0.Mainz - Barocke Stadt vor dem Schloss
von Wolfgang Stumme
0.1.Kurfürstliche Gartenanlage
Knapp drei Jahrhunderte befand sich zwischen der Martinsburg und später dem Schloss und der heutigen Kaiser-Friedrich-Straße eine kurfürstliche Gartenanlage, die anfangs von einer Mauer eingeschlossen war. Der Schlossgarten war klein, aber fein. Mehr Platz stand auch nicht zur Verfügung. Das Gelände wurde durch den Rhein, das bereits bebaute Gebiet um St. Marien-Odenmünster [Anm. 1], das westlich beginnende Sumpfgebiet und die nördliche Stadtmauer begrenzt.
0.2.Anlage der Bleichen
Bis zum Dreißigjährigen Krieg war das Gebiet nördlich der Großen Burgstraße, der heutigen Großen Bleiche, bis hin zur Stadtmauer sumpfiges Wiesenland. Nach Norden begrenzte die mittelalterliche Stadtmauer, die weitgehend auf den Resten der römischen Stadtmauer errichtet worden war, dieses Areal. Der von Bretzenheim kommende Zaybach teilte sich am westlichen Stadtrand in zwei Bachläufe, die dieses Gelände umflossen.
Genutzt wurde das Gebiet von Webern, die ihre neu gewebten Leinen auslegten, um sie in der Sonne natürlich aufhellen zu lassen. Daher kommt auch der Name ‚Bleichen‘. Neben den Webern wurden die Bleichen auch von Gerbern, Seilern und Hühnerzüchtern genutzt. Für Teile der Bleichen waren auch Bezeichnungen wie ‚Krautgarten‘ oder ‚Baumgarten‘ üblich, was etwas über die Nutzung als Gemüse- bzw. Obstgarten aussagt.
Um die Stadt besser gegen Angreifer verteidigen zu können, ließ Kurfürst Johann Philipp von Schönborn nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges die Stadt mit einem regelmäßigen, bastionären [Anm. 2] Festungsgürtel umgeben. Gleichzeitig förderte er den Wiederaufbau der zur Hälfte zerstörten sowie verarmten Stadt. Da in Mainz 1648 nur noch 7.500 Einwohner lebten, ließ er neue Bürger anwerben.
Um innerhalb der Stadt Wohnungen und Manufakturen errichten zu können, ließ Johann Philipp von Schönborn das Bleichenviertel trockenlegen. Hierzu wurde der von Bretzenheim kommende Zeybach 1657 vor der Stadt in die Festungsgräben der Gartenfeldfront umgeleitet (Lage: heutige Kaiserstraße).
1663 ließ er als erstes die ‚Große Burgstraße‘ ausmessen; die ‚Kleine Burgstraße‘ sowie eine weitere Straße folgten. Die Straßen führten von Westen nach Osten fast parallel auf die Burg zu, die Martinsburg – daher die Straßennamen. In Mainz haben sich diese Namen nicht gehalten. Wir kennen sie heute als Große Bleiche, Mittlere Bleiche und Hintere Bleiche. Die Bleichen wurden durch Querstraßen in kleinere Wohnblöcke unterteilt, wobei auf eine Anbindung an die vorhandenen Gassen der Altstadt geachtet wurde.
Bei dem schachbrettartigen Grundriss des Bleichenviertels handelt es sich um eine barocke Stadtentwicklung. Vergleichbare Grundzüge sind z. B. in Mannheim, Rastatt oder Karlsruhe deutlicher zu erkennen; dort handelte es sich aber um komplette Neugründungen von Städten in Ausrichtung auf das jeweilige Schloss. Innerhalb der Stadtmauern von Mainz konnte so großzügig nicht geplant werden. Aber die Ausrichtung der Straßen des neu gewonnenen Stadtteils auf die Residenz des Herrschers ist nicht zu übersehen.
Die Große Bleiche sollte Prachtstraße werden. Hier sollten Adelspalais entstehen. Zur Hinteren Bleiche zu waren Manufakturen geplant. Der heutige Neubrunnenplatz war als Marktplatz für das Bleichenviertel vorgesehen.
Die Realität folgte nicht ganz der Planung. An der Großen Bleiche siedelten vorwiegend Bürger. Die Besiedlung der Mittleren und Hinteren Bleiche vollzog sich nur langsam. Neubürger zogen dort so gut wie überhaupt nicht hin.
Eine Vergrößerung des Schlossparks nach Westen war dennoch nicht geplant.
Erst ca. 50 Jahre später entwickelte sich das Bleichenviertel unter Kurfürst Lothar Franz von Schönborn.
0.3.Neubrunnen
Der Neubrunnen ist ein Denkmal barocken Herrscherglanzes. Die große Brunnenschale, die ständig mit Wasser bis zum Rand gefüllt war, steht auf einem Sockel. Die Originale der ursprünglich aus Sandstein gearbeiteten Flussgötter (Vater Rhein schaut auf die Große Bleiche, der Flussgott, der den Main symbolisiert, in Richtung Kaiserstraße) wurden durch solche aus Muschelkalk ersetzt. Die beiden Nymphen sind 1828 durch Löwen ersetzt worden. Bis 1877 schauten die Flussgötter noch nach Westen und Osten, also parallel zur Großen Bleiche.
Der Obelisk – so nimmt man an – sollte die Nähe des Kurfürsten zu Rom [Anm. 3] symbolisieren. Die Flachreliefs auf dem Obelisken symbolisieren an jeder Seite verschiedene Themenkreise:
- Richtung Münsterplatz: Krieg und Wachsamkeit,
- Richtung Große Bleiche, Innenstadt: kluge Staatsführung,
- Richtung Kaiserstraße: Kunst und Wissenschaft,
- Richtung Rhein: Handel.
Als Mainz 1798 in die Französische Republik eingegliedert wurde, ist der vergoldete Kurfürstenhut auf der Spitze des Obelisken entfernt worden und der Obelisk wurde zugespitzt. Das Wappen von Lothar Franz von Schönborn wurde entfernt und die metallene Widmungstafel, die in lateinischer Schrift ein überschwängliches Lob auf den „erhabensten und ehrwürdigsten Fürst“ zum Ausdruck brachte, wurde nun versteckt. Denn über der Stiftungstafel und an den übrigen drei Seiten wurden nun Tafeln in französischer Schrift befestigt: Sie priesen
- die junge Republik mit ihrer Armee,
- Johannes Gutenberg als Erfinder der Buchdruckkunst,
- jene Mainzer, die während der Stiftsfehde 1462 gegen den Usurpator Adolf II. von Nassau ihr Leben gelassen haben, indem man die damalige Auseinandersetzung als eine Vorform der bürgerlichen Revolution interpretierte, und
- den Schöpfer des 1254 gegründeten Rheinischen Städtebundes, Arnold Walpoden. <ANM> Arnold Walpoden gründete 1254 den ersten Bund der mittelrheinischen Städte Mainz, Worms, Oppenheim und Bingen. Dieser Bund ging später im ‚Großen Rheinischen Bund‘ auf, der zwei Jahre später bereits aus 31 Erzbischöfen und Bischöfen, Grafen und Herren sowie 100 Städten zwischen Basel und Bremen bestand. Hauptziel des Bundes war es, den Landfrieden zu gewährleisten und ungerechtfertigte Steuern und Zölle zu beseitigen. Alle Bundesmitglieder stellten bewaffnete Kontingente bereit. Auf Rhein und Mosel wurden Schiffe zum Schutz des Handels bereitgehalten. </ANM>
„Indes, bereits acht Jahre später bekam der politisch so ‚praktische‘ Obelisk wieder andere Aushängeschilder. Nachdem aus der Französischen Republik ein Kaiserreich wurde und der Imperator Napoleon im August 1806 seine ‚bonne ville‘ besuchte, nahm man alle vier Tafeln wieder ab. Die Stiftertafel, die vom Ruhm des Lothar Franz gekündet hatte, wurde verbannt. Auf die Rückseite des Obelisken und an deren Stelle zur Großen Bleiche hin trat nun eine weiße Marmortafel mit Goldinschrift in lateinischer Sprache, die der Ankunft des Kaisers gewidmet war und an seinen Besuch erinnerte. Freilich, auch diese Tafel sah man nur acht Jahre lang. Als des Korsen Heere geschlagen waren und der Kaiser abgedankt hatte, verschwand sie und die Frontseite des Obelisken blieb vorerst leer.“ [Anm. 4] 1828 wurde auf der Vorderseite des Obelisken eine neue Metallplatte mit der Inschrift befestigt: „Errichtet 1726 Erneuert 1828“.
1877 versetzte man die Stiftertafel des Kurfürsten von der Rückseite wieder auf die Vorderseite. Kurfürst Lothar Franz von Schönborn wollte sich mit diesem Brunnen ein Denkmal setzen und hat es nach 250 Jahren, wenn auch ohne Kurfürstenhut und Wappen, vorerst wieder einmal geschafft.
0.4.Kurfürstlicher Marstall
Die relativ wenigen Fenster im Erdgeschoss des ehemaligen Kurfürstlichen Marstalls sind ein Hinweis darauf, dass dort nicht gewohnt wurde. Hier waren einst 300 Pferde und Kutschen untergebracht.
Das Grundstück, auf dem sich das heutige Landesmuseum befindet, ist erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – also relativ spät – bebaut worden. Kurfürst Emmerich Joseph von Breidbach zu Bürresheim ließ hier 1766 – 1767 den kurfürstlichen Marstall errichten. Als Vorbild diente zweifellos die Winterreitschule der Spanischen Hofreitschule in Wien. Das aus Kupfer getriebene, vergoldete Pferd – in der Position der ‚Levade‘, einer typischen Dressurübung – wurde 1774 aufgestellt.
An beiden Ecken des Gebäudes befinden sich dreigeschossige Wohnhaustrakte, die als Gästehäuser der Kurfürsten und später auch der französischen Administration genutzt wurden. So wohnte hier z. B. die Großnichte und „enge Vertraute“ des letzten Kurfürsten Friedrich Karl Joseph von Erthal, Sophie von Coudenhoven, oder der französische Außenminister Taylleyrand, der 1806 Napoleon nach Mainz begleitete.
Reithalle/Theater/Kaserne/Museum
Wenige Jahre nach Inbetriebnahme des kurfürstlichen Reitstalls kam eine 15 x 19 m große Reithalle mit zwei Emporen hinzu. [Anm. 5]
Nachdem Kurfürst von Erthal sich im Oktober 1792 fluchtartig nach Aschaffenburg abgesetzt hatte, benötigte er den Marstall weder für seine Pferde noch für seine Kutschen. So wurde die Reithalle von 1793 bis 1797 als Theater genutzt.
Ein Jahr später, als Mainz in die Französische Republik eingegliedert war, beanspruchte der französische Militärkommandant den Marstall für die militärische Reitausbildung, jedoch nur für kurze Zeit.
1804 befahl Napoleon, dass Schauspieler aus Paris nach Mainz kommen sollten, um dort fünf bis sechs Dramen aufzuführen. Mit großem Aufwand wurde die große Reithalle wieder zum Theater umgebaut. Als Napoleon im September in Begleitung der Kaiserin Joséphine nach Mainz kam, wurden tatsächlich mehrere Stücke in der Reithalle aufgeführt. Napoleon hatte die Absicht, Mainz als kaiserliche Residenzstadt auszubauen, und so beauftragte er seinen Architekten de Saint Far, einen standesgemäßen Theaterneubau zu errichten, um das Provisorium in der Reithalle zu ersetzen. Da es in Mainz zu dieser Zeit bereits umfangreiche französische Bauvorhaben gab und das Militär die Prioritäten festlegte, ist es nicht mehr zum Bau des Theaters gekommen.
Also gab es auch im Großherzogtum Hessen-Darmstadt weiterhin Theater- und Opernaufführungen im Marstall. U. a. ist hier 1829 auch Niccolò Paganini aufgetreten. Erst als 1833 das neu errichtete Theater in der Ludwigsstraße seine Pforten öffnete, verließen Schauspieler und Musikanten die Reithalle für immer.
Bis 1930 waren dann in der „Golden-Ross-Kaserne“, wie sie jetzt hieß, verschiedene Kavallerieregimenter stationiert. Ab 1935 kamen in den leer stehenden Gebäudekomplex die Gemäldegalerie sowie die Sammlungen des Städtischen Altertumsvereins, die bis dahin im Schloss untergebracht waren. Die ehemalige Reithalle wurde als Magazin genutzt.
Bei einem Luftangriff im Jahre 1942 ist das Gebäude völlig zerstört worden. Dabei sind viele Ausstellungsstücke verloren gegangen, aber auch das barocke Original des goldenen Rosses.
Nach dem Krieg wurde das Gebäude in vielen kleinen Bauabschnitten wieder aufgebaut und 1962 während der vermeintlichen 2000-Jahr-Feier wieder eröffnet. Zwei Jahre später kam die Reithalle als „Steinhalle“ für die Präsentation eines Teils der zahlreichen römischen Steindenkmäler dazu.
Wenige Jahre später hat das Land das Museum und damit auch die finanzielle Verantwortung übernommen. Seither wurden die Gebäude unter denkmalpflegerischen und museumspädagogischen Aspekten mit großem Aufwand saniert und modernisiert. Dabei wurde die Ausstellungsfläche erweitert. Eine grundlegende Sanierung des Landesmuseums konnte nach mehrjährigen Baumaßnahmen 2010 abgeschlossen werden.
Verfasser: Wolfgang Stumme
Redaktionelle Bearbeitung: Jasmin Gröninger
Verwendete Literatur:
- Frankhäuser, Gernot: Barock und Aufklärung (1648 – 1792). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand (Hg.): Mainz – Menschen, Bauten, Ereignisse. Eine Stadtgeschichte. Mainz 2010, S. 92 - 112.
- Hanfgarn, Werner: Mainzer Brunnen. Was sie uns erzählen. Mainz 1990.
- Mainzer Denkmal Netzwerk (Hg.): Das Kurfürstliche Schloss in Mainz (mit Texten von Brigitte Goebel und Dethard von Winterfeld). Bodenheim 2007.
Aktualisiert am: 04.08.2016
Anmerkungen:
- 937 – 954 wurde die Stiftskirche St. Peter außerhalb der nördlichen Stadtmauer errichtet. 1573 wurde der Gottesdienst und 1593 das Stift in das Odenmünster (Udenmünster) verlegt. Als unter Johann Philipp von Schönborn der erste barocke Festungsgürtel angelegt wurde, wurden die Überreste der im 30jährigen Krieg zerstörten Kirche St. Peter abgerissen. Die gotische Kirche St. Marien-Odenmünster wurde 1747 abgerissen und durch den uns bekannten Bau von St. Peter (Bauzeit: 1749 – 1756) an der Großen Bleiche ersetzt. Zurück
- Bastion: Vorspringender Teil an Festungsbauten, wodurch Angreifer auch von der Seite und von hinten beschossen werden konnten. Vgl. Bastionen der Zitadelle. Zurück
- Die römischen Kaiser hatten bereits Obelisken aus Ägypten an den Tiber bringen lassen. Mit 13 Obelisken ist Rom die Stadt mit den meisten Obelisken. Zurück
- Hanfgarn, Werner: Mainzer Brunnen. Was sie uns erzählen. Mainz 1990, S. 35. Zurück
- 1770 wurde die Reithalle in Betrieb genommen. Ernst Neeb datiert die Fertigstellung bereits auf 1766. Zurück