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Weinbehandlung in mittelalterlichen Fachprosaschriften

von Susanne Kiewisch

0.1.Quellen

Neben der mittelalterlichen Rechtssprechung, die zum Beispiel das Verschneiden mit Branntwein verbot, liefern auch die Fachprosaschriften reichhaltige Belege für die Praxis der Weinbehandlung. Diese Quellen finden sich in den Sammelbänden mit medizinischen, landwirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Texten. Die weit versprengten Rezeptsammlungen zur Weinbehandlung sind teilweise ediert und teilweise noch nicht veröffentlicht worden. Anhand verschiedener Rezeptarien kann eine Übersicht über die verschiedenen Methoden gewagt werden, die deutlich macht, dass es sich um eine Tradition mit relativ konstanten Substanzgruppen, aber variierten Mengenangaben handelte. Eine neu erschlossene Obstbaulehrschrift ermöglicht sogar einen kleinen Einblick in die Weinbehandlung, wie sie sich während des 15. Jahrhunderts im Kloster Tegernsee abgespielt haben mag.

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0.1.1.Lehrschriften mit überregionaler Wirkung

Die »Historia naturalis« in 37 Büchern von Gaius Plinius Secundus war im Mittelalter sehr bekannt, vor allem durch Exzerpte in den sogenannten »Naturkundlichen Enzyklopädien«. Plinius gibt Regeln zum Einsatz des Mondkalenders im Weinbau an, sonst insgesamt sehr wenig zur Weinbehandlung und mehr zum Pflanzenschutz. Einige seiner Anleitungen reichen in das Gebiet des Aberglaubens. So sollte der Winzer seine Hippe an einem Biberfell abstreifen, wenn er die Reben vor Spinnraupen schützen wollte. [Anm. 1]

Marcus Porcius Cato der Ältere [Anm. 2] lehrt in »De agri cultura« die Bewirtschaftung eines großen Landgutes, dessen wichtigste Kulturpflanzen Ölbaum, Rebe und Getreide waren. In unserem Zusammenhang ist interessant, daß er die Rezepte für Kunstwein angibt. Im Mittelalter war die Originalschrift von »De agri cultura« wenig bekannt, auch hier wurde die Tradition über Zitate in den »Naturkundlichen Enzyklopädien« weitergegeben.

Lucius Iunius Moderatus Columella schließlich, als dritter der antiken Landwirtschaftsautoren, lehrte in 12 Büchern vom Landbau ebenfalls die Herstellung von Kunstwein und auch von Essig. [Anm. 3]

Das »Opus agriculturae« von Rutilius Taurus Aemilianus Palladius war bis ins Hochmittelalter die bekannteste landwirtschaftliche Lehrschrift und lag auch allen neueren Werken zugrunde. Für den Monat Oktober gibt er Rezepte zur Weinverbesserung an und benutzt dazu antike Quellen. [Anm. 4]

Ein sehr umfassendes Werk über Landwirtschaft lag schon mit der »Geoponica« vor, doch verhinderte die griechische Sprache eine weitreichende Kenntnis. Die lateinische Bearbeitung der Weinbaukapitel [Anm. 5] von Burgundius Pisanus [Anm. 6] unter dem Titel »Liber vindemie« wurde dagegen maßgeblich für mittelalterliche Schriften über Weinbau.

So benutzte Petrus de Crescentiis [Anm. 7] 1305 für seine »Ruralium commodorum libri« Burgundius und Palladius als Vorlagen und nennt diese auch im Text.

Auch Gottfried von Franken [Anm. 8]benutzte im 14. Jahrhundert Burgundius, um in seinem »Pelzbuch« den Weinbau zu lehren. Daneben ergänzte er viel aus eigener Erfahrung bzw. nach ihm persönlich bekannten Gewährsleuten. Sein ursprünglich lateinisches »Pelzbuch« breitete sich rasch in Mittel- und Nordeuropa aus und wurde in zahlreiche Volkssprachen übersetzt. Der deutschen Fassung A fehlen einige Kellereirezepte des lateinischen Textes. Für die spätere Hausväterliteratur war es die wichtigste Quelle, die jedoch nie namentlich genannt wurde.

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0.1.2.Lokale Rezeptsammlungen

Neben diesen Schriften, die teilweise in ganz Europa bekannt waren, gibt es eine Vielzahl von anonymen Rezeptsammlungen, von denen meist nur wenige Kopien angefertigt wurden und die nur eine lokal begrenzte Wirkung hatten. Manche waren Teilkopien aus den "großen" landwirtschaftlichen Schriften oder Gottfrieds »Pelzbuch«, dessen Rezepte vom Verfasser nach eigenen Versuchen abgeändert oder ergänzt wurden. Werlin vermutet, dass der anonyme Autor von Rezeptsammlungen, deren Quellen sich nicht nachweisen lassen, seine Ergebnisse aus der praktischen Arbeit im Weinbau aufgezeichnet hat. [Anm. 9]

Im Rahmen der Dissertation [Anm. 10] "Weinbau und Kellerei in lateinischen Fachprosaschriften des 14. und 15. Jahrhunderts" wurden vor allem auf die von Werlin edierten Texte zurückgegriffen und speziell Tegernseer medizinische Handschriften gesichtet. Eher zufällige Beiprodukte waren einige Funde in den Bibliotheken von Graz und Wolfenbüttel.

Das Biburger Weinbuch entstand Mitte des 15. Jahrhunderts im Benediktinerkloster Biburg und wurde 1453 von Frater Benedictus dem Kloster Mondsee vermacht. Es enthält 79 Anleitungen zur Behandlung von Wein. Doch besteht keine Textverwandtschaft zu den Rezepten aus Gottfrieds »Pelzbuch«. [Anm. 11] Dagegen konnte Werlin Textverwandtschaft zwischen dem »Pelzbuch« und dem Südtiroler »Codex 104« aus der Sammlung Eis nachweisen. [Anm. 12] Auch Codex 3593 der Österreichischen Nationalbibliothek Wien enthält Weinrezepte aus Mondsee, doch waren diese Texte unabhängig vom »Biburger Weinbuch« und dem »Pelzbuch« entstanden. [Anm. 13]

Das »Opusculum de plantationibus arborum« entstand zwischen 1462 und 1474 im Umfeld des Klosters Tegernsee. Der anonyme Autor benutzte vor allem Petrus de Crescentiis' Werk, ergänzte aber aus eigener Erfahrung. Die ältere Grazer Handschrift enthält nur die reine Baumschulanleitung. Erst die jüngere und ausgeschmücktere Münchener Handschrift fügt eine Beschreibung einzelner Obstarten und der Weinkellerei hinzu. Neben wortgetreuer Kopie aus den »Ruralium commodorum libri« schrieb der Verfasser eigene Rezepte nieder, die mit ihren bayrischen Maßen und mundartlichen Begriffen sowie genauen Angaben zu den Traminer Weinen den damaligen Tegernseer Weinbau widerspiegeln. [Anm. 14]

In weiteren medizinischen Handschriften aus Tegernsee sind Weinrezepte aus dem 15. Jahrhundert verstreut, die den ins »Opusculum« aufgenommenen ähneln. Die verwendeten Substanzen zur Weinverbesserung sind gleich, jedoch differieren die Mengenangaben. [Anm. 15]

Die Grazer Handschrift des »Opusculum« befindet sich in einem umfangreichen Sammelband, in dem verschiedene Libelli zusammengebunden wurden. Am Ende des Codex sind ebenfalls Weinrezepte in deutscher Sprache eingetragen worden. [Anm. 16]

Eine genauere Untersuchung ist sicherlich die Handschrift aus der Familie eines Augsburger Weinhändlers wert. Die Handschrift war im Besitz von Matthäus Schwarz zu Augsburg. [Anm. 17] Sein Vater Ulrich Schwarz war Weinhändler und sein Großvater Ulrich Schwarz d. Ä. [Anm. 18] hat das Buch besessen und eventuell auch 1469 geschrieben. Neben anderen deutschen Texten enthält die Handschrift auch eine ausführliche Kellermeisterei. [Anm. 19]

Zwischen diesen lokalen Sammlungen und den weit verbreiteten Lehrbüchern besteht ein sprachlicher Unterschied. Während die überregional bekannten Verfasser nur die Substanzen angeben, nennen die zumeist anonymen Rezeptsammler genaue Mengen- und Zeitangaben.

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0.2.Die Rezepte

An dieser Stelle kann nur eine Einteilung der Rezepte nach Ziel und verwendeter Substanzgruppe vorgenommen werden. [Anm. 20]

0.2.1.Weinprobe

Die Händler betrogen gerne ihre Kunden. So warnte Gottfried davor, dass der Käufer vor dem Probieren Walnüsse oder Käse angeboten bekam. Hatte er davon gegessen, schmeckte ihm aller Wein süß. Häufig streckten die Händler den Wein mit Wasser. Burgundius lehrte Verfahren, um dies zu erkennen. Petrus de Crescentiis und Gottfried übernahmen seine Angaben. Dabei sollte gestreckter Wein mit ungelöschtem Kalk zischen. Man könne gestreckten Wein vom unverdünnten unterscheiden können, wenn man ihn in Öl tropfe. Und eine Birne, ein Apfel oder Tiere wie Zikaden oder Garnelen schwämmen nur in ungestrecktem Wein.

Natürlich wollte der Kunde auch wissen, ob der Wein haltbar war oder leicht umschlug. Geruch und Geschmack der Weinhefe wurden überprüft oder der Wein abgekocht und ebenfalls der Geschmack getestet. Wenn der Wein zwei bis drei Tage an der Luft stehen gelassen werden konnte und dabei gut blieb, war er auch empfehlenswert.

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0.2.2.Weinverbesserung

Doch ein Großteil der Rezepte widmete sich der Weinverbesserung, teilweise kann man auch geringschätzig "Panschen" sagen.

Das Versetzen mit Branntwein war ein häufig geübtes Verfahren, obwohl es viele Stadträte verboten hatten. Michael Puff von Schrick empfahl 1455 im »Büchlein von den gebrannten Wassern«: [Anm. 21] Auch wer trueben wein hat / geüßt er branten wein darein er wirt wider schoen. Für diese Verfahren gibt es kein antikes Vorbild, denn die Alkoholdestillation wurde erst im 12. Jahrhundert in Mitteleuropa bekannt. [Anm. 22]

Heute noch erlaubt ist die Zugabe von kohlensaurem Kalk und Bentonit. Neben Kalk werden in den mittelalterlichen Rezeptarien auch Gips und Sand erwähnt. Doch im deutschen Sprachraum wird vor allem Mergel (terra alba, argilla, mergil, dachen) angegeben. Besonders die lokalen Rezeptsammlungen erwähnen diesen als Klärmittel. Auch wurden häufig Eiweiß und Milch, teilweise sogar Mehl oder gebackenes Brot zum Klären verwendet. Kochsalz oder Alaun wurden dem Wein ebenfalls zugegeben.

Die Weinhefe von gutem Wein oder Weinblüten, -laub oder Asche der Rebstöcke sollte schlechtem Wein zur Güte verhelfen. Dabei wurde die Waldrebe (Clematis vitalba) wie die Weinrebe verwendet. Doch setzte man auch regelrecht eine pflanzliche Apotheke ein, um seinen Wein zu heilen. Beifuss, Bohnenkraut, Eichenrinde, Fenchel, Ingwer, Kornblumen, Leinsamen, Lorbeer, Pfeffer, Salbei und Wachholder waren Heilpflanzen, die auch in den Wein gegeben wurden. Die Rezepturen zur Weinbehandlung unterschieden sich von denen der damaligen Humanmedizin lediglich dadurch, dass keine oder ungenauere Mengenangaben gemacht wurden. Meist hängte man ein kleines Leinensäckchen mit den Kräutern in das Faß und ließ es einige Tage wirken. Behandelt wurden so Kahm, Schimmel und Fäulnis oder das Umkippen des Weines. Oder aber man versuchte auf diese Weise, preiswertem Wein den Geschmack von edleren Sorten zu geben.

Gegen das Umkippen und Fäulnis wurde aber vor allem eine mechanische Behandlung empfohlen. Dazu gab es sogar einen speziellen Quirl. [Anm. 23] Sonst konnte man auch den Wein von der Hefe abziehen oder umfassen. Das Nachsüßen war natürlich auch bekannt. Neben Rohrzucker, der damals noch sehr teuer war und daher sparsam verwendet wurde, nahm man vor allem Honig, süße Rosinen, Süßholz, Datteln und eingekochten Süßmost.

Doch war und ist die Grundlage für einen guten Wein, dass die Fässer sauber sind. Nur das »Opusculum« beschreibt, dass die Weinfässer geschwefelt wurden. Gottfried oder de Crescentiis empfahlen, die Fässer gründlich mit Salz- oder Essigwasser auszuwaschen und dann mit Weihrauch oder mit alten Häuten auszuräuchern. Gottfried berichtete auch, dass in Würzburg der Wein geharzt wurde. Er war jedoch ein Gegner dieses Verfahrens, da es Augenschäden verursachen sollte.

Schließlich gab es auch einige Verfahren, die wohl dem frommen Glauben oder dem Aberglauben zuzuordnen sind. Schrieb man ein Gebet auf das Fass, sollte der Wein darin nicht umschlagen. Eiserne Verschlüsse am Fass schützten angeblich vor Gewitterschäden.

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0.2.3.Färben

Was machte der mittelalterliche Kellermeister, wenn Rotwein auf der Tafel gefragt war, aber nur Weißwein im Keller lagerte? Er gab roten Saft von Maulbeeren oder Kirschen zu oder füllte ihn in ein Fass, in dem vorher roter Wein gelagert war. Umgekehrt entfärbte angeblich Bohnenmehl, Eiweiß oder Asche von Reben mit weißen Trauben den Rotwein. War der Weißwein etwas zu blass geraten, verhalf ihm Safran zur rechten Farbe.

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0.2.4.Kunstwein

Aus Wasser und Honig, aus Trester und Hefen oder aus Rosinen wurde Kunstwein hergestellt. In der »Geoponica« findet sich die Anleitung Quomodo citra uvam vinum fiat. [Anm. 24] Cato, Plinius, Columella, Dioscurides und Galen berichteten über den Tresterwein, griechisch deuterion, lateinisch lora. [Anm. 25] Jedoch konnten in den untersuchten mittelalterlichen Schriften keine Rezepte dafür gefunden werden. Doch muss auch weiterhin Kunstwein hergestellt worden sein. Nicolaus Bolard schrieb 1334 in seinem Obstbaulehrbuch »De modo plantandi arbores«, dass die Menschen in Flandern glaubten, Wein würde aus Wasser und Gewürzen gekocht. [Anm. 26]

Vom Kunstwein muss der Klaret unterschieden werden, mit Gewürzen und Honig versetzter Wein. Rezepte dafür finden sich in vielen mittelalterlichen Rezeptsammlungen. Gehörten sie nicht zum eigentlichen Lehrbuchtext, so wurden sie von den Schreibern oder Besitzern an das Textende angehängt, wie es bei Gottfrieds »Pelzbuch« mehrfach der Fall ist. [Anm. 27]  

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0.2.5.Essigherstellung

Essig war im Mittelalter laut Rezeptbüchern vor allem Weinessig, kaum Obstessig. Der Wein wurde einfach bei hohen Temperaturen einige Tage offen stehen gelassen, zum Beispiel von der Sonne oder durch heiße Steine erwärmt. Beschleunigen konnte man den Prozess nach Meinung der mittelalterlichen Autoren, wenn man etwas Saures zugab. Verwendet wurden Essig, unreife Früchte, Rettich oder Sauerampfer.

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0.3.Der Mondkalender im Weinbau

Antike Autoren wie Cato, Columella, Plinius und Palladius waren der Meinung, dass zwischen Mondphasen und Pflanzenwachstum ein Zusammenhang bestünde. Selbst der sonst kritische Albertus Magnus glaubte, dass man zwar nicht die Wirkung der Sterne auf das Pflanzenwachstum beachten müsse, jedoch würden ihre Kräfte durch die Konjunktion mit dem auf- und absteigenden Mond wirksam. [Anm. 28]

Der Mond hat einen Zyklus von 28 Tagen. Er wandelt seine Gestalt zwischen Neumond (interlunium), zunehmendem Mond (luna crescente), Vollmond (plenilunium) und abnehmendem Mond (luna decrescente). Bei seinem Umlauf zieht der Mond an den zwölf Regionen des Tierkreises vorbei.

Die Beachtung des Mondstandes vor den Tierkreiszeichen scheint aus griechischen Quellen zu stammen, denn die mittelalterlichen Autoren beriefen sich auf die greci. Bolard bezeichnete dieses Wissen als wenig verbreitet. Für Fachleute gebe er den Mondstand vor dem Tierkreis an, für Laien reiche jedoch die Beachtung der Mondphasen. [Anm. 29]

Zunehmender Mond wurde mit Wachstum verknüpft, abnehmender mit Ernte und Rückschnitt. So soll der bei zunehmendem Mond gelesene Wein weniger haltbar sein als der, welcher bei abnehmendem Mond geerntet wurde. [Anm. 30]

Zum Umfassen empfehlen die Autoren einhellig abnehmenden Mond oder besser Neumond, wobei sich der Zeitraum bis ein oder zwei Tage nach Neumond ausdehnen darf. Würde er dagegen bei Vollmond umgefasst, so soll er zu Essig umschlagen. [Anm. 31] Auch eine Finsternis sei ungünstig. [Anm. 32]

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0.4.Tegernsee und der Traminer Wein

Die Besonderheiten des Tegernseer Weinbaues spiegeln sich im »Opusculum« wider. Aus dem Kloster Tegernsee kamen berühmte Rebsorten, welche die Mönche bis hoch in den Norden und den Osten versandten. [Anm. 33] Dies wurde durch auswärtige Weingärten in Niederösterreich und in Südtirol ermöglicht. Beim Alberbaum in Bozen besaß Tegernsee größere Weingüter [Anm. 34] und ebenso in Oberplanitzing [Anm. 35] nahe Kaltern bzw. Tramin. Sogar die Kirche von Tramin war Quirin, dem Tegernseer Patron, geweiht. [Anm. 36] Tegernsee bekam den Zinswein und der Tegernseer Abt die Hälfte der Einkünfte aus den Besitzungen. [Anm. 37]

Die Verwalter dieser auswärtigen Güter waren meist Laien. [Anm. 38] Für die Arbeiten vor Ort waren die Tegernseer Mönche auch nicht zuständig. Über die Arbeitsabläufe im Weinberg findet sich daher nur eine kurze Notiz aus dem 15. Jahrhundert im Innendeckel eines Tegernseer Saalbuches. [Anm. 39]

Der Tegernseer Kellermeister hatte auch nur indirekten Einfluss auf die Qualität der Zinsweine. Daher wurde der Verwalter besonders ermahnt, darauf zu achten [Anm. 40]: Auch das sy vns nit daruntter müschen schlafen, heümisch vnd puntwein aus anderen weingarten. Sunder gueten lagrein wein, als in iren lehenbriefen geschriben stet.

Die Weine in Südtirol wurden nach ihren Lagen unterschieden: [Anm. 41] Nota: Lauacher wein sein winter wein, nit summer wein. Planitzer sein guet summer wein [...] wie wol sy nit als gesunt sein als die wein, die man albey schon fullet. Das sein vnser Länacher wein. Die Tegernseer schätzten Lagrein oder deutsche Trauben, Vernatsch und Muskateller am meisten. Gschlofene oder welsche Trauben, Verdolen, Heunisch, Madruschen und Pfeffertraube waren weniger geschätzte Sorten. [Anm. 42]

In Bayern wurde der Etschwein im Gegensatz zum Osterwein aus Österreich versteuert. [Anm. 43] Tegernsee durfte jährlich bis Martini (11. November) 12 Fuder Wein zollfrei über den Brenner ausführen. [Anm. 44] So wurden die Lehensleute angewiesen, den Zinswein bis zum Vorabend des Martinstages abzuliefern. [Anm. 45] Zum Transport per Karren und Schiff hatte Tegernsee – wie auch andere bayrische Stifte – grundhörige Güter entlang der Wegstrecke verpflichtet. [Anm. 46]

Im Kloster selbst fand nur die Weinbehandlung in größerem Umfang statt. Dabei gab es speziell für den Traminer Wein eine besondere Behandlungsmethode, wie das »Opusculum« angibt. Der Text ist so ausführlich und gleichzeitig verwirrend umständlich geschrieben, daß hier nur eine Kostprobe gegeben werden kann: [Anm. 47]

Ziehe zuerst aus dem Fasse des zu klärenden Weines ungefähr das Viertel eines Kruges ab. Dann senke durch die Öffnung des Fasses einen Rührlöffel, der voller Löcher ist und bis auf den Boden des Fasses reicht und oben so über die Öffnung hinausragt, daß er gut mit der Hand gehalten werden kann. Und so bewege den Wein mit dem Rührlöffel kräftig und ununterbrochen überall wenigstens eine Stunde lang. Inzwischen schlage man frische Eier, und zwar das Eiweiß und den Dotter, in einem Gefäß mit einem kleinen Besen oder einem vierzinkigen Rührlöffel so lange, bis sie sich in Schaum verwandeln oder bis das Gefäß, in dem sie geschlagen werden, mit ihrem Schaum gefüllt ist und ihre ganze Klebrigkeit sich aufgelöst hat. Dann seihe man sie mit einem sauberen Leintuch ab. Danach gebe man zu den genannten Eiern zwei Münchener Maß des zu klärenden Weines und vermische sie mit einem Rührlöffel, damit sie sich miteinander verbinden. Hierauf schütte man sie abwechselnd zehnmal hoch herab und heftig aus dem einen Gefäß in ein anderes, nachdem man ein drittes geräumiges und längliches Gefäß daruntergestellt hat.

In diesem Stil erklärt der Autor weiter, wie nacheinander insgesamt die halbe Menge des Weins mit der Eimasse aufgeschäumt und schließlich alles miteinander vermischt wird. Der Wein mit Ei wird ins Fass zurückgefüllt, mit einem Holzhammer entschäumt, und das Fass mit Wasser vollständig aufgefüllt. Dann folgt eine besondere Schutzmaßnahme: Und streue ein wenig geweihtes Salz durch die Öffnung des Fasses und schließe es mit einem Getreidehalm in Form eines Kreuzes und mit einem Grasbüschel, damit der Wein nicht durch das Eindringen des Teufels getrübt werde.

Doch muss der Traminer Wein laut Autor nochmals behandelt werden. Mergel (bayerisch: Dachen) wird in Wasser acht bis vierzehn Tage lang gereinigt und schließlich in ähnlicher Prozedur wie oben besagtem Wein beigemischt.

Bei Gottfried lautet das entsprechende Rezept für die Eiermischung nach der deutschen Version A: [Anm. 48] Nu tun si eyn andirs, wen der wyn gar seygir ist vnd vortorbin, das ich, Gotfrid, han vorsucht selbe czu Banonie an dem wyne, der do was wurdin bleychir varbe vnde trube. Jch nam das wize von xiiij eygirn vnd sluc di gar wol czu clare vnd mischte is mit dem wyne, vs dem vase gelozin gar wol, vnd goz den wyn widir in. Der wyn des wassis wart widir clar vnd quam czu ym selbir.

Der Text im »Opusculum« klingt wie ein Protokoll nach Augenzeugenbericht. Der Autor könnte der Gärtner oder Apotheker des Klosters gewesen sein, fachkundig in der Kellerei war er wohl nicht.

Nach dem Rezept merkt er verschiedene Rezeptvarianten mit geänderten Mengen oder Zeiten an. Interessant ist folgende Variante, für die in anderen Rezeptsammlungen keine Entsprechung gefunden werden konnte: [Anm. 49] Ein anderer Tüftler machte wegen der Verschiedenheit der Weine folgendes Experiment, bevor er die Mischung dem zu klärenden Wein beigab: Er schöpfte von diesem Wein in drei oder vier Gläser und fügte jedem Glas eine besondere Mischung hinzu, indem er ausprobierte, welche ihm besser entsprach. Mit dieser verbesserte er den ganzen Wein des Fasses.

Der lange Transportweg von Tramin nach Tegernsee sollte die Arbeit des Kellermeisters erleichtern: [Anm. 50] Ein anderer meinte, wenn der Wein sofort nach der Einfüllung auf einem Wagen über viele Meilen gefahren wird und ihm, wenn er noch ermüdet ist, die Mischung beigegeben wird, so nimmt er sie leichter an.

Im Kloster wurde der neue Wein Weihnachten vom Cellerar ausgeschenkt. [Anm. 51] Dabei brauchte das Kloster nicht nur Mess- und Tafelwein. Auch in der Küche war der Weinverbrauch erheblich. Von Milchspeisen und Bratäpfeln bis hin zu Fischgerichten wurde alles mit Wein gekocht. So traten manchmal Engpässe auf. Daher sollten Wein oder Met den Besuchern nur dann ausgeschenkt werden, wenn genügend im Keller lagern würde. [Anm. 52] So ist es vielleicht auch zu erklären, dass Walther von der Vogelweide im 12. Jahrhundert die Gastfreundschaft des Klosters Tegernsee tadeln konnte: Man hätte ihm keinen Wein gereicht. [Anm. 53]  

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Anmerkungen:

  1. Plinius 17, 265. Benutzte Edition: Roderich König/Gustav Winkler (Hgg.): Caius Secundus Plinius: Naturalis historiae – Naturkunde (Tusculum). München 1973-1978. Zurück
  2. Cato lebte von 234 bis 149 vor Chr. Marcus Porcius Cato: Scripta qvae manservnt omnia. In: Otto Schönberger (Hg.): Vom Landbau. Fragmente. Alle erhaltenen Schriften (Tusculum). Darmstadt, München 1980, S. 422. Zurück
  3. Will Richter (Hg.): Lucius Iunius Moderatus Columella: Zwölf Bücher über Landwirtschaft. Buch eines Unbekannten über Baumzüchtung (Tusculum). München 1981. Zurück
  4. Palladius 11, 14. Benutzte Edition: Robert H. Rodgers (Hg.): Rutilius Taurus Aemilianus Palladius: Opus agriculturae de veterinaria medicina de insitione (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum teubneriana.) Leipzig 1975. Zurück
  5. Bücher V bis VII der Geoponica von Cassianus Bassus, 10. Jahrhundert. Roswitha Ankenbrand: Das Pelzbuch des Gottfried von Franken. Untersuchungen zu den Quellen, zur Überlieferung und zur Nachfolge der mittelalterlichen Gartenliteratur. (Heidelberger Dissertationen) Heidelberg 1970, S. 27. Zurück
  6. Burgundius (1110-1193) war Rechtsgelehrter und Stadtrichter von Pisa. Ankenbrand, Pelzbuch (wie Anm. 5), S. 27. Zurück
  7. Petrus de Crescentiis (1230-1320 oder 1321) war Jurist in Norditalien. William C. Crossgrove: Petrus de Crescentiis. In: Herbert Ruh/Gundolf Keil/Werner Schröder u.a. (Hgg.): Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters. 2. Aufl., Berlin, New York 1978f., Bd. 7, Sp. 499-501. Zurück
  8. Gottfried war vermutlich Kleriker und lebte zunächst in Würzburg, später hatte er ein Gut bei Bologna. Gundolf Keil: Gottfried von Franken. In: Ruh u.a., Verfasserlexikon (wie Anm. 7), Bd. 3, Sp. 125-126. Edition deutscher Übersetzungen bei Gerhard Eis: Gottfrieds Pelzbuch. Studien zur Reichweite und Dauer der Wirkung des mittelhochdeutschen Fachschrifttums. (Südosteuropäische Arbeiten, 38) Brünn, München, Wien 1944. Zurück
  9. Josef Werlin: Weinrezepte aus einer Mondseer Handschrift des 15. Jahrhunderts. Neue Forschungen auf dem Gebiet des mittelalterlichen Gartenbaus und Haushalts. In: Die wissenschaftliche Redaktion. (Bibliographisches Institut Mannheim, Heft 3), 1966, S. 89. Zurück
  10. Susanne Kiewisch: Obstbau und Kellerei in lateinischen Fachprosaschriften des 14. und 15. Jahrhunderts. (Würzburger medizinhistorische Forschungen, Bd. 57) Würzburg 1995. Zurück
  11. Werlin, Weinrezepte (wie Anm. 9), S. 84. Zurück
  12. Werlin, Weinrezepte (wie Anm. 9), S. 84. Zurück
  13. Werlin, Weinrezepte (wie Anm. 9), S. 88. Zurück
  14. Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 29 ff. Für das Opusculum de plantationibus arborum wird abkürzend der Begriff Opusculum benutzt. Zurück
  15. Clm 19819, fol. 95-101: Doctrinae pro vino conservando et reformando. Clm 18782, fol. 180-181v und fol. 196: Item ob ain osterwein zach wär [...]. Clm 20174, fol. 163-166: Doctrinae pro vino conservando et reformando. Zurück
  16. Graz, cod. 1609, fol. 361-362v und 465v-470r. Zurück
  17. Matthäus Schwarz, 1497-1574, Buchhalter bei Fugger. Zurück
  18. Ulrich Schwarz d. Ä., gestorben 1478, Bürgermeister zu Augsburg. Zurück
  19. Wolfenbüttel, cod. Guelf. 226 Extr., fol. 34r-45r. Auch Wolfenbüttel cod. Guelf. 31.3 Aug. 2° aus dem 16. Jahrhundert enthält auf fol. 409-443v Zum Wein allerlay khünsten. Zurück
  20. Fundstellennachweise siehe Tabelle "Weinbehandlung" bei Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 101-106. Zurück
  21. Helmut Arntz: Weinbrenner. Die Geschichte vom Geist des Weines. Stuttgart 1975, S. 98. Zurück
  22. Arntz, Weinbrenner (wie Anm. 21), S. 214. Zurück
  23. scrobula, spatulum foraminis plenum oder spatulum quadridentinum. Opusculum 3, 36, § 1, bei Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 156. Zurück
  24. Geoponica VII, 35, Sotio zugeschrieben. Nach Friedrich von Bassermann-Jordan: Geschichte des Weinbaus. 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1923, Bd. 2, S. 612. Zurück
  25. Bassermann-Jordan, Geschichte (wie Anm. 24), Bd. 2, S. 614. Zurück
  26. Bolard 1, 2, bei Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 170. Zurück
  27. Zum Beispiel in clm 27006, fol. 209rb, und Oxford Ms Ashmole 1471, fol. 142vb. Zurück
  28. Albertus Magnus: De vegetabilibus libri 7, 1, 9, 70. Benutzte Textedition: Ernst Meyer, Karl Jessen (Hgg.): Albertus Magnus ex ordine praedicatorum: De vegetabilibus libri VII, historiae naturalis pars XVIII. Berlin 1867. Zurück
  29. Bolard 1, 1, bei Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 169. Zurück
  30. De Crescentiis 4, 22 und nach ihm das Opusculum 3, 28; bei Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 153. Zurück
  31. Burgundius 15, de Crescentiis 4, 35, Gottfried A 56, Opusculum 3, 28. Zurück
  32. Gottfried A 56, angeblich nach Socrates. Eis, Pelzbuch (wie Anm. 8), S. 139. Zurück
  33. Claudia Fischer/Reinold Fischer: Geheimnisse der Klostergärten. München 1991, S. 163. Hermann Fischer nennt Trebnitz (in Niederschlesien), das seine Reben aus Tegernsee bekam. Hermann Fischer: Mittelalterliche Pflanzenkunde. München 1929, Reprint Hildesheim 1967, S. 142 und 157. Zurück
  34. Nach dem Tiroler Urkundenbuch 488, bei: Karl Theodor Hoeniger: Bozen und seine Kirchen. In: Die Brennerstraße. Deutscher Schicksalsweg von Innsbruck nach Bozen. (Jahrbuch des Südtiroler Kulturinstitutes, 1) Bozen 1961, S. 332. Zurück
  35. Friedrich Merzbacher: Tegernsee und der Südtiroler Wein im ausgehenden Spätmittelalter. In: Wirtschaft und Gesellschaft. (Tiroler Wirtschaftsstudien, Bd. 17, zugleich Festschrift für Ferdinand Ulmer) Innsbruck 1963, S. 200. Zurück
  36. Marx Sittich von Wolkenstein: Landesbeschreibung von Südtirol, verfasst um 1600. Erstmals aus den Handschriften herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft von Innsbrucker Historikern (Schlern-Schriften Bd. 34), Innsbruck 1936, S. 137. Zurück
  37. Max von Freyberg: Aelteste Geschichte von Tegernsee. München 1822, S. 151. Zurück
  38. Freyberg, Geschichte (wie Anm. 37), S. 146. Zurück
  39. Hauptstaatsarchiv München, Kloster-Lit. Tegernsee Nr. 164: Saalbuch des Klosters Tegernsee, Besitzungen in Tirol [...] über landwirtschaftliche Bestimmungen, Instruktionen über die Behandlung von Wein. Aus den Jahren 1492, 1498, 1520. Der erste Teil (ediert bei Merzbacher,  Zurück
  40. Hauptstaatsarchiv München, Kloster-Lit. Tegernsee Nr. 164, fol. 1v, Punkt 11 der Auflistung von Vorschriften. Zurück
  41. Hauptstaatsarchiv München, Kloster-Lit. Tegernsee Nr. 164, fol. 2r. Siehe auch Merzbacher, Tegernsee (wie Anm. 35), S. 204. Zurück
  42. Hauptstaatsarchiv München, Kloster-Lit. Tegernsee Nr. 164, fol. 2r. Siehe auch Merzbacher, Tegernsee (wie Anm. 35), S. 204. Zurück
  43. Hauptstaatsarchiv München, Kloster-Lit. Tegernsee Nr. 164, fol. 2r. Siehe auch Merzbacher, Tegernsee (wie Anm. 35), S. 204. Zurück
  44. Stolz, Geschichte (wie Anm. 43), S. 74 f. Zu den Zollfreiheiten von Tegernsee siehe auch Merzbacher, Tegernsee (wie Anm. 35), S. 208f. Zurück
  45. Merzbacher, Tegernsee (wie Anm. 35), S. 208. Zurück
  46. Merzbacher, Tegernsee (wie Anm. 35), S. 241 und 212. Zurück
  47. Opusculum, 3, 36, § 1. Deutscher Text nach Alois Heß/Hans Ramisch: Das "Büchlein über das Pflanzen von Bäumen" des Tegernseer Abtes Konrad Ayrinschmalz vom Jahr 1479. In: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 38 (1989), S. 155-157. Zurück
  48. Gottfried A 60, nach Eis, Pelzbuch (wie Anm. 8), S. 141. Zurück
  49. Opusculum 3, 36, § 6. Deutsch nach Heß/Ramisch, Büchlein (wie Anm. 47), S. 159, wobei abweichende Lesarten von Kiewisch, Obstbau (wie Anm. 10), S. 156-157 eingefügt wurden. Zurück
  50. Opusculum 3, 36, §8. Deutsch nach Heß/Ramisch, Büchlein (wie Anm. 47), S. 159. Zurück
  51. Anton Birlinger: Kalender und Kochbüchlein aus Tegernsee. In: Germania 9 (1864), S. 192-207. Zurück
  52. Freyberg, Geschichte (wie Anm. 37), S. 208.  Zurück
  53. Simon Geiger: Kloster Tegernsee – Ein Kulturbild. München 1936, S. 62. Zurück