Epidemien in Mainz
von Wolfgang Stumme
Mangelnde Hygiene, enge Bebauung, lebhafter Handel und Verkehr, Durchzug vieler Soldaten sowie Hungersnöte und Belagerungen begünstigten immer wieder den Ausbruch von Seuchen bzw. Epidemien vor allem in den Städten. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gehörten Lepra, Pest und Mutterkornbrand in Mainz zu den in besonders starkem Maß auftretenden, ansteckenden Massenerkrankungen.
Lepra
Lepra, im Volksmund Aussatz genannt, ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die sich in Veränderungen an der Haut und an den Nervensträngen bemerkbar macht. Infolge von Gewebezerstörungen kommt es zu Verstümmelungen vor allem an den Fingern und Zehen. Eine Therapie gab es bis zum weitgehenden Verschwinden der Lepra in Mitteleuropa am Ende des 16. Jahrhunderts nicht. Die Anbetung Heiliger und das Ablegen von Gelübden wurden als Hilfs- und mögliche Heilmittel zu Rate gezogen. [Anm. 1]
Die Lepra wurde, wie andere Krankheiten auch, auf die Sünden der Menschen zurückgeführt. Da man glaubte, die Verbreitung erfolge durch die Luft (Miasma), wurden die Kranken außerhalb der Stadt untergebracht, also "ausgesetzt”. Daher stammt auch die Bezeichnung ‚Aussatz‘ für diese Infektionskrankheit.
Das 3. Lateranische Konzil von 1179 legte erstmals ein Aussätzigenrecht fest: Dem Kranken entzog man die bürgerlichen Rechte; er war für die Gesellschaft quasi abgestorben. War er verheiratet, wurde seine Ehe aufgelöst.
Der Mainzer Gutleuthof, in den Leprakrankte eingewiesen wurden, wird erstmals 1261 erwähnt, zu einer Zeit, als die Lepra infolge der Kreuzzüge sowie der Pilger- und Handelsfahrten ‘auf dem Vormarsch’ war. Der Gutleuthof lag außerhalb der Stadt, etwa am heutigen Rodelberg. Er war durch ‘fromme Stiftungen’ relativ gut dotiert. Die Pflege im Gutleuthof lag in den Händen des ’Schellenknechts’. Dieser begleitete die Aussätzigen bei ihren Bettelgängen in die Stadt. Durch das Aufstoßen eines Stabes, an dem Schellen befestigt waren, warnte der Schellenknecht die Gesunden, die milde Gaben vor ihre Häuser stellten und sich dann wieder zurückzogen.
Seit 1492 erfolgte die Einweisung in den Gutleuthof in Mainz aufgrund einer Lepraschau, die durch Professoren bzw. Doktoren der medizinischen Fakultät der 1477 gegründeten Universität vorgenommen wurde.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts. lebten im Gutleuthof bald nur noch zehn Personen, von denen nicht alle krank waren. Aus Sicherheitsgründen wurde der Gutleuthof im Dreißigjährigen Krieg aufgegeben.
Pest
Die Pest, auch Schwarzer Tod genannt, breitete sich ab dem 14. Jh. von den Häfen des Mittelmeeres aus. Sie trat überwiegend als Lungenpest und als Beulenpest auf.
Die Lungenpest wird durch Tröpfcheninfektion übertragen; sie hatte immer einen raschen und tödlichen Verlauf. Die Infizierten starben innerhalb weniger Tage. Die Beulenpest hingegen wurde durch den Ratten- bzw. den Menschenfloh übertragen. Nach einer zwei- bis fünftägigen Inkubationszeit kam ein allgemeines Unwohlsein mit Fieber, Schüttelfrost und starken Kopfschmerzen auf. Viele der Infizierten starben schon am ersten oder zweiten Tag.
Erstmals tauchte die Pest 1313 in Mainz auf, wobei angeblich 16.000 Mainzer starben. Bei etwas mehr als 20 000 Einwohnern ist diese Zahl vermutlich übertrieben, aber sie zeigt, wie tief diese Seuche in die Lebenswelt des mittelalterlichen Menschen eingegriffen hat. 1349 starben ca. 6.000 Menschen an der Pest in Mainz; zu diesem Zeitpunkt war das etwa die Hälfte der Einwohner.
Die wenigen Bader waren gegen die Pest ebenso machtlos wie Gebete, Prozessionen, Mess-Stiftungen und die Anrufung von Heiligen. [Anm. 2] Die Mainzer richteten ihr Flehen und Hoffen dabei besonders auf den heiligen Rochus, den heiligen Sebastian und die heilige Barbara, die für ihre Stärke im Glauben und auch im persönlichen Kampf gegen die Krankheit (hl. Rochus) verehrt wurden.
Die Suche nach einem ‘Sündenbock’ führte 1349 zu einem verheerenden Pogrom, der die Blütezeit der jüdischen Gemeinde in Mainz [Anm. 3] jäh beendete. Anders als z. B. in Worms haben sich die Juden in Mainz bewaffnet und sich so lange wie möglich der plündernden Menge entgegengestellt. Als ihre Lage aussichtslos wurde, legten sie Feuer und starben mit Frauen und Kindern in den Flammen. [Anm. 4]
Nach 1313 und 1349 kam die Pest immer wieder, so im
- 14. Jh.: 1356, 1363, 1379, 1381, 1389,
- 15. Jh,: 1439, 1482,
- 16. Jh.: 1526, 1539/40, 1553, 1563, 1571, 1574/75, 1584, 1592 und
- 17. Jh.: 1606, 1607, 1611, 1615, 1632, 1635, 1666/67.
Religiöse Bräuche und Gemeinschaften lebten auf, wie z. B. die St. Sebastians-Bruderschaft, die im Pest-Jahr 1482 fast 500 Mitglieder zählte.
Ein Erlass aus dem Jahre 1606 nennt als erste zu ergreifende Maßnahme: "Man soll Gott anrufen und bitten, seinen Zorn über das sündhafte Leben abzuwenden und die Menschen durch seine Barmherzigkeit vor künftigem Übel zu bewahren.” Unter Ziffer 7 dieses Erlasses heißt es: "Die, welche Gott heimgesucht hat, sollen nicht auf den Markt oder in die Kirche gehen bzw. sich in der Kirche mit einer abgesonderten Ecke bescheiden. Die Häuser von Infizierten sind zu verschließen, die Versorgung mit Lebensmitteln ist sicherzustellen.”
Auch die ‘Totentänze’, die in Prosa und Versen in Verbindung mit Musik vorgetragen wurden, sollten den Menschen helfen, mit dem massenweise auftretenden Tod fertig zu werden.
Nach der letzten großen Pest in Mainz wurde 1670 eine Kapelle zu Ehren des Heiligen Sebastian, des Schutzpatrons gegen die Pest, errichtet. Diese Kapelle wurde 1805 – 1807 abgerissen, um Platz für den neu angelegten Gutenbergplatz zu schaffen.
Im 18. Jahrhundert setzte sich dann die Überzeugung durch, dass man der Pest nicht nur mit Frömmigkeit, sondern vor allem mit Hygiene begegnen musste. So lässt die Pestordnung aus dem Jahre 1778 bereits eine ’moderne’ Seuchenprophylaxe erkennen, auch wenn der Pesterreger und der Übertragungsweg erst gut 100 Jahre später entdeckt wurden.
Mutterkornbrand, auch Antoniusfeuer genannt
Im mittelalterlichen Mainz grassierte auch der Mutterkornbrand, der im Volksmund Antoniusfeuer genannt wurde. Der Mutterkornbrand wird durch einen giftigen Pilz in der Roggenähre ausgelöst. Er befällt das Nervensystem und wird durch eine schwarze Verfärbung der Haut sichtbar, die dann wie verbrannt aussieht. Deswegen nannte man die Krankheit auch "ignis sacer” (Heiliges Feuer). Der Tod kam meistens durch einen Krampfanfall. Allerdings wurde die Ursache des Antoniusfeuers erst im 17. Jahrhundert erkannt.
Der Bekämpfung des Mutterkornbrandes hatten sich die "Antoniter” verschrieben, ein Orden, dessen Patron als besonderer Helfer gegen das Antoniusfeuer galt. In Mainz gab es spätestens seit 1324 ein Antoniushaus, das (wie sein Wirtschaftshof in Ebersheim) "Töngeshof” genannt wurde. Zu dem Kloster gehörte auch eine Badestube, in der die Kranken behandelt wurden. Über dem Portal der 1330 errichteten Antoniuskirche ist immer noch das Emblem des Ordens, das T-förmige Antoniuskreuz, zu sehen. Als das Antoniusfeuer im späten Mittelalter zurückging, wurde die Mainzer Niederlassung des Ordens 1528 geschlossen.
Weitere Epidemien
Zur Mainzer Seuchengeschichte gehört natürlich auch die Syphilis, die schon 1496 in Mainz auftrat – ausgerechnet in Kreisen des Domkapitels.
Eine ständige Bedrohung waren die Pocken, die in Mainz besonders im 18. Jahrhundert die Kindersterblichkeit in die Höhe trieben. Die Hilflosigkeit gegenüber dieser durch Viren übertragenen Infektionskrankheit konnte erst 1880 durch die Vaccination – die Impfung mit Erregern der Kuhpocken – beendet werden. [Anm. 5]
Während der Belagerung von Mainz im Jahre 1793 machte sich erstmals die Ruhr, eine entzündliche Erkrankung des Dickdarms bei einer bakteriellen Infektion, bemerkbar. Allein im August starben 840 Menschen.
Nach ihrer Niederlage bei Leipzig schleppten im Herbst 1813 französische Truppen das Fleckfieber ein, das durch Läuse, vor allem die Kleiderlaus, Flöhe, Milben oder Zecken übertragen wird. In Mainz starben an dem sog. "Typhus de Mayence” [Anm. 6] in fünf Monaten ca. 17.500 Soldaten und über 2.000 Zivilisten.
1849 und 1866 kam es zu Cholera-Epidemien.
1870/71 grassierte in Mainz eine Typhus-Epidemie, an der u. a. französische Kriegsgefangene starben, die auf dem Mainzer Hauptfriedhof beigesetzt wurden.
Im Gegensatz zu den großen Epidemien des Mittelalters trafen die Krankheiten der Neuzeit, die sich vor allem unter schlechten hygienischen Bedingungen und/oder in Kriegszeiten mitunter epidemieartig ausbreiteten, auf grundlegend andere Rahmenbedingungen. Die Erforschung der Krankheitsursachen, besser geschultes medizinisches Personal sowie ein effizientes Gesundheitswesen waren und sind die Voraussetzung für eine zeitliche und räumliche Begrenzung bei Infektionskrankheiten.
Verfasser: Wolfgang Stumme
Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub
Verwendete Literatur:
- Dumont, Franz: Helfen und Heilen – Medizin und Fürsorge in Mittelalter und Neuzeit. In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 771-808.
- Dumont, Franz: Le bienfait de la Vaccine. Die Einführung der Pockenschutzimpfung im französischen Mainz 1901 – 1813. In: Dumont, Franz u.a. (Hg.): Moguntia medica. Das medizinische Mainz. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert: Wiesbaden 2002, S. 316 – 325.
- Rödel, Walter G.: Pockenepidemien in Mainz im 18. Jahrhundert. In: Dumont, Franz u.a. (Hg.): Moguntia medica. Das medizinische Mainz. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2002, S. 309 – 315.
- Sievers, Leo: Juden in Deutschland: Hamburg 1979.
Aktualisisert am: 04.08.2016
Anmerkungen:
- Seit der Entdeckung des Krankheitserregers des Bakteriums Mycobacterium leprae durch den norwegischen Arzt Gerhard A. Hansen im Jahr 1873 gilt Lepra inzwischen als heilbar. Zurück
- Es gab mehrere Pestheilige. Im Raum Mainz wandte man sich vor allem an die Heiligen Rochus, Sebastian und Barbara. Zurück
- Dumont, Franz: Helfen und Heilen – Medizin und Fürsorge in Mittelalter und Neuzeit. In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 771-808 (S. 773). Zurück
- Sievers, Leo: Juden in Deutschland: Hamburg 1979, S. 55. Zurück
- Vgl. Rödel, Walter G.: Pockenepidemien in Mainz im 18. Jahrhundert. In: Dumont, Franz u.a. (Hg.): Moguntia medica. Das medizinische Mainz. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2002, S. 309 – 315. Sowie Dumont, Franz: Le bienfait de la Vaccine. Die Einführung der Pockenschutzimpfung im französischen Mainz 1901 – 1813. In: Dumont, Franz u.a. (Hg.): Moguntia medica. Das medizinische Mainz. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert: Wiesbaden 2002, S. 316 – 325. Zurück
- Beim ‚Typhus de Mayence‘ handelte es sich um Fleckfieber. Die im deutschen Sprachgebrauch als Typhus bekannte Krankheit wird durch Salmonellen verursacht. Zurück