Robert Folz (1910-1996). Ein Mediävist als kultureller Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich
von Michael Kißener
Wer das „Wunder unserer Zeit“, als das der französische Staatspräsident Charles de Gaulle einmal die Annäherung zwischen Deutschen und Franzosen nach mehr als einem Jahrhundert der Erbfeindschaft bezeichnet hat, [Anm. 1] erklären will, der wird heute, nach Jahren intensiver historischer Erforschung des Phänomens kaum mehr rasche, einfache Antworten formulieren können. Die Entwicklung der deutsch-französischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg: Sie war nicht nur das Werk von Staatsmännern wie Charles de Gaulle, Konrad Adenauer oder Robert Schuman. Sie war auch bedingt durch die Sachzwänge der weltpolitischen Lage im Zeitalter des Kalten Krieges, und sie war und ist in einem nicht gering zu achtenden Ausmaß das Produkt einer zivilgesellschaftlichen Annäherung zwischen beiden Völkern. [Anm. 2] Zu dieser für den Historiker naturgemäß oft nur schwer quellenmäßig zu erfassenden Versöhnungsarbeit auf den unterschiedlichsten Ebenen haben viele Institutionen, viele Gruppen und gesellschaftliche Zusammenschlüsse beigetragen. Und eben auch viele Einzelpersönlichkeiten auf beiden Seiten der Grenze, die in ihrem Wirkungsrahmen andere Menschen überzeugen und mit der Idee der Völkerverständigung anstecken konnten. [Anm. 3] Zu diesen kulturellen Vermittlern, deren Bedeutung in der modernen Soziologie und Politikwissenschaft unbestritten ist, gehörte in einer besonderen Weise auch Robert Folz. [Anm. 4]
Vielleicht hätte der in seiner Zeit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannte Mediävist in der ihm von vielen Zeitgenossen attestierten Bescheidenheit dieses Verdienst nie für sich in Anspruch nehmen wollen. Zweifellos aber besaß er für eine solche Wirkung außerordentlich gute Voraussetzungen.
Folz war am 12. März 1910 in Metz als Sohn einer deutschsprachigen Familie geboren worden, in der humanistische Bildung einen ebenso hohen Wert hatte wie ein tief verwurzelter christlicher Glaube. Auch der Vater lehrte Geschichte an einer höheren Lehranstalt, er weckte das Interesse des Jungen an der mittelalterlichen Geschichte. [Anm. 5] Nach dem Ersten Weltkrieg fand sich die Familie unvermittelt im französischen Staatsverband wieder, aus dem das Elsass und Lothringen ja erst nach dem deutschen Sieg 1871 herausgelöst worden waren. Die deutsche und französische Sprache wie auch die Kultur der beiden Völker verbanden sich schon aufgrund dieser wechselvollen territorialen Geschichte in der Biographie des jungen Folz.
An seinem Ziel, Historiker zu werden, änderte dies freilich nichts, und so entschloss er sich zum Studium der Geschichte und Geographie zunächst in Nancy, wo der Karolinger-Forscher Robert Parisot [Anm. 6] sein Interesse auf das frühe Mittelalter und insbesondere auf Karl den Großen lenkte, auf eine Zeit also, in der von Deutschen und Franzosen im nationalstaatlichen Sinne noch keine Rede sein konnte, in der gleichsam die Mitte Europas noch ein Reich darstellte. [Anm. 7] Da Parisot in den Ruhestand trat, wechselte der licencié d'histoire et de géographie nach Straßburg, wo sich in den 20er und 30er Jahren die Avantgarde der modernen französischen Historiographie versammelte: Lucien Febvre und Marc Bloch wurden nun seine Lehrer, die von ihnen getragene berühmte Schule der „Annales“ auch seine Ausbildungsstätte. [Anm. 8] 1933 absolvierte er die Agrégation und wechselte in den Schuldienst. Bis 1934 arbeitete er in Mulhouse, danach wieder in Straßburg. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit 1936/37 durch eine Arbeit am Institut Français in Berlin. Neben der Pädagogik stand aber wohl die ganze Zeit auch das Bemühen, eine Doktorarbeit anzufertigen, und so wurde der Aufenthalt in Deutschland für mittelalterliche Quellenstudien genutzt. Was Folz in diesen Jahren im Berlin des Dritten Reiches mit ansehen konnte, war jene Überzeichnung des deutschen Nationalismus, der nur wenige Jahre später seine französische Heimat bedrohte.
Schon 1934 hatte Folz seinen Militärdienst abgeleistet. So stand er, als der Krieg ausbrach, der Armee ohne Zögern mit seinen perfekten deutschen Sprachkenntnissen als Militärübersetzer zur Verfügung. Schließlich bedrohte die deutsche Aggression den seit nicht einmal einem Jahr Verheirateten auch ganz direkt: seine Ehefrau Marianne Folz, Tochter eines Mathematiklehrers, musste die gemeinsame Wohnung in Straßburg räumen. Der Widerstand des französischen Militärs währte jedoch nicht lange. Bereits im Juli 1940 wurde Folz aus der geschlagenen Armee entlassen. An eine Rückkehr nach Straßburg war für ihn unter den Bedingungen einer deutschen Besatzung nicht zu denken. So siedelte er nach Toulouse über, das er aber schon zum 1. Januar 1941 Richtung Oran wieder verließ. Hier in der französischen Kolonie wirkte er fortan wieder als Lehrer. Im Gepäck hatte er dabei stets jene Unterlagen, die er für seine Arbeit an der Dissertation benötigte. Seinen Lehrer Marc Bloch besuchte er noch ein Mal 1941 in Montpellier, um ihn vom Fortgang seiner wissenschaftlichen Studien zu überzeugen. 1942 wurde Bloch von der Vichyregierung entlassen, schloss sich im Jahr darauf der Résistance an und starb als entdeckter Widerstandskämpfer im Juni 1944 im Kugelhagel eines deutschen Erschießungskommandos. [Anm. 9]
Im November 1942 war auch für Folz der Zeitpunkt gekommen, wieder als Soldat zu kämpfen. Mit der Landung der alliierten Truppen in Nordafrika wurde er wieder als Militärübersetzer mobilisiert, machte die Landung in Italien bei Neapel mit und folgte schließlich 1944 der 1. Französischen Armee auf ihrem Zug durch Frankreich zur Befreiung von der deutschen Besatzung. Über die hier mit den Deutschen gemachten Erfahrungen hat Folz nie gesprochen, da er sich stets an seine Schweigepflicht als Geheimnisträger gebunden gefühlt hat. [Anm. 10] Nur eine stattliche Anzahl von Orden und Ehrenzeichen lässt vermuten, dass er auch als Soldat Außerordentliches geleistet hat. [Anm. 11] Es wäre wohl kaum verwunderlich, wenn Folz nach all diesen schmerzlichen Erfahrungen sein Bild von Deutschland geändert und sich der damals gängigen Vorstellung von dem unverbesserlichen Deutschen, den man zum Schutze Frankreichs nun ein für alle Male niederhalten müsse, angeschlossen hätte. Doch davon war der Deutschlandkenner Folz nach dem Zeugnis vieler seiner Zeitgenossen weit entfernt.
Folz wurde nun zunächst in Straßburg ansässig und widmete sich ganz seiner wissenschaftlichen Karriere. Schon im Oktober 1947 wurde ihm ein Extraordinariat (maître de conférence) an der Universität in Dijon angeboten, das er annahm. 1949 begann er an der Sorbonne mit seiner formalen wissenschaftlichen Qualifizierung. Seine thèse principale über „Le souvenir de la légende de Charlemagne dans l'Empire germanique médiéval“ und seine thèse secondaire „Études sur le culte liturgique de Charlemagne dans les églises de l'Empire“ [Anm. 12] begeisterten und trugen dazu bei, dass ihm 1952 ein reguläres Ordinariat in Dijon übertragen wurde. Mit dieser wissenschaftlichen Arbeit wie mit vielen nachfolgenden Werken eröffnete Folz seinen Zeitgenossen und Schülern ein tiefgründiges Verständnis für das deutsche Mittelalter, ein objektives, unverzerrtes Bild der mittelalterlichen Geschichte des Nachbarn, das so unmittelbar nach dem Kriege auch durchaus politische Bedeutung hatte. Das Saint Empire, seine Herrschaftsrealität und die allem zu Grunde liegende Herrschaftsidee war das Thema, um das seine intensive Forschung kreiste. So veröffentlichte er etwa 1953 „L'idée d'Empire en Occident du Ve au XIVe siècle“, [Anm. 13] 1967 „La naissance du Saint-Empire“ [Anm. 14] und schon 1957 versuchte er dem gebildeten Frankreich in der populärwissenschaftlichen Reihe „Encyclopédie de la Pléiade II“ „Le monde germanique“ nahe zu bringen. [Anm. 15] Mehr als das: Folz setzte sich für eine Erfahrungsaustausch der Mediävisten in Frankreich und Deutschland ein, für eine Zusammenarbeit am gemeinsamen kulturellen Erbe. Über 33 Jahre vermittelte er zusammen mit Philippe Dollinger der französischen Fachöffentlichkeit durch einschlägige Literaturberichte in der „Revue historique“ Kenntnisse der deutschen Mittelalterforschung und trug so entscheidend zur Überwindung der Sprachbarrieren bei. Umgekehrt war er auch ein Vermittler der französischen Mittelalterforschung nach Deutschland. Seine Dijoner Kollegen resümierten daher wohl zu Recht: „Grâce à lui et à quelques autres, la science historique française a pu occuper une place de choix dans l'histoire médiévale de l'Allemagne“. [Anm. 16]
In dieser Weise lehrte er fortan in Dijon, seiner Universität, die er trotz mehrerer Angebote anderer Hochschulen nicht verließ und die seine Heimat wurde, zum Vorteil auch der Burgundischen Geschichtsschreibung, die er in vielfältigster Weise befruchtete. [Anm. 17]
Dijon war aber in dieser Zeit auch in einer weiteren Perspektive ein fruchtbarer Boden für einen Mann wie Folz, der so leicht wie nur wenige andere als kultureller Vermittler wirken konnte. Die Universität hatte nämlich als erste eine, wenn auch zunächst lose, Partnerschaft, jumelage, mit der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz geschlossen. Diese Verbindung lag nahe, weil Mainz eine Universitätsneugründung aus der Zeit der französischen Besatzungsherrschaft war, die der französische Kulturoffizier Raymond Schmittlein, ein Mann mit familiären Wurzeln im Elsass, angeregt und umgesetzt hatte. [Anm. 18] Anders als die traditionellen Hochschulen Freiburg und Tübingen sollte Mainz eine Reformhochschule werden, die Deutschen der westlichen Wertegemeinschaft wieder zuführen und ganz und gar von demokratischem Geist und freiheitlichem Aufbauwillen durchdrungen sein. Vor diesem Hintergrund hatten zwei der ersten Mainzer Professoren, der Philologe Helmuth Scheel [Anm. 19] und der Philosoph und Leiter des Studium Generale Karl Holzamer, [Anm. 20] zusammen mit dem französischen Kulturoffizier Gabriel Fosse eine jumelage mit einer französischen Hochschule geplant und angebahnt. [Anm. 21] Die Datierung dieser ersten Verbindung zwischen Mainz und Dijon lässt sich aus den noch vorhandenen deutschen Akten nicht präzisieren. Da anscheinend kein offizielles Partnerschaftsdokument ausgetauscht wurde, ist diese jumelage nur aus späteren Rückblicken und zusammenfassenden Aktennotizen zu erschließen, die aber unterschiedliche Zeitpunkte angeben. [Anm. 22] Ganz gleich ob man aber 1947, 1949 oder 1952 als den Beginn dieser Kontaktaufnahme annimmt: die Partnerschaft war außerordentlich früh angebahnt und sie war natürlich auf Pflege und Initiative interessierter Professoren angewiesen. Und genau in diesem Zusammenhang tritt uns in den wenigen erhaltenen Dokumenten Robert Folz immer wieder entgegen. [Anm. 23] Gegenstand dieser frühen jumelage war vornehmlich das gegenseitige Kennenlernen des Lehrkörpers im Rahmen von Gastvorträgen. Hier betätigte sich Folz offenbar eifrig, war er doch als einer der wenigen Professoren in Dijon in der Lage, vor deutschem Publikum in fehlerfreiem Deutsch vorzutragen und umgekehrt nach geeigneten deutschen Gastdozenten für Vorträge in Dijon zu suchen. Da die Universität Mainz auch Jahr für Jahr mehrere Gaststipendien für französische Studenten bereit hielt (3-6 Stipendien), war Folz ein gefragter Ansprechpartner für die Vermittlung. Freilich konnte aufgrund der unterschiedlichen Studienverläufe und Qualifikationsnachweise dieses Angebot oft nicht genutzt werden, und so war es Folz, der den enttäuschten Mainzern die fehlende Dijoner Reaktion erklären musste, dabei aber auch eine Harmonisierung der Studienabläufe anmahnte. [Anm. 24] Gerade in den 1960er Jahren, als die jumelage aufgrund vielfältiger Probleme und eben der Sprachbarriere erlahmte, hielt Folz den Kontakt.
1976 begann eine neue Phase in den partnerschaftlichen Beziehungen der beiden Universitäten, nachdem auch die Presse ein erlahmendes Interesse in der Wissenschaft kritisiert hatte, [Anm. 25] das den ansonsten aufblühenden Beziehungen in anderen Bereichen gegenüberstand. Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität, der unter Führung von Prof. Hubert Armbruster [Anm. 26] schon früher ein besonderes Engagement gezeigt hatte, [Anm. 27] ergriff nun erneut die Initiative und schloss am 11. Februar 1976 eine eigene, schriftlich fixierte Partnerschaft mit dem Dijoner Pendant, die regelmäßige Aktivitäten, vor allem aber einen kontinuierlichen Studentenaustausch auf der Basis geregelter Anerkennung von Studienleistungen organisierte. [Anm. 28] Der Erfolg dieser Initiative war bestechend. Das Vorbild des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften [Anm. 29] führte deshalb recht bald schon zu einem heute noch gültigen Rahmenabkommen zwischen den beiden Universitäten, das mehrfach modifiziert und erweitert wurde. [Anm. 30] Aufgrund dieses „Interuniversitären Abkommens ... über eine Zusammenarbeit in Forschung, Studium und Lehre“ vom 10. September 1976 (Unterzeichnung in Dijon) bzw. 18. Februar 1977 (Unterzeichnung in Mainz) intensivierten sich die Beziehungen zwischen den beiden Universitäten erneut. [Anm. 31] Dijon-Beauftragte in den einzelnen Fachbereichen wurden gewählt, die nun ihrerseits für eine neue Qualität der Partnerschaftspflege sorgten. Für den Fachbereich 16 Geschichtswissenschaft übernahm Prof. Dr. Hermann Weber, vormals stellv. Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Paris, diese Aufgabe und brachte durch ein beeindruckendes persönliches Engagement für diese Kontaktpflege die französisch-deutsche Historikerzusammenarbeit wieder in Gang. [Anm. 32]
Diese neue Phase der Dijon-Mainz-Beziehungen erlebte Folz nur noch als Emeritus, denn 1978 war er in den Ruhestand getreten. Die damals in der Verantwortung stehenden Mainzer Kollegen erinnern sich freilich noch, wie sehr Folz diese neue Qualität der Kontaktpflege begrüßte und selbst bereit war, bei den nun organisierten gemeinsamen Seminaren, bei Exkursionen mit Studenten und Vortragsveranstaltungen mitzuwirken. [Anm. 33] Dabei zeigte er sich einmal mehr als besserer Kenner deutscher Volkskultur, wenn er, wie der damalige Ordinarius für mittelalterliche Geschichte Alfons Becker sich noch erinnert, bei einer Exkursion im Mittelrheintal anders als die deutschen Studenten in der Lage war, das Loreleylied vorzusingen. [Anm. 34] Dieser Kontakt zu Folz war nicht zuletzt auch deshalb wertvoll, weil Folz nach seiner Emeritierung seine wissenschaftliche Arbeit intensivierte und wertvolle hagiographische und liturgiegeschichtliche Beiträge verfasste: so etwa die in der Sammlung „Subsidia hagiographica“ erschienenen Bände über „Les saints rois“ [Anm. 35] oder „Les saintes reines“. [Anm. 36]
Folz' unaufgeregtes, liebenswertes, aber doch meist stilles Bemühen um die Annäherung der beiden Völker, ein Engagement, das eben über die Wissenschaft und die Kontakte eines Wissenschaftlers lief, das seine Grundlage aber vor allem in der anerkannten Qualität seiner wissenschaftlichen Arbeit hatte, wurde am Ende durch zahlreiche akademische Ehrungen und Mitgliedschaften gewürdigt, insbesondere in Deutschland. [Anm. 37] Schon 1955 kooptierten ihn die renommierten Monumenta Germaniae Historica zum korrespondierenden Mitglied. [Anm. 38] 1964 ernannte ihn die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur auf Initiative von Prof. Scheel, der selbst Ehrendoktor in Dijon geworden war, zu ihrem korrespondierenden Mitglied. [Anm. 39] 1979 initiierte Hermann Weber seine Ernennung zum Ehrendoktor der Mainzer Universität. [Anm. 40] Folz hat, seinen Dankesschreiben nach zu urteilen, diese Ehrungen nicht nur freudig angenommen, sondern sich selbst mit Nachdruck in den Dienst der Sache gestellt. Bei den Beiratssitzungen fehlte er nur, wenn Krankheit ihn davon abhielt.
So bleibt der am 5. März 1996 schließlich verstorbene große Dijoner Mediävist in Erinnerung durch seine wegweisende wissenschaftliche Arbeit, durch die menschliche Wärme, an die sich alle, die ihn kannten, dankbar erinnern. Er bleibt aber auch in Erinnerung als einer von jenen, die auf ihre ganz eigene Weise, in ihrem Verantwortungsbereich das ihnen Mögliche taten, um trotz aller Verwundungen, die die wechselvolle deutsch-französische Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf beiden Seiten des Rheins verursacht hatte, zur deutsch-französischen Aussöhnung beizutragen. Robert Folz, so formulierte der Mainzer Mediävist Alfons Becker in seiner Laudatio anlässlich der Ehrenpromotion wohl sehr richtig, dürfe eben „mit besonderem Recht ein Europäer genannt werden“. [Anm. 41]
Zusammenfassung
Die positive Entwicklung der deutsch-französischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg war nicht nur das Werk „großer“, vor dem Hintergrund der Sachzwänge des Kalten Krieges agierender Staatsmänner wie Charles de Gaulle, Konrad Adenauer oder Robert Schuman, sondern auch das Produkt zivilgesellschaftlicher Annäherungsarbeit, die von vielen Einzelpersönlichkeiten beiderseits der Grenze geleistet worden ist. Ein solcher „kultureller Vermittler“ zwischen Deutschland und Frankreich war der am 12. März 1910 in Lothringen geborene Mediävist Robert Folz. Nach dem Studium der Geschichte und Geographie – u.a. bei Lucien Febvre und Marc Bloch – und nach seiner aktiven Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, promovierte der Mediävist 1949 an der Sorbonne in Paris mit einer begeistert aufgenommenen Arbeit über Karl d. Gr. und das deutsche Mittelalter und erhielt nach verschiedenen Zwischenstationen 1952 ein reguläres Ordinariat für mittelalterliche Geschichte an der Universität in Dijon. Dort eröffnete Folz seinen Zeitgenossen und Schülern ein unverzerrtes Bild der mittelalterlichen Geschichte des deutschen Nachbarn, das so unmittelbar nach dem Kriege durchaus politische Bedeutung besaß. Besonderes Engagement entwickelte Folz in den folgenden Jahrzehnten mit den verschiedensten Initiativen als Vermittler zwischen deutscher und französischer Mittelalterforschung. Solch deutsch-französische „Beziehungsarbeit“ fand schließlich ihre logische Ergänzung in Folz' Engagement im Zusammenhang mit der schon wenige Jahre nach dem Krieg entstandenen „jumelage“ zwischen den Universitäten Dijon und Mainz. Der perfekt Deutsch sprechende Mediävist pflegte diese zunächst lose Partnerschaft, bei der zu Beginn noch das gegenseitige Kennenlernen der Lehrkörper im Rahmen von Gastvorträgen im Mittelpunkt stand, besonders intensiv, war Ansprechpartner für die Vermittlung französischer Studenten nach Mainz und hielt auch in Zeiten erlahmenden Interesses immer Kontakt zu den deutschen Nachbarn. Noch nach seiner Emeritierung 1978 war Folz bei den inzwischen deutlich intensivierten partnerschaftlichen Kontakten zwischen Dijon und Mainz auf gemeinsamen Seminaren, Exkursionen mit Studenten oder Vortragsveranstaltungen anzutreffen. Robert Folz, der 1979 zum Ehrendoktor der Mainzer Universität ernannt worden war und „mit besonderem Recht“ als „Europäer“ bezeichnet werden kann, verstarb schließlich am 5. März 1996.
Résumé
Le développement si positif de l'amitié franco-allemande après la deuxième guerre mondiale ne fut pas seulement l'uvre de grands hommes d'Etat qui, tels Charles de Gaulle, Konrad Adenauer ou Robert Schumann, déployaient leur action sur fond de guerre froide, mais fut également le produit du travail de rapprochement effectué par des personnalités issues du monde civil de part et d'autre de la frontière. Le médiéviste Robert Folz, né le 12 mars 1910 en Lorraine, faisait partie de ces «passeurs culturels» entre l'Allemagne et la France. Après des études d'histoire et de géographie, entre autres auprès de Lucien Febvre et de Marc Bloch, et sa participation active à la deuxième guerre mondiale, il soutint à la Sorbonne en 1949 une thèse fort remarquée dont le sujet portait sur Charlemagne et le Moyen Age allemand. Après plusieurs postes, il obtint en 1952 la chaire d'histoire médiévale de l'université de Dijon. C'est là qu'il professa auprès de ses collègues et de ses étudiants les leçons explicites de l'histoire médiévale du voisin allemand, entreprise qui revêtait si peu de temps après la guerre une dimension politique de premier ordre. A travers de multiples initiatives, Robert Folz fit preuve dans les décennies suivantes d'un engagement tout particulier en tant que passeur et intermédiaire entre les médiévistiques allemande et française. Un tel travail relationnel trouva sa conclusion logique dans l'appui qu'il prêta au jumelage conclu quelques années seulement après la guerre entre les universités de Dijon et de Mayence. Le médiéviste parlant l'allemand parfaitement savait faire vivre avec une grande intensité ce partenariat d'abord informel et limité dans un premier temps à la rencontre réciproque des corps enseignants par invitations et conférences interposées. Il fut le partenaire attitré pour l'envoi des étudiants français à Mayence et continua d'entretenir les contacts quand s'amorça une période de moindre intérêt mutuel. Même devenu émérite en 1978, Robert Folz n'en continua pas moins à animer des échanges redevenus plus intenses entre Dijon et Mayence par le biais de séminaires communs, de voyages d'étudiants ou bien de conférences. Robert Folz, à qui fut attribué en 1979 le titre de docteur honorifique de l'université de Mayence et que l'on peut à bon droit baptiser de véritable «Européen», mourut le 5 mars 1996.
Anmerkungen:
- Vgl. Horst Möller/Klaus Hildebrand (Hrsg.): Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich: Dokumente 1949-1963, Bd. 3, Parteien, Öffentlichkeit und Kultur, bearb. v. Herbert Elzer, München 1997, S. 1. Zurück
- Zum Forschungsstand siehe Ulrich Lappenküper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“ (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 49), München 2001; Corine Defrance/Ulrich Pfeil: Le traité de L'Elysée et les relations franco-allemandes 1945-1963-2003 (CNRS Histoire), Paris 2005; Hans Manfred Bock: Wiederbeginn und Neuanfang in den deutsch-französischen Gesellschafts- und Kulturbeziehungen 1949 bis 1955. In: Lendemains 21 (1996), S. 58-66; Francois Beilecke/Katja Marmetschke (Hrsg.): Der Intellektuelle und der Mandarin: für Hans Manfred Bock, Kassel 2005. Zurück
- Vgl. Michael Kißener: Die deutsch-französische Freundschaft. Aspekte einer Annäherungsgeschichte. In: Historisch-Politische Mitteilungen 11 (2004), S. 183-201. Zurück
- Über Robert Folz sind mehrere Nachrufe veröffentlicht worden. Zu den aussagekräftigsten dürften gehören: Jean Richard/Michel Lagrange: Éloge de Robert Folz (1910-1996). In: Mémoires de L'Académie des Sciences, Arts et Belles-Lettres de Dijon 136 (1997/98), S. 99-110; M. Jean Schneider: Hommage à Robert Folz (1910-1996). In: Académie Nationale de Metz 178 (1997), S. 65-75 und Harald Zimmermann: Nachruf auf Robert Folz. In: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften und der Literatur 47 (1996), S. 120-122. Zurück
- Schneider, Hommage (wie Anm. 4), S. 66. Zurück
- Schneider, Hommage (wie Anm. 4), S. 67. Zurück
- Vgl. Zimmermann, Nachruf (wie Anm. 4), S. 121. Zurück
- Folz genoss deshalb wohl auch hohe Wertschätzung unter hervorragenden Vertretern der „Annales“. Vgl. z.B. die Einschätzung von Le Goff, in: Jacques Le Goff: Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt/M. 1999, S. 134. Zurück
- Zu Bloch vgl. Peter Schöttler (Hrsg.): Marc Bloch: Historiker und Widerstandskämpfer, Frankfurt/M. 1999. Zurück
- Schneider, Hommage (wie Anm. 4), S. 68f. Zurück
- Folz erhielt u.a. auch die amerikanische Auszeichnung „Medal of Freedom“. Zurück
- Robert Folz: Le souvenir et la légende de Charlemagne dans l'Empire germanique médiéval, Genf 21973 (EA Paris 1950); ders.: Études sur le culte liturgique de Charlemagne dans les églises de l'Empire, Paris 1951. Zurück
- Robert Folz: L'idée d'Empire en Occident du Ve au XIVe siècle, Paris 1953 (amerik. unter dem Titel: The concept of Empire in Western Europe from the 5th to the 14th century, New York 1969). Zurück
- Robert Folz: La naissance du saint-empire: textes de Otton Ier, Widukind de Corvey, Liutprand de Crémone, Thietmar de Mersebourg, Flodoard, Gerbert, Wipon, Paris 1967. Zurück
- Robert Folz: Le monde germanique. In: Encyclopédie de la pléiade. Histoire Universelle 2. De l'Islam à la Réforme, Paris 1957, S. 593-690. Zurück
- Richard/Lagrange, Éloge (wie Anm. 4), S. 102. Zurück
- Beispielhaft sei hier nur die Edition der Urkunden des Klosters St-Bénigne de Dijon erwähnt. Robert Folz/Jean Marilier (Hrsg.): Chartes et documents de Saint-Bénigne de Dijon: prieurés et dépendances des origines à 1300, Dijon 1986. Folz' Ehefrau Marianne engagierte sich für die „Association Bourguignonne Culturelle“. Vgl. Schneider, Hommage (wie Anm. 4), S. 73. Zurück
- Zum Forschungsstand über die Gründung der Mainzer Universität und die Rolle Schmittleins siehe die einschlägigen Aufsätze in Michael Kißener/Helmut Mathy (Hrsg.): Ut omnes unum sint (Teil 1). Gründungspersönlichkeiten der Johannes Gutenberg-Universität (Beiträge zur Geschichte der Universität Mainz N.F. 2), Stuttgart 2005. Zurück
- Helmuth Scheel (1895-1967), ehemals Direktor der Preußischen Akademie der Wissenschaften, war Professor für islamische Philologie und Islamkunde. Weiterführende Angaben bieten: Helmuth Scheel 1895-1967: Würdigung durch die Philosophische Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz 1968 sowie die Kurzbiographie von Konrad Fuchs, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, begr. u. hrsg. v. Friedrich Wilhelm Bautz. Fortgef. v. Traugott Bautz, Bd. XVII, Hamm 2000, Sp. 1197-1201 und die im Universitätsarchiv Mainz verwahrte Beiakte (Scheel 2010). Zurück
- Zu Holzamer siehe Karl Holzamer/Bruno Krammer: Lebensreise zwischen Philosophie und Fernsehen, Mainz 2003. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt, Akte 2./8 U. Dijon 1962-78, Aktennotiz für den Präsidenten, Oktober 1965. Vgl. ebd. auch Prof. Peter Noll (Akad. Auslandsamt) an Präsidenten, 10. Juni 1965. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt, Akte 2./8 U-Dijon 1962-78, Aktennotiz für den Rektor, Oktober 1965. In diesem Dokument wird die jumelage auf das Jahr 1952 datiert. Dagegen wird in einem Vermerk des persönlichen Referenten des Präsidenten vom 15. Februar 1982, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte Dijon U. de Bourgogne, Grundsatza. – 87 festgehalten, die jumelage sei 1947 begonnen worden und sei die erste Nachkriegspartnerschaft einer deutschen Universität überhaupt gewesen. Dagegen stellt ein weiterer Vermerk für den Präsidenten vom 11. Januar 1980 ebd. fest, die jumelage sei im Frühjahr 1949 begonnen worden. Für die Existenz einer frühen Partnerschaft der beiden Universitäten spricht die Abhaltung eines Internationalen Ferienkurses im August 1947, an dem offenbar viele französische Studenten teilnahmen sowie die besondere Betonung der universitären Verbindung zu Dijon, auf die Rektor Johannes Kraus in einer Ansprache 1957 schon hinwies. Vgl. dazu Helmut Mathy: Die Universität Mainz 1477-1977, Mainz 1977, S. 321f. Zurück
- Vgl. kursorische Korrespondenz Folz in Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1962-78. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1962-78, Folz an Scheel, 30. November 1962. Zurück
- Vgl. Artikel „Mainz am Rhein. Partnerschaft – aber wie?“ In: Die Freiheit: Organ der sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 10. Juli 1963 oder „Partnerschaft überwindet Erstarrungsprozess“. In: Allgemeine Zeitung, Mainz, 21. September 1971. Zurück
- Weiterführende Angaben über den Staats- und Verwaltungsrechtler Hubert Armbruster (1911-1995) finden sich in seiner Personalakte im Universitätsarchiv Mainz, Hauptakte S 64/15 (01) sowie Beiakte 2025. Grundsätzlich zu den frühen Mainzer Professoren vgl. Michael Kißener: Der Lehrkörper. Kontinuität oder Wandel? Die erste Professorengeneration der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. In: Kißener/Mathy, Ut omnes (wie Anm. 18), S. 97-123. Zurück
- Vgl. Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt, Akte 2./8 U. Dijon 1962-78, ASTA an Rektor, 14. Dezember 1962. 1962 wurde beispielsweise im Rahmen eines Partnerschaftstreffens der beiden juristischen Fakultäten der 2. Mainzer ASTA-Vorsitzende Bruno Funk von den französischen Kommilitonen zum Ehrenpräsidenten der Fachschaft Jura in Dijon gewählt. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1962-78, Dekan Rudolf an Kultusministerium, 15. März 1976. Zurück
- Der Kausalzusammenhang wird bestätigt in dem Vermerk des persönlichen Referenten des Präsidenten vom 15. Februar 1982, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte Dijon U. de Bourgogne, Grundsatza. – 87. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1968-80, Interuniversitäres Abkommen zwischen der Universität Dijon und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz über die Zusammenarbeit in Forschung, Studium und Lehre vom 10. September 1976/18. Februar 1977, ergänzt durch Vereinbarung zum Partnerschaftsvertrag, 1978 und Zusatzvereinbarung zum Interuniversitären Abkommen vom 3. November 1981. Mit solchen Zusatzvereinbarungen, die nach einer Erneuerung der Partnerschaftsvereinbarungen 1995 in den 1990er Jahren noch wesentliche Erweiterungen erfahren haben, wurde ein steigender Grad der Harmonisierung von Studienleistungen und Abschlüssen erreicht. Vgl. dazu auch Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Präsidium, Registratur, Akte Nr. 1013 Dijon. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz XE "Mainz, Bistum und Stadt in Deutschland" , Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1968-80, Interuniversitäres Abkommen ..., div. Abschriften. Zurück
- Vgl. div. Schriftwechsel in Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1968-80. Zurück
- Div. Programme in Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Akad. Auslandsamt Akte 2./8 U. Dijon 1968-80. Zurück
- Erinnerung Alfons Becker, Telefonat des Autors mit A. Becker, 2. Dezember 2005. Zurück
- Robert Folz: Les saints rois du Moyen âge en Occident: VIe-XIIIe siècles, Brüssel 1984. Zurück
- Robert Folz: Les saintes reines du Moyen âge en Occident: VIe-XIIIe siècles, Brüssel 1992. Zurück
- Auch außerhalb Deutschlands fand Folz breite wissenschaftliche Anerkennung. Er war Mitglied der British Academy und Correspondant de l'Institut de France. Er war Offizier der Ehrenlegion und der Palmes académiques. Die Académie Nationale de Metz machte ihn 1976 zu ihrem Mitglied. Zurück
- Auskunft aus der Personalakte Folz in der Monumenta Germaniae Historica durch Horst Zimmerhackl, 23. September 2005. Folz wurde auf der Jahressitzung am 9./10. Oktober 1955 zum Korrespondierenden Mitglied gewählt. Zurück
- Akademie der Wissenschaften und Kunst Mainz, PA Folz, Generalsekretär Scheel an Prof. Brunner, 13. Januar 1964. Die Zuwahl erfolgte mit 42 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen in der Plenarsitzung am 31. Juli 1964. Der Mainzer Freundschaftskreis Burgund gratulierte Folz direkt zur Wahl. Dies mag als Indiz dafür gewertet werden, dass Folz möglicherweise auch zu dieser Partnerschaftsorganisation engere Kontakte unterhielt. Zurück
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Dekanat FB 07, Akte Ehrenpromotion Folz. Vgl. auch JoGu 8 (1979) Nr. 64, S. 10. Zurück
- Alfons Becker: Laudatio Folz, Johannes Gutenberg-Universität, Dekanat FB 07, Akte Ehrenpromotion Folz (in diesem Band S. 2-4). Zurück