St. Martin
Die katholische St. Martinskirche (weiße Kirche) erhebt sich am Nordwestrand der Stadt auf deren höchsten Punkt und bestimmt damit eindrucksvoll das Ortsbild. Der mächtige Glockenturm war ursprünglich Teil der Stadtbefestigung.
Die Lage und das Patrozinium weisen auf eine ehemalige Kapelle des königlichen Hofguts hin. Sie wurde spätestens im 8. Jahrhundert Pfarrkirche des Fiskus Oberwesel.
Das 1303 errichtete Stift ging im Dreißigjährigen Krieg wieder unter. Seine Begründung hatte den Anlass zum Bau der heutigen Kirche gegeben, der im Wesentlichen in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts nach dem Vorbild der Liebfrauenkirche (Rote Kirche) erfolgte. Der Turm wurde nach dem Weseler Krieg 1390/91 im Zusammenhang mit der Befestigung der Niederburger Vorstadt zum Wehrturm ausgebaut (ein Zuganker im obersten quadratischen Turmgeschoß ist dendrochronologisch auf 1435 datiert). Das nördliche Seitenschiff wurde Anfang des 16. Jahrhundert stark vereinfacht errichtet.
Baubeschreibung nach Dehio:
Die Kirche ist bis auf den Turm verputzt und weiß gestrichen (Weiße Kirche). Ursprünglich dreischiffig geplant, wurde nur das Mittelschiff mit dem Chor, der Westturm und das nördliche Seitenschiff errichtet. Das Mittelschiff besteht aus drei, der gleich breite und hohe Chor aus zwei Jochen und 5/8-Schluss. Auf der Südseite finden sich einfache Strebepfeiler, dazwischen die vermauerten Spitzbogenöffnungen des geplanten Seitenschiffs und dreibahnige Maßwerkfenster, im Chor und im ersten östlichen Mittelschiffjoch aus dem frühen 14. Jahrhundert, in den beiden westlichen Mittelschiffjochen mit Fischblasenmaßwerk des 15. Jahrhunderts. Die Chorschlussfenster sind weit heruntergezogen. Das nördliche Seitenschiff hat sechs Achsen mit nach innen gezogenen Strebepfeilern, anschließend ein frühgotischer Nebenchor aus einem Joch und 5/8-Schluß (heute Sakristei).
Sehenswert sind die Gewölbemalereien und das Chorgestühl aus der Entstehungszeit sowie der barocke Hochaltar von 1682 und das gotische Sakramentshaus von ca. 1450.
Einzelheiten zum Kirchenbau
Westturm
Der gewaltige, wehrhafte Westturm bildet, nur wenig hinter der Stadtbefestigung stehend, deren nordwestliche Eckbastion. Sein quadratischer Grundriss entspricht zwei etwas schmäleren Mittelschiffjochen. Schießschartenartige Fenster nach Westen und sparsamer Schmuck weisen auf die Wehrfunktion (vgl. die Kirchtürme von Braubach, Wellmich). Ursprünglich in die Seitenschiffe eingezogen geplant; im 15. Jahrhundert ausgebaut mit Zinnenkranz, Ecktürmchen und wie bei Liebfrauen auf dem inneren Mauerkern aufsitzendem, achtseitigem Mittelturm (ob darauf ein Helm geplant war, ist nicht überliefert); in Einzelformen von katzenelnbogischen Burgtürmen (etwa der Marksburg) abhängigen Türmen wie St. Barbara zu Braubach verwandt. Die Obergadenfenster des Langhauses setzen sich beim Turm in Form von Blendfenstern fort, doch wird die Horizontale des Langhausdaches nicht aufgenommen, vielmehr die Vertikale durch mittlere Strebepfeiler hervorgehoben.
Das Innere
Im Innern Kreuzrippengewölbe, die auf Konsolen in Höhe der Fensterbänke des Mittelschiffs ruhen. Chor aus zwei Jochen und 5/8-Schluss mit Gewölben. Mittelschiff aus drei Jochen mit Wanvorlagen, die sich aus den Arkadenpfeilern entwickeln; das Fischblasenmaßwerk in den beiden westlichen Jochen und die Schlusssteine lassen eine (erneute?) Einwölbung des Schiffs um 1492 vermuten. Unter der in ganzer Höhe geöffneten Turmempore zwei etwas schmalere Joche. - Trotz einfacher Mittel strahlende Raumwirkung, aber nicht die konsequent strenge Klarheit von Liebfrauen, eher behäbiger, doch nicht ohne Größe.
Der anschließende, als Saktristei abgetrennte Nebenchor hat ein schönes Gewölbe mit frühgotischen Rundstabrippen auf Runddiensten mit Laubwerkkapitellen.
Ausmalung
Zuletzt 1965/66 restauriert. Pfeiler, Fenstergewände und Rippen in hellem, beigefarbenem Sandsteinton mit weißen Fugen. Am Chorgewölbe ein Muster aus locker gestreuten Sternen, in das sich um die Schlusssteine Medaillons mit den Evangelistensymbolen, Engeln mit Leidenswerkzeugen und Wappen einfügen; aus der Erbauungszeit (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts). Die pflanzlichen Darstellungen im Langhaus wohl 1492, gleichzeitig und erste Hälfte 16. Jahrhundert sowie 1660 die Darstellungen im Chor, an den Pfeilern und im Seitenschiff. Unter den z. T. guten Malereien bemerkenswert: hl. Petrus (am Turmpfeiler), drittes Viertel des 15. Jahrhunderts, hl. Anna Selbdritt, um 1500, Heilige (Nordpfeiler), Anfang 16. Jahrhundert. Im Seitenschiff hl. Johannes Ev., um 1420/30.
Ausstattung
Über gotischer Mensa vierstöckiger großartig in den gotischen Chor hineinkomponierter Hochaltaraufsatz, 1682, mit Gemälde der Kreuzabnahme (nach dem Antwerpener Gemälde von P.P. Rubens), des hl. Martin, Marienkrönung und der Vera icon; an den Seiten die Heiligen Petrus und Paulus. - Aufsätze der Seitenaltäre, zweites Viertel 18. Jahrhundert, auf dem linken hl. Sebastian (gleichzeitig), auf dem rechten Muttergottes, Mitte 15. Jahrhundert, im Seitenschiff Mutter Anna mit Maria, Ende 18. Jahrhundert - Reste eines gemalten Passionsretabels, um 1400, mit Kreuzigung Christi und (übereinander in zwei Reihen) den Aposteln. - Kleines Reliquienretabel mit Flachreliefs (Kindheit Christi, beginnend mit der Verkündigung an Maria, und Passion, endend mit der Deesis), wohl von Elfenbeintafeln angeregt, Mitte 14. Jahrhundert, die gemalten Flügel drittes Viertel 15. Jahrhundert - Reliquienretabel mit gemalten Flügeln (Heilige auf den Innenseiten, außen Verkündigung an Maria, Stoffhintergrund auf dem Marienflügel), um 1500. - Unter der Empore zwei Flügel eines Retabels, auf der Vorderseite Maria im Rosenhag, Marter der hl. Ursula, hl. Anna Selbdritt, Marter der Zehntausend, auf der Rückseite Ölberg und Schmerzhafte Muttergottes, um 1470. Im Seitenschiff zwei Tafeln mit weiblichen Heiligen, 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. - An den Chorwänden auf Leinwand gemalte Triptychen der Passion Christi und des Pfingstwunders, 2. Hälfte 17. Jahrhundert.
Sechsseitiges Sakramentshaus, Anfang 14. Jahrhundert mit gemalter Kreuzigungsdarstellung, Mitte 15. Jahrhundert - Taufstein 1713. - Marmorne Kommunionbank, 18. Jahrhundert - Einreihiges Chorgestühl (die vorderen Wangen entfernt), erste Hälfte 14. Jahrhunderts - Wohlproportionierte, mit schönen Intarsien geschmückte Kanzel, 1617, mit reichem Schalldeckel, darauf Auferstandener; wohl gleichzeitig Teile des Gestühls, ebenfalls mit Intarsien an den Wangen, im Seitenschiff. - Beichtstuhl 1631. - Dreiteiliger Reliquienschrank mit durchbrochen geschnitzten Türen, gegen 1700. - Kruzifix, zweites Drittel 15. Jahrhundert; hl. Sebastian, Anfang 18. Jahrhundert, hl. Josef, Mitte 18. Jahrhundert - Im Seitenschiff figürlicher Grabstein der Katharina Feist (gest. 1522). Epitaph Reichmann Reichardt und Dorothea Schrayen (gest. 1607), mit Kreuzigungsdarstellung und voluminösen seitlichen Putten. Orgel, Anfang 18. Jahrhundert. – Kerzenständer 17. Jahrhundert.
Sakristei
In der Sakristei Schächer einer Kreuzigungsgruppe, gute Schnitzwerke, erste Hälfte 16. Jahrhundert, eindrucksvolles Vesperbild im südostdeutschen Typus, Anfang 15. Jahrhundert - Kaselstäbe erste erste und zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts; Paramente 18. Jahrhundert - Monstranz, Mitte 18. Jahrhundert.
Außenbereich
Am Chor Maria und Johannes aus einer steinernen Kreuzigungsgruppe, Anfang 16. Jahrhundert, aus dem Umkreis Backoffens. Am Hauptschiff stark abgetretene Grabsteine von Stiftsherren, 14. Jahrhundert, einer 1655 wiederverwendet.
Quelle: Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Rheinland-Pfalz Saarland. Bearb. von Hans Caspary u.a. Darmstadt 1985; Schwarz, Anton Ph.: Eine Zeitreise durch Oberwesel. Historischer Stadtführer. Hrsg. vom Bauverein Historische Stadt Oberwesel. 2000; redakt. Bearb. S.G.