Bibliothek

Schlangen, Hexen, Staats-Actionen ... Kurioses und Merkwürdiges aus Alt-Xnach

von Jörg Julius Reisek

Die geschichtlichen Quellen zur Kreuznacher Stadtgeschichte sprudeln reichhaltig. Akten, Urkunden und zahlreiche Publikationen bezeugen dies eindrucksvoll. Davon können sich Interessierte im Bad Kreuznacher Stadtarchiv, sowie in der Heimatwissenschaftlichen Zentralbibliothek überzeugen. Besonders die Bestände aus dem 17./18. Jahrhundert beinhalten eine Vielzahl an Nachrichten über Begebenheiten die aus dem Alltäglichen herausragen. Hiermit sind nicht nur die Wunderberichte über Kometen, Erdbeben und Lichterscheinungen gemeint; auch das ganz „normale“ Leben hielt Absonderliches parat. Nachstehend folgt eine kleine Auswahl derartiger Geschichten.

Wunderzeichen und Naturerscheinungen

Eine meteorologische Himmelserscheinung , die am 15.3.1592 am Himmel über der Stadt gesehen wurde, bot einen willkommenen Anlass zu der konfessionspolitischen Flugschrift „Newe Zeytung Unnd Abcontrafactur der Stadt Creutzennach / sampt einem Wunderzeichen / so allda am Himmel gesehen worden / den 15. Martzii / Anno 1592...“ Sie war Herzog Reichard von Simmern gewidmet und ist im Zusammenhang eines Machtkampfes zwischen Kurpfalz, Baden und Simmern zu verstehen. In deutscher und lateinischer Reimform legte der anonyme Verfasser die Kreuzerscheinung als Zeichen für die Erneuerung des lutherischen Glaubens in Kreuznach aus und deutete Herzog Reichard als Vollstrecker dieses göttlichen Willens. Eine Holzschnittillustration zeigt das Himmelszeichen über der Fantasiedarstellung Kreuznachs.

Besondere Aufmerksamkeit und Ängste erregten immer wieder Kometenerscheinungen, wie der folgende Vierzeiler aus dem ersten Band des „Theatrum Europaeum“ belegt (S. 101):

1618:
Krieg / Auffruhr / Blutvergießen viel/
Dir ein Comet verkünden will:
Unter den Leuten grosse Noth/
Auch grosser Herrn und König Todt.

Das Rechenbuch des Mathematikers Nikolaus Beusser, „gewesener Rechen Schulmeister zu Creutznach“, enthält Textaufgaben, die er in seiner Heimatstadt entwickelte. So auch diese:

Nutz und gebrauch des Subtrahierens: Item der grosse Cometstern (wie männiglich bewust) hat Anno 1618 am Himmel gestanden / wie lang ists jetzt / da man schreibt 1628?

1628
1618

Facit 10. Jar.

Beusser, Nikolaus: Rechenbuch vonn Mancherley Kauffmanns Händel...Frankfurt: 1629. S. 14. (HWZB)

Ao. 1664... Decembr. Den 16ten Ist ein groser Comet nachts von 12 bis 4 Uhren allhie gesehen worden, dessen Ruth oder Schwantz, so sehr lang, sich gegen den Kühberg uf Feyl [Feilbingert] zu ziehet; ist bleich anzusehen.Tagebuch Johann Jakob Kneupel

Da Kometen über eine längeren Zeitraum beobachtet werden können, als das von Kneupel beschriebene Phänomen, handelte es sich hierbei wohl eher um eine lumineszierende Rauchspur, die ein Meteor beim Streifen der Atmosphäre verursachte.

1680 wurde der große Comet in ganz Teutschland gesehen...1682 Verspührte man hier den 10. May morgens zwischen 2 und 3 Uhr eine heftige Erderschütterung, und äusserte sich im Julio eine schädliche Viehzucht und zu End Augusti sahe mann wieder den Cometen. Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach

Allerhand unnatürliche Zeichen / Omina, Portenta, Erdbeben / und desgleichen / so beydes am Himmel und in der Lufft gesehen worden / als auch auff dem Erdboden zugetragen: ...

1681...Den 21. [Januar] wurde um Creutzenach herum ein Feld-Geschrey in der Lufft gehöret / als wann 2 Armeen gegeneinander stünden / und mit Mußqueten und Canonen Feuer auffeinander gaben. Eben auff den Tag / da dieses geschehen / fiel zu Rostock / deß Abends um 6 Uhr / in unterschiedlichen Wetterleuchten / eine grosse feurige Kugel vom Himmel / wobey sich der Himmel auffthate / als wie man einen Bogen Papier auff- und zuschläge. Theatrum Europaeum, Bd. 12, S. 383 (HWZB)

1756 verspührte mann den 18. Februar morgens um 8 Uhr allhier einen kleinen Stoß eines Erdbebens ohne Schaden, welcher jedoch dieses Jahr die gantze Welt erschütterte. Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach

Entführung

1693, den 6ten July fiele nachts eine Parthie Teutschen in hiesigen Bangert, und schleppte die Frau von Hartung ohnangekleidet mit vieler Unhöflichkeit auf Rüdesheim über dene Rhein, allwo sie etliche Monate eine Staatsgefangene gewesen, hernach zu ihrem Herrn Vater nacher Brüssel überschickt wurde: ein starkes Commando des Dauphins, welche in hiesiger Gegend stunde, verfolgte diese weibische Frey-Compagnie bis an Rhein, aber vergebens. Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach

1709 führte der Franzose Partihan Moser unter Bedeckung etlicher Fusilier von hier den hiesigen Truchseß Otto, Bürgermeister Klingenschmid, Stadtwachtmeister Koch, wie auch die 3 Kaufleute Achenbach, Klingenschmid und Wittmann, nachdem sie selbige sammt dem Jud Henschel sauber, rein ausgeplündert als Geiseln nach Homburg hinweg, nemlich wegen nicht geleisterter Contribution, so das Oamt Bacharach schuldig gewesen. Können dahero deren Erben an besagtem Oberamt ihren Regreß [Schadensersatz] suchen. Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach

Staats-Aktionen

3. Oktober 1615: Ist unser gn. Churfürst & Herr Friedrich, Pfalzgraf, der fünfte, mit 27 Pferden und 30 Personen um 11 Uhr angekommen und über Nacht geblieben, am folgenden Mittwoch aber nach Simmern verreist. Der Rat hat ihm 1 Fuder firnen Wein 1610er Gewachs, so von Hans Burckhardt Meyer, Ratsherr, für 110 fl. gekauft wurde, verehrt. Und weil der H. Churfürst dem H. Truchsessen Befehl gegeben, diesen Wein zu verkaufen und das Geld samt der Stadt Wagen nach Heidelberg zu schicken, um daraus einen Becher machen zu lassen, so hat der Rat fur gut angesehen, den Wein nichtsdestoweniger nach Heidelberg fuhren zu lassen und ihrer churf. Gnaden noch einen Pokal dazu zu behaltlicher Gedachtnus zu verehren. Dieser Pokal ist zu Frankenthal – weil zu Frankfurt keiner so groß zu bekommen war – in Form eines Traubens, 8 Mark und 13 Lot [ca. 2 kg. Silber], oben mit der Stadt Wappen, so hier daran gemacht worden, gekauft und durch mich, Stadtschreiber, und H. Friedrich Georg d. A. am 29. Oct. Zu Alzey im Schloß i. Churf. Gn. [ihro kurfürstlicher Gnaden] selbst praesentiert und verehrt worden.

Ratsprotokolle

1689...Nota: Und hat der alte Wund mir erzehlet daß von General Laperdeche der Ursachen die Stadt verschonet worden sey, weil ein Bürger ihme beym Eintritt, als solcher über die Brück reisen wollen, avertirt [geraten], nicht hinzureiten, weil man wegen schießens aus Doppelhacken und Stücken [Kanonen] vom Schloße nicht sicher sey, da dann sogleich etliche Schuß gefallen, welche Ihn General La per Deche ohnfehlbar ertödted haben würden, wann er dieser avise zufolge nicht zurück geritten wäre... Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach

...1700 Logierten Ihro Churfürstlichen Durchlaucht zu Pfaltz Johann Wilhelm mit dero Frau Gemahlin dahier in des H. Hofkammerrath Fladischen Haus auf dem Kornmarkt, wo Ihne eine Ehren Pfort aufgerichtet worden, und weiß und rother Wein gesprungen.

Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach

13. Mai 1744 ist Churfürst Carl Theodor & dero Frau Gemahlin hier angekommen und vom Stadtrat mit Praesentierung der Stadtschlüssel am Hackenheimer Tor empfangen worden [Huldigung]. Sie haben ihr Logis bei der gnd. Frau von Hundheim genommen, und sind diesen Tag noch beide hinaus zu den Salzwerken gefahren und haben selbige in Augenschein genommen.

14. Mai. Auf Christi-Himmelfahrt sind sie still gesessen, den 15. ist der Churfürst spazieren geritten auf Bretzenheim und zu dem Einsiedel, nachmittags het er die hier liegende Dragoner-Companie auf dem Eiermarkt exercieren sehen, ist von da zu Fuß den Schlossberg hinaufgestiegen und hat sowohl die Gegend als das zerstörte Schloß betrachtet, ist den Bangertweg herunter durch die Gärten in der Hundgaß hereingegangen und in den Pfalz-Simmerschen Hof durch des Hof-Cammerrats Carmer Haus gegangen und hat selbiges alles samt Hofgarten wohl betrachtet.

16. Mai. sind sie nach Simmern ausgefahren, um selbige Stadt und Land zu besehen.

18. Mai sind sie wieder zurückgekommen, und hat alsdann der Stadtrat & die 28er ihre Bittschriften übergeben, teils wegen Nachlaß des Ausschusses, dann wegen Reparierung der zerfallenen Stadt-Mauern und Pflasters, teils auch um Befreiung vom Milizdienst und von der doppelten Accise.

19. Mai sind sie wieder von hier weg auf Kaiserslautern gefahren, wobei die Bürgerschaft wie beim Einzug im Gewehr gestanden und der Rat glückliche Reise gewünscht.

Protokolle der Herren Achtundzwanziger StaKr. Gr. 101/50

Der Achtundzwanziger Rat mit jeweils 14 Mitgliedern aus der Kreuznacher Alt- und Neustadt war ein beratendes Gremium neben dem eigentlichen Stadtrat, der als oberstes städtisches Beratungs- und Beschlussgremium fungierte.

 

Hexen, Geister, schwere Träume

15. Juni 1610: In der Stadt geht ein altes Weib um, so communiter für eine Hex gehalten wird. Der Büttel soll sie ausweisen. Ratsprotokolle

20. September 1610: Hartmann Schlimm ist nicht wohl bei Verstand und tut Schaden in den Wingerten. Ihm wird gesagt er solle daheim bleiben, oder wenn er hinaus gehen wolle, solle seine Hausfrau mitgehen. Ratsprotokolle

16. März 1610: Wendel Schmelzer klagt wider Antonius Breunick, daß er das ihm verkaufte Haus beschreit [verwünscht] hätte, sagend, daß eine große Schlang sich darin verhielte, welche bei Nacht über seine Bettstatt gekrochen, dergestalt, daß seine Hausfrau aus Schrecken um eine Kindsgeburt gekommen sei. Vor dem Rat sagt Breunick, nicht er, sondern sein Tochtermann Dönges Pfalz habe in dem Haus gewohnt, das er allerdings wegen dieses großen Mangels nicht mehr haben wolle. Auch sei der Kauf ja noch nicht ins Stadtbuch eingeschrieben, so daß er noch zurücktreten könne. – Obwohl der letztere Einwand treffend ist, verurteilt ihn der Rat, den Kauf zu halten, weil er das Haus durch sein Geschwätz entwertet habe. Anderenfalls werde er darum in Strafe gezogen. Ratsprotokolle

1629: Am 4.Mai, als der Rat die Grenzstein besichtigte, soll H. Hans Jacob Reiß gesagt haben, H. Schweickart habe das Spital hier übervorteilt und großen Schaden demselben zugefügt… und deswegen müssen sein Geist in der Querrenbach [Kehrenbach = heutiges Huttental] laufen. Hans Jac. Reiß hat dann vor dem Rat gesagt, soviel H. Schweickarten Gespenst anlangen täte, so habe er solches nicht selbst gesehen, sondern es wäre ein gemein Gespräch. Sei auch Gespräch, H. Schweickarten habe des Hospitals Geld zu sich genommen & dafür Gültbrief dargegen genommen hätte. Ratsprotokolle

26.4.1694: H. Genff, Stadtwachtmeister, referiert, dass als er verwichenen Dienstag früh vor Tag patrullieren gangen und an den Kornmarkt kommen, sei ihm ankommen als ob ihn jemand zum Markt zöge. Da es dann vor seinen Augen ganz hell worden und der ganze Markt voll etliche Schuh hoch voll des schönsten Waizen und Speltz gelegen, er auch bei H. Wundten Haus große Säcke voll Frucht sah, die alle offen gestanden. Es sei als ob zwischen dem Brunnen und H. Fuchsen Haus eine große Delle in der Frucht gewesen. Er selbst habe im Fortgehen nit anders gemeint als daß ihm der Gang, weil er in lauter Frucht ginge, schwer fiele und dass er die Frucht in den Schuhen haben müsste, und kann er selbst nicht wissen, wie ihm damals eigentlich gewesen, als er aber wieder zu sich kommen, sei alles weg gewesen und wieder ganz dunkel. Ratsprotokolle

Injurien

3. September 1647: Zwei böse Weiber, Frau Wwe. Geisenheimer und Frau Lorenz Keller kommen wegen Gezänk vor den Rat, weil sie beide Schuld haben, mit dem Frauenturm bestraft werden. Hans Heintzen Frau, die sich ebenso gegen einen Bürger verhalten, soll die Schelle tragen und von einem Tor zum anderen und um den Brunnen herum von den Bütteln begleitet werden. Den Hans Bernhard Weigand soll sie um Verzeihung bitten.

Mattes Kappels Frau ist von Wendel Hirschmanns Frau eine Hex und Zauberin gescholten worden. Die Sache hat sich an der Pforte abgespielt, als Hirschmann Wache hatte. Die Frau wollte das dem Inspector anzeigen, aber gute Leute haben ihr abgeredet und gesagt, des Hirschmanns Frau wäre ein Narr. Letztere ist zitiert worden, aber nicht erschienen. Ratsprotokolle

26.4.1694: H. Schard brachte an, als er letzthin commitiert [beauftragt] gewesen, auf franz. Befehl Säcke zu sammeln und auch bei H. Betzen einen Sack geholt habe, sei selbiger nachgehens vor sein Haus kommen und [habe] auf [dem] öffentlichen Markt sowohl gegen ihn als den ganzen Rat allerhand grobe Injurien, als Dieb & dergl. wüste Worte frei herauß gestoßen. Betz konnte es nicht läugnen, allein die Ungeduld wegen der vielen Beschwerden und sein schlechter Zustand hätten ihn dazu bewogen, sei auch alles trunkener Weis beschehen, man könnte bisweilen ihm etwas nachsehen. – Schard sagt, er hätte müssen von Haus zu Haus sammeln und auch die Ratsherren & Gefreiten nit verschont, daher ihn keinerlei Vorwurf zu machen sei. Auf solche Weis würde man Spott & Schimpf zu Lohn haben und keiner möchte mehr etwas für die Stadt tun. Betz sei allerdings ganz trunken voll gewest.

Die Ratsherren baten H. O´Schultheiß ihnen zur Satisfaction zu verhelfen. O´Schultheiß fragte, was man mit dem Mann anfangen wolle? Er solle halt abbitten! – H. Schard et ceteri [die Übrigen]: sie müssten es bei jetziger Conjunctur zwar geschehen lassen, gäben aber zu bedenken, was ein solcher Mann meritiert [verdient] habe, welcher schon so viele andere Händel angefangen, auch auf offener Straß s. v. furzet, dass es jedermann hören könnte, und wenn einer sich auf solche Weis gegen ihn verloffen [gemeint ist der umgekehrte Fall, dass jemand Herrn Betz in gleicher Weise beleidigt hätte], ob es dann nicht schwerer gestraft würde? – Betz hat H. Schadten darauf deprecirt in senatu [hat vor dem Rat Abbitte geleistet]. Ratsprotokolle

Nachweise

Verfasser: Jörg Julius Reisek

Redaktionelle Bearbeitung: Dominik Kasper

Quellen:

  • Newe Zeytung Unnd Abcontrafactur der Stadt Creutzennach s. Reiniger, Wolfgang: Stadt- und Ortsansichten des Kreises Bad Kreuznach. 1523-1899. 1990. S. 118-119.
  • Extract aus des Carmeliters Angeli Nota Historiola von Xnach (Handschrift 1761, HWZB: SW 54.1.)
  • Ratsprotokolle: Texte nach den Transkriptionen von Carl Velten (HWZB)
  • Kneupel, Johann Jakob: Tagebuch GLA Karlsruhe, Westpfälzische Geschichtsblätter, 1902.2 / Hbl. 1959.2-3
  • Theatrum Europaeum (HWZB)

Dieser Beitrag erschien in anderer Form in den Bad Kreuznacher Heimatblättern, 2009.8.

Erstellt: 19.04.10