"...dapfer mit Gegenschiessen gewehret"
"Bald darauf gerieth auch Simmern und Sobernheim den Spaniern in die Hände, indessen die Unierten nichts thaten, als zusehen; einen einzigen Scharmützel ausgenommen, in dem sie unter dem Obristen Obentraut den Spaniern ein paar hundert Mann zu Grunde richteten." [Anm. 1]
Soweit eine lang tradierte Beschreibung der Rahmenhandlung, innerhalb deren meine Spurensuche angesiedelt ist. Sie gilt einer fast vergessenen Belagerung von Schloss Böckelheim, die im November 1620 durch spanisches Militär erfolgte. Verwirrende Datumsangaben und Verwechslungen waren der Grund für die bisher weitgehende Nichtbeachtung des Ereignisses. Die noch nicht ganz in Deutschland und Europa wirksam gewordene Gregorianische Kalenderreform von 1582 verursachte unterschiedliche Zeitangaben. In den Gebieten des neuen evangelischen Glaubens war der um zehn Tage zurückhängende Julianische Kalender länger im Gebrauch als die durch Papst Gregor XIII. modernisierte Zeitrechnung. Erst die Forschungsergebnisse von Anna Egler brachten Ordnung in die Chronologie des spanischen Einmarsches in der Pfalz und im Nahe-Hunsrück-Raum und ermöglichen eine richtige Einordnung darauf bezogener geschichtlicher Zeugnisse.Das Naheland wurde schon bald nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen. Spanische Truppen fielen Anfang August 1620 im Rahmen des sog. böhmisch-pfälzischen Krieges (1618-23) in kurpfälzische Gebiete ein, um die "pfälzische Frage" zu klären. Das Ringen um die Kurwürde berührte habsburgische, englische und wittelsbachische Interessen. Die spanischen Exekutionstruppen besetzten Gebiete Rheinhessens, des Nahelandes und des Hunsrücks. Oberbefehlshaber war General Ambrosius Spinola, dessen militärischer Ruhm durch zahlreiche Flugblätter verbreitet wurde. Diese zeigen die Ansichten der eroberten Orte. In diese Zeit fallen auch die frühen militärischen Erfolge des pfälzischen Obristen Hans Michael von Obentraut – des legendären "deutschen Michel" -, die auf den Schauplätzen Rheinhessens und der Westpfalz errungen worden sind. Der Preis des Erfolges wurde von der Bevölkerung getragen, viele Dörfer gingen in Flammen auf.
Die Spanier belagerten stets mit großer Militärpräsenz, um mit dieser Drohgebärde eine leichte Übergabe zu erzwingen. Bei Gegenwehr ging die Truppe rücksichtslos vor. Kreuznach war am 10. September angesichts des Aufmarsches von etwa 5 000 Infanteristen, 300 Reitern und neun Geschützen zur Übergabe bereit. Ende Oktober / Anfang November erfolgte die Besetzung des Hunsrück-Moselgebietes, so auch die von Schloß Böckelheim und Sobernheim. Diese und weitere Orte wurden danach kurzzeitig zurückerobert. Über diese Ereignisse berichtet eine Flugschrift, die von Johann Albin in Mainz gedruckt wurde. Die "newe Zeittung" erzählt in Reimform Neuigkeiten von "blutigen treffen vnd scharmützlen...zwischen Sobernheimb vnd Creutzenach". Von einer sonst nicht überlieferten Entsetzung Sobernheims erfahren wir durch die folgenden Knittelverse, hier, abweichend vom Original, mit modernisierter Zeichensetzung und in Form gereimter Strophen:
Der Teutschen Fürsten Volck
ist auch gezogen
vber den Hundtsruck hin,
nach Sobernheim gewogen,
dahin stundt ihn ihr sinn,
die Spanier rauß zu treiben
deß morgens frühe vor Tag,
da sach man gar manchen Man
auffreiben mit Jamer noth vnd klag.
Wie aber die Spannier sahen,
so in der Statt da waren,
das man sie wolt raussen jagen
vnd gar vbel mit ihn fahren,
so theten sie sich zur Wehr stellen
vnd füllen vber die Mauren rauß,
in die Wassergräben thät
man sie fellen [erschlagen]
mit Schrecken vnd grossem grauß.
Da erhub sich hawen und stechen
zu beyder seit ich sag,
man sach da manchem sein Hertz brechen
wol an dem selbigen tag,
die Büchsen hört man krachen
vnd die Degen klingen ohne schey,
das manchem vergieng das lachen
zu beyden seittn frey.
Vil Blut war das vergossen
von Teutsch= vnd Welschem Gesindt
zu Fuß vnnd auch zu Rosse,
gar manches Mutter Kindt
vil Adelspersonen deßgleichen,
die auch gebliben [gefallen] seindt,
wolvber drey tausent
von allen gebliben seindt.
Die Anzahl der angegebenen Opfer bezieht sich sicherlich nicht auf Sobernheim allein, sondern auf die Situation in der Region.
Nachfolgend rückten die Spanier wieder vor und konnten sich letztendlich behaupten. Ende November waren die Operationen weitestgehend abgeschlossen und die Soldaten bezogen die Winterquartiere in den Städten und Dörfern.
Nun zum Szenario von Schloß Böckelheim: Am 10. November 1620 forderte Don Diego Messina die "Zurückgabe" der Burg und schloss sie mit einem größeren Truppenkontingent ein. Dazu gehörten Kavallerie, Infanterie und Artillerie. Nach den üblichen Drohungen begann ein massiver Beschuss, bei dem drei Kanonen 130 beziehungsweise 145 Schüsse abgaben. Durch die Überlastung zersprangen zwei Geschütze, ein Geschützmeister kam ums Leben.
An der Verteidigung des badisch-kurpfälzischen Unteramtsitzes werden wohl nicht mehr als 100 Bewaffnete beteiligt gewesen sein. Es ist davon auszugehen, dass die Verteidigungsanlagen durch Verhaue, Schanzkörbe und Palisaden verstärkt worden waren. Die großen Verluste auf Seiten der Spanier sind vermutlich auf einen Generalsturm zurückzuführen, der nach der Kanonade, ohne Hilfe der üblichen Belagerungsverfahren (Laufgräben, Minen etc.) befohlen wurde. Wahrscheinlich kam dabei auch die Petarde zum Einsatz, eine Sprengbüchse, die zum Brechen von Toren und Hindernissen benutzt werden konnte. Die Besatzung hielt jedoch dem Ansturm zunächst stand. Während der abschließend dennoch vereinbarten Übergabe mit "freyem Abzug" entlud sich der Zorn der Belagerer, es kam zu Exzessen gegenüber den Verteidigern. Der Kommandant wurde gefangen genommen und musste sich in Kreuznach mit Lösegeld freikaufen lassen. Das Schloß erhielt eine Belegung von etwa 40 Spaniern und fungierte weiterhin als Verwaltungssitz. Über das Maß der durch die Beschießung entstandenen Bauschäden ist nichts bekannt.
Im ersten Band des Theatrum Europaeum, einem 21bändigen Werk über die Geschichte der Zeit von 1618 bis 1718, findet sich ein Bericht über die Belagerung. Dank der Augsburger Universitätsbibliothek, die in den vergangenen Jahren die gesamte Ausgabe digitalisierte, stehen nun der Texte und die dazugehörigen Illustrationen im Internet zu Verfügung. Der Bericht lautet:
"Den 31. Octobris seynd von den Spanischen etliche Compagnien Reuter sampt neun Fahnen Fußvolck / und drey Stück Geschütz / auch einer Petarden [Sprengbüchse] vor das Schloß Böckelheimb / welches sie zwar hiebevor [zuvor] in iren Gewalt gebracht hatten / aber jetzo von den Pfälzischen neben Sobernheim und AltenSimmern wieder abgenommen war / gezogen / dasselbige von Mittag an die gantze Nacht mit hundert und dreissig Schüssen beschossen: Unter welchem Schiessen zwo Carthaunen [Geschütze] zersprungen / deren eine ein Büchsenmeister erschlagen. Aber nachdem sich der Capitain des Außschusses [des militärischen Aufgebotes] zu Sobernheim dapfer mit Gegenschiessen gewehret / also daß vor dem Schloß in 200 Soldaten todt geblieben / und in hundert beschädiget worden / so viel Volcks bißhero die Spanier in der gantzen Pfaltz noch nicht verlohren hatten / hat er das Schloß / weil er sich solchen Gewalt Widerstand zuthun zu schwach befunden / und sich seines Entsatzes zugetrösten gehabt / mit der Condition übergeben / daß er sampt seinen Soldaten freyen Abzug haben möchte. Welches zwar die Spanischen zugesagt / aber nicht gehalten: Dann so bald er mit seinen Soldaten / deren in 60 gewesen / heraußkommen / seynd sie mehrertheils niedergemacht / und er gefangen nacher Creutzenach geführet worden / allda er sich nachmals rantzioniren [mit Geld auslösen] müssen." Anschließend enthält der Text ein Kapitel über "Spanische Tyranney", die sich gleichzeitig in Thalböckelheim zutrug: "In Zeit währender Belägerung dieses Schlosses haben die Spanier / so im Böckelheimer Thal gelegen / alles geraubt und außgeplündert / und weil die Leuth alle entwichen / und nur ein alter Mann / so Alters halben nit fortkommen können / allda geblieben / haben sie denselben in ein Schornstein auffgehenckt / und Feuer und Rauch unter ihn gemacht / biß er mit grosser Marter seinen Geist auffgegeben."
Berichte über weitere Plünderungen und Gewaltakte in unserer Region sind zahlreich vorhanden. Zu diesen Quellen gehört nicht zuletzt die Reimchronik des Enkirchener Pfarrers Kaspar Streccius, deren Text im Nahelandkalender 2001 nachgelesen werden kann. Die "newe Zeittung" enthält die nachfolgend wiedergegebene Geschichte der Brandschatzung einer Mühle in der Nähe Sobernheims. Die Örtlichkeit ist nicht zu lokalisieren, die Namen der Opfer sind unbekannt.
Nun will ich weiter melden
was mehr geschehen ist,
etlich Spanier und Wallonen,
die reisten zu der frist
bey Sobernheim deßgleichen,
da wohnet ein Müller Reich,
dem wolten sie erschleichen,
aber es golt ihm eben gleich.
Der Müller hats vernommen
mit seinem Haußgesindt,
das der Feindt thet kommen,
er rüst sich bald geschwindt,
zu seinen Knechten thet er sagen,
sie solten bey Ihm halten fest,
dan es theten daher traben
gar vil frömbde Gäst.
Sechs Rohr hat er geladen
gar scharpff auffs aller best,
er hat ein Steinen gaden [steinernes Gemach]
das war also fest,
da thet er mit seinen Knechten
sich stellen zu der Wehr
und thet sechs und dreyßig Reiter fellen
ohne die, so waren verwundet sehr.
Aber kein Endtsatzung war vorhanden,
sie haten kein Bulver mehr,
aber die Reuter umb rantten
die Müllin also sehr,
da müsten sie sich ergeben
alles, was in der Müllin war,
brachten sie all Jamerlich umb das leben
und verbrannten die Müll alda.
Im Amt Böckelheim hielt die Zeit der Bedrückungen noch etwa 70 Jahre an, bis sich die Verhältnisse mit der "Befriedung" des Schlosses und seine endgültige Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688/89) und die Verlegung des Amtsitzes nach Sobernheim, veränderten.
Verfasser: Jörg Julius Reisek
Redaktionelle Bearbeitung: Nathalie Rau
Literaturhinweise:
- Egler, Anna: Die Spanier in der linksrheinischen Pfalz 1620 –1632. Mainz 1971.
- Fligel, H.: Versuch einer urkundlichen Geschichte des Oberamts Böckelheim. Sobernheim 1865.
- Freckmann, Klaus: Burgen an der Nahe. Kulturgeschichte als bildliche Darstellung. In: Kultur- und Geschichtslandschaft Nahe- Hunsrück. Festgabe für Werner Vogt zum 70. Geburtstag (1994), S.111- 118.
- Fritsch, Eduard: Kreuznach im dreißigjährigen Kriege. Diss. Gießen 1929.
- Kessel, Jürgen: Spanien und die geistlichen Kurstaaten am Rhein während der Regierungszeit der Infantin Isabella (1621-1633). 1979. In: Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 113, Frankfurt 1979.
- Reiniger/Stopp: Wahrhafftige Abbildung derjenigen Stätt Schlösser und Flecken welche Ambrosius Spinola in der Chur Pfaltz am Rhein eingenommen im Jahr 1620 und 1621. [o.O.] 1982.
- Schmidt, Gerd: Die Reimchronik des Pfarrers Kaspar Streccius: Geschichtsdokument über den Dreißigjährigen Krieg auf dem Hunsrück und an der Mosel. In: Nahelandkalender (2001), S. 190-193.
- Seil, Rainer: Chronik der Ortsgemeinde Schloßböckelheim. Schloßböckelheim 2000.
- Senkenberg, Renatus Karl Frh. von: Versuch einer Geschichte des Teutschen Reichs im siebzehnten Jahrhundert (Bd. 3.) Halle 1793. S. 547.
- Theatrum Europaeum (Bd. 1) S. 385.
- Zwo Warhafftige und Grundtliche newe Zeittung die erste / von den beyden blutigen treffen und scharmützlen / so sich mit dem Spanischen Veltläger sampt der Vnierten Fürsten beneben Prinz Henrich Friderich General Obrister Veltherr und Ambrosius Spinola zu beiden theilen / was sich zwischen Sobernheimb und Creutzenach auch auff der Langenbrach hat zugetragen und wie starck ein jedes Lager ist / geschehen den 30. Octobris, Anno 1620. [...]
Mainz: Johann Albin, 1620. (Digitalisat: Universitätsbibliothek Augsburg) Die Reime sind im Original anders gesetzt! Siehe auch Originaltext auf dem Flugblatt, 1620.
Erstellt: 09.03.2011
Anmerkungen:
- Renatus Karl Frhr. von Senkenberg, 1793. Zurück