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Weihnachten an der Front. Der Erste Weltkrieg

Britische und deutsche Offiziere treffen sich im Niemandsland während des Weihnachtsfriedens, 25. Dezember 1914, Foto: Harold Burge Robson. Imperial War Museums[Bild: IWM Q 50721]

Im Morgengrauen schauten französische und britische Soldaten an Heiligabend 1914 von ihren Schützengräben auf die deutsche Front und staunten. In den frühen Stunden des Morgens geschah an mehreren isolierten Stellen der Westfront des Ersten Weltkrieges, wo in den vergangenen Monaten hunderttausende Soldaten von beiden Seiten gestorben waren, ein Wunder, das in den Geschichtsbüchern bis zum heutigen Tag als einer der unwahrscheinlichsten und emotionalsten Waffenstillstände aller Zeiten gefeiert wird. Wo die französischen und britischen Soldaten seit Monaten nur die Waffen und Pickelhauben der deutschen Soldaten auf der anderen Seite des Niemandslandes sehen konnten, stand an dem kalten, klaren Morgen nun eine Reihe von kleinen, mit Kerzen beleuchteten Tannenbäumen.

Wo die Soldaten beider Seiten bisher nur das unendliche Klang der Schüsse und Bomben gehört hatten, herrschte an diesem Morgen Ruhe. Wie könnte es dazu gekommen sein? In einer auf historischen Recherchen basierenden Erzählung über den fiktiven Soldaten Felix aus dem pfälzischen Neustadt bittet irgendwann ein Feldwebel „die Briten, nicht zu schießen, wenn wir ein Weihnachtslied singen.“ Nachdem die Antwort „wenn wir nicht auf Deutsch mitsingen müssen…“ zurückkam, fangen beide Seiten langsam an, Weihnachtslieder aus ihrer Heimat zu singen.[Anm. 1]

Französische Soldaten berichteten erst, von den deutschen Schützengräben aus „Stille Nacht“ gehört zu haben, bevor britische Soldaten die Luft mit Dudelsackmusik füllten. Sehr schnell verbreitete sich die Nachricht der kleinen nicht vereinbarten Waffenstillstände, bis an fast der gesamten Westfront von der Ostsee bis Nordfrankreich die Soldaten beider Seiten langsam aus ihren Gräben kletterten und sich gegenseitig begrüßten. Ein belgischer Offizier erinnert sich, dass die Deutschen direkt gegenüber von ihm ein Schild mit den Worten Joyeux Noël aufhängten, und langsam auf ihn und seine Männer zukamen, wobei sie „Kameraden!“ riefen.[Anm. 2]

Langsam wurde die Situation an der Front entspannter, als Soldaten sich die Hand gaben, versuchten, trotz Sprachunterschieden miteinander zu kommunizieren, und sich gegenseitig Weihnachtsgeschenke reichten. Wie der britische Veteran Reginald Thomas 60 Jahre später berichtet: „[Wir] tranken im Niemandsland Champagner, wir rauchten und wir unterhielten uns. Es war eine Verbrüderung im gemeinsamen Gefühl, den Krieg endlich beenden zu müssen.“ Dazu wurde an einzelnen Stellen wohl Fußball gespielt und getanzt – ein britischer Soldat brachte sogar eine Kamera mit und fotografierte deutsche Soldaten zusammen mit seinen Kameraden.[Anm. 3]

Trotz dieses hoch emotionalen Zusammentreffens der feindlichen Armeen dauerte es nur bis zum übernächsten Tag, dem 26. Dezember, bis Führungskräfte auf beiden Seiten von diesen „Verbrüderungen“ erfuhren und die verantwortlichen Soldaten bestraften. Wie Elisabeth Kreiter aus Germersheim, die Mutter eines Soldaten, in ihrem Tagebuch schrieb, „von höherer Stelle [wurde] dieser Fraternisierung Einhalt geboten. Und doch geht der Krieg weiter mit ungeheurer Grausamkeit. Unsre Pioniere wühlen wie die Maulwürfe, gruben unterirdische Gänge, um die Schützengräben der Feinde in die Luft zu sprengen.“[Anm. 4] So schnell wie er anfing, war der Weihnachtsfrieden auch wieder vorbei, und der Historiker Niall Ferguson warnt in seinem Buch „Der Falsche Krieg“ davor, zu große Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Er hält das Phänomen für nichts mehr als „eine von vielen Episoden des Krieges“[Anm. 5]. Das mag zwar stimmen, aber für die Soldaten, die an diesem „Weihnachtswunder“ beteiligt waren, war es eine einmalige und lebensverändernde Erfahrung. Wie der deutsche Offizier Georg Reim schrieb, seien „alle Gedanken an Kampf, an Hass der Völker … plötzlich vergessen gewesen. Wir fühlten uns dabei glücklich wie die Kinder.“[Anm. 6]


Verfasser: Daniel Meakem
Literaturhinweise:

  • Lagier, Rosine. Noëls de Guerre, 2008 Strasbourg, S.63.
  • Landgraf, Michael: Felix zieht in den Krieg, Neustadt 2014, S.40.
  • Jürgs, Michael. Der kleine Frieden im Großen Krieg, 2005 München, S.41-43.
  • Krapp, Werner. Tagebucheinträge der Elisabeth Kreiter, Eintrag des 1. Januars 1915, Regionalgeschichte.net. 

 

Anmerkungen:

  1. So verarbeitet Michael Landgraf die Materie in seiner Erzählung "Felix zieht in den Krieg" (Neustadt 2014, S. 40). Zurück
  2. Lagier, Rosine. Noëls de Guerre, 2008 Strasbourg, S. 63. Zurück
  3. Jürgs, Michael. Der kleine Frieden im Großen Krieg, 2005 München, S. 41-43. Zurück
  4. Krapp, Werner. Tagebucheinträge der Elisabeth Kreiter, Eintrag des 1. Januars 1915, Regionalgeschichte.net. Zurück
  5. Jürgs, Michael. Der kleine Frieden im Großen Krieg, 2005 München, S. 35. Zurück
  6. Ebd., S. 43. Zurück