Bibliothek

Bemerkenswerte Ausstellungen in Mainz nach 1945

von Wolfgang Stumme

Mit zwei Ausstellungen versuchten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges städtische Kultureinrichtungen die Mainzer Bürger wieder an Literatur und Kunst vor der Zeit des Nationalsozialismus heranzuführen und mit der zwischenzeitlichen Entwicklung im Ausland vertraut zu machen.

„Bücher kehren aus der Verbannung zurück“ (Januar 1946)

In Mainz kam es 1933 – wie auch in anderen Städten – im Zuge der „Aktion wider den undeutschen Geist“ [Anm. 1] zu einer Bücherverbrennung jüdischer, marxistischer und pazifistischer Autoren. Als wissenschaftliche Bibliothek durfte die Stadtbibliothek die Bücher behalten. Der Direktor der Stadtbibliothek, Dr. Aloys Ruppel, hatte die verbotenen Bücher im Katalog mit dem Stempel „zur Zeit nicht ausleihbar“ versehen lassen; die Bücher versteckte er in einer Dachkammer, so dass sie dem Zugriff der Nationalsozialisten entzogen waren. Im Jahre 1934 musste Aloys Ruppel auf Drängen der NS-Kulturpolitik die Leitung der Stadtbibliothek aufgeben. Direktor des Gutenberg-Museums blieb er, weil das Regime ihn als Fachmann für die Vorbereitung der 500-Jahr-Feier anlässlich der Erfindung der Buchdruckkunst im Jahr 1940 brauchte‘. [Anm. 2] Ab 1942 wurde er erneut Direktor der Stadtbibliothek, allerdings nur kommissarisch. [Anm. 3] Bei dem verheerenden Bombenangriff am 27. Februar 1945 wurde auch das Dachgeschoss der Bibliothek getroffen. Viele der versteckten Bücher verbrannten. Nachdem kurz vor Weihnachten 1945 die Stadtbibliothek wieder eröffnet wurde, begrüßte Aloys Ruppel im Januar 1946 im Beisein von Vertretern der französischen Militärverwaltung die Besucher der Ausstellung „Bücher kehren aus der Verbannung zurück“. Ruppel betonte bei dem Festakt, dass es „höchste Pflicht und höchstes Recht einer wissenschaftlichen Bibliothek ist, die absolute Objektivität gegenüber allen Strömungen und Richtungen in Wissenschaft und Leben“ [Anm. 4] zu gewährleisten.
Bücher, die im ‚tausendjährigen Reich‘ nicht zugängig waren, wurden in zahlreichen Vitrinen den interessierten Bürgern wieder nahegebracht, darunter Thomas und Heinrich Mann, Erich Kästner, Georg Kaiser, Stefan Zweig, aber auch Anna Seghers und Karl Zuckmayer.
Die Ausstellung war ein großer Erfolg. Das wieder erwachte Interesse an Literatur drückte sich auch in der enormen Anzahl ausgeliehener Bücher aus. 1946 wurden 96.000 Bücher an 36.500 Benutzer ausgeliehen.

„Neue deutsche Kunst“ (Juni – Juli 1947)

Katalog zur Ausstellung "Neue deutsche Kunst", Juni-Juli 1947[Bild: Neue deutsche Kunst: Ausstellung, veranstaltet von der Städtische Gemäldegalerie, Juni - Juli; Mainz, Kunsthalle am Dom. Mainz 1947.]

Nach der Bücherverbrennung im Jahre 1933 folgte 1937 eine weitere Kampagne [Anm. 5] im Rahmen der NS-Kulturpolitik. Bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München wurde die Moderne Kunst, die mit dem Kunstverständnis und dem Schönheitsideal der Nationalsozialisten nicht in Einklang zu bringen war, mit rassentheoretischen Begründungen diffamiert. Betroffen waren kulturelle Strömungen wie Expressionismus, Surrealismus, Fauvismus, Kubismus und Dadaismus. Bei der ‚Säuberung‘ der Kunstsammlungen wurden reichsweit etwa 16.000 moderne Kunstwerke zerstört oder zum Teil auch ins Ausland verkauft.
Rudolf Busch, der 1933 entlassen worden war, wurde 1945 wieder als Leiter der Altertums- und Gemäldegalerie eingesetzt. Er organisierte 1947 eine Ausstellung mit ca. 200 Gemälden und Plastiken von 80 Künstlern im Haus am Dom. [Anm. 6] Darunter waren viele Werke von Künstlern, deren Kunst in der Zeit des Nationalsozialismus als "entartet” verboten waren, so z. B.: Max Beckmann, Otto Dix, Lyonel Feininger, George Grosz, Erich Heckel, Alexej Jawlenski, Wassiliy Kandinsky, Paul Klee, Franz Marc, Ernst Nay, Emil Nolde, Max Pechstein, Christian Rohlfs, Karl Schmidt-Rottluff.
Viele Besucher waren irritiert und zeigten deutlich ihre Ablehnung dieser Kunstwerke. Das Kunstverständnis des Nationalsozialismus wirkte – anders als bei der Ausstellung zu der im Dritten Reich verfemten Literatur – in der Bevölkerung noch intensiv nach.

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Jasmin Gröninger

Verwendete Literatur:

  • Brüchert, Hedwig: Der „Hunger nach Kultur“ nach dem Ende von Diktatur und Krieg. In: Brüchert, Hedwig (Hg.): Es ist bald wieder gut…? Mainz 1945–1962. Mainz 2015, S. 117 – 125.
  • Frankhäuser, Gernot: Im Kampf für die Moderne. Rudolf Busch und die Ausstellung „Neue deutsche Kunst“ in Mainz 1947. In: Brüchert, Hedwig (Hg.), Es ist bald wieder gut…? Mainz 1945–1962. Mainz 2015, S. 126–132. 
  • Neuer Mainzer Anzeiger, 15. Januar 1946.
  • Schütz, Friedrich: Aloys Ruppel. Leben und Werk (Kleiner Druck der Gutenberg-Gesellschaft; 100). Mainz 1982.
  • Schütz, Friedrich: Statthalter Gutenbergs auf Erden. In: Mainz, Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte 2, (1982), Heft 2, S. 128 – 129.

Aktualisiert am: 29.07.2016

Anmerkungen:

  1. Die öffentlichen Bücherverbrennungen waren der Höhepunkt der sogenannten „Aktion wider den undeutschen Geist“, mit der kurz nach der Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im März 1933 vorrangig die Deutsche Studentenschaft begann, jüdische, marxistische, pazifistische und andere oppositionelle oder politisch unliebsame Schriftsteller systematisch zu verfolgen. Zurück
  2. Schütz, Friedrich: Statthalter Gutenbergs auf Erden. In: Mainz, Vierteljahreshefte für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte 2, (1982), Heft 2, S. 128 – 129 (S. 128). Vgl. auch Schütz, Friedrich: Aloys Ruppel. Leben und Werk (Kleiner Druck der Gutenberg-Gesellschaft; 100). Mainz 1982. Zurück
  3. Von 1945 bis 1950 wurde Aloys Ruppel erneut Direktor der Stadtbibliothek. Zurück
  4. Neuer Mainzer Anzeiger, 15. Januar 1946. Vgl. auch Brüchert, Hedwig: Der „Hunger nach Kultur“ nach dem Ende von Diktatur und Krieg. In: Brüchert, Hedwig (Hg.): Es ist bald wieder gut…? Mainz 1945–1962. Mainz 2015, S. 117 – 125 (S. 123). Zurück
  5. 1938 wurde die „Entartete Musik“ bei den Reichsmusiktagen in Düsseldorf verfolgt. Zurück
  6. Frankhäuser, Gernot: Im Kampf für die Moderne. Rudolf Busch und die Ausstellung „Neue deutsche Kunst“ in Mainz 1947. In: Brüchert, Hedwig (Hg.), Es ist bald wieder gut…? Mainz 1945–1962. Mainz 2015, S. 126–132. Zurück