Pestis in Moguntiaco - Die Pest von 1666/67 im Kurfürstlichen Mainz
September 1667. Eine Stadt atmet auf. Nachdem eine verheerende Pestwelle ein Drittel der Mainzer Bevölkerung ausgelöscht hat, ist sie auch endlich im umliegenden Rheinland für besiegt erklärt worden. Zwar saß die Trauer um die verstorbenen Angehörigen bei den Bürgern der Stadt noch tief, doch hatte man sich schon nach den letzten Toten im Januar gezwungen, das alltägliche Leben wieder aufzunehmen. Was blieb nach so viel Leid auch anderes übrig?
Der erst kürzlich zum Universitätsdekan ernannte Dr. med. Johann Faber hingegen stand vor einem Scherbenhaufen: Als einzig überlebender Arzt der ganzen Stadt musste er die medizinische Fakultät von Grund auf wiederaufbauen, um den Unterricht und die Ausbildung fähiger Ärzte so bald wie irgend möglich wieder gewährleisten zu können. [Anm. 1]
0.1.Mainz vor der Pest
Das 17. Jahrhundert war eine äußerst turbulente und krisengebeutelte Zeit. Widrige Klimaverhältnisse während der sogenannten Kleinen Eiszeit sorgten für Missernten und Hungersnöte, denen oftmals Seuchen folgten. Dazu war Mainz vor allem ab 1630 in den verheerenden Dreißigjährigen Krieg involviert und wurde infolge von Krieg und Belagerung schon 1632 und 1635 von der Pest heimgesucht.
Bis 1644 war die Bevölkerung um etwa die Hälfte auf 6.000 bis 6.500 Einwohner gesunken. Der 1647 zum Kurfürst ernannte Johann Philipp von Schönborn war bemüht, die Stadt wiederaufzubauen, was jedoch noch über ein Jahrzehnt dauern sollte – auch 1660 zählte Mainz kaum mehr als 8.000 Einwohner. [Anm. 2]
0.2.Der Beginn der Pestepidemie
Anders als in den Jahren zuvor wurde die Pest 1666 in Mainz nicht durch kriegerische Auseinandersetzungen oder Hungersnöte begünstigt. Vermutlich kam das Pestbakterium Yersinia pestis im Jahr 1663 von Algier (Algerien) oder Smyrna (heute Izmir in der Türkei) über Handelsschiffe nach Amsterdam und gelangte auf die gleiche Art sowohl nach England als auch den Rhein aufwärts. Die Epidemie sollte erst zwischen Basel und Bern zu einem Halt kommen. [Anm. 3]
Im Oktober 1665 hatte die Pest Köln so fest in ihrem Griff, das täglich 40 bis 54 Menschen starben. [Anm. 4] Frankfurt forderte dementsprechend zur anstehenden Herbsthandelsmesse alle Kölner Anreisenden dazu auf, ein Attest vorzuzeigen, dass sie und ihre Waren aus weniger infizierten Bereichen der Stadt kamen. Allerdings sollte die Messe weitgehend ungestört verlaufen, weshalb auch Kurmainz, Straßburg und Basel kein völliges Eintrittsverbot verhängten, um die Wirtschaft nicht zu beeinträchtigen. [Anm. 5] Die Pest gelangte im Zuge der Messe trotzdem nach Frankfurt, was dazu führte, dass im Laufe des Winters 1665 zahlreiche Städte von Süddeutschland bis Oberitalien den Handel mit dem verseuchten Frankfurt abbrachen. [Anm. 6]
Da Mainz am Rhein eine wichtige Handelsposition innehatte, konnte es die Fahrt von insbesondere aus Köln kommenden Schiffen den Oberrhein hinauf verbieten. Am 5. November 1665 beschloss Mainz, Personen und Waren aus Köln den Eintritt in die Stadt zu verweigern, was den Torwächtern am 15. März 1666 nochmals eingeschärft wurde. Ab dem 30. April hielt Kurmainz rheinaufwärts fahrende Schiffe bei Lahnstein für zehn Tage in Quarantäne, bevor sie weiterfahren durften. [Anm. 7] Mainz wiegte sich in Sicherheit – allerdings begünstigte das sogenannte Stapelrecht der Stadt die Verbreitung der Pest, da dadurch in Mainz Waren umgeladen und Personen aus infizierten Gebieten mit Bewohnern in Kontakt kamen. [Anm. 8] Im Juni 1666 verzeichnete der damals zu Mainz gehörende Stadtteil Kastel die ersten Fälle von Pest [Anm. 9] und auch Dörfer im kurmainzischen Rheingau waren bedroht. Die Mainzer Regierung verbot Menschen aus den betroffenen Gebieten zwar, die Stadt zu betreten, war jedoch trotzdem darauf bedacht, keine Panik in der Bevölkerung auszulösen. Ein Aushang vom 19. Juni an den Toren von Mainz erläuterte:
„Nachdem verspürt wird, daß in der Nachbarschafft und hin und wider uff dem Lande die ansteckende Kranckheiten und böse Seuchten einreisse wollen [...], ist fleissiges Auffsehen zu haben und zu verhüten, daß solche Kranckheiten und Seuchten nicht auch in hiesige Stadt durch zulaßung der auß denen bereits inficirten Orten herkommenden Personen eingeschleifft werden. Alß wird hiermit öffentlich bekant gemacht, daß sich Niemand so von solchen inficirten und verdächtigen Orten herkommen, der sey auch wer er immer wolle, bei Vermeidung willkürlicher Bestraffung gelüsten lassen solle, diese Churfürstl. Residentz-Stadt zu betretten: widrigen Fallß und da sich deme zu wider jemand heimlich und mit falschen Vorwand daß er von keinem inficierten Ort herkomme, eingeschleifft zu haben befinden würde, solle der oder dieselbe befindenden Dingen nach an Leib oder Gut ohnnachlässig gestrafft werden. Darnach wird sich ein Jeder den es angeht, wissen zu richten und vor Schaden zu hüten.“ [Anm. 10]
Die Pest wird in keinem einzigen Satz als solche bezeichnet, obwohl die Krankheit bekannt und in anderen Kontexten auch benannt wurde – stattdessen wird im Plural von allgemeinen Krankheiten und Seuchen gesprochen und die Situation nahezu bagatellisiert. Die Seuche wird zudem noch als externes Phänomen anderer Orte im Umland wahrgenommen.
Zwischen Ende Juni und Anfang Juli 1666 griff die Pest auf Mainz über. Im Juli 1666 verkündete Frankfurt, dass viele aus Mainz kommenden Personen Symptome der Krankheit zeigten und die Stadt wohl schon verseucht sein müsste, obwohl sie selbst nichts davon meldete. Auch die kurbayrische Regierung, Regensburg, Augsburg und Innsbruck hielten Mainz schon für so weit infiziert, dass sie aus Mainz kommende Menschen und Waren nicht mehr einließen. Frankfurt tat es ihnen am 8. Juli 1666 gleich, um seinerseits den Handel mit diesen Regierungen nicht zu gefährden. [Anm. 11]
Die Kurmainzer Regierung sah sich gezwungen, zuzugeben, „daß sich zu Mainz die Krankheit in etwas verspüren lasse“ – allerdings „sei die Gefahr doch nicht so groß, wie es nach böswilligen Berichten den Anschein habe.“ [Anm. 12] Die Krankheit würde in Frankfurt noch immer viel stärker wüten, und obwohl sie schon dort gewesen sei, als in Mainz noch niemand erkrankt war, hätte Mainz damals „aus wohlmeinenden, nachbarlichen Willen den Frankfurtern den Verkehr mit den benachbarten Mainzer Ämtern nicht untersagt“ [Anm. 13]. Handel und Wirtschaft waren schon damals so wichtig, dass Seuchenschutz eine untergeordnete Rolle spielte, weshalb Mainz damals den Handel mit dem infizierten Frankfurt nicht eingestellt hatte.
Mainz gab zudem in einem Schreiben an Frankfurt an, dass die Pest unter den Juden der Stadt ausgebrochen sei und deshalb „nicht schutzberechtigte Juden die durch ihren verdächtigen Handel leicht Krankheiten einschleifen könnten, ausgewiesen und fortgeschafft“ würden [Anm. 14]. Möglicherweise handelte es sich dabei nur um die Suche nach einem Sündenbock, denn auch in den Pestjahren zuvor waren Juden am Aufkommen der Krankheit beschuldigt und deshalb verfolgt worden. Trotzdem brachen 1666 keine Pogrome gegen die Juden aus, wie es in den Pestjahren zuvor und besonders in der Zeit des Schwarzen Tods im 14. Jahrhundert der Fall gewesen war. [Anm. 15] Aus heutiger Sicht ist denkbar, dass die Pest in der Judengasse ausgebrochen sein könnte, denn die Gasse, die den Juden 1662 durch den Kurfürsten als Wohngebiet zugewiesen worden war, war extrem beengt und die hygienischen Bedingungen noch schlechter als im übrigen frühneuzeitlichen Mainz. [Anm. 16]
0.3.Reaktionen und Gegenmaßnahmen der Regierenden
Kurfürst von Schönborn, die Domkapitulare und andere Adelige, die es sich leisten konnten, verließen Mainz. Doch auch aus seinem Exil in Würzburg erlies der Kurfürst zahlreiche Verordnungen für die Stadt Mainz und ihre Umgebung. So verbot er beispielsweise trotz aller religiösen Ehrfurcht größere Kirchenfeste, um die Ansteckungsgefahr durch solche Großveranstaltungen zu vermeiden. In der zu weiten Teilen noch immer tief religiös geprägten Gesellschaft der Zeit hätte er dafür ernsthaft in Frage gestellt werden können. [Anm. 17] Er vertrat offenbar eine konsequent am Stand der damaligen medizinischen Wissenschaften orientierte Haltung, und zeigte damit bereits ein aufgeklärtes Verständnis, das sich erst rund 100 Jahre später im Zeitalter der Aufklärung in breiter Masse manifestieren sollte. Dies bewies von Schönborn auch in der Bekämpfung von Hexenprozessen.[Anm. 18]
Als einziges Mitglied des Verwaltungsstabs verblieb als Statthalter der Domdechant Johann von Heppenheim, genannt von Saal. Dieser hatte sich schon im Vorjahr der Pest durch einen sehr modern anmutenden Vorschlag hervorgetan: 1665 forderte er die Einrichtung einer Art Müllabfuhr, welche Dreck und Unrat von den Straßen beseitigen sollte, um die Luft sauberer zu halten und so Krankheiten zu verhüten. Der Vorschlag entsprach der noch bis ins 19. Jahrhundert etablierten Miasmentheorie, wonach sich Krankheiten über schlechte Gerüche verbreiteten. Das Projekt kam jedoch nicht zur Ausführung. [Anm. 19] Möglicherweise betrachtete er es gerade deshalb als seine Berufung, sich in dieser Notzeit der Stadt Mainz anzunehmen und aller Gefahr zum Trotz zu bleiben.
Das Herzstück seiner Gegenmaßnahmen bestand in der Einrichtung eines Gesundheitsrats – das sogenannte Officium sanitatis, bestehend aus Geistlichen, Beamten und Vertretern der Bürgerschaft. Ärzte waren nicht darunter. Aus einem Schreiben des Statthalters an den Kurfürsten vom 7. Juli 1666 erfahren wir folgende Maßnahmen zur Bekämpfung der Pest:
- Pfarrer erstellen täglich um 7 Uhr eine Liste mit der Zahl der Erkrankten, der Verstorbenen und der gesunden Menschen, die sich in einem infizierten Haushalt befinden.
- Pfarrer verkünden von der Kanzel, dass gesunde Personen aus kranken Häusern weder in die Öffentlichkeit noch in die Kirche gehen dürfen. Sie sollen gemäß dem Gebot der Nächstenliebe von ihren Nachbarn mit Lebensmitteln versorgt werden, indem sie diese vor die Tür stellen oder auf einen Sammelplatz, an dem sie dann später von den Kranken abgeholt werden können, sodass es keinen direkten Kontakt zwischen den Personen gibt.
- Nach Ablauf einer Frist dürfen gesunde Menschen aus einem infizierten Haushalt mit Erlaubnis des Officium sanitatis wieder an die Öffentlichkeit, müssen jedoch unbedingt ihr Haus ausräuchern.
- Es werden mehr Gräber zur Verfügung gestellt. Um zu vermeiden, dass Friedhöfe überfüllt werden, wird der Kirchhof St. Peter extra muros (heutige Kaiserstraße, existiert nicht mehr) neu eingeweiht. Die Toten werden nur noch nachts bestattet.
- Die Haltung von Schweinen, Tauben, Gänsen und ähnlichen Tieren in der Stadt wird verboten, um die Luft reiner zu halten. [Anm. 20]
- Keine großen kirchlichen Versammlungen, weder Märkte noch Messen
- „Gesindel“, also nicht in der Stadt Wohnende, wird aus der Stadt vertrieben
- Zugang in die Stadt nur mit einem Attest, dass die Person aus einem nicht-infizierten Gebiet stammt
- Mönche werden aus Klöstern freigestellt, um Pfarrer bei Versorgungsmaßnahmen in Spitälern zu unterstützen.
- Einstellung eines Arztes und eines Wundarztes zur Versorgung der Armen
- Arzneien werden kostenlos augegeben
- Ausbau der Versorgung für verwaiste Kinder
- Schließung der Universität [Anm. 21]
Von den Regierenden wurde die Pest als ansteckende, unheilbare Krankheit erkannt, die sich über „unreine Luft“ verbreitete. Dementsprechend konnten nur Maßnahmen zu ihrer Verhütung oder Eindämmung ausgesprochen werden.
0.4.Ärztewesen und medizinische Behandlung
Die Medizin der frühen Neuzeit war wenig mit dem heutigen vergleichbar. Die in der medizinischen Fakultät der Universität tätigen Heilärzte, Medici oder Physici genannt, hatten allgemein nur wenig Kontakt zur erkrankten gewöhnlichen Bevölkerung. Stattdessen kümmerten sich Wundärzte/Chirurgen um fast alle Leiden, von Knochenbrüchen bis hin zur Behandlung offener Wunden und Operationen. Diese Wundärzte waren handwerklich ausgebildet und in Zünften organisiert. [Anm. 22]
Praktizierte Medizin war eng verbunden mit der (christlichen) Fürsorge für Arme, Obdachlose, Pilger und alte Menschen und lag in der Hand der Kirche (Caritas). In Spitälern wurden Menschen von Hospitalbrüdern und –schwestern gepflegt, doch die Heilung von „Siechen“ stand dabei nicht im Vordergrund. [Anm. 23]
Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gab es in Mainz einen Stadtphysicus, welcher die Arbeit von Chirurgen, Hebammen und Apotheken überwachte, selbst jedoch nur Diagnosen stellte und Arzneimittel verordnete. [Anm. 24] Im Juli 1666 wurde Dr. med. Johann Daniel Koch durch das Officium sanitatis zum Stadtphysicus und Arzt für die Armen ernannt, verstarb jedoch schon bald selbst an der Pest. [Anm. 25] Sein Nachfolger wurde Dr. med. Johann Faber, welcher die Kranken nicht selbst besuchte, sondern nur nach Berichten der Wundärzte Behandlungen verschrieb. Faber war wohl nur zweimal persönlich in den Lazaretten vor Ort. Er überlebte die Pest und wurde am 30. August 1667 Dekan der medizinischen Fakultät der Universität, deren einziger überlebende Doktor er war. [Anm. 26]
Zur Behandlung der Pest wurden die Pestbeulen mit Leinenpflastern erweicht oder angeschnitten, um Blut und Eiter abfließen zu lassen. Auch wurde versucht, sie mit einem Glüheisen auszubrennen. Zur Vorbeugung der Ansteckung empfahl man Reinigungsaderlässe, Einläufe und häufiges Waschen mit Wein und Essig. „Unreine Luft“, sogenannte Miasmen, die angeblich der Überträger der Pest waren, sollten gemieden und durch Wohlgeruch beseitigt werden: Mit Kräutern und Substanzen wie Lavendel, Salbei und Myrrhe wurde geräuchert; weiße Meerzwiebel sollte zusammen mit Weinraute und Hollunderblüten in Essig angesetzt und auf erhitzten Ziegelsteinen verdampft werden. [Anm. 27] All das konnte natürlich keine Abhilfe bringen. Die wirksamste Maßnahme aus den Anfängen der Medizingeschichte war und blieb – wie bei heutigen Epidemien - die Quarantäne.
Schon durch die Pestwellen der vorigen Jahrhunderte war ihr Schrecken bekannt. Die Menschen der frühen Neuzeit waren ihr völlig machtlos ausgeliefert. Bei schweren Fällen trat der Tod schon nach nur wenigen Tagen ein; höchstens jeder fünfte Erkrankte überlebte. [Anm. 28]
0.5.Reaktionen der Bevölkerung
Im Volk wurde die Pest als Strafe Gottes für die Sünden der Menschen betrachtet. Pestschriften forderten zu Reue auf und mahnten, „unmäßige[n] Fraß und Füllerey, hauptsächlich aber zu viele[n] Beyschlaf also gewiß zu mäßigen und zu meyden“ [Anm. 29]
Der Rat der Stadt Bingen gelobte am 16. Juli 1666, dem Pestheiligen St. Rochus auf dem Hesselberg eine Kapelle zu bauen; die Grundsteinlegung der Rochuskapelle erfolgte bereits im selben Jahr. [Anm. 30] Auch in Mainz beschloss man 1666 die Errichtung einer Kapelle für den Seuchenheiligen St. Sebastian unter der Bedingung des Kurfürsten, dass parallel zum Bau Geld für die Armen und Notleidenden gesammelt werden solle. Die Kapelle im Barockstil, welche sich an der Dietherpforte in der heutigen südlichen Altstadt befand, wurde 1675 fertiggestellt und schon bald als Albanskirche weitergeführt. 1793 wurde sie während der französischen Belagerung zerstört. [Anm. 31]
0.6.Das Ende der Epidemie
In der Stadt Mainz starben von Sommer 1666 bis Januar 1667 2.300 Menschen an der Pest. [Anm. 32] Vom 24. Juli bis zum 3. August 1666 gab es laut den Protokollen des Officium sanitatis, die ihre Zahlen aus den Verzeichnissen der Pfarrer zusammengestellt haben, täglich 18 bis 44 Tote. [Anm. 33] Dementsprechend war die Sterblichkeit in der Bevölkerung im Vergleich zu den vorigen Jahren auf das Sechs- bis Zehnfache gestiegen. Nach dem Klosterbuch von St. Klara waren nachts oft bis zu 200 Leichen auf Karren die Stadt hinaus zu St. Peter extra muros geschafft und dort begraben worden. [Anm. 34] Die Ausprägung der Pest im Umkreis von Mainz war sehr unterschiedlich. Während in Gau-Algesheim, Nieder-Olm, Ober-Olm, Ebersheim und Zornheim jeweils etwa die Hälfte der Bewohner verschied, waren Weisenau und Laubenheim kaum bis gar nicht betroffen. [Anm. 35]
Bis Januar 1667 gab es kaum noch Tote, sodass das öffentliche Leben im Februar wiederaufgenommen werden konnte. Das Officium sanitatis teilte verschiedenen Städten und Handelspartnern mit, dass die Krankheit nachgelassen habe und die Stadt wieder seuchenfrei sei. [Anm. 36] Die zur Ansteckungsprävention geschlossenen Badestuben öffneten wieder und auch der Handelsmesse zu Ostern in Frankfurt wurden keine Schwierigkeiten bereitet. [Anm. 37] Am 25. April 1667 gab es einen Rückschlag, doch die erneuten Krankheitsfälle breiten sich nicht noch weiter aus. Vermutlich trat die Pest erneut auf, weil mit gebrauchter Kleidung von Pesttoten gehandelt und die Bakterien so wieder in Umlauf gebracht worden waren. [Anm. 38] Im Mai gab es keine weiteren Todesfälle und die Stadt galt als seuchenfrei, während beispielsweise der Rheingau am 19. August 1667 noch vermelden ließ, dass „dergleichen volckreiche Walfahrten, Jahr Marcks undt große Versamblungen zu Vermeidung etwa besorgender gefährlich infection noch zu Zeit eingestellt bleiben sollen“ [Anm. 39]. Das Mainzer Umland war noch bis etwa Herbst 1667 infiziert. [Anm. 40]
Die Pest von 1666/67 war die letzte in Mainz und eine der letzten großen Pestwellen in Europa überhaupt. Ein Drittel der Mainzer Bevölkerung war ihr erlegen. Die Epidemie hatte die durch den Dreißigjährigen Krieg ohnehin schon beeinträchtigte Bevölkerungsentwicklung im 17. Jahrhundert wesentlich unterbrochen, auch wenn die Stadt im Jahre 1698 wieder 15.000 Einwohner zählte, mehr als doppelt so viele wie vor der Pest. Insgesamt gab es im 17. Jahrhundert nur einen geringen Geburten- und Bevölkerungszuwachs und der Bevölkerungsanstieg in Mainz ergab sich, wie bei Städten zu dieser Zeit üblich, hauptsächlich aus Zuwanderung.[Anm. 41]
Die Pestwelle war Anstoß zum Ausbau des Spital- bzw. Gesundheitswesen. 1721 wurde das Kurfürstliche Armenhaus ad Sanctum Rochum, das Rochusspital, zur Versorgung und Behandlung von Armen und Obdachlosen gegründet. An den Pest- und Seuchenverordnungen des 18. Jahrhunderts wird sichtbar, wie aus der Vergangenheit gelernt und Hygiene eine immer größere Priorität einnahm. Außerdem gab es Bestrebungen, die Wundärzte durch die studierten Physici zu ersetzen und so die praktizierte Medizin zu verwissenschaftlichen. [Anm. 42] Der Seuchenbekämpfung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit entstammen mehrere noch heute angewendete Methoden wie Quarantäne, Zugangsbeschränkungen und die Erfassung von Infizierten und Todesopfern. [Anm. 43]
0.7.Nachweise
Verfasserin: Katrin Kober
Erstellt am: 25.03.2020
Verwendete Literatur:
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Anmerkungen:
- Johann Faber, in: Verzeichnis der Professorinnen und Professoren der Universität Mainz, http://gutenberg-biographics.ub.uni-mainz.de/id/a3543142-57bf-404c-82b1-2217249d8f6c. (Aufruf am 19.03.2020). Zurück
- Rödel 1998, S. 231f.; Rödel 1999, S. 668f.; Stumme 2017, https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/stumme-mainz-dreissigjaehriger-krieg.html (Aufruf am 11.03.2020). Zurück
- Rödel 1999, S. 669f. Zurück
- Rödel 2002, S. 301. Zurück
- Ebd., S. 303ff.; Schrohe 1903, S. 10. Zurück
- Schrohe 1903, S. 12. Zurück
- Rödel 2002, S. 303ff. Zurück
- Rödel 1985, S. 58. Zurück
- Um die Kirche St. Georg wurde eine Pestmauer errichtet, welche die Gesunden von den Infizierten abschirmen sollte, die in der Kirche behandelt wurden. https://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/freizeit/natur-erleben/friedhoefe/friedhof-kastel.php (Aufruf am 25.03.2020). Zurück
- Zitiert in Rödel 2002, S. 305. Zurück
- Wagner 1984, S. 24f.; Schrohe 1903, S. 21f. Zurück
- Zitiert in Schrohe 1903, S. 22. Zurück
- Zitiert ebd. Zurück
- Zitiert ebd., S. 21, 55. Zurück
- Hausmann 2013, https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/hausmann-wohnen-und-wirtschaften.html?L=0 (Aufruf am 11.03.2020). Zurück
- Zurück
- Zurück
- Schrohe 1903, S. 117, 123. Zurück
- Ebd., S. 6f. Zurück
- Im Mai 1668 klagt der Statthalter jedoch, diese Maßnahmen würden nicht länger eingehalten werden. Terhalle 1965, S. 42. Zurück
- Rödel 2002, S. 306f.; Henrich 1967, S. 173; Jantzen 1990, S. 113. Zurück
- Dumont 1999, S. 775. Zurück
- Ebd., S. 771. Zurück
- Rödel 1985, S. 60. Zurück
- Terhalle 1965, S. 64. Zurück
- Jantzen 1990, S. 115f.; Johann Faber, in: Verzeichnis der Professorinnen und Professoren der Universität Mainz, http://gutenberg-biographics.ub.uni-mainz.de/id/a3543142-57bf-404c-82b1-2217249d8f6c (Aufruf am 24.03.2020). Zurück
- Ebd., S. 116. Zurück
- Seiler 2010, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007980/2010-09-27/ (Aufruf am 18.03.2020). Zurück
- Zitiert in Jantzen 1990, S. 112. Zurück
- Terhalle 1965, S. 36. Zurück
- Jantzen 1990, S. 112; https://www.stadtbild-deutschland.org/forum/index.php?thread/3995-mainz-die-s%C3%BCdliche-altstadt-galerie/&postID=147341#post147341. Nach Leitermann 1962, S. 131 befand sich die Kapelle am Höfchen. Zurück
- Rödel 1999, S. 652. Zurück
- Rödel 2002, S. 301. Zurück
- Schrohe 1903, S. 85. Zurück
- Leitermann 1962, S. 131; Stauder 1999, S. 614. Zurück
- Schrohe 1903, S. 68. Zurück
- Henrich 1967, S. 181, 183. Zurück
- Schrohe 1903, S. 69f., 77. Zurück
- Zitiert in Terhalle 1965, S. 35f. Zurück
- Rödel 2002, S. 301. Zurück
- Mathy 1999, S. 278; Rödel 1998, S. 231f. Zurück
- Dumont 1999, S. 774, 779, 782. Zurück
- Klostermann 2020. Zurück