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Klostergeschichtlicher Überraschungsfund - Grundstein der Kreuznacher St. Wolfgangskirche entdeckt

von Jörg Julius Reisek. In: Bad Kreuznacher Heimatblätter. Beilage zum Öffentlichen Anzeiger Bad Kreuznach Nr. 12/2009.

Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fanden Bauarbeiter im Schutt der am 2. Januar 1945 durch Fliegerbomben zerstörten Bad Kreuznacher St. Wolfgangskirche zwei Inschriftensteine. Diese wurden geborgen und in einem Kellerverschlag des heutigen Gymnasiums an der Stadtmauer deponiert. Unter weiteren „Ablagerungen“ verborgen, gerieten die Steine in Vergessenheit. Im Rahmen von Aufräumungsarbeiten im April 2009 kamen die Relikte durch die Umsichtigkeit von Hausmeister Marco Fritz wieder an das Tageslicht und sorgten für eine Überraschung. Der zweiteilige Grundstein für den im 18. Jahrhundert erfolgten Wiederaufbau der St. Wolfgangskirche, die während des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688 – 1697) zerstört wurde, war aufgetaucht.[Anm. 1]

Dazu ein kurzer historischer Rückblick: Am 18. Oktober 1689 „nachmittags 2 Uhr“ steckte französisches Militär die Kreuznacher Kirchen nach vorangegangenen Plünderungen in Brand. Nur der spätgotische Chor und ein kleines Gebäude am Tor sollen vom Franziskanerkloster stehen geblieben sein. Dank der Förderung durch den pfälzischen Kurfürsten Johann Wilhelm (1690 – 1716)[Anm. 2] erfolgte im Jahre 1700 die feierliche Grundsteinlegung für den Neubau des Konventgebäudes. 1715 waren die Ordensbrüder in der Lage, mit dem Wiederaufbau des Langhauses der zerstörten Klosterkirche zu beginnen und hierfür den Grundstein zu legen.

Es entstand ein schlichter, einschiffiger und turmloser Bau, der dem Armutsideal der Franziskaner entsprach und mit dem integrierten gotischen Chor eine Einheit bildete. Die eigentlichen Bauarbeiten sollen 1718 beendet worden sein. Die Ausstattungsarbeiten im Gebäude zogen sich jedoch in die Länge, so dass erst am 11. Mai 1727 die Weihe der Kirche und der drei Altäre[Anm. 3] durch den Mainzer Weihbischof Edmund Geduld von Jungenfeld vorgenommen werden konnte. Über 5 000 Katholiken sollen in den drei darauffolgenden Tagen in St. Wolfgang gefirmt worden sein. Um 1730 betrug die Anzahl der Gemeindemitglieder etwa 430 Seelen.

„ANNO 1715 DEN 25. AVGVSTI“ lautet die Inschrift auf der Deckplatte des Grundsteines, darunter die Signatur C. S. mit einem Steinmetzzeichen. Auf der Unterseite ist ein Patriarchenkreuz eingearbeitet. Die Platte verschließt einen Quader mit einer auf der Oberseite befindlichen Vertiefung, von der aus vier Röhren eingearbeitet wurden. Sie sind heute leer und waren für die Urkunde und weitere Beigaben (?) bestimmt. Die Oberseite enthält Beschriftungen. Vier Kreuze an den Ecken stehen mit den Abkürzungen IHS (Christus), MRA (Maria), FRS (Franziskus) und WFGS (Wolfgang) auf den Längsseiten in Verbindung. Sie dokumentieren die vorgenommene Weihung des Grundsteines.

Der lateinische Text der Grundsteinlegungsurkunde ist bekannt. Die Mainzer Hof- und Universitätsdruckerei von Johannes Mayer druckte den Text in schwarzer Antiquaschrift auf weißer Atlasseide. Als Verzierung diente eine Umrahmung aus Rosenzweigmotiven. Noch Ende des 19. Jahrhunderts hing in der Sakristei ein gerahmtes Exemplar in einem „altersmatten Goldrähmchen“ über dem Ankleidetisch. Bei einer Besichtigung wurde der Paderborner Franziskanerpater Pankratius Rathscheck darauf aufmerksam und veröffentlichte die Urkunde in einem kleinen Aufsatz. Der Lesbarkeit halber verzichtete er aber auf die Wiedergabe der zahlreich im Text enthaltenen Chronogramme, die später fehlerhaft gedruckt in Walter Simons Arbeit auftauchen.

Bei solchen Chronogrammen handelt es sich um eine vor allem in der Barockzeit beliebte Mode, Jahreszahlen in Inschriften, Lobgedichten und Ehrengedächtnissen zu verstecken. Alle Buchstaben, die römische Zahlzeichen bedeuten und – zum Beispiel durch Großschreibung oder Vergoldung - besonders hervorgehoben werden, ergeben in ihrer Summierung eine Jahreszahl (M = 1000, D = 500, C = 100, L = 50, X = 10, V = 5, I = 1). Mehrfach soll im Text die Zahl 1715 versteckt sein, wie die Abschlusszeile unserer Urkunde eindeutig beweist: „QVI ChrIstIanVs est, DICIt: aMen„ [Anmerkung der Redaktion: Die fett gesetzten Buchstaben sind im Original zusätzlich unterstrichen] ergibt demnach 1715 ( 1 x M = 1000 , 1 x D : = 500, 2 x C =200, 2 x V = 10, 5 x I = 5), das Jahr der Grundsteinlegung.[Anm. 4]

„Der Verfasser verfügt über einen lateinischen Wortschatz, eine Vollendung der Form und handhabt spielend eine Mannigfaltigkeit epigrammatischer Kunst, die dartun, wie genial er seinen dürren Tatsachenstoff modellierte und freudig bewegt den denkwürdigen Vorgang verewigte“ bemerkt Ratscheck zum literarischen Stil und fährt folgendermaßen fort: „Seinem Typographen sind gleichwohl Missgriffe begegnet, in dem statt der Zahlen bedeutenden Majuskeln die entsprechenden Minuskeln einschlüpften. Zumeist hat man mit Tinte trotz dem Atlasgrund diese verbessert. Da aber die Urkunde bereits unter Glas gesichert im Rahmen verfestigt lag, wurde noch das m in DIVorVm auf der äußeren Glasfläche in M. [DIVorVM] korrigiert, mit einer Schwärze, die bis heute [um 1890] nicht verwischt ist; ein Zeichen, wie vorsichtig zweihundert Jahre es fertig gebracht haben, an dem unauffälligen Stück vorbeizugehen.“

Um die Urkunde für die Verwendung im Geschichtsunterricht des Gymnasiums an der Stadtmauer zu erschließen, hat der 2008 verstorbene Bad Kreuznacher Studiendirektor Heinz Singer die folgende sinngemäße Übersetzung des Textes vorgenommen:

„Inschrift des Grundsteines der neuen Kreuznacher Kirche der Franziskaner-Rekollekten der Kölner Provinz, die dem Hl. Wolfgang geweiht ist.

Schon die frühere Kirche hier kam an großem Zulauf der Gläubigen, Frömmigkeit und Wundergeschichten dem Ansehen der Regensburger Kirche gleich, die die ehrwürdigen Gebeine dieses ihres heiligen Bischofs [gemeint ist der Heilige Wolfgang] aufbewahrt. Nachdem sie im Kriege niedergebrannt war, begann man jetzt zur größeren Ehre Gottes mit dem Wiederaufbau unter der Schirmherrschaft ihres durch Erbschaft berechtigten Stifters, des durchlauchtigen und mächtigen Pfälzer Kurfürsten Johann Wilhelm, Ertztruchseß des Hl. Römischen Reiches, Herzog von Bayern, Jülich – Kleve und Berg, Fürst zu Mörs, Graf zu Veldenz, Sponheim, Mark und Ravensburg, Herr zu Ravenstein etc., unser gnädiger Herr.

Die Grundsteinlegung der alten Kirche erfolgte durch die beiden pfälzischen Brüder mit Namen Friedrich [1472]; von den Erbnachfolgern wurden Konvent und Kirche vollendet [1484]. Hier in Kreuznach kamen die bettelarmen Brüder unseres hl. Vaters Franziskus zusammen und stellten sich unter den Schutz Papst Sixtus IV. Sodann arbeiteten sie im Weinberg Gottes, hatten große Erfolge durch Worte und Werke der Frömmigkeit, bis auch hier der barbarische Luther, der sein Klostergelübde gebrochen hatte, durch sein schändliches Mundwerk die himmlischen Weinberge der Bauern abfraß (Psalm 79 V. 14) [1556/59]. Als der Räuber [Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, gen. „Winterkönig“], der sich die Krone unrechtmäßig angeeignet hatte, vertrieben war, wurden die Fratres von der katholischen Herrschaft an Ort und Stelle wieder eingesetzt [1623].

Hiernach kam, aufgrund fanatischer Raserei oder durch einen anderen Schicksalsschlag getroffen, das religiöse Leben vollständig zu Erliegen. Nach seiner Erneuerung hätte es in dieser vom badischen Markgrafen befestigten Stadt weiterblühen können, wenn nicht Vulcanus [der Feuergott] im Krieg – Mars [der Kriegsgott] ist ein neidischer Gott – Städte, Heiligtümer und Häuser verschlungen hätte [1689]. Nun aber, da Mars und Cerberus [der Höllenhund] mit göttlicher Hilfe überwunden sind, haben Trauer und Sorge ein Ende.

Denn: Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, unter Anrufung der Gottesgebärerin und makellosen Mutter sowie unseres hl. Erzvaters und aller Heiligen, wird am 25. August – am Sonntag „In Virgine“ – im 15. Jahr des Pontifikats Klemens' XI. [1700 - 1721], im 4. Jahr nach der Krönung seiner kaiserlichen Majestät, des katholischen Königs Karl VI. [1711 - 1740], unter der rechtmäßigen Herrschaft des durchlauchtigsten und von uns sehr geschätzten Pfälzer Kurfürsten Johann Wilhelm, der als Sproß göttlichen Geblüts durch Erbschaft zu dieser Stiftung berechtigt ist, an dem Tage, als Christus alles gut machte (Mark. 7 V. 37) dieser Eckstein zur Grundsteinlegung in den heiligen Boden hinabgelassen.

Baron von Huntheim [kurpfälzischer Oberamtmann in Kreuznach] vollzieht als Vertreter des gütigen Kurfürsten die Handlung. Den feierlichen Gottesdienst halten Anton Martels [Anm. 5], der unermüdliche Erneuerer und Vorsteher des Augustiner-Chorherren-Stifts in [Pfaffen-] Schwabenheim, Pater Gerhard Sechten – Leiter der Dreikönigsprovinz - und Guardian Peter Konrad Deusing.

Für den hl. Namen des Erzbischofs Wolfgang und seinen Schutz erhebt sich – nach einer langen Zeit der Trauer und Einsamkeit infolge Brandvernichtung – dieses Gotteshaus für ein frommes Leben wie in früheren Zeiten.

Es bleib dann lang dieß hohe Chur-Haus

In Gottes Gnad, in Siegen,

So wird forthin deß Gottes-Haus

Noch Feur, noch Feind bekriegen!

Qui Christianus est dicit: Amen

[Wer Christ ist, sagt : Amen].“

Der Grundstein hat nun im St. Wolfgangschor einen würdigen Platz gefunden und kann in der dort untergebrachten Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach während der Öffnungszeiten (Di/Do 14.00 –17.00 Uhr; Mi/Fr 10.00 –12.00 Uhr) besichtigt werden.

Literatur

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

  • Festschrift zur 175-Jahrfeier des Gymnasiums [an der Stadtmauer] 1819-1994. Bad Kreuznach 1994.
  • Forster, Hans: Die Pfarrei St. Wolfgang in Kreuznach (1708-1808). In: Festschrift zur Konsekration der Pfarrkirche St. Wolfgang Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1963.
  • Silbermann, Horst: St. Peter, St. Nikolaus, St. Wolfgang. Ein kleiner Ausflug in die Kreuznacher Klostergeschichte. In: Bad Kreuznacher Heimatblätter 2008, Heft 4.
  • Simon, Walter: Die St. Wolfgangskirche in Kreuznach und das Franziskanerkloster. 32 Folgen. In: Kreuznacher Zeitung vom 11.02. bis zum 28.10.1899. (Enthält den Urkundentext in allerdings häufig fehlerhaft wiedergegebener Chronogrammform.)
  • Singer, Heinz: Nachlass. Sammlung zur Kloster- und Gymnasialgeschichte. Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek des Landkreises Bad Kreuznach (HWZB): CK 382. (In dieser Sammlung befindet sich eine Ablichtung des von Pankratius Rathscheck unter Nichtbeachtung der Chronogrammform publizierten Textes des Grundsteins der Franziskanerkirche St. Wolfgang in Kreuznach von 1715.)
  • Stein, Rudolf: Das Franziskanerkloster zum Hl. Wolfgang in Kreuznach (1484-1700). In: Festschrift zur Konsekration der Pfarrkirche St. Wolfgang Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1963.

Erstellt: 18.01.2010

 

Anmerkungen:

  1. Neuber, Robert: Sensationsfund im Stama-Schutt. Allgemeine Zeitung vom 02.05.2009. Zurück
  2. 1699 widmeten die Franziskaner dem Kurfürsten Johann Wilhelm eine Schrift „Lucerna fidei per fratres minores S. Francisci novissima accensa in Palatinatu“ (31 S.) Zurück
  3. Hochaltar: Kreuzigungsgruppe und Figur des hl. Wolfgang. In den Figurennischen der Seitenaltäre: links Mutter Gottes, rechts: hl. Antonius (vgl. Zimmermann, Walter: Die Kunstdenkmäler des Kreises Kreuznach. 1935/1972).  Zurück
  4. Grundsteinmaterial: heimischer grober Sandstein. Deckplatte: 35 x 35 x 11,5 cm; im unteren Bereich konisch abgestuft, Unterteil: 35 x 35 x 26 cm; Vertiefung zur Aufnahme des verjüngten unteren Bereiches der Deckplatte 21 x 21 x 4 cm, Röhren: 8,5 cm Durchmesser, Tiefe ca. 14 cm. Mörtelspuren an allen Seiten legen eine Einmauerung als „Eckstein“ nahe. Zurück
  5. Ein Portrait von Anton Martels ist im ehemaligen Kloster in Pfaffen-Schwabenheim ausgestellt. Zurück