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0.Das Auferstehungs-Wandmosaik in der Trauerhalle Rheindürkheim, wahrscheinlich von Agathe Sander

Vortrag von Klaus und Beate Harthausen am 26. November 2017 anlässlich „Rheinhessen von Tag zu Tag – verborgene Orte“

[Bild: Klaus Harthausen]

0.1.Zur Herkunft und Geschichte des Wandmosaiks

Die Trauerhalle wurde zwischen 1958 und 1960 gebaut. Nach Angeben der Ortschronik von Hans Dlugosch wurde das Mosaikbild vom Fliesenlegemeister Karl Braun aus Bechtheim nach einer Vorlage einer Fliesenfabrik von der Bergstraße gefertigt. Die beiden Kirchengemeinden hätten die Kosten des Mosaiks getragen.

Diese Angaben sind leider etwas ungenau. Bei unseren Recherchen konnten weitere Zeitzeugen bestätigen, dass Karl Braun das Mosaik ausgeführt hat. Nicht bestätigen können wir, dass die Kirchengemeinden das Mosaik bezahlt hätten, in den Protokollen und Unterlagen der Evangelischen Kirchengemeinde Rheindürkheim findet sich dazu nichts. Lediglich die Erstausstattung an Stühlen für die Trauerhalle lässt sich belegen. Die Gemeinderatsprotokolle sind leider auch nicht mehr im Stadtarchiv verfügbar, da vom ehemaligen Bürgermeister bei der Eingemeindung leider Gemeindeunterlagen umfangreich und unwiederbringlich aussortiert wurden.

Auch die Fliesenfabrik an der Bergstraße bleibt leider bisher ohne Namen. Wir vermuten den Fliesengroßhandel Krieger aus Heppenheim an der Bergstraße. Die hohe Qualität des Entwurfes lässt jedoch darauf schließen, dass es sich nicht um ein Industrieprodukt handelt, sondern um einen künstlerischen Entwurf. Daher war die Vermutung naheliegend, dass es sich um einen Entwurf der Künstlerin Agathe Sander handelt, die im Wormser Raum in dieser Zeit relativ viele Mosaiken geschaffen hat. In der Anfangszeit waren diese noch unsigniert, das spätere „AS“ in der Ecke fehlt. Es gibt auch kein Werkeverzeichnis von Agathe Sander, so dass wir leider zum Entwurf nichts Konkretes festhalten können.

0.2.Das Wandmosaik - Beschreibung

Wenden wir uns dem Wandmosaik zu, so sehen wir im Zentrum eine gleichsam schwebende männliche Figur mit Glorienschein und einer Kreuzfahne. Neben diesen Attributen weisen die Bekleidung mit einer brau-weißen Toga, die roten Wunden an Händen und Füßen sowie die Frisur mit halblangen Haaren und kurzem Vollbart auf die Person Jesus hin. Die farbige Fläche unter seinen Füßen enthält einen markanten schwarzbraunen Querstreifen, den wir als das offene Grab verstehen dürfen. Jesus schwebt mit seinen Füßen über diesem Grab, er entschwebt gleichsam der Gruft. Sein Gesichtsausdruck ist eher ernsthaft, seine unbekleideten Arme sind ausgebreitet. In seiner linken Hand hält er einen langen Stab mit einer Wimpelfahne, die im oberen Bereich ein Kreuz zeigt, ein Hinweis auf seine Todesart. Seine rechte Hand ist erhoben, Daumen, Zeige- und Mittelfinger sind abgestreckt, Ringfinger und kleiner Finger angewinkelt. Dies ist in der mittelalterlichen Bildersprache das Zeichen für eine sprechende Person.

Von uns aus gesehen rechts ist eine weitere Figur, mit eher unbestimmtem Geschlecht, mit langen Haaren, Heiligenschein und bläulichen Flügeln. Wir können sie gleich als Engel erkennen. Im Gegensatz zu Jesus ist er deutlich auf der angedeuteten auf der blauen Standfläche verhaftet. Der rechte Arm ist ebenfalls in der erhobenen Haltung mit Sprechsymbolik. Die linke Hand ist mit der Handfläche auf Jesus bzw. die anderen Figuren gerichtet.

Von uns aus gesehen zur Linken sehen wir drei Frauen. Ihre Gewänder sind lang bis über die Füße und geschlossen. Die Haare sind bläulich, was uns auf einen Kopfschleier als traditionelle Bekleidung hinweist. Zwei der Frauen tragen eine Schale
oder Schüssel vor ihrem Körper.

Jesus ist deutlich größer als die anderen Figuren, der Engel etwas größer als die Frauen. Das ist nicht eine Frage der graphischen Perspektive. In der alt hergebrachten Bildersprache ist dies als Bedeutungsperspektive zu verstehen. Dies finden wir schon auf Bildern der alten Ägypter und Assyrer, später auch im Mittelalter bei uns. Der Herrscher, der König ist das zentrale Bildelement und übernatürlich groß. Um ihn herum sein Hofstaat oder anderen Personen, die nach ihrer Bedeutung im Bild verkleinert werden. Dies ist eine intuitiv zugängliche Darstellung: Jeder versteht sofort wer die wichtigste und zentrale Figur der dargestellten Szene ist.
Auch der Glorienschein ist ein universell verständliches Symbol, das es z.B. auch in der indischen oder islamischen Kunst gibt. Der helle, goldene Schein hinter dem Kopf symbolisiert Erleuchtung und Heiligkeit.

Die Farben der Wandfliesen bewegen sich im Bereich bräunlich und bläulich. Davon deutlich abweichend finden wir in der zentralen Jesusfigur auch rötliche Farben an den Wundmalen sowie in einem Streifen über der Gruft. Und wir finden gelbliche, orange und goldene Farbstreifen im Umhang, im Glorienschein sowie am Fahnenstab - als Symbole der Pracht und Herrschaft. Die freien Hautpartien sind mit kleinen braunen Steinen vom Hintergrund zur Kontrastierung abgesetzt.

Auch bei der Materialität setzt sich die zentrale Figur erkennbar ab. Die Wandfließen sind nicht nur vielfarbiger, sondern auch deutlich unterschiedlicher in Größe und Zuschnitt. So sehen wir im Mantelsaum und im äußeren Glorienschein sehr kleine, eher quadratische Mosaiksteine in Orange und Gelb. Über der Grabesöffnung der rote Streifen ist ebenfalls in kleinen Mosaiken ausgeführt. Dies hebt das Auferstehungs-geschehen und die Verherrlichung Jesu hervor. Auch das Gesicht ist deutlich stärker herausgearbeitet, die Augen weit offen auf den Betrachter gerichtet.
Weitere, sehr hübsche Spielarten in der Materialität finden wir beispielsweise in der den Frauenfiguren. Durch den Zuschnitt der Fliesen werden für die Kleider verschiedene Muster erzeugt: Ganz links sehen beispielsweise wir im Oberkleid braune Fliesen in eher gebrochener Form, die sich von rechteckigen Formen im blauen Unterkleid sehr deutlich absetzen. Auch in den andern Figuren und in der Grabesdarstellung findet sich ein vielfältiges Spiel von graden und gebrochenen Formen.

Die eher kantigen Umrisse sowie die Verzerrung des Runden ins Eckige, verweisen uns stilistisch in die 50er Jahre. Besonders gut sieht man dies im zentralen Glorienschein, der als abgerundetes, unregelmäßiges Dreieck erscheint – ähnlich wie bei den bekannten Nierentischen.

Um das Bild zum Sprechen zu bringen wenden wir uns nun der biblischen Erzählung zu, die mit diesem Mosaik für uns als Evangelien-Bild nacherzählt wird.

0.3.Die Botschaft der Auferstehung

Die Auferstehung wird im neuen Testament in den vier Evangelien immer leicht unterschiedlich erzählt, mal sind es zwei Frauen, mal drei. Mal sind es zwei Engel (Lukas), mal nur einer. Die Details sind leicht unterschiedlich, der Erzählungskern der Auferstehung jedoch immer gleich. Die Darstellung in unserem Mosaik folgt der Erzählung aus Matthäus 28, 1-8.

(1) Als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. (2) Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. (3) Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? (4) Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. (5) Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich.
(6) Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. (7) Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. (8) Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich. (Luther 2017)

0.4.Das Wandmosaik – eine Interpretation

Schauen wir uns zur Deutung des Kunstwerkes also nochmal an, was wir hier sehen und bleiben in der Reihenfolge des Bibeltextes.

Links sehen wir die drei Frauen. Aus der biblischen Erzählung können wir sie ansprechen mit Maria Magdalena sowie Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Sie haben wohlriechende Öle gekauft um als letzten Dienst und Ehre den Leichnam Jesu zu salben. Wir erkennen auf dem Bild die Schalen, die das Öl enthalten. Ihre Gesichter sind eher ausdruckslos, eher trauernd. Wir sehen sie also während sie noch zum Grab kommen.
Mit den drei Frauen dürfen sich alle sehen, die hierher kommen, um ihren Angehörigen und Freunden die letzte Ehre zu geben, und um sie zu trauern. Dass die drei Frauen im Bild sind zeigt, dass die Trauer ihren Platz hat: An diesem Ort und auch im christlichen Glauben.

Rechts sehen wir den Engel. Durch seine langen Flügel und den hellbraunen Glorienschein ist er eindeutig gekennzeichnet. Er ist die einzige Figur, die wir nicht frontal sehen, er hat sich in Richtung Grab und Frauen gewendet. Seine Handhaltung deutet seine Botschaft an. Der rechten Hand zeigt das Bildsymbol für eine Rede. Die linke Hand ist mit der Handfläche gleichsam abwehrend zu den Frauen gerichtet. Er spricht: „Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.“ Die Handhaltung deutet also sowohl das „Was wollt ihr hier“ als auch das „Geht aber hin“ an.
Der Engel zeigt dem Betrachter, dass Gott die Trauer der Frauen sieht. Den Trauernden hier an diesem Ort zeigt er auch: „Gott hat Deine Trauer gesehen.“ Aber der Engel weist auch darauf hin, dass die Trauer nicht das letzte bleibt. Er weist uns mit seiner Rede auf die zentrale Figur hin: den auferstandenen Jesus.

Im Zentrum sehen wir Jesus als den Auferstanden, den „Christus Surrexit“, über dem Grab schwebend. Das Grab erkennen wir als schwarze und offensichtlich leere Öffnung.
Die Lanze mit dem Kreuzwimpel geht unten bis zum Grab hinab. Sie drückt aus: am Kreuz wurde der Tod besiegt; Jesus ging an das Kreuz und in den Tod. Doch das Kreuz als Folterinstrument, mit dem er von den Römern hingerichtet wurde, es ist zum Symbol des Sieges geworden. Die Lanze trägt das blutige Rot und das siegreiche Gold gleichermaßen in sich.
An seinen Tod erinnern auch die Wundmale, die wir in deutlichem Rot an seinen Händen und Füßen sehen. Sie sind der Beleg, der auch den zweifelnden Jünger Thomas überzeugen. Hier ist kein Geist und keine Idee zurückgekehrt. Nein, hier ist jemand wirklich tot gewesen und auferstanden. Unglaublich und doch wahr. Das überzeugte die erstaunten Jünger und die Wundmale erinnern auch uns als Betrachter daran, dass Gott in Jesus durch den Tod gegangen ist.
Jesus schwebt über dem Grab - wir sehen noch den Tod, aber der Tod ist überwunden. Jesu golden bis oranger Glorienschein weist darauf hin, dass er aus dem Grab als Sieger hervorgegangen ist. Der Tod ist besiegt, Jesus ist auferstanden und wird von Gott verherrlicht. Es soll uns daran erinnern: Jesus ist vorangegangen durch den Tod zum ewigen Leben.
Die Hand Jesu ist in Sprechhaltung erhoben. Sein Mund ist geöffnet und seine großen Augen direkt auf uns Betrachtende hier in der Trauerhalle gerichtet. Alle Menschen, die hierher kommen um zu Trauern und Abschied zu nehmen, spricht er an und hat eine gute Nachricht für sie:
„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben."[Anm. 1]

0.5.Zur mutmaßlichen Künstlerin Agathe Sander (von Beate Harthausen)

Agathe Sander wurde am 25. Dezember 1916 in Glogau in Schlesien geboren. Später zog die Familie nach Trebnitz, dort hatte ihr Vater Richard Sander in Fotoatelier. Ihre Mutter Alexandra kümmerte sich um die sechs gemeinsamen Kinder.

Mit 17 Jahren begann die Künstlerkarriere von Agathe Sander. Unterricht erhielt sie an der Kunstakademie in Breslau bei Professor Georg Muche. Seine Kunst wurde allerdings nach 1933 als „entartet“ beschlagnahmt. Ab 1938 hatte Agathe Sander für ein Jahr ein eigenes Atelier in Breslau. Denn 1939 folgte sie ihrem Professor Muche als Meisterschülerin für Textilkunst nach Krefeld und studierte im Anschluss an der Akademie für Bildende Künste in Dresden.

Am Ende des 2. Weltkriegs ist sie erst einmal im Elternhaus in Trebnitz, wohl aus gesundheitlichen Gründen. Ihre Familie findet Unterschlupf im dortigen Kloster. Dort waren sie vor dem Zugriff russischer Truppen sicher. Als Dank malte Sander für die Nonnen dort sowie für die Breslauer Franziskaner einige Bilder. Ebenso wird sie von den Russen als Malerin engagiert und bemalte Militärfahrzeuge mit den passenden Emblemen.

Über das Schweizer Rote Kreuz gelang der Familie 1950 die Ausreise in den Westen, wobei sie zuerst bei ihrem Bruder Dr. Adolf Sander, Pfarrer in Wachenheim an der Pfrimm, unterkommt.

Seit 1951 wohnte sie in Worms. Von hier aus besuchte sie als Stipendiatin die Meisterklasse bei Professor Etz an der Staatlichen Bau- und Kunstschule Mainz.

Im Worms gibt es viele größere Kunstwerke, die von Agathe Sander gestaltet wurden. Viele Kunstwerke sind ein alltäglicher Anblick und man weiß gar nicht, von wem sie sind.

Das wohl bekannteste Werk von Agathe Sander sind die Mosaiken an der Wormser Stadtmauer im Heylshofpark. Dort hat Sander drei Mosaiken zur Stadtgeschichte gestaltet. Ein weiteres sehr bekanntes Mosaik befindet sich an der Hauswand südlich des Domplatzes. Hier ist Bischof Burchard zu sehen. Für die ehemalige Hagenschule gestaltete sie den Namensgeber in Eisen für die Hauswand.

Von ihr sind zahlreiche Aquarelle, Federzeichnungen als auch Öl- und Temperagemälde erhalten. Bevorzugte Motive waren Landschaften des Südens, Impressionen ihrer alten und neuen Heimat, das eindrucksvolle Familienportrait der Familie Gündra sowie Portraits von Oberbürgermeister Heinrich Völker und des Stadtchronisten Carl Villinger. Auch im Umkreis war die Künstlerin Sander geschätzt. So entwarf sie Figurinen für das Mannheimer Puppentheater. Im Umkreis von Worms finden sich zudem einige öffentliche Gebäude darunter Kirchen, die von ihr mit Mosaiken oder Bemalungen gestaltet wurden. In ihrer bescheidenen Art hat Agathe Sander leider in früheren Jahren ihre Mosaiken nicht mit einer Signatur versehen, bzw. sind die Pläne und Vorzeichnungen für diese nicht mehr vorhanden. Deshalb ist es nicht aus zu schließen, dass unser Rheindürkheimer Mosaik von ihr ist. Leider lässt es sich auch nicht mehr beweisen.

Bis in die achtziger Jahre war Sander auch als freiberufliche Lehrbeauftragte im Eleonoren-Gymnasium für die Kunsterziehung zuständig. Auch ich durfte in der 7. Klasse den Unterricht bei Frau Sander genießen.

Die Künstlerin lebte sehr bescheiden. Viele Bilder und Portraits von prominenten Wormser Bürgern sind heute in Privatbesitz. In unregelmäßigen Abständen hat Sander ihre Werke auch in Ludwigshafen, Mannheim, Krefeld oder Worms ausgestellt. Darunter war die Ausstellung im November/Dezember 1966 anlässlich der Eröffnung des Städt. Spiel und Festhauses in Worms sowie eine Ausstellung Wormser und Frankenthaler Künstler im Mainzer Landtag 1976.

Am 20. September 1998 verstarb die Künstlerin Agathe Sander. Sie ist auf dem Wormser Hauptfriedhof im Grab mit ihren Eltern und Geschwister beigesetzt worden.[Anm. 2]

Nachweise

Verfasser: Beate und Klaus Harthausen

Erstellt am: 27.04.2020

Anmerkungen:

  1. Johannes 11,25f. Zurück
  2. Beate Harthausen nach einem Aufsatz in „Wormserinnen“ von Ulrike Schäfer und Veronika Heimkreitner. Zurück