Der junge Kupferberg aus Mainz oder Der stolze Trotz der Revolutionäre
Der Name Kupferberg wird und wurde in der Vergangenheit mit einer bekannten Mainzer Sektmarke in Verbindung gebracht. Blickt man in die Geschichte alter Mainzer Familien dieses Namens, so findet sich neben Buchhändlern [Anm. 1] und Kellermeistern auch ein Teilnehmer am pfälzisch-badischen Aufstand von 1849: Florian Kupferberg (18.10.1828-11.6.1885). Er war der Sohn des Steuereinnehmers Kupferberg zu [Biebesheim] [Anm. 2] bei Worms. Sein Bruder Christian Adalbert Kupferberg, Sektfabrikant,*18.4.1824 Kriegsheim bei Worms,†9.8.1876 in Mainz, gründete später die Sektkellerei Kupferberg und erfand auch die Marke "Kupferberg Gold".[Anm. 3]
Florian hatte mit der Sektkellerei allerdings nichts zu tun. Als Student der Medizin geriet er in die revolutionären Wirren des Jahres 1849, nahm an der Reichsverfassungskampagne teil und wurde zu zehnjähriger Zuchthausstrafe verurteilt.
Der junge Kupferberg war gerade 20 Jahre alt, als im Frühjahr 1849 in der Pfalz und Baden der Aufstand begann. Im Frankfurter Paulskirchenparlament war eine Reichsverfassung mit festgeschriebenen Grundrechten für das deutsche Volk beschlossen worden, doch Preußen, Österreich, Bayern und Sachsen lehnten diese ab. Daraufhin kam es zu Unruhen, die Pfalz sagte sich von Bayern los und in Baden meuterten die Soldaten; sie wollten dafür streiten, dass alle Fürsten die Verfassung einschließlich der Grundrechte anerkennen sollten. Damit begann die Reichsverfassungskampagne, die weite Kreise des Volkes erfasste. Es bildete sich eine Revolutionsarmee aus gedienten Soldaten und vielen Freiwilligen, dazu gesellten sich Exilpolen und Demokraten aus deutschen und anderen Ländern.
Im April hielt sich Florian Kupferberg in Heidelberg auf, um im Sommersemester seine medizinischen Studien fortzusetzen. Als er sich immatrikulierte hatte sich ein sog. Studentencorps gebildet, welches die Pfalz verteidigen sollte. "Mein Sohn, einem mißverstandenen Ehrgefühle folgend" – so schreibt seine Mutter später -"schloß sich seinen Cameraden an und ließ sich bei diesem Corps einrolliren..." [Anm. 4] Allerdings bat er darum, als Arzt verwendet zu werden und ihm wurde die Stelle als Unterarzt übertragen. Das etwa 50 Mann starke Studentencorps begab sich nach Rheinbayern, wie die Pfalz damals hieß, und wurde unter die Befehle August Willichs gestellt.
Nicht ohne Ironie beschreibt Friedrich Engels den Eifer der jungen Männer:
"Während an Gewehren ein allgemeiner Mangel war, herrschte dagegen ein ebenso merkwürdiger Überfluß an Schleppsäbeln. Wer kein Gewehr bekommen konnte, hing sich um so eifriger ein klirrendes Schlachtschwert um, als er sich dadurch allein schon zum Offizier gestempelt glaubte. In Kaiserslautern namentlich waren diese selbstgestempelten Offiziere gar nicht zu zählen, ertönten die Straßen Tag und Nacht vom Gerassel ihrer fürchterlichen Waffen. Besonders waren es die Studenten, die sich durch diese neue Manier, dem Feinde Schrecken einzujagen, und durch ihre Prätention, eine akademische Legion von lauter Kavalleristen zu Fuß zu bilden, seltene Verdienste um die Rettung des Vaterlandes erwarben."[Anm. 5]
Von militärischer Erfahrung konnte also keine Rede sein, aber die jungen Männer einte eine große Begeisterung für die Sache, der sie sich verschrieben hatten. Dabei dürften auch die militärischen Führer Willich und Blenker starken Einfluß auf die Studenten ausgeübt haben. Dazu Engels: "Die einzigen beiden Offiziere, die sich schon vor dem Einfall der Preußen im aktiven Dienst auszeichneten, waren Willich und Blenker."
Das Studentencorps beteiligte sich auch an dem von Ludwig Blenker geleiteten verunglückten Sturm auf die Festung Landau.
Willich übernahm mit einem kleinen Freikorps die Beobachtung und später die Einschließung von Landau und Germersheim, deren Besatzungen jedoch regierungstreu blieben. Engels schreibt: "Eine Kompanie Studenten, eine Kompanie Arbeiter, die mit ihm in Besançon zusammen gelebt hatten, drei schwache Kompanien Turner - aus Landau, Neustadt und Kaiserslautern -, zwei aus Freiwilligen der umliegenden Ortschaften gebildete Kompanien und endlich eine mit Sensen bewaffnete Kompanie Rheinpreußen, die meisten von den Prümer und Elberfelder Aufständen her flüchtig, fanden sich nach und nach unter seinem Kommando zusammen. Es waren zuletzt zwischen 700 bis 800 Mann, jedenfalls die zuverlässigsten Soldaten der ganzen Pfalz, die Unteroffiziere meist gediente, teilweise in Algerien an den kleinen Krieg gewöhnte Leute. Mit diesen wenigen Streitkräften legte sich Willich mitten zwischen Landau und Germersheim, organisierte die Bürgerwehren in den Dörfern, benutzte sie zur Bewachung der Straßen und zum Vorpostendienst, schlug alle Ausfälle aus beiden Festungen trotz der Überlegenheit, namentlich der Germersheimer Garnison, zurück, zernierte Landau derart, daß so gut wie alle Zufuhren abgeschnitten waren, schnitt ihm die Wasserleitungen ab, stauchte die Queich auf, so daß alle Keller der Festung überschwemmt waren und doch Mangel an Trinkwasser eintrat, und beunruhigte die Garnison jede Nacht durch Patrouillen, die nicht nur die verlassenen Außenwerke ausräumten und die dort gefundenen Wachtstubenöfen für fünf Gulde per Stück versteigerten, sondern auch bis in die Festungsgräben selbst vordrangen und die Garnison häufig veranlaßten auf einen Gefreiten und zwei Mann ein ebenso gewaltiges wie harmloses Feuer aus Vierundzwanzigpfündern zu eröffnen. Diese Epoche war bei weitem die glänzendste während der Existenz des Willichschen Freikorps. ...[Anm. 6]
All diese Aktivitäten waren sicherlich interessant vor allem für Studenten, die ja meistens dem Bildungsbürgertum angehörten. Sie erlebten hier ein Abenteuer, das zwar strapaziös war, aber einem großen, edlen Ziel diente. Und sie kamen mit anderen Volksschichten zusammen; das Gefühl der Gemeinschaft unterstrich noch die Bedeutung des Kampfes für die Einheit aller Deutschen.
Florian Kupferberg war auch bei dem Überfall auf bayrische Truppen bei Lingenfeld/Krs. Germersheim anwesend. Am 19. Juni 1849 zog er mit dem Willich´schen Corps über die Rheinbrücke bei Daxlanden auf badisches Gebiet und marschierte mit diesem zunächst nach Karlsruhe. Zusammen mit einem gewissen Matz oder Motz wurde er bei dem Kaufmann Arlet einquartiert; dieser sagte später aus, der Landauer habe Kupferberg offenbar verführt mitzuziehen, jedenfalls habe dieser es sehr bereut, mitgegangen zu sein.[Anm. 7] Am 21. Juni zogen die Freischaren nach Graben, den preußischen Truppen entgegen. Nach einem Gefecht bei Stettfeld zog man sich nach Weingarten zurück, von dort nach Waldangelloch, Eppingen und Karlsruhe. Als Florian Kupferberg am 24. Juni dort eintraf, standen die Preußen schon vor den Toren der Residenzstadt. Er fand erneut Unterschlupf bei dem Kaufmann Arlet, den er später im Verhör als seinen Onkel ausgab.[Anm. 8]
Der General der Revolutionsarmee Mieroslawski beschloß, die Verteidigungslinie in das Murgtal zu verlegen. Nach dem verlorenen Gefecht bei Durlach zog sich das Gros der Armee nach Süden in die rettende Festung Rastatt zurück, Karlsruhe wurde von preußischen Truppen eingenommen. Um diesen nicht in die Hände zu fallen, beschloß Florian Kupferberg - noch bevor das Studentencorps aufgelöst war - in sein früheres Leben zurückzukehren und seine Studien fortzusetzen. Er nahm den Zug nach Heidelberg, doch schon an den Toren der Stadt wurde er am 26. Juni 1849, als er von Karlsruhe kommend in den Heidelberger Bahnhof einfuhr, wegen Mangels an Ausweispapieren arretiert.[Anm. 9]
Damit war die Reichsverfassungskampagne für den jungen Revolutionär beendet. Doch so kurz der Kampf gewesen war, so lang sollte das Nachspiel werden.
Florian kam, so wie weitere Aufständische, in Heidelberg ins Gefängnis. Seine Mithäftlinge waren Karl Ahrens aus Augsburg (Sohn des Professors Oskar Ahrens), Konstantin Thalheimer (Herkunft unbekannt), Jacob Schmierer aus Erdmannshausen (ließ sich in das 1.Aufgebot einreihen, kämpfte bei Waghäusel) und Johann Maier aus Nürnberg (Handwerksbursche, hatte unter der Mannheimer Volkswehrartillerie gedient). Außerdem Nr. 6: ein Festungsarbeiter von Rastatt, Fidel Thönig aus Tirol, der nach Ausbruch des Aufstands entlassen worden war, später nach Heidelberg ging, dort in das Pioniercorps eintrat und bei der Schanze von Handschuhsheim mitbaute. Er wurde des Landes verwiesen.
Nr. 7 war Sekretär des Demokratischen Vereins von Lyon, Nr. 8 war großherzoglich hessischer Cheveauxleger, desertierte, weil er wegen Trunkenheit einen Verweis erhalten hatte und wollte zu den Truppen in Baden übergehen. Dort wurde er aus Mißverständnis verhaftet und von den einrückenden Bundestruppen im Gefängnis gefunden.
Beim Verhör gab Kupferberg an, mit den anderen keine Verbindung gehabt zu haben. Schließlich entschied der Untersuchungsrichter, dass nur die ersten fünf Teilnehmer vor das Standgericht gestellt werden sollten; die übrigen entließ man wegen Geringfügigkeit.
Unterdessen war mit der Kapitulation der in der Festung Rastatt eingeschlossenen Insurgenten am 23. Juli 1849 auch das letzte Kapitel des Aufstandes beendet. In Rastatt und Germersheim füllten sich die Kasematten mit gefangenen Freiheitskämpfern. Am 27. Juli nahmen zunächst in Freiburg und Mannheim, ab dem 6.August 1849 auch in Rastatt die Standgerichte ihre Tätigkeit auf, erste Todesurteile wurden vollstreckt.
Das war die Stunde der Frauen: Mütter, Ehefrauen, Schwestern flehten um Gnade für ihre Angehörigen, die nun der badisch-preußischen Strafjustiz ausgeliefert waren. So fürchtete auch Frau Maria Kupferberg in Mainz um das Leben ihres Sohnes. Würde er als Ausländer – Kupferberg war in Rheinhessen geboren – standrechtlich behandelt und hingerichtet? In einem Brief vom 15. August [Anm. 10] an den großherzoglich hessischen Ministerpräsidenten Jaup [Anm. 11], der mit den Worten beginnt "Verehrter und lieber Herr Professor" bittet sie diesen um Fürsprache bei der badischen Regierung. Die Beteiligung ihres Sohnes spielt sie herunter: er sei einige Zeit in der Pfalz umhergezogen, "nahm jedoch weder hier noch in Baden an einem Gefechte oder einer sonstigen Gewaltthat Antheil."
Jaup kam der Bitte umgehend nach und schilderte dem badischen Justizminister den Fall: "Ein junger Mann aus Mainz, Florian Kupferberg, Student der Medizin in Heidelberg, bei der badischen Rebellion betheiligt, soll in dieser Woche vor ein Kriegsgericht in Mannheim gestellt werden. Den Grad seiner Betheiligung kenne ich gar nicht. Seine verwittwete Mutter supplicirt dringendst um Verwendung. Könnten Eure Excellenz dazu beytragen, daß der junge Mann nicht erschossen werde. Es ist dies ein Act der Humanität, deren jedenfalls die Familie würdig wäre.“[Anm. 12] Schließlich war der Vater des Beschuldigten als Distrikteinnehmer großherzoglich-hessischer Finanzbeamter gewesen.
Auf Beschluß des Mannheimer Hofgerichts kam Florian Kupferberg vor das Standgericht.
Die Anklage lautete auf Hochverrat, "weil der Angeklagte der Provisorischen Regierung bewaffneten Schutz leistete und die rechtmäßige Regierung abhielt, ihre Rechte und Pflichten im Lande auszuüben".
Kupferberg leugnete nicht, dass er dem Studentencorps angehört hatte. Er habe geglaubt, auf dem gesetzlichen Boden der Reichsverfassung zu sein. Er sei als Unterarzt dabeigewesen. Vor seiner Verhaftung habe er sich bei seinem Oheim in Karlsruhe aufgehalten.[Anm. 13]
Am 3. September 1849 erging das Urteil.[Anm. 14]
Florian Kupferberg aus Mainz wurde der "Theilnahme an dem hochverrätherischen Aufstand in Baden und Widerstand gegen die bewaffnete Macht für schuldig befunden und zu 10 Jahren Zuchthausstrafe und Tragung der Untersuchungs- und Straferstehungskosten" verurteilt.[Anm. 15]
Das Urteil wurde dem hessischen Minister Jaup umgehend mitgeteilt. Immerhin war das Todesurteil verhindert worden; allerdings war Kupferberg eine Ausnahme, indem man ihn, den gebürtigen Rheinhessen, nicht nach Darmstadt auslieferte. Die übrigen 119 Angehörigen des Großherzogtums Hessen (darunter Teilnehmer aus Alsfeld, Gedern, Schotten, Gießen) warteten noch auf ihren Richterspruch. Überhaupt war die badische Strafjustiz mit der Aburteilung der vielen Ausländer überfordert. Deshalb bat der badische Kriegsminister Alexander v. Roggenbach den Großherzog, die Hessen nach Darmstadt auszuliefern gegen die Zusicherung, daß sie den hessischen Gerichten zur Bestrafung überwiesen würden. Es gehe nicht an, „diese und die große Menge anderer Ausländer, welche in den Kasematten zu Rastatt verhaftet sind, sämtlich vor den Richter zu stellen, daß man vielmehr darauf bedacht seyn muß, sie nach und nach ihren Regierungen auszuliefern.“[Anm. 16]
Was in der späteren Geschichtsschreibung als gesamtdeutsche oder gar europäische Volksbewegung gewürdigt wurde, beurteilten die in kleinstaaterischen Grenzen denkenden Zeitgenossen anders. So schrieb Hofgerichtsrat Amann über die Rolle der Ausländer bei der in Baden ausgebrochenen Empörung, sie sei nicht von den Bewohnern des Landes allein durchgekämpft worden, sondern "die ganze deutsche, man möchte sagen die europäische ´Democratie´ hat das Land als Tummelplatz ausersehen. Baden war der Herd, auf dem man die Flamme des Aufruhrs emporlodern ließ. ... Man berief an die Spitze der Bewegung Ausländer, die mit deutschem, mit badischem Gut und Blut nicht so schonend verfuhren, wie es Stammgenossen vielleicht gethan hätten." Man berief Ausländer in das zur Durchführung der Bewegung bestimmte Heer, stellte Freicorps zusammen. Die Freischärler wurden in den Kampf gegen die einrückenden Truppen verwendet, auch im Innern des Landes für Requisitionen, Gewalttätigkeiten, Rache gegen Truppen, die abfallen wollten.[Anm. 17]
Auch Florian Kupferberg war auf badischem Territorium schuldig geworden. Selbst wenn es nur vier Tage waren und er nicht aktiv gekämpft hatte: mitgegangen, mitgehangen!
Die Verurteilten kamen zunächst in das alte Männergefängnis in Bruchsal, wo sie weitere Kampfgenossen trafen, die nun Leidensgenossen waren. Umgehend wurden sie mit Strafarbeiten beschäftigt. Otto von Corvin, als Sachse von einem preußisch-badischen Standgericht zu zehnjähriger Haft verurteilt, beschreibt eine Szene im Wollsaal, wo die Gefangenen – die politischen wie die gewöhnlichen – Wolle kratzen und spinnen mußten:
"Unter den Sträflingen fiel mir ein junger Mann durch seine hohe Stirn und sein edelgeformtes Gesicht auf: Es war Dr. Kaucher aus Heidelberg, der hier mit dem Anstande eines altrömischen Senators Wolle spann. Sein Nachbar ...war ein `Mordbrenner`. Auf der anderen Seite des Doctors spann ein Hanauer Turner, der bei Waghäusel einen Schuß in´s Bein bekommen hatte... . In einer Ecke saß der Adjutant des erschossenen Majors Heilig und kratzte Wolle...
Auf der anderen Seite des Saals stand an einem Spinnrade ein junger Mann mit der Gestalt des jungen Theseus, schönen lang bewimperten blauen Augen und fast mädchenhaft schön geschnittenem Mund; es war ein Student der Medicin aus Mainz, Namens Kupferberg. Der Ärmste war nur drei Tage in Baden und noch dazu krank gewesen, hatte kein Gefecht mitgemacht, wurde auch nicht mit den Waffen in der Hand gefangen, sondern auf der Rückreise nach Mainz in Heidelberg festgehalten, weil ein Gensd´arm aus der neuen Mütze sehr richtig schloß, daß sie erst ganz kürzlich einen Freischärlerhut verdrängt habe. Kupferberg gehörte zu den von Mainz nach Baden ausmarschirten jungen Männern und wurde – zu zehn Jahre Zuchthaus verurtheilt!"[Anm. 18]
Von angemessener oder gerechter Strafe konnte also keine Rede sein, das wußten die Verurteilten am besten. Im alten Männerzuchthaus erging es ihnen noch vergleichsweise gut, sie konnten rauchen, Karten spielen und Briefe schreiben. Dort erfuhren sie auch, dass einige Gefangene, die tapfer gegen die Preußen gekämpft hatten, schon wieder auf freiem Fuß waren; andererseits warteten noch Tausende in den Kasematten auf ihr Verhör, wofür nur drei Richter angestellt waren – eine ungleichmäßige und sehr willkürliche Form des Strafvollzugs also.
Wie hart ihn sein Urteil getroffen hatte, das erfuhr Kupferberg so richtig, als er mit anderen politischen Gefangenen im Oktober 1849 in das neue Männerzuchthaus in Bruchsal verlegt wurde. Dieses war nach dem pennsylvanischen System auf Einzelhaft ausgelegt mit dem Ziel, die Gefangenen durch Selbstbesinnung zu läutern. Die Insassen mußten zudem Masken tragen, um nicht auf dem Weg zum Hof erkannt zu werden. So erfuhren die meisten der in Bruchsal inhaftierten Revolutionäre erst viel später, dass sie jahrelang nahe beieinander eingesperrt gewesen waren. Otto v. Corvin, Theodor Mögling und der Weinheimer Pfarrer Schlatter haben die Haftbedingungen und Zustände des Bruchsaler Zuchthauses ausführlich beschrieben.[Anm. 19]
Zwar war das Leben des jungen Kupferberg gerettet, doch mit welcher Aussicht! Seit dem 3. September schmachtete er bereits im Zuchthaus. Das Standgericht Mannheim modifizierte das Urteil am 20. Oktober 1849: die gegen Florian Kupferberg und Karl Ahrens erkannte 10jährige Zuchthausstrafe wurde in 6jährige Einzelhaft und ein Jahr gewöhnliches Zuchthaus umgewandelt.[Anm. 20]
Unterdessen bemühte sich die Witwe Kupferberg um die Freilassung ihres Sohnes, was nur auf dem Gnadenweg möglich war.
Mit einem Brief vom 29. Dezember 1849 wandte sich die "tief gebeugte Mutter"an den hessischen Prinzen Emil und bat um Fürsprache für ihren Sohn. Es bestehe, so die Witwe M. Kupferberg am, "zwischen dem allerdings beklagenswerthen Vergehen" ihres Sohnes und der ihm zuerkannten "seine ganze fysische und moralische Existenz zerstörenden Strafe doch ein zu großes Mißverhältnis" und sei doch wohl sein Fehltritt durch fünfmonatige harte Haft wohl gesühnt. Sie bittet darum, dass er seiner Familie zurückgegeben werde, führt als mildernde Umstände sein jugendliches Alter an, ferner "die damaligen aufgeregten Zeitverhältnisse, welche besonders auf die in Baden studirende Jugend" nachteilig gewirkt habe. Wiederholt weist sie darauf hin, dass ihr Sohn an keinem Gefecht irgendeinen Anteil gehabt habe.[Anm. 21]
Kurz darauf folgt ein weiteres Gnadengesuch, diesmal an den badischen Großherzog. "Mein Sohn Florian Kupferberg aus Mainz", schreibt sie am 12. Januar 1850 "befand sich bei seinem Bruder in Neustadt, als die dortige Bewegung zur Einführung der Reichsverfassung ausbrach. Von jugendlicher Begeisterung für das Vaterland hingerissen, und die Pläne nicht ahnend, für welche eine gewissenlose Partei diese Bewegung ausbeuten werde, folgte er dem Rufe des Frankfurter Parlaments, welches das Volk selbst zur Einführung dieser Verfassung aufforderte."
So sei er unter dem Befehl von militärischen Oberen nach Baden gekommen.
Aus Karlsruhe kam jedoch die Antwort, dass Florian "bei dessen höherer Bildung und nach den von ihm in der Untersuchung gemachten Äußerungen anzunehmen ist, daß er sich mit vollem Bewußtsein der Strafbarkeit seiner Handlungsweise der Empörung angeschloßen und daher eine strenge Bestrafung wohl verdient hat." Außerdem scheine "derselbe auch jetzt über sein Vergehen keine Reue zu fühlen" und habe nicht selbst um Gnade gebeten. Man lehnte also das Gesuch der Mutter ab, zumal "die neuerdings sich wieder kundgebenden Bestrebungen der anarchischen Parthei es doppelt bedenklich machen, deren Reihen durch Begnadigungen zu verstärken".
Das leuchtete ein; doch die Witwe Kupferberg gab nicht auf und wandte sich nun an das großherzogliche Haus in Darmstadt, um die Auslieferung des Sohnes an ein hessisches Gericht zu erreichen. Dort würde, so hoffte sie, das Urteil milder ausfallen als in Baden, wo die Rechtsprechung ungleich war: andere Insurgenten hätten noch wochenlang weitergekämpft oder seien in Rastatt (wo die Rebellen sich bis zum 23 .Juli hielten) mit der Waffe in der Hand gefangengenommen worden; viele habe man an ihre Heimatbehörden abgeliefert oder nur mit kurzer Zuchthausstrafe belegt, während ihr Sohn im einsamen Zellengefängnis schmachte. "Von Schmerz und Kummer gebeugt" versprach die Mutter, dass ihr Sohn nach seiner Freilassung auswandern werde.
In Darmstadt befürwortete man das Gesuch, doch das badische Justizministerium lehnte die "Begnadigung eines so schwer gravirten Verbrechers nach Abbüßung eines nur geringen Theiles seiner Strafe" ab, zumal der Verurteilte selbst noch in „keiner Weise die Absicht ausgesprochen hat, die Gnade Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs anzurufen.“[Anm. 22]
Das war der entscheidende Punkt: man wollte den Gefangenen dazu bringen, selbst um Gnade zu flehen - und nicht seine Angehörigen!
Florian Kupferberg war aber nicht bereit dazu – noch nicht. Vielmehr gestand er nicht nur seine Taten, sondern er rechtfertigte sie politisch: die Reichsversammlung in Frankfurt habe das deutsche Volk zur Einführung der Verfassung aufgefordert! Alle Begriffe über Verfassung und Recht seien so sehr verwirrt gewesen, "dass selbst ältere, besonnene Männer eine gewaltsame Durchführung dieser Verfassung auch gegen die nicht anerkennenden Regierungen für möglich, ja für eine Pflicht hielten." Dies habe auch ihn überzeugt. "Warum sollte ein so verderblicher Gedanke [...] nicht auch in dem Herzen eines Jünglings gegründet haben, das lebhaft erfüllt war von der Idee eines großen, einigen, gewaltigen Deutschlands?"
Stolz, ja noch immer Begeisterung schwingt in diesen Worten mit, und beides war in den wenigen Monaten der Haft noch nicht geschwunden. Für die Justizbehörden war es jedoch Trotz. Als Florian Kupferberg, wohl unter dem Druck seiner Familie [Anm. 23], schließlich selbst um Haftverkürzung bat, zugleich aber seinen Haftgrund als "Erhebung für Deutschlands Einheit und Größe, für seine gesetzliche Freiheit" bezeichnete, da schrieb der Zuchthausverwalter Dr. Diez an den Rand, "daß sein Betragen in der Anstalt nicht gut gewesen ist, und wir die Überzeugung haben, daß seine Betheuerungen der Reue und Besserung nicht aufrichtig sind."[Anm. 24] Sein jugendliches Gemüt war – so die Meinung der Anstalt - noch zu sehr von “thörichten Ansichten und Hoffnungen erfüllt.”[Anm. 25]
Doch Kupferbergs Mutter gab nicht auf und wählte ein ganz modernes Mittel: sie sammelte Unterschriften von Mainzer Bürgerinnen. Eine mehrere Seiten umfassende Liste erreichte Großherzog Leopold: "Die unterzeichneten Frauen erlauben sich, eine Bitte an das Herz Eurer Königlichen Hoheit zu richten" schrieben sie und baten um Freiheit für den Sohn ihrer Stadt.
Doch die Eingabe rührte das Herz des Fürsten nicht. Wieder vergingen Monate, in denen der Gefangene die "härteste Periode seines Lebens" durchmachte. Nun wurde er ernstlich krank und – allmählich mürbe. Am 1. November 1850 schreibt er einen letzten Bittbrief an den Großherzog von Baden. War es die lange Haft in der Einzelzelle oder der rührende Einsatz seiner Mutter, Schwester, Mitbürger – Florian Kupferberg warf alles in die Waagschale: Einsicht, Reue, seine Jugend.... Nach sechzehn Monaten Gefängnis, davon vierzehn in Einzelhaft, wollte der nun 22-Jährige nur noch eines: aus dem Zuchthaus freikommen.
Das war ganz im Sinne der Strafjustiz! Endlich konnte der Gefängnisverwalter dem anfangs stolzen und trotzigen Rebellen ein zufriedenstellendes Zeugnis ausstellen: "Durch reifliches Nachdenken hat […] sein Verstand wieder die Oberherrschaft sich erworben, er lernte sein Vergehen und die Folgen davon einsehen, hat die ihn geleiteten irrigen Wähne abgelegt, sich erneuert und wird bei wiedererlangter Freiheit wieder ein tüchtiges, ordnungsliebendes Glied der menschlichen Gesellschaft werden, und eine seiner früheren entgegengesetzte Richtung einschlagen.” Abgesehen davon “empfehlen wir ihn, wegen seiner Jugend schon, hoher Begnadigung”, schreibt Füeßlin am 6. November 1850.
Aber das badische Justizministerium folgte dieser Empfehlung nicht gleich. Erst einen Monat später kam der Bescheid, dass der Bittsteller freizulassen sei “weil Florian Kupferberg bereut, sein Betragen gut ist und seine Beteiligung keine hervorragende war, er sich mit Hunderten in gleicher Lage befindet, die entweder keine Strafe erhalten haben oder längst schon aus der Haft entlassen sind.” Die Bedingung lautete: Er mußte Baden verlassen und eine Entschädigung von 500 Gulden bezahlen.[Anm. 26]
Die Begnadigung trat 1851 in Kraft. Florian Kupferberg beendete sein Medizinstudium in Gießen [Anm. 27] und wanderte 1855 nach Australien aus. Mitte der 1860er Jahre kehrte Dr. Florian Kupferberg nach Mainz zurück, wo er bis zu seinem Tod als Armenarzt tätig war.[Anm. 28]
Schlußfolgerung: Wie die meisten Teilnehmer des badisch-pfälzischen Aufstands war auch der junge Kupferberg hin- und mitgerissen von der Idee eines neuen, einigen und demokratischen Nationalstaates. Dafür zu kämpfen war ihm ein selbstverständliches Bedürfnis und er rückte auch in der Haft nicht von seiner Überzeugung ab. Wohl aber waren ihm Zweifel an der Durchführung des Kampfes gekommen, an der schlechten Organisation und vielleicht auch an den halbherzigen Motiven einiger Kombattanten. Sein Gnadengesuch sollte nicht leichtfertig als Schwäche gewertet werden. Es war die vernünftige Entscheidung für ein Leben in Freiheit - zum langfristigen Wohle seiner Mitmenschen.
Anmerkungen:
- Bekannt war der 1797 von Florian Kupferberg in Mainz gegründete Verlag. Im Jahr 1939 rief Dr. Christian Adalberg Kupferberg (1901-1985), der Urgroßneffe des Gründers, den Verlag in Berlin wieder ins Leben. Nach Kriegsende wurde 1945/46 Mainz wieder Firmensitz. Mit dem Tod des Inhabers und Leiters, Dr. Christan Adalbert Kupferberg, im November 1985 beendete der Verlag seine Arbeit. Zurück
- Eine Liste nach der Raabschen Kartei nennt Leiselheim. Zurück
- Die falsche Angabe, Florian Kupferberg habe die Sektkellerei gegründet und die Marke "Kupferberg Gold" erfunden, findet sich bei Andreas Lüneberg, Mannheim und die Revolution in Baden 1848-1849, [Nachdruck] 2004, S. 205 und 216. Zurück
- GlaK 234 Nr.1818. Zurück
- Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die deutsche Reichsverfassungskampagne", Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960, S. 154. Zurück
- Engels, S.157. Zurück
- GLAK 234 Nr.1819 2. Juli 1849. Zurück
- Laut Arlet kam K. in sein Haus, um dessen zurückgelassene Wäsche zu holen. Dabei bat er den Commis des Kaufmanns um ein Zeugnis darüber, dass er die ganze Zeit bei ihm beschäftigt gewesen sei. "Verwandt bin ich mit dem Menschen nicht, kannte ihn gar nicht, bat ihn nur einmal, wenn er zurück nach Mainz komme, Grüße an Verwandte von mir dort auszurichten. Vielleicht daß dies ihm die Idee gegeben, sich als Verwandter von mir auszugeben." Ebd. Zurück
- GLAK 69 v.Freydorf 127 S. 8. Zurück
- Stadtarchiv Mainz, AS / 764. Zurück
- Jaup, Heinrich Karl (Großherzogl. Hessischer Leitender Minister 1848-1859, * 27.09.1781 Gießen, + 05.09.1860 Darmstadt). Zurück
- GLAK 48 Nr.5469, S. 22 21.8.1849. Zurück
- Dieser war nur sein Quartiergeber gewesen. Zurück
- Andere Angabe: Aburteilung am 30. August. GLAK 69 v. Freydorf 127 S. 8. Zurück
- GLAK 234 Nr. 1953 Zurück
- GLAK 239 Nr. 619 S. 151 Bad. Kriegsmin. III Sektion, 24.10.1849. Zurück
- GLAK 69 v. Freydorf 127. Zurück
- Corvin 1861 Bd 4, S. 175. Zurück
- Ebd. Zurück
- GLAK 234 Nr. 1616. Zurück
- GLAK 234 Nr. 1818. Zurück
- GLAK 48 Nr. 5470 Ausländer, 23.7.1850. Zurück
- "Mit mir fleht eine alte kummergebeugte Mutter, eine liebende Schwester." GLAK 234 Nr. 1818, 20.8.1850. Zurück
- Ebd., 21.August 1850. Zurück
- Im "Verzeichnis der nicht dem Militärstand angehörigen Sträflinge des Zuchthauses Bruchsal" ist am 5. August 1850 vermerkt: Florian Kupferberg, 22, ledig, katholisch, Student beträgt sich gut, auch seine Gesinnung scheint gebessert. Ist leidend. Bittet um Gnade." GLAK 234 Nr. 2055 fol.17v. Zurück
- Ebd., 16.12.1850. Zurück
- 1854 erschien in Gießen seine Dissertation mit dem Titel: Ein Beitrag zur pathologischen Anatomie der Geschwülste im Verlaufe der Nerven: Inaugural-Abhandlung / vorgelegt von Florian Kupferberg; Präses: J. Vogel. Zurück
- Frdl. Auskunft von F.Teske, Stadtarchiv Mainz. Zurück