Frau Zimmermann auf dem Schulhof. Wegen der stark steigenden Mitgliederzahlen beantragte der Verein bereits kurz nach der Gründung bei der Gemeinde, den Kirchhof als Turnplatz benutzen zu dürfen. Gegen den Widerstand des kath. Pfarrers Michel, der grundsätzliche Einwendungen gegen das Turnen auf einem ehemaligen. Friedhof vorbrachte, wurde die Genehmigung durch das Kreisamt Alzey erteilt, allerdings mit der Auflage, dass der Verein erst „nach beendigtem Nachmittagsgottesdienst“, also nach 15:00 Uhr, mit dem Turnen auf dem Kirchhof beginnen könne. Aber bereits am ersten Turntag auf dem alten Kirchhof, am Sonntag, dem 24. Juni gab es Streit und sowohl der Bürgermeister als auch Pfarrer Michel gaben ihre Sicht des Geschehens jeweils in einem Bericht an das Kreisamt weiter.

Nach dem Bericht des Ortsbürgermeisters Bauhsmann über diesen ersten Tag war der Gottesdienst um 14:40 Uhr beendet und Pfarrer Michel verließ die Kirche. „ Der Turnverein begann 3:35 Uhr seine Übungen bestehend aus Ordnungs-, Frei- und Stabübungen“.[Anm. 16] „Auf dem Turnplatz“ schrieb Bauhsmann an das Kreisamt in Alzey weiter, „herrschte die schönste Ordnung und Ruhe[…] trotzdem vielleicht 120 bis 130 Personen darauf versammelt waren“.

Pfarrer Michel schrieb über diesen Nachmittag an das Kreisamt, dass er am 24. Juni „in der Zeit von 3 bis ¾ 4 Uhr wenigstens zwanzigmal durch das schneidige Kommando gestört wurde, seine Beichtkinder noch öfter. Und, besonders sonntags ist das Beichten, eine bessere und dem Orte entsprechendere Übung als das Turnen“. Pfarrer Michel forderte daher, vor allem auch aus Gründen der Pietät, das Turnen auf dem ehemaligen Begräbnisplatz unverzüglich zu verbieten.

Das Kreisamt in Alzey schickte eine Kommission nach Frei-Laubersheim, die sich die Lage vor Ort ansah und antwortete dem Pfarrer Michel, dass „der freie Platz um die Kirche durch nichts an den ehemaligen Friedhof erinnert. Auch die älteren Einwohner, welche wir darüber befragt haben, können sich nicht erinnern, daß auf dem Friedhof noch Gräber zu erkennen waren oder Grabdenkmäler vorhanden gewesen seien. […] Der Friedhof, von dem schon vor Jahren ein Teil zur Straße verwendet worden ist, steht im Grundbuch auf den Namen der Gemeinde […] und [die Gemeinde]ist daher auch berechtigt, über die Benutzung des Friedhofes zu verfügen.[…] Von einer Kirchhofschändung, die Sie in der geplanten Benutzung des alten Friedhofs erblicken, kann keine Rede sein.“ Die Turner durften also bleiben. Aber noch bis in die 1940iger Jahre antworteten die katholischen Pfarrer auf die Routinebefragung durch das bischöfliche Ordinariat, ob der alte Friedhof würdig gehalten wird:“Nein, dient als Turn- und Spielplatz“

 

W. Zeiler 2016

 


Anmerkungen:

  1. Nadaux, Marc: Un problème communal au XIXème siècle:le déplacement du cimetière extra muros. http://www.19e.org/articles/cimetiere2.htm; eingesehen am 8.10.2015 Zurück
  2. Das Folgende nach: Rondonneau, L.: Collection générale des lois, decréts, arêtes, senates-consultes, avis du conseil d´état, Paris, 1818; google-books; eingesehen am 1.Sept.2015 Zurück
  3. Ortsarchiv Frei-Laubersheim (OAFl), Acten der Bürgermeisterei, Friedhofswesen Zurück
  4. OAFl, a.a.O. Zurück
  5. OAFl, a.a.O. Zurück
  6. OAFl, a.a.O. Zurück
  7. OAFl, a.a.O. Zurück
  8. OAFl, a.a.O. Zurück
  9. Domarchiv Mainz, Pfarrei Frei-Laubersheim Nr.46 Bestand 47/13 Zurück
  10. 1 fl (Florin bzw. Gulden) entsprach 60 Kr (KreuzerZurück
  11. Domarchiv Mainz, a.a.O. Zurück
  12. OAFl, a.a.O. Zurück
  13. OAFl, Protokollbuch der Gemeinde Frei-Laubersheim 1878-1917 Zurück
  14. Festschrift zum 200jährigen Bestehen der Pfarrkirche St. Mauritius und Gefährten in Frei-Laubersheim, S.61 Zurück
  15. OAFl, Einnahme/Ausgabebuch1864 Zurück
  16. Domarchiv Mainz, a.a.O. Zurück