Ockenheim in Rheinhessen

Die Burg in Ockenheim

Die Burg - ein burgus

„Ich selbst habe häufig auf den tausendjährigen Ruinen gesessen und die schönen Gußmauern bewundert, und ließ in Gedanken die hier gekämpfte mörderische Schlacht des Civilis an mir vorüber gehen, nicht achtend des Gespöttes der Bauern, die sich über mein Vergnügen lustig machten, daß ich bis zum Knie durch einen sumpfigen Graben watete, um stundenlang auf dem kahlen Gemäuer mich den brennenden Sonnenstrahlen auszusetzen. Umsonst versuchten die für nichts Alterthümliches Sinn habenden Besitzer in den Jahren 1838 und 1839 diese Gemäuer abzubrechen und nachdem sie Pulver und Arbeit hinlänglich verschwendet, gelang es ihnen bloß, sie dem Boden gleich zu bringen.“ (aus: Keuscher: Bingen zur Zeit der Römer. S. 290.).

Ob dies Ockenheimer Burg aus einer spätantiken, römischen Fluchtburg ("Arx") entstand, deren Name nach dem bereits eingangs zitierten Heimatforscher aus dem 19. Jahrhundert, Jakob Keuscher, "Ucenium" lautete ist jedoch nicht gesichert. Die Urkunde, auf die sich Keuscher bezog, ist nicht mehr vorhanden. Es handelte sich nicht um das Idealbild einer Burg mit vielen Zinnen und Türmchen. Vielmehr war es ein etwa quadratischer, steinerner Turm von etwa 20 mal 20 Schritt Größe und zwei bis drei Etagen, dessen Ursprung im römischen Wachtturm lag - recht einfach und karg anzusehen, doch im Gegensatz zu den reinen Lehmhütten der Einwohner sehr komfortabel. Dieser Art von Burg verdankt diese ihren Namen: Dem burgus.

Seit spätestens dem 12. Jahrhundert gehörten große Güter und Böden Ockenheims dem Mainzer Erzstift. Vom 12. bis 15. Jahrhundert wurde die Burg von erzbischöflichen Ministerialen bewohnt, die den Zusatz „von Ockenheim“ trugen. Ob diese Herren über Ockenheim aus dem Ort stammten oder vom Mainzer hier eingesetzt wurden, ist nicht klar. Daher ist es auch schwierig, zu erkennen, ob ein "von Ockenheim" jener ministerialen Familie angehörte oder Herkunftsbezeichnung ist. Da Urkunden des Hochmittelalters politische und wirtschaftliche Beziehungen darstellen, sind darunter meist die Verwalter des Mainzer Erzbischofs zu verstehen. Bis 1500 wurden in den bisher editierten Urkunden nun zwei Personen mit der Herkunftsbezeichnung "von Ockenheim" genannt, bei denen es sich nicht um Ministeriale handelt: 1297 ein Dietrich, der 1289 Vikar in Ockenheim war, und um 21. Januar 1422 ein Johann von Ockenheim, der explizit als Handwerker bezeichnet wird.

Bei den urkundlich Erwähnten lässt sich eine starke Häufung der Namen Friedrich, Heinrich und Philipp erkennen. Ein Stammbaum lässt sich jedoch mit diesen Quellenfunden nicht erstellen, da genealogische Begriffe wie "junior" und "senior" oder die Durchnummerierung mit I, II, III, usw. nicht überliefert ist. Selbst bei Gleichnamigen innerhalb einer kurzen Zeitspanne könnten Vater und gleichnamiger Sohn erwähnt sein.

 

Die Ockenheimer Burgmannen

Der erste urkundlich erwähnte Ministeriale von Ockenheim war Bernwin, der in einer erzbischöflichen Urkunde für das rheingauische Kloster Johannisberg von 1130 als Zeuge in Bezug auf das Kloster Johannisberg im Rheingau genannt wurde („De Oggenheim: Bernewinus"). Der 1211 im Güterverzeichnis des Klosters Eberbach erwähnte Bernwin wird ein Nachfahre von ihm sein und die mit ihm erwähnten Heinrich von Ockenheim und Volcnand von Ockenheim waren wahrscheinlich in den folgenden Jahren urkundlich erneut genannt: Ein Heinrich von Ockenheim nahm am fünften Kreuzzug teil und bezeugte den Tod seines Mitpilgers Wilhelm II., Graf von Jülich. Und Volcnand von Ockenheim war - dank seines seltenen Vornamens - immer wieder in Urkunden zu fassen: Er lebte in Bingen, besaß in Ockenheim eine Hofstätte mit Scheune und wurde insbesondere in Urkunden des Mainzer Erzbischofs und des Klosters Rupertsberg mehrfach im 13. Jahrhundert genannt.

Spätestens im 13. Jahrhundert wurden die von Ockenheim Lehnsmänner der Grafen von Sponheim und der Herren von Bolanden. Dennoch blieb der Erzbischof von Mainz weiterhin der oberste Lehnsherr seiner Burgmannen in Ockenheim. Von den Herren von Bolanden erhielten die Herren von Ockenheim im 13. Jahrhundert die Burg Leyen bei Rümmelsheim als Lehen. Dies geht aus mehreren Einträgen im Bolander Lehensbuch für das 13. Jahrhundert hervor. Ob die Ockenheimer Burg zeitweise unbewohnbar wurde, beengte Platzverhältnisse herrschten oder die Lehensvergabe ein Zeichen der Dankbarkeit für Lehenstreue war, ist nicht geklärt. Ebenso nicht, ob dieser mit der Burg Layen belehnte "Heinrich de Okkenheim" jener Heinrich von Ockenheim war, der in Urkunden als "scelero" oder "scelia", als ruchloser Verbrecher ("scelerato = ruchlos, frevelhaft, verbrecherisch) genannt wurde, über dessen Taten aber in Urkundenbüchern nichts zu erfahren ist. Er wird lediglich mit diesem Attribut als Zeuge beim Verkauf von Gütern von Rheingraf Werner II. an das Kloster Eberbach genannt.

Die urkundliche Erwähnung der Herren von Ockenheim geht ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts abrupt zurück. Trotz der erhöhten Schriftlichkeit wurden in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten nur noch wenige Personen aus Ockenheim erwähnt. Nachdem Ockenheim im Frühmittelalter für die Bewirtschaftung der merowingischen Königspfalz und späteren Kaiserpfalz zuständig war, wechselten die Herren von Ockenheim im 15. Jahrhundert nach Ingelheim. Zwar nicht in die Kaiserpfalz, aber in die größere und komfortablere Burgkirche. Ob die Ockenheimer Burg nicht mehr genug Raum bot oder zu baufällig wurde, ist nicht bekannt. Bekannt ist jedoch, dass sich das Geschlecht fortan "von Ockenheim genannt zu Ingelheim" oder "von Ingelheim genannt zu Ockenheim" nannte - je nachdem ob die ursprüngliche oder zeitgenössische Herkunft betont werden sollte. Der Grabstein Wilhelms II. von Ockenheim genannt zu Ingelheim, Schultheiß des Ingelheimer Grundes und des Mittelrheinischen Reichsrittergerichtes zu Ingelheim, ist in der Ingelheimer Burgkirche erhalten. Vermutlich war sein Vater oder Großvater von Ockenheim nach Ingelheim gezogen.

Das Geschlecht der "von Ockenheim, genannt zu Ingelheim bestand weiterhin, wenn auch nicht mehr mit "Ockenheim" im Titel. Durch Heirat eines von Ingelheim mit der Tochter des Echter von Mespelbrunn bewohnen Nachkommen nun das Mespelbrunner Schloss.

 

Die Ockenheimer Burg: Ein Abbild der Brömserburg?

Eine Burg, die ihrem Ursprung als burgus noch sehr ähnlich sieht, ist die von Ockenheim schräg gegenüberliegende Brömserburg oder Niederburg am Rheinufer von Rüdesheim, deren Bauweise ein wenig erforscht ist. Die Brömserburg wurde um 900 als Wohnturm errichtet und etwa 200 Jahre später um einen zwischen solche burgus mit drei bewohnbaren Stockwerken erweitert. Obgleich die Ockenheimer Burg nur einen solchen Wohnturm besaß, könnte sie Ähnlichkeit mit der Brömserburg gehabt haben. Auch ein Kontakt durch Leucht-/Blinkzeichen über nahende Feinde oder Herrscher sind denkbar. Der Sichtkontakt zwischen den Burgen war auf jeden Fall möglich, jedoch nicht von der Stelle, die Guido Olschowka für die Ockenheimer Burg bestimmte - auch nicht vo einem möglichen zweiten Stockwerk der Burg. Olschowka vermutete, dass die Burg am tiefsten Punkt in der Woog nahe der Pfarrwiese gelegen haben muss, da die Ockenheimer Burg sei eine Wasserburg gewesen, für die das sumpfige Gebiet ideal war. Dagegen spricht die Kenntnis römischer Bauherren, die keine sumpfigen Stellen für die Errichtung von Kastellen oder Schutzburgen wählten. Zudem findet sich bei Olschowka selbst die Angabe, die Burg sei erst im späten Mittelalter zur Wasserburg umgebaut worden, war daher keineswegs schon immer von Wasser umgeben. Für den Zweck einer nachträglichen Wasserburg reichte auch der Bachlauf der Ockenheimer Bach aus.

 

Die Grundmauern der Ockenheimer Burg sind noch sichtbar

Von dem Ockenheimer Gerhard Hattemer bekam ich 2001 den Hinweis, die Burg habe dort gestanden, "wo Klinglers ihren Wingert haben", d.h. in der Nähe des so genannten Antoniuskapellchen. Dies habe ihm vor 40 Jahren ein Ockenheimer erzählt, an dessen Namen er sich jedoch nicht mehr erinnern konnte. Dieser Standort liegt etwas erhöht als jener, den Guido Olschowka vermutete.

Im Februar 2001 ging ich mit meinen Eltern an den von Gerhard Hattemer besagten Weinberg, der zufällig gerade ausgehackt und frisch gepflügt worden war. Ein paar Fotos sind davon entstanden, die in Kürze hier folgen werden.

Alle größeren Natursteine mit Mörtel befanden sich in einem gewissen Radius – bis zu den ausgestreckten Armen meines Vaters - und danach kein einziger mehr. Ein Indiz für die Sprengung der Mauerreste der Burg.

Das Antoniuskapellchen in unmittelbarer Nähe wurde zwar erst im 19. Jahrhundert erbaut, weist jedoch Bruchsteine verschiedenen, teils sehr hohen Alters auf. Die Vermutung liegt nahe, dass diese von den gesprengten Burgmauern stammen. Zu einer wissenschaftlichen Untersuchung kam es trotz meiner Bitten an Herrn Rupprecht vom Landesdenkmalamt leider nicht.

Ein deutliches Indiz für meine Vermutung lässt sich von der Luft erkennen.

Durch ehemalige Bachläufe oder Mauern, die nie vollständig aus der Erde entfernt wurden, ändert sich die Vegetation durch farblich Merkmale: Über unterirdischen Wasserläufen (und seien es nur Rinnsale) grünen Pflanzen sehr gut; sind Mauern darunter, welken Pflanzen schnell.

So erkennt man an dem Luftbild im Bereich der Woog und der Flur Leigen an einer Stelle braune, gerade Stellen und einen etwa kreisförmigen dunkelgrünen Ring. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind hier noch die unterirdischen, nicht sprengbaren Überreste der Burgmauern als auch des Wassergrabens der Burg.

 

Die Ockenheimer Burg in der geschichtlichen Überlieferung

Die Ockenheimer Burg muss schon im 16. Jahrhundert stark baufällig und ohne Bedeutung gewesen sein. Im Mascopschen Plan von Ockenheim ist sie nicht mehr eingetragen. Doch wurden die Mauerreste der Burg, nachdem ihre Steine vermutlich für Häuser in Ockenheim benutzt wurden, erst im 19. Jahrhundert gesprengt. Die großen Steine lagen nach der Sprengung noch zur Jahrhundertwende um 1900 im Bereich des Woog, wie in Brilmayers Beschreibung zu Ockenheim zu lesen ist. Andere Heimatforscher des 19. Jahrhunderts äußern sich – wesentlich knapper – über die Mauerreste der Burg. 1835 Johann Wilhelm Christian Steiner („Am Ende des Dorfes sieht man noch die Ueberbleibsel einer alten Burg [...]“), 1847 Karl Anton Schaab („Vor dem Ort stand eine Burg, deren Reste noch übrig sind.“), 1862 Georg Wilhelm Justin Wagner („Ockenheimer Burg. Lag wahrscheinlich in nordnordöstlicher Richtung von Ockenheim, und es sind von dieser Burg noch Reste vorhanden.“) und schließlich 1905 Karl Johann Brilmayer („Nordöstlich von dem Dorf lag eine feste Burg, mit Wall und tiefem Graben umgeben, der von dem Wasser der Bergquelle angefüllt wurde. Reste derselben sind noch vorhanden. Sie hatte im Mittelalter gleich anderen Burgen ihr Burgmannschaft.“).

Nachweise

Verfasserin: Petra Tabarelli

Aktualisiert am: 24.10.2014