Die rheinland-pfälzische Kommunal- und Verwaltungsreform seit 2010
Angesichts neuer Herausforderungen im 21. Jahrhundert verabschiedete die rheinland-pfälzische Landesregierung am 20. April 2004 Schwerpunkte für eine erneute Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Dabei sollte die demografische Entwicklung auch als eine Chance betrachtet werden und es wurden Ziele der Verwaltungsmodernisierung definiert: Bürokratieabbau, Beseitigung von Überreglementierungen, Erweiterung der Gestaltungsspielräume für Gemeinden und Wirtschaft sowie Stärkung der Bürgerfreundlichkeit. In einer Regierungserklärung am 30. Mai 2006 stellte Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) Leitlinien für die anstehende Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz vor. Neben den Effizienzzielen ging es im Kern auch darum, die Verwaltungskultur an neue Formen von Staatlichkeit und Bürgerengagement anzupassen. Angesichts der stets wachsenden Forderungen nach mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz sollten der öffentlichen Verwaltung Instrumente des effektiven Regierens gegeben werden, mit denen sie ihre Rolle als öffentlicher Dienstleister für die Bürgerschaft erfüllen kann. Hierbei sollten auch Möglichkeiten neuer Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden, um trotz der angespannten öffentlichen Haushaltslage und den sehr unterschiedlichen Größen der Gebietskörperschaften in Rheinland-Pfalz, effektives Regieren zu ermöglichen. [Anm. 1]
Im Februar 2009 stellte Innenminister Bruch eine „neue kommunale Landkarte“ vor, in der das Land bestimmten Gemeinden Handlungsbedarf bescheinigte. Insgesamt 45 Kommunen sollten sich nach dieser Liste bis 2012 mit dem Thema Fusion oder Kooperation mit Nachbargemeinden beschäftigen. Gesetzlich geregelt wurde die Kommunal- und Verwaltungsreform für Rheinland-Pfalz dann in einem Landesgesetz vom 28. September 2010. Darin heißt es, dass die kommunalen Gebietskörperschaften langfristig in der Lage sein sollen, ihre Aufgaben in hoher Qualität, wirtschaftlich sowie bürger- und ortsnah zu erfüllen. Eine Gebietsreform sollte helfen, dieses Ziel zu erreichen. Sie regelte einen neuen Zuschnitt von Verbandsgemeinden und verbandsfreien Gemeinde. Die Verwaltung sollte durch die Zusammenlegung von Verbandsgemeinden schlanker werden und Doppelstrukturen sollten verschwinden. Das Gesetz ging davon aus, dass in der Regel verbandsfreie Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern und Verbandsgemeinden mit mindestens 12.000 Einwohnern eine ausreichende Leistungsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Verwaltungskraft haben, die sie in die Lage versetzen, auch künftig ihre Aufgaben effizient wahrzunehmen. Die verbandsfreien Gemeinden sowie Verbandsgemeinden, die weniger Einwohner hatten, sollten im Zuge der Gebietsreform fusioniert werden. Bei der Gebietsreform wurde freiwilligen Zusammenschlüssen von verbandsfreien Gemeinden und Verbandsgemeinden der Vorrang eingeräumt und dabei finanzielle Zuwendungen gewährt. Die Möglichkeit derartiger Vereinbarungen bestand bis Mitte 2012. Die aus freiwilligen Vereinbarungen resultierenden Gebietsneugliederungen wurden in Landesgesetzen geregelt. Weitere Neugliederungen, die nach Auffassung des Landes erforderlich waren und nicht freiwillig erfolgten, wurden anschließend ohne die Zustimmung der Gemeinden durch Landesgesetze geregelt. Auf dieser Grundlage hat der Landtag von 2009 bis 2013 insgesamt 20 Einzelgesetze beschlossen, mit denen die Zahl der Verbandsgemeinden von 163 auf 149 und der verbandsfreien Gemeinden von 29 auf 22 reduziert wurde. In der Mehrzahl dieser Fälle handelte es sich um freiwillige Zusammenschlüsse. Bis zum Jahr 2019 soll die Gebietsreform auf der Ebene der Verbandsgemeinden und verbandsfreien Gemeinden abgeschlossen sein. [Anm. 2] Zudem soll es eine zweite Reformstufe geben, die auch die Strukturen der Landkreise (derzeit 24) und der kreisfreien Städte (derzeit 12) überprüfen und optimieren soll. Zu ihrer Vorbereitung haben die Landtagsfraktionen von SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen und die Landesregierung umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag gegeben. [Anm. 3]
Bei der Reform war es ein Grundanliegen, die Bürgerinnen und Bürger auf dem Reformweg mitzunehmen, sie zu informieren, mit ihnen zu diskutieren und ihre Meinungen, Ideen und Vorschläge angemessen zu berücksichtigen. Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in die Kommunal- und Verwaltungsreform erfolgte in zwei Stufen: In einer ersten Stufe fand die Mitwirkung an der Erarbeitung der Eckpunkte der Reform im Rahmen von Regionalkonferenzen, Bürgerkongressen und Planungszellen statt. Mit den Beratungsergebnissen der ersten Stufe erarbeite die Landesregierung ein Konzept, welches in einer zweiten Stufe der Bürgerbeteiligung rückgekoppelt wurde. Mit dieser bundesweit einmaligen Form der Bürgerbeteiligung konnten u.a. die Stärken und Schwächen der Verwaltung analysiert, Kriterien einer bürgernahen Verwaltung zusammengetragen und Kriterien für eine Gebietsreform erarbeitet werden. [Anm. 4]
In Rheinhessen kam es durch die neuerliche Kommunalreform erneut zu Veränderungen: So entstand etwa mit der Verbandsgemeinde Rhein-Selz die mit 40.768 Einwohnern einwohnerstärkste Verbandsgemeinde in ganz Rheinland-Pfalz. Sie wurde am 1. Juli 2014 durch die Angliederung der Verbandsgemeinde Guntersblum an die Verbandsgemeinde Nierstein-Oppenheim neu gebildet. Im Gegensatz zur ersten großen rheinland-pfälzischen Verwaltungsreform der 1960er Jahre, ist die neuerliche Verwaltungsreform seit 2010 nicht der Kategorie des „Großen Entwurfs“ zuzuordnen, da solche Reformprojekte meist von oben vorgegeben werden. Im Gegenteil: Bei der neuen Kommunalreform seit 2004 hatte man stärker den Anspruch, die Kommunen, die Öffentlichkeit und die Bürger frühzeitig mit einzubeziehen. [Anm. 5]
Verfasser: Felix Schmidt
Verwendete Literatur:
- König, Wolfgang/König, Mathias/Sarcinelli, Ulrich: Bürgerbeteiligung in der Kommunal- und Verwaltungsreform, 07.02.2011, www.bpb.de/apuz/33491/buergerbeteiligung-in-der-kommunal-und-verwaltungsreform (Aufruf 21.09.2016).
- Kommunal- und Verwaltungsreform auf gutem Weg, mdi.rlp.de/de/bilanz-zur-kvr/ (Aufruf 22.09.2016).
- Lohmann, Andrea: Kommunalreform im Überblick. Gesetze, Rebellen und Gerichtsurteile, 26.10.2015, www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/kommunalreform-im-ueberblick/-/id=1682/did=15676492/nid=1682/xn212i/index.html (Aufruf: 21.09.2016).
- Lorig, Wolfgang H.: Verwaltungs- und Kommunalreform in Rheinland-Pfalz, in: Politik in Rheinland-Pfalz. Gesellschaft, Staat und Demokratie, hg. v. Ulrich Sarcinelli/Jürgen W. Falter/Gerd Mielke/Bodo Benzner, Wiesbaden 2010, S. 497-529.
- Rheinland-Pfalz Ministerium des Innern und für Sport: Unsere Themen. Städte und Gemeinden. Kommunal- und Verwaltungsreform. Gebietsreform, unter: https://mdi.rlp.de/ar/unsere-themen/staedte-und-gemeinden/kommunal-und-verwaltungsreform/gebietsreform/ (Aufruf 21.09.2016).
- Stubenrauch, Hubert: Städte, Landkreise, Verbandsgemeinden und Gemeinden. Das rheinland-pfälzische Kommunalsystem im Überblick, Mainz 2014.
Erstellt am: 21.09.2016
Anmerkungen:
- Vgl. Lorig 2010, S. 497 und S. 511. Zurück
- Vgl. Stubenrauch 2014, S. 11; http://www.statistik.rlp.de/gesellschaft-und-staat/bevoelkerung-und-gebiet/kommunalreform/hintergrund/; Lorig 2010, S. 522; Lohmann, Andrea: Kommunalreform im Überblick. Gesetze, Rebellen und Gerichtsurteile, 26.10.2015, http://www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/kommunalreform-im-ueberblick/-/id=1682/did=15676492/nid=1682/xn212i/index.html (Aufruf: 21.09.2016). Zurück
- Vgl. Rheinland-Pfalz Ministerium des Innern und für Sport: Unsere Themen. Städte und Gemeinden. Kommunal- und Verwaltungsreform. Gebietsreform, unter: https://mdi.rlp.de/ar/unsere-themen/staedte-und-gemeinden/kommunal-und-verwaltungsreform/gebietsreform/ (Aufruf 21.09.2016); Kommunal- und Verwaltungsreform auf gutem Weg, https://mdi.rlp.de/de/bilanz-zur-kvr/ (Aufruf 22.09.2016). Zurück
- Vgl. König, Wolfgang/König, Mathias/Sarcinelli, Ulrich: Bürgerbeteiligung in der Kommunal- und Verwaltungsreform, 07.02.2011, http://www.bpb.de/apuz/33491/buergerbeteiligung-in-der-kommunal-und-verwaltungsreform (Aufruf 21.09.2016); Lorig 2010, S. 520. Zurück
- Vgl. Lorig 2010, S. 523f. Zurück